Wissenschaftliche Netzwerke und klassifikatorische Bedeutung im Psychiatrischen Handbuch (Traité de Psychiatrie) der Medizinisch-Chirurgischen Enzyklopädie (1947-1977) am Beispiel des Begriffes der Psychose
Texte intégral
1Der deutsche Ausdruck ‘Psychose’ (Carl Friedrich Canstatt, 1841) ist der wissenschaftliche Begriff, der sich zur Bezeichnung von bestimmten Geisteskrankheiten durchgesetzt hat. Als Ausgangsperspektive für die Untersuchung dient dabei die Geschichte der wissenschaftlichen Soziabilitäten. Der Zeitraum (1947-1977) wurde entsprechend der Tätigkeit des französischen Psychiaters Henri Ey im Rahmen der Gruppe „l’Evolution Psychiatrique“ (die Psychiatrische Entwicklung) abgesteckt. Ich untersuche in meiner Arbeit die Implikationen und Folgen einer Denktradition, welche die Geistkrankheiten seit dem „Traité de psychiatrie“ (Psychiatrische Abhandlung) der sogenannten EMC, „Encyclopédie Médico-Chirurgicale“, (Ärztlich-Chirurgische Enzyklopädie), die Henri Ey bis zu seinem Tode herausgegeben hat, in der psychiatrischen Klassifizierung in zwei Hauptkategorien vereinigt: die „Psychoses aiguës“ (akute Psychosen) und die „psychoses chroniques“ (chronische Psychosen). Die Arbeit schildert die Entstehungsgeschichte des Begriffs „Psychose“ und analysiert die Renaissance der „Evolution Psychiatrique“ bis zur Veröffentlichung des gemeinsamen Werkes in 1955. Als roter Faden dient dabei die von dem englischen Neurologen John Hughlings Jackson inspirierte „organisch-dynamische“ Auffassung Henri Eys, die Verbindungen zwischen den Herausforderungen des Psychosenkonzepts, den Werken des Mitarbeiters des EMC (1956-1977) und, auf längere Sicht, der Geschichte der Geisteskrankheiten herstellt. Vier Hauptthemen stehen im Vordergrund meiner Lektüre: das akute oder chronische Delirium, die deutsche Auffassung der endogenen Psychose, die neojacksonische Aufassung der Epilepsie und die psychiatrische Auffassung der Schizophränie. Schließlich untersuche ich in einem Epilog die aktualisierten Texte des EMC (1956-1977), in denen eine Spannung spürbar wird zwischen einer Klassifizierung, die sich an das Psychosenkonzept anlehnt, sowie einer Reihe von Innovationen im ärztlichen, intellektuellen und kulturellen Bereich, bis hin zu expliziten Infragestellungen (Antipsychiatrie). Im Anschluss an den Untersuchungszeitraum frage ich nach der Bedeutung der zahlreichen Kategorien von Geisteskrankheiten, die in der Vergangenheit unter dem Begriff Psychose zusammengefasst wurden. Einige Orientierungen von Henri Eys Mitarbeitern, wie diejenige von Henri Ellenberger und Georges Lantéri-Laura im Hinblick auf die Geschichte und ihre Methode, brechen mit dem Projekt der allgemeinen Psychopathologie ab.
Pour citer cet article
Référence électronique
Emmanuel Delille, « Wissenschaftliche Netzwerke und klassifikatorische Bedeutung im Psychiatrischen Handbuch (Traité de Psychiatrie) der Medizinisch-Chirurgischen Enzyklopädie (1947-1977) am Beispiel des Begriffes der Psychose », Trajectoires [En ligne], 3 | 2009, mis en ligne le 16 décembre 2009, consulté le 12 novembre 2024. URL : http://0-journals-openedition-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/trajectoires/353 ; DOI : https://0-doi-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/10.4000/trajectoires.353
Haut de pageDroits d’auteur
Le texte seul est utilisable sous licence CC BY-NC-SA 4.0. Les autres éléments (illustrations, fichiers annexes importés) sont « Tous droits réservés », sauf mention contraire.
Haut de page