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Analysen und stellungnahmen | Die Schweiz und die humanitäre Aktion

Entwicklungszusammenarbeit und Nothilfe : der Fall der OAP in Burundi

Daniel Fino
p. 75-84

Anmerkungen der Redaktion

Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine abgeänderte Version des Artikels von D. Fino, P. Kana und M. Ndikum-wami, „Articuler l’aide d’urgence avec l’aide au développement“, Génocides et violences dans l’Afrique des Grands Lacs. Six propositions pour une réforme de la coopération internationale, Sonagral, Montpellier, 1997.

Volltext

1.Lernen aus der praxis

  • 1  Lokale Entwicklung wird definiert als Bestreben der Akteure einer Gemeinschaft, die sozioökonomisc (...)
  • 2  In der Provinz Bujumbura-Rural (gegenwärtig zehn Gemeinden mit einer Bevölkerung von rund 400’000 (...)

1Die Fallstudie der OAP (Opération d’appui à l’autopromotion) in Burundi zeigt, dass die Förderung der sozioökonomischen Basisentwicklung trotz einer Krisensituation und der nahezu permanenten politisch-militärischen Instabilität gelingen kann. Eine in der lokalen Entwicklung1 engagierte Organisation stellt sich die konkrete Frage, wie sich Massnahmen zur Selbsthilfe der Basisgemein-schaften in Notsituationen umsetzen lassen. Dies in einem Umfeld mit ernsthaf-ten sozioökonomischen Problemen (Verlust der Existenzgrundlagen wie Woh-nung, Arbeit, Land, öffentliche Infrastrukturen) und Unsicherheit, welche auf Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen zurückgehen und massive Bevölkerungsvertreibungen2 in der Provinz bzw. im Land verursachen.

  • 3  Die OAP vertritt das IUED in Burundi. Das Kaderteam besteht aus vier Burunderinnen (eine mit der L (...)
  • 4  Es handelt sich um das PADC (Programme d’appui au développement des communes d’Isale, Mubimbi et K (...)

2Die OAP ist eine nichtstaatliche Organisation und besitzt einen Status als internationale NGO3. Sie wurde 1993 beim Abbruch eines bilateralen Hilfsprojekts zwischen der Schweiz und Burundi gegründet4. Die OAP soll lokale Basisinitiativen in den Bereichen Agrarproduktion, Handwerk und Handel unterstutzen. Bereits wenige Monate nach Projektstart sah sich die OAP nach der Ermordung von Präsident Ndadayé mit gravierenden Unruhen konfrontiert : Tausende Vertriebene suchten Zuflucht in den Gemeinden, bei Familien oder in überwachten Unterkünften. Dank der finanziellen Unterstützung (von durchschnittlich 200’000 sFr. pro Jahr) der Abteilung für Humanitäre Hilfe der DEZA (Direk-tion für Entwicklung und Zusammenarbeit) gelang es der OAP, die Nothilfedi-mension rasch in ihr Arbeitsprogramm einzubinden und mit dem Entwicklungsansatz zu vereinbaren. Konkret zeigte sich dies in ihrem Engagement für :

  • die Koordinierung der Hilfe, um die Interventionsarten aufeinander abzustimmen, vor allem in Menge und Art der Hilfslieferungen (Nahrungsmittelhilfe, Haushaltgeräte, Decken, Seifen usw.) ;

  • Vermittlung zwischen der lokalen Verwaltung, den verschiedenen Akteuren, der ansässigen Bevolkerung und den Vertriebenen ;

  • Mobilisierung der ansässigen Bevolkerung und der Vertriebenen in der Organisation der Hilfsverteilung.

3Nur Wochen (manchmal Tage) nach ihrer Ankunft verlangten die Vertriebenen Hacken und Saatgut. Die OAP organisierte Gespräche mit den Gemeinden, damit die Vertriebenen gratis Land bebauen konnten. Die Hacken wurden kostenlos zur Verfügung gestellt, das Saatgut gegen Kredit. Beeinträchtigt wurde die Politik der Saatgutabgabe gegen Kredit bisweilen durch die unkonzertierte Abgabe von Lebensmittelvorräten durch die Nahrungsmittelhilfsorganisationen.

4Gleich zu Beginn einer Krisensituation versucht die OAP, die ansässige Bevölkerung einzubeziehen. Die Bevölkerung trägt einen Grossteil der Lasten : Auf-nahme, Unterbringung, Teilen der Nahrung, Bereitstellung von Land usw.

5In fast allen Gemeinden wollten die Vertriebenen rasch, mitarbeiten und ihren Beruf ausüben (Maurer, Landwirt, Schreiner…). Um die verschiedenen Wünsche zu berücksichtigten und niemanden zu benachteiligen, weder die Vertriebenen noch die ansässige Bevölkerung, schlug die OAP eine offene Diskussion unter den wichtigen Akteuren der Gemeinde vor, welche die Zuteilung der Unterstützungsleistungen beschliessen (siehe unten Gemeindekommissionen).

6In den darauffolgenden Jahren kehrten die Vertriebenen entweder an ihren Heimatort zurück, sofern die Lage es erlaubte, zogen in andere Gemeinden oder blieben mit Zustimmung der dortigen Bevölkerung endgültig in ihrer Zuflucht-gemeinde.

7Die OAP fördert heute als Programm die Suche nach lokalen Lösungen für Probleme der Basisgemeinschaften (Vertriebene und ansässige Bevölkerung) in drei Hauptbereichen :

  • Ankurbelung privater und kollektiver wirtschaftlicher Initiativen ;

  • Wiederinstandsetzung der öffentlichen Infrastrukturen (Schulen, Kliniken…) ;

    • 5  Einige Klärungen zum Vorgehen: Die OAP leistet konkrete Wiederaufbauarbeit indem sie Ziegeln, Fens (...)

    Wiederaufbau des Wohnraumes5.

8Daneben gibt es den Sonderhilfsfonds, der Waisen unterstützt und gezielte Nahrungsmittelhilfe, Nothilfe für Heimkehrer usw. anbietet.

9Erste Ansprechpartner der OAP sind die Gemeindekommissionen, zu denen Vertreter aller Gemeindesektoren gehören (Verwaltung, Kirche, Berufsgruppen, Frauenvereine, Komitees der Vertriebenen u.a.). Der Rückhalt der OAP in der Gemeinde hängt weitgehend von der Dynamik und dem Engagement der Gemeindekommission ab, die in der Projektidentifizierung, -vorbereitung, in der Arbeitsorganisation, den Folgemassnahmen und der Auswertung eine Schlüsselrolle spielt. Die Beziehungen zwischen der OAP und den Gemeindekommissionen sind vertraglich geregelt. Wenn keine Kommissionen existieren – weil die verschiedenen Gruppen sich nicht einigen können, oder weil die Hilfe sich auf die Unterstützung wirtschaftlicher Tätigkeiten beschränkt – arbeitet die OAP mit lokalen Kontaktorganisationen zusammen. Diese vertreten zwar nicht alle Akteure, erfüllen aber ansonsten die gleichen Aufgaben wie die Gemeindekommissionen.

2. Grundsätze der OAP

10Die Abteilung Humanitäre Hilfe interessiert sich vor allem für die folgenden drei Grundsätze der OAP :

  • Die OAP erstellt eine differenzierte Analyse der Personen, die einer Notlage ausgesetzt sind, als verletzlich beurteilt werden und die Nothilfe brauchen. Sie bemüht sich, die Selbstverantwortung der Vertriebenen nicht zu unter-schätzen, und Hilfeleistungen auf Personen zu beschränken, die sich tatsäch-lich nicht selbst helfen können. Daher versucht sie in jeder Situation syste-matisch, die Fähigkeit zur Eigenverantwortung zu ermitteln und die Hilfsart entsprechend zu „dosieren”. Dank der Vorsichtsmassnahmen finden die „Opfer” neues Selbstvertrauen und die Aussicht auf Autonomie. Die OAP verzichtet auf die klassische Sequenz Nothilfe – Entwicklungszusammenarbeit. Sie versucht von Anfang an mit einem entwicklungsorientierten Ansatz zu arbeiten, der je nach Fall ergänzt wird durch eine sorgfältig eingesetzte Nothilfe.

  • Die OAP hilft Vertriebenen, sich möglichst rasch in den normalen Wirtschaftskreislauf – Landwirtschaft, Handwerk, Dienstleistungen, Handel – zu integrieren. Dies bildet den Schwerpunkt ihres Tätigkeitsprogramms. Eine bezahlte Beschäftigung ist der beste Ausweg aus einer Krise : Familien können sich selbst ernähren, soziale Probleme in Gesundheit und Erziehung bewältigen, die Menschen finden ihre gesellschaftliche Position wieder und bewahren ihre Würde. Zudem bildet Arbeit eine wesentliche Voraussetzung für Frieden.

  • Die OAP vertritt eine klare Position zur Rolle der Akteure :
    – Fur die lokale Entwicklung (einschliesslich das Krisenmanagement) sind alle Gemeindeakteure verantwortlich. Die OAP vermittelt Kontakte unter den Akteuren, nimmt ihnen aber die Lösungssuche nicht ab.
    – Die verschiedenen Akteure spielen gesellschaftlich ergänzende Rollen : Die öffentliche Verwaltung erfüllt ihre eigenen spezifischen Aufgaben, die Private und Vereine nicht wahrnehmen können, und umgekehrt. Das setzt unter Akteuren mit bisweilen unterschiedlichen Interessen gegensei-tige Achtung, Toleranz und Bereitschaft zum Zuhören voraus. Vor diesem Hintergrund leistet die OAP Sensibilisierungs- und Vermittlungsarbeit.
    – In Ländern wie Burundi herrscht grosser Bedarf an nichtstaatlichen nationalen Organisationen wie der OAP, die sich in der lokalen Entwicklung und in der Nothilfe engagieren.

3. Lektionen aus den erfahrungen der OAP

11Nach fünf Jahren Erfahrungen zieht die OAP einige Lektionen, die für Entwicklungsorganisationen in ähnlichen Verhältnissen nützlich sein könnten. Wir beschränken uns hier auf drei Hauptpunkte.

Integration der Nothilfe-Dimension in die Entwicklungszusammenarbeit

12Die Dimension „Nothilfe” sollte von Anfang an in die permanente Entwicklungsarbeit einbezogen werden anstatt vom Übergang von der Nothilfe zur Entwicklungszusammenarbeit zu sprechen. Es handelt sich nicht um zwei getrennte, klar aufeinanderfolgende Etappen. Die Anstrengungen einer lokalen Gemeinschaft zur Verbesserung ihrer Verhältnisse hören in einer Krise nicht auf. Zwar wird die Lage komplexer, die Probleme spitzen sich zu, aber die betroffene Bevölkerung beweist den Willen und die Fähigkeit, sich aus eigener Kraft zu helfen. Auswärtige Hilfsorganisationen, die sich über dieses grundlegende Prinzip hinwegsetzen und nicht angemessene Hilfe leisten, können dièse Entwicklungsperspektive stören, ja gar bremsen oder verzögern. Die lokalen Fähigkeiten zur Krisenbewältigung in den Vordergrund zu stellen, bedeutet eine möglichst weitgehende Beteiligung der betroffenen Basisgemeinschaften am Krisenmanagement und an der Lösungssuche.

13Beim Krisenausbruch in Burundi stoppten die meisten Organisationen ihre Tätigkeiten, in erster Linie aus Sicherheitsgründen. Die OAP entschied sich fürs Bleiben und integrierte die humanitäre Hilfe in ihre Entwicklungspolitik. Sie arbeitete mit den gewohnten Partnern (ansässige Bevölkerung) weiter, ermittelte mit ihnen zusammen neue Bedürfnisse und half bei der Aufnahme von Vertriebenen in der Gemeinde. Die Integration von krisenbezogenen Tätigkeiten (Unterstützung der betroffenen Bevölkerung) in das ordentliche Programm erforderte eine Mobilisierung der Vertriebenen, aber auch der gesamten Bevölkerung, sowie Sensibilisierungs-Sitzungen, um die Partner der OAP aktiv am Wiederaufbau ihrer Gesellschaft zu beteiligen. Die Gemeindekommissionen gehen auf dieses Anliegen ein.

14Dank der Mobilisierung der Bevölkerung konnten dringliche Probleme lokal gelöst und Personen, die normalerweise nicht miteinander verkehren, zur Diskussion zusammengeführt werden. Anliegen von allgemeinem Interesse werden geteilt, um gemeinsame Probleme zusammen zu lösen. Konkret engagierten sich im Rahmen der OAP Jugendliche aus Bujumbura-Rural in lokal wichtigen Tätigkeiten wie Handwerk, Landwirtschaft, Lebensmittelverteilung usw. Daneben dürften solche Begegnungen auch zur Wiederversöhnung und zu einem friedlicheren Klima beitragen.

15Bei der Umsetzung ihrer Stratégie zählt die OAP auf verschiedene Stärken :

  • ein klares, explizites Konzept ihres Ansatzes und ihrer Interventionsphilosophie ;

  • eine gründliche Kenntnis des Milieus und der Mentalität der Bevolkerung in Bujumbura-Rural ;

  • das Vertrauen der Bevölkerung : Die OAP war bereits ein bekannter Partner und musste bei Krisenausbruch nicht erst um Akzeptanz kämpfen ;

  • eine transparente Informationspolitik, die direkte Beziehungen mit den betroffenen Akteuren, vor allem mit den lokalen Provinz- und Gemeindebehörden, ermöglicht ;

  • ein klares Verständnis der eigenen Rolle : keine „Substitution”, d.h. nie die lokalen Entwicklungsorganisationen (Gemeindekommissionen, Behörden usw.) ersetzen. Wenn diese keine Initiativen ergreifen, darf die OAP nicht an ihre Stelle treten ;

  • ein starkes persönliches Engagement des (rein burundischen) Teams.

16In Krisenzeiten spielt die Präsenz von Entwicklungsorganisationen eine entscheidende Rolle, sofern bestimmte Kriterien (wie oben angeführt) eingehalten werden. In der operationellen Arbeit muss zudem zwischen dem ordentlichen Unterstützungsprogramm zur lokalen Entwicklung und der akuten Krisen- und Nothilfe unterschieden werden. Die Abgrenzung ist wichtig, um keinen Aspekt zu vernachlässigen und um die Kohärenz zu gewährleisten. Zudem muss die präzise Lagebeurteilung vor der Intervention und die permanente Auswertung der Entwicklung im Vordergrund stehen. Die Erfahrung der OAP zeigt, dass nur ein gut funktionierendes Identifizierungs- und Folge- bzw. Evaluationssystem diese schwierige, aber notwendigen Abstimmung ermöglicht.

17In Burundi zeigte sich ab Krisenbeginn folgender Bedarf an Nothilfe : Nahrungsmittel, medizinische Versorgung, Pflüge, Unterkunftsmaterial, Saatgut, Schulbedarf, Küchengeräte, Bekleidung. Die OAP sammelte all dieses Material und konnte dank einer vertieften Analyse der Bedürfnisse und der lokalen Kapazitäten rasch intervenieren.

18Vor den Verteilungsaktionen fanden jeweils Animationsveranstaltungen statt. Den Begünstigten erklärte man, dass niemand auf unbestimmte Zeit intervenieren werde, dass keine Organisation ihnen eigene Anstrengungen abnehmen könne und dass sie auf Eigenverantwortlichkeit hinarbeiten sollten. Konkrete Umsetzung : das verteilte Unterkunftsmaterial war bei den Vertriebenen, die das entsprechende Handwerk beherrschten, bestellt worden. So wurde zwischen Vertriebenen und Nichtvertriebenen, zwischen zwei Ethnien, eine Brücke geschlagen. Die Schreiner übten ihren Beruf weiter aus und fabrizierten Möbel fur die Klassenräume, Maurer und Zimmerleute reparierten die in der Krise zerstörten öffentlichen Infrastrukturen. Die Aufträge der OAP waren für alle Handwerker eine wichtige Einstiegshilfe. Zudem organisierte die OAP die Abgabe der Pflüge und des Saatguts, so dass auch die vertriebenen Landwirte rasch wieder arbeiten konnten.

19Für bestimmte wichtige Bedürfnisse war die OAP nicht zuständig, z.B. Schulbesuch der Waisen und sanitäre Versorgung. Nach einer Analyse beschloss die OAP, mit anderen Organisationen zusammenzuarbeiten und als Schaltstelle den Vertriebenen Hygienematerial und den Waisenkindern Schulhefte zu liefern.

20Dazu arbeitete die OAP mit mehreren Organisationen zusammen. Manche Finanzbeiträge stammten auch von anderen Organisationen, z.B. PNUD (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen), Twitezimbere (nationale, von multilateralen Finanzinstitutionen wie der Weltbank, der afrikanischen Entwicklungsbank u.a. unterstützte NGO), Terre des hommes, INADES (Institut africain pour le développement économique et social), PREFED (Programme régional de formation et d’échanges pour le développement), ausländische Entwicklungsorganisationen usw. Die Partner vor Ort knüpften Kontakte zu anderen Geldgebern : Eine einseitige Abhängigkeit der Begünstigten von einer einzigen Organisation konnte verhindert und gleichzeitig die Philosophie verschiedener Partner verglichen werden.

21Die OAP verfolgt immer das Ziel, die Bevolkerung zur Eigenverantwortung heranzuführen. Dazu arbeitet sie mit Gruppen zusammen, die sich ebenfalls klar dafür einsetzen, die Abhängigkeit möglichst rasch zu überwinden und autonom zu werden. Die OAP hindert jedoch Begünstigte (sofern sie dies wünschten) nie an der Zusammenarbeit mit Organisationen, die eine andere Hilfsart anbieten. In solchen Fällen zieht sich die OAP unter Angabe der Gründe jeweils zurück.

22Das Nebeneinander verschiedener Hilfsorganisationen beeinträchtigt zwar die lokale Entwicklung, lässt sich aber kaum verhindern – ausser wenn die Philosophie einer einzigen Hilfsorganisation dominiert. Die OAP fördert aktiv die Abstimmung und den Austausch unter den Verantwortlichen der Organisationen. Nur so lässt sich die Zusammenarbeit verbessern.

23In ihrer Philosophie der humanitären Hilfe verteilte die OAP z.B. nie Gratissaatgut, sondern bot es den Begünstigten gegen Kredit an, um Vorräte für die nächste Saatzeit zu garantieren. Die Philosophie wurde zwar von den lokalen Behörden und den Begünstigten verstanden und akzeptiert, aber nicht von allen anderen Akteuren geteilt. Bei gewissen internationalen Organisationen stiess die Kleinkreditförderung der OAP auf Unverständnis. Klassische humanitäre Hilfsorganisationen verteilen zu oft Gratisgüter, ohne sich zu fragen, was hinterher aus der Bevölkerung wird.

24Wegen dieser Unterschiede muss die Organisation jede Situation prüfen und sie den Partnern vor Ort erklären. Falls eine Entwicklungsorganisation vor dieser Lage steht, sind regelmässige Evaluationssitzungen erforderlich, um die Wurzel der Probleme zu erkennen und eine Basis für die Durchführung künftiger Aktionen zu schaffen. Wenn notwendig wird eine Kurskorrektur vorgenommen. Die OAP veranstaltete regelmässige Evaluationssitzungen in Form von Workshops, Treffen, Seminaren und Dialogen mit den Betroffenen. Sechs Monate später beschloss sie, die humanitären Hilfsaktivitäten zu reduzieren und das Entwicklungsprogramm als Wirtschaftsförderung und Erneuerung des ländlichen Lebensraumes fortzusetzen. Gleichzeitig leistete sie weiterhin gezielte Nothilfe.

25Abschliessend ist festzustellen, dass eine Krisensituation sich durch verschiedenste Hilfsbedürfnisse, beschränkte Mittel und eine destabilisierte Bevölkerung kennzeichnet. Das Programm für humanitäre Hilfe droht in solchen Fällen sämtliche Aktivitäten zu überlagern und das Ziel der Selbsthilfe zu schwächen. Deshalb ist vor jeder Intervention eine präzise Lagebeurteilung unumgänglich, um zu erkennen, welche der vielfältigen Bedürfnisse der Bevölkerung in den humanitären Bereich gehören und welche die Selbsthilfe fördern. Humanitäre Hilfe kann effizienter und wichtiger werden, wenn sie unmittelbar in die Philosophie der Selbstversorgung eingebunden wird.

Transparent, ständiger Dialog und Neutralität

26Organisationen zur Förderung der lokalen Entwicklung wie die OAP können im gesellschaftlichen Wiederaufbau in Krisensituationen eine zentrale Rolle spielen, sofern sie von den Hauptgruppen akzeptiert werden und politisch neutral bleiben. Krisensituationen kennzeichnen sich durch schwerwiegende Interessenkonflikte unter den Akteuren. Daher fällt es schwer, eine kohärente Linie zu vertreten, Druckversuchen zu widerstehen und die gesetzten Grundsätze zu beachten.

27Um Vertriebenen beizustehen und gleichzeitig klar in der Perspektive der lokalen Entwicklung zu bleiben, misst die OAP den „Aussenbeziehungen“ grossen Wert bei. Sie steht in regelmässigem Kontakt mit allen Akteuren und arbeitet innerhalb eines „Netzes“ ; sie pflegt eine klare, transparente und einheitliche Informationspolitik über ihre Arbeit und ihre Ziele ; durch die Zusammenarbeit mit allen Akteuren, die ihre organisatorischen Auflagen erfüllen und die Entscheidungen der Interessensvertreter des Volkes (Gemeindekommissionen) beachten, bestätigt sie ihre Neutralität ; um das Vertrauen der verschiedenen Ansprechpartner zu erlangen, setzt sie auf Öffentlichkeitsarbeit und Diplomatie.

28Die OAP verdankt ihre Glaubwürdigkeit einer konstanten Politik in Bezug auf die Inhalte, Informationsstrategien, Ansätze und Praktiken. Alle OAP-Mitglieder teilen die gleiche Philosophie und die gleichen Grundwerte. Ethnische Fragen sind weder für die Teamzusammensetzung noch für die Auswahl der Gemeinden oder Partner von Belang. Auch hier gilt strikte Neutralität.

29Transparenz und ständiger Dialog zeigen sich vor allem auf drei Ebenen :

  • Lokale Verwaltung – Das operationelle Team der OAP informiert die lokalen Behörden (Administratoren und Provinzgouverneure) über alle Arbeitsprogramme und Reisen. Im Gegenzug benachrichtigt die lokalen Behörden das Team systematisch über Unruhen in bestimmten Gebieten, die bei der Arbeitsplanung berücksichtigt werden müssen. Im Dialog mit den lokalen Behörden werden die Sicherheitsdienste für den Schutz der von der OAP renovierten Infrastrukturen (Bau von Schulgebäuden, Viehzuchtprojekte) sensibilisiert. Nur zwei der zehn Hühnerzucht-Gruppen z.B., die die OAP unterstützt, wurden von bewaffneten Verbänden geplündert.
    Die OAP lädt die Vertreter der lokalen Behörde immer zur Mitarbeit in der Gemeindekommission ein. Das ist entscheidend, weil die lokale Behörde Aufgaben leistet, für die nur sie verantwortlich und kompetent ist, und weil sich so der Kontakt und das Vertrauensverhältnis zwischen Verwaltung und Verwalteten verbessern lässt.
    Grosse Bedeutung besitzt für die OAP auch die Vermittlerrolle zwischen Akteuren, die zwar unterschiedliche Interessen haben, aber im gleichen Gebiet leben und deshalb zusammenarbeiten müssen. Aus geschichtlichen Gründen (Militärdiktatur) sind noch grosse Fortschritte zu leisten, bis ein gemeinsamer und demokratischer Umgang mit Problemen von allgemeinem Interesse Wirklichkeit wird. Eine Entwicklungsorganisation wie die OAP kann zu diesem Prozess beitragen. Sie fördert Kontakte unter den Akteuren und erleichtert die Diskussion und die Lösungssuche. Diese Arbeitsachse – „ institutionelle Stärkung” – ist für die Verbesserung der sozioökonomischen Verhältnisse der Bevölkerung ebenso prioritär wie materielle Hilfslieferungen.

  • Die Partner vor Ort (Gruppierungen, Vereine, einzelne Promotoren usw.) informieren sich regelmässig über das Arbeitsprogramm. Das schafft Vertrauen unter den verschiedenen Gesprächspartnern. Das OAP-Team sieht regelmässig feste Termine vor, an denen sie Vertreter der Bevölkerung emp-fängt und anhört. Diese Tage werden selbst während der Teamferien einge-halten. Sobald sich in einer Zone ein Konflikt anbahnt, informieren diese Ansprechpartner das OAP-Personal und helfen, die Besuche vor Ort umzudisponieren. Die gleichen Personen sorgen ehrenamtlich für die Verbindung zwischen der OAP, den lokalen Kontaktorganisationen und den Begünstigten der Hilfe. Ausserdem kümmern sie sich um die Folgearbeit und die Kre-ditrückzahlungen.

  • Gemeindekommissionen und Kontaktorganisationen – Um effiziente Unterstützung zu leisten und den lokalen Akteuren bei der Übernahme von Verantwortung zu helfen, richtete die OAP Kontaktstrukturen in den Gemeinden ein. Im Einverständnis mit der Bevölkerung betrieb sie im Januar 1995 intensive Informationsarbeit, um die wichtige Rolle einer Gemeindekommission zu erklären. Diese hat folgende Rollen :
    – Schnittstelle zwischen der Bevölkerung und der OAP zu sein ;
    – die Bevölkerung trotz der Krise für die Wichtigkeit der Entwicklungsprojekte zu sensibilisieren ;
    – die Bevölkerung über die Bedeutung der Bildung von Gruppen zu informieren ;
    – den Auftragnehmern beim Ausfüllen der Projektformulare und -unterlagen zu helfen ;
    – Information zu laufenden und geplanten Arbeiten zu liefern ;
    – Prioritätskriterien der Projekte zu definieren ;
    – Projekte zu analysieren und zu sortieren ;
    – der OAP Projekte vorzustellen und zu erläutern ;
    – die Projektdurchführung in den verschiedenen Phasen zu begleiten ;
    – die Kreditrückzahlung zu gewährleisten ;
    – nach Möglichkeit die Handwerker technisch zu unterstützen.

30Die Gemeindekommissionen bestehen aus einem Vertreter der lokalen Behörde, Technikern der Gemeinde, den Ältesten der Gemeinde, einem Kirchenvertreter, Vereinsdelegierten, Vertretern von Vertriebenen usw. Wenn es keine Gemeindekommissionen gibt, sind wie erwähnt die Kontaktstrukturen (die aus den existierenden Vereinen ausgewählt werden) Ansprechpartner der OAP.

31Dank der Bildung und Einrichtung dezentraler Strukturen kommt das operationelle Team mit weniger Feldarbeit aus und verringert somit die Risiken. Vor allem aber werden die verschiedenen Akteure der Gemeinde verantwortlich gemacht, auf ihrer Ebene Lösungen für allgemeine Probleme zu finden.

Grundfragen der Institutionen regeln

32Für die nachhaltige Umsetzung eines Ansatzes der OAP müssen grundlegende institutionelle Fragen geklärt werden : Umfang und Zusammensetzung des Teams, Autonomiegrad, usw.

33Zu viele Organisationen im Bereich der lokalen Entwicklung sind sehr kurzle-big. Soziale Veränderungen eines Landes wie Burundi, die sozioökonomische Entwicklung, politische Konsolidierung, das Krisenmanagement und die Bewältigung von Notsituationen erfordern solide Institutionen mit einer Ethik und einer klaren Vision der gesellschaftlichen Prozesse. In dieser Optik untersucht die OAP Fragen zur Nachhaltigkeit ihrer Organisation, zu Umfang, Team-zusammensetzung, Aktionsradius, finanzieller Autonomie usw.

  • 6  Siehe Fussnote 4 zur Zusammensetzung des Teams.

34Früher oder später werden Organisationen wie die OAP mit der Frage der Grosse konfrontiert. Als Ergebnis verschiedener Anträge und Zusammenarbeitsangebote, Unterstützungsanfragen usw. tendieren solche Organisationen sich zu vergrössern. Die OAP gelangte jedoch zum Schluss, dass sie als kleinere Organisation6 die relevanten Parameter besser steuern kann : Dazu zählen für die Krisenarbeit hauptsächlich das volle Engagement der Teammitglieder, die Wahrung des Zusammenhalts und das Vertrauensklima. Wesentlich ist, dass alle Mitglieder die Probleme gleich beurteilen und sich persönlich gleich engagieren. Die Erfahrung der OAP zeigt, dass die interne Koordinierung, der Austausch, die Lösungssuche usw. in einem kleineren Team wesentlich leichter fallen. Die Beschränkung des verantwortlichen Teams auf einige professionelle Mitarbeiter steht der Öffnung für eine Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Auftraggebern nicht im Wege, wenn damit neue Synergien erschlossen, fehlende Ressourcen ergänzt und Allianzen geschmiedet werden können.

35Für ein kleineres Team ist auch die Gefahr geringer, an die Stelle der lokalen Akteure zu handeln. Die Schaffung von Kontaktstrukturen auf Gemeindeebene ergibt sich aus einer bestimmten Entwicklungsphilosophie und aus der Tatsache, dass die OAP nicht selber über ausreichende menschliche Kapazitaten verfügt, um die Aufgaben dieser Strukturen zu leisten.

36Für eine kontinuierliche Arbeit müssen Organisationen wie die OAP auch über ihre eigene Autonomie nachdenken. Es geht nicht darum, dass Organisationen, die sich in der Optik der lokalen Entwicklung in Krisensituationen engagieren, autonom werden. Dennoch sollten sie sich einer Organisations- und Finanzstruktur nähern, die ihnen Spielraum und Handlungsfreiheit verschafft und sie gegen einen Kurswechsel der Geldgeber abschirmt.

  • 7  Die OAP gelang es, eine französische NGO (Centre d’appui aux initiatives locales CIEPAC) für ihr P (...)

37Heute wird der Überlegungsprozess auf zwei Schienen parallel vorangetrieben. Zum einen werden neue Finanzierungsquellen7 ermittelt, um eine Abhängigkeit von einem einzigen Finanzierungspartner zu vermeiden ; zum andern werden eigene Einkommen aus Leistungen an OAP-Partner, die ökonomische Projekte durchführen, erhöht. Neben den lokalen Handwerker- und Züchtergruppen führen Vertriebene- oder Krisenopfervereine, z.B. die Witwenorganisation, mit OAP-Krediten unterstützte Produktionsprojekte durch. Die Kredite sind zinspflichtig und rückzahlbar. Die Zinsen bilden einen Beitrag an die Deckung der Begleitungs- und Folgekosten.

4. Schlussfolgerung

38Das Beispiel der Intervention der OAP in Burundi erhebt keinen Anspruch auf Modellcharakter, sondern soll lediglich veranschaulichen, wie bestimmte Grundsätze angewandt werden – im Versuch, eine Brücke zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Nothilfe zu schlagen. Dieselben Prinzipien werden im übrigen von mehreren Organisationen vertreten und stehen in ihren Absicht-serklärungen. Die Umsetzung im Arbeitsalltag lässt jedoch allgemein zu wünschen übrig.

39Die Arbeit der OAP verläuft nicht immer reibungslos. Sie ist mit einer schwierigen politischen Lage, mit Unsicherheit und Gewalt, mit Misstrauen, Verzweiflung, Missachtung des Allgemeinwohls zugunsten persönlicher Interessen usw. konfrontiert. Allerdings sind diese Merkmale nicht nur typisch für Burundi. Sie prägen praktisch jedes Krisenumfeld. Wichtig ist zu wissen, wie eine Hilfsorganisation wie die OAP die besonderen Faktoren in einem bestimmten Kontext berücksichtigt, welche Arbeitsinstrumente und -methoden sie wählt und wie sie sich organisiert, um letztlich nachhaltig zur Problemlösung beizutragen.

40Schliesslich soll das Beispiel der OAP auch Hoffnung machen. Auch unter schwierigsten Umständen muss das Hilfssystem in einem Land nicht unterbrochen werden. Der Fall der OAP zeigt, dass eine Entwicklungsorganisation die Sicherheitsvorschriften beachten und sich gleichzeitig einen grossen Handlungsspielraum bewahren kann – indem bestimmte Grundsätze genau befolgt und angemessene Arbeitsinstrumente und -methoden eingesetzt werden.

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Anmerkungen

1  Lokale Entwicklung wird definiert als Bestreben der Akteure einer Gemeinschaft, die sozioökonomische Situation der Familie und damit der gesamten Gemeinschaft zu verändem. Sie beruht nicht auf der Hypothèse einer Interes-senharmonie, geht aber davon aus, dass für den sozialen Wandel in einer Gemeinschaft in erster Linie die lokalen Akteure verantwortlich sind.

2  In der Provinz Bujumbura-Rural (gegenwärtig zehn Gemeinden mit einer Bevölkerung von rund 400’000 bis 500’000 Bewohnem) wurden zu bestimmten Zeiten (1993-1995) bis zu 50’000 Vertriebene gezählt, von denen sich nur etwa 10% in Lagern befanden. Die durch den Exodus verursachte Krisensituation lässt sich nicht mit jener der ruandischen Flüchtlinge in Kivu vergleichen, wo zwischen 1995 und 1996 Hunderttausende Flüchtlinge in den Lagern lebten. Unsere Analyse bezieht sich ausschliesslich auf den Fall der Vertriebenen in Burundi.

3  Die OAP vertritt das IUED in Burundi. Das Kaderteam besteht aus vier Burunderinnen (eine mit der Leitung beauftragte Soziopädagogin, eine Wirtschaftswissenschaftlerin, eine Animatorin und eine Administratorin), die den beiden Hauptethnien angehören.

4  Es handelt sich um das PADC (Programme d’appui au développement des communes d’Isale, Mubimbi et Kanyo-sha), das in der Provinz Bujumhura von 1982 bis 1993 lief. Der letzte PADC-Verantwortliche, Ingenieur-Agronom J.-E. Beuret, war anschliessend der wichtigste Architekt der neuen Struktur, die OAP genannt wurde. Er hat die Ausrichtung der OAP und vor allem den Einbezug der „Nothilfedimension“ in die Selbsthilfemassnahmen massge-blich mitbestimmt.

5  Einige Klärungen zum Vorgehen: Die OAP leistet konkrete Wiederaufbauarbeit indem sie Ziegeln, Fenster, Türen und Bausteine liefert. Das Material wird von Handwerkern aus der Region gefertigt. Das schafft vor Ort Arbeitsplätze und Einkommen. Das gleiche Verfahänken und ren wird in der Wiederinstandsetzung öffentlicher Infrastrukturen ange-wandt (Bau von Schulen, Fabrikation von Bänken und Pulten, Klinikbetten usw.). Die Förderung der wirtschaftlichen Initiativen erfolgt durch Kreditgewährung an Landwirte- und Handwerkergruppen zur Durchführung kleinerer produktiver Projekte.

6  Siehe Fussnote 4 zur Zusammensetzung des Teams.

7  Die OAP gelang es, eine französische NGO (Centre d’appui aux initiatives locales CIEPAC) für ihr Programm zu interessieren. Die NGO bestimmte den Beitrag gemäss dem Programm der OAP, und zwar für den weder durch Sub-ventionen des IUED und der Abteilung Humanitäre Hilfe noch durch Eigenmittel gedeckten Budgets.

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Zitierempfehlung

Papierversionen:

Daniel Fino, „Entwicklungszusammenarbeit und Nothilfe : der Fall der OAP in Burundi“Schweizerisches Jahrbuch für Entwicklungspolitik, 18 | 1999, 75-84.

Online-Version

Daniel Fino, „Entwicklungszusammenarbeit und Nothilfe : der Fall der OAP in Burundi“Schweizerisches Jahrbuch für Entwicklungspolitik [Online], 18 | 1999, Online erschienen am: 18 Juli 2012, abgerufen am 21 März 2025. URL: http://0-journals-openedition-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/sjep/638; DOI: https://0-doi-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/10.4000/sjep.638

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Autor

Daniel Fino

Sozio-Ökonom, Lehrbeauftragter am IUED und Programmbeauftragler für Burundi.

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