Einführung
Volltext
1Der in dieser Ausgabe des Jahrbuches zusammengefasste Rückblick auf das vergangene Jahr enthüllt sowohl den Umfang der Beziehungen der Schweiz und der Dritten Welt als auch die steigende Anzahl von Bereichen, in denen sich die Entwicklungsproblematik stellt. Damit wird deutlich, dass das Streben nach einer wirklichen und allgemeinen Verbesserung der Lebensbedingungen der Dritteweltvölker in Verbindung mit der Bewahrung des Friedens und der ökologischen Gleichgewichte zu den grossen Aufgaben unserer Zeit gehört.
- 1 Vgl. Bericht über die Leitlinien der Regierungspolitik für die Legislaturperiode 1979-1983 vom 16 (...)
2Aus diesem Grund hat im Dezember 1981 ein Ereignis unsere besondere Aufmerksamkeit gefordert, nämlich die Entscheidung der Bundeskammern – auf Antrag des Bundesrates –, die Summe der öffentlichen Entwicklungshilfe im Etat 1982 um 18 % zu kürzen. Diese Entscheidung ist aus mehreren Gründen überraschend :
– Die Entwicklungshilfe ist im Bundeshaushalt für 1982 der einzige so drastisch reduzierte Posten.
– Die Schweizer öffentliche Entwicklungshilfe liegt weit unter der von den anderen Industrieländern der OECD geleisteten Hilfe.
– Die beschlossene Kürzung steht im Widerspruch zu der von der Regierung für die Legislaturperiode 1979-1983 ausgearbeiteten Politik, im Rahmen derer einer fortschreitenden Aufstockung der öffentlichen Entwicklungshilfe der absolute Vorrang gegeben worden ist, um diese Hilfe den Durchschnittszuwendungen der anderen OECD-Länder anzugleichen1.
3Unsere Absicht ist es nicht, uns mit den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Motiven auseinanderzusetzen, sondern festzustellen, dass im Bereich der Entwicklungshilfe immer weniger Uebereinstimmung zwischen Taten und Worten herrscht. Diese Kluft kennzeichnet jedoch nicht nur die Einstellung der Schweiz. Die auf internationalen Konferenzen, wie denen über die „am wenigsten entwickelten” Länder oder über neue und erneubare Energiequellen, ausgearbeiteten Empfehlungen laufen Gefahr, aus Mangel an Geldmitteln d.h. an politischem Willen, sie in die Tat umzusetzen, nicht zur Ausführung zu kommen. Dabei ist festzuhalten, dass sich die von allen im Entwicklungshilfekomitte der OECD vertretenen Industrienationen geleistete öffentliche Entwicklungshilfe 1981 im Vergleich zum Vorjahr fühlbar verringert hat. In einem ebenso wichtigen anderen Bereich, dem des Rohstoffhandels, ist das Inkrafttreten des zur Rohstoffpreisstabilisierung immerhin schon 1976 beschlossenen „Gemeinsamen Fonds” blockiert. Auch hier mangelt vielen Industrieländern der Wille zur Ausführung.
4Diese Bewegungslosigkeit, dieser Stillstand erklären sich, zum Teil zumindest, durch den wirtschaftlichen Rückgang in den Industrieländern. Dieser dem Norden eigenen Rezession entspricht jedoch eine tiefgreifende Krise in vielen Dritteweltländern, welche sowohl den schon heiklen Ablauf eines von strukturellen Misverhältnissen gezeichneten Weltwirtschaftssystems als auch den Lebens-, wenn nicht Ueberlebensstandard von Hunderten von Millionen Menschen in Frage stellt. „Wenn der Reiche krank ist, stirbt der Arme” : dieses Sprichwort verbildlicht die die Weltwirtschaft prägende und durch die „Falschentwicklung” hervorgerufene Asymmetrie.
5Die von vielen Industrienationen gezeigten fröstelnden Rückzugreflexe zeugen von einer Kurzsichtigkeit und einer Beschränkheit, welche die Welt zu neuen Katastrophen führen könnten.
6In diesem Zusammenhang ist es vor allem wichtig, in allen Bereichen der Gesellschaft das Verständnis für die gegenwärtigen Probleme sowie die Beziehungen zwischen Entwicklung, einer gemeinschaftlichen und vernünftigen Verwaltung der Weltressourcen und dem Ueberleben der menschlichen Gesellschaften zu verbessern. Wissens- und Ausbildungsstand müssen mit den laufenden Veränderungen und den von diesen hervorgerufenen Krisen Schritt halten. für diese Aufgabe kann nicht nur die Obrigkeit aufkommen ; dieser Aufgabe müssen sich auch die zahlreichen, für Wissen und Ausbildung zuständigen Institutionen stellen.
7In der Schweiz wird diese Aufgabe von einem weitreichenden Netz privater und öffentlicher Institutionen übernommen, die durch Unterstützung von Projekten in der Dritten Welt und Wissensvermittlung in der Schweiz zu einer besseren internationalen Verständigung beitragen. In dem vorliegenden Jahrbuch Schweiz – Dritte Welt 1982 geben wir das Wort Vertretern privater Organisationen, welche der internationalen Solidarität, die alle diejenigen bekunden, die in der Schweiz diese Organisationen unterstützen, einen konkreten Inhalt verleihen.
8Diese Oeffnung des Jahrbuches schweizerischen nicht-regierungsgebundenen Organisationen gegenüber ist ein erster Schritt zur Verwirklichung unseres Vorhabens, in dieser Serie nach und nach die Tätigkeit anderer Akteure (Privatunternehmen, Kantone, Gemeinden) zu erörtern, um auf diese Art und Weise so vollständig und wahrheitsgetreu wie möglich die Verschiedenheit und Komplexität der Beziehungen Schweiz – Dritte Welt wiederzuspiegeln. Die Tätigkeit des Bundes stellt jedoch immer ein für uns besonders wichtiges Studienfeld dar.
9Die vorliegende zweite Ausgabe des Jahrbuches gibt einen Rückblick auf die Ereignisse des Jahres (vom 1. Juli 1981 bis 30. Juni 1982) und enthält ausserdem ein analytisches Verzeichnis sowie eine Chronologie. Diesem Teil schliessen sich Untersuchungen, Kommentare und Stellungnahmen zu den Hauptereignissen des Jahres an. Es folgt ein Literaturverzeichnis, welches die wichtigsten Werke, Artikel und Dokumente zum behandelten Thema umfasst. Der statistische Teil vereinigt in Form von kommentierten Tabellen die neuesten Angaben zu den Beziehungen Schweiz – Dritte Welt in den Bereichen Handel, Finanzflüsse und öffentliche Entwicklungshilfe.
10Damit das Jahrbuch als gesamtschweizerisches Nachschlagwerk fungieren kann, haben wir dieses Jahr sowohl eine französische als auch eine deutsche Ausgabe vorbereitet. Der Ueberblick erscheint vollständig in beiden Sprachen, während andere Teile des Jahrbuches wie schon im vergangenen Jahr ausschliesslich in ihrer deutschen oder französischen Ursprungsversion veröffentlicht sind.
11Zum Abschluss möchte ich nicht nur denjenigen, die am vorliegenden Jahrbuch mitgearbeitet haben, meinen Dank ausprechen, sondern auch allen denen, die uns nach Erscheinen des ersten Jahrbuches Ermutigung und Kritik haben zukommen lassen und uns somit geholfen, unsere Arbeit fortzuführen und, so hoffen wir, zu verbessern.
Anmerkungen
1 Vgl. Bericht über die Leitlinien der Regierungspolitik für die Legislaturperiode 1979-1983 vom 16. Januar 1980.
SeitenanfangZitierempfehlung
Papierversionen:
Jacques Forster, „Einführung“, Schweizerisches Jahrbuch für Entwicklungspolitik, 2 | 1982, 1-3.
Online-Version
Jacques Forster, „Einführung“, Schweizerisches Jahrbuch für Entwicklungspolitik [Online], 2 | 1982, Online erschienen am: 28 Januar 2013, abgerufen am 19 Februar 2025. URL: http://0-journals-openedition-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/sjep/958; DOI: https://0-doi-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/10.4000/sjep.958
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