- 1 Da nicht alle Hilfswerke und NRO Angaben über ihre Budgets für die Entwicklungszusammenarbeit mache (...)
- 2 Zur Struktur und Rolle der schweizerischen NRO siehe den Beitrag von Gérard Pérroulaz in diesem Dos (...)
1Die aus privaten Beiträgen finanzierte jährliche „Auslandhilfe“ belief sich in der Schweiz in den letzten Jahren auf 280 bis 330 Millionen Franken1. Diese Beiträge setzen sich aus Entwicklungszusammenarbeit, humanitärer Hilfe und Hilfe an Transitionsländer zusammen. Die Gelder werden von den schweizerischen Hilfswerken und anderen Nichtregierungsorganisationen (NRO) beinahe ausschliesslich für bilaterale Projekte in Entwicklungs- und Transitionsländern eingesetzt. Im Gegensatz zur öffentlichen Hilfe wird die private Hilfe nicht von einer zentralisierten Stelle koordiniert und organisiert. Die private Hilfe ist dezentral und wird von einer Vielzahl kleiner und einigen grossen Hilfswerken und NRO geplant und durchgeführt2.
2Es ist interessant zu fragen, ob sich aus der grossen Anzahl dezentral gefällter Entscheidungen der verschiedenen im Entwicklungsbereich tätigen privaten Organisationen zur Wahl von Projekten und deren geografischer Situierung ein kohärentes Gesamtbild ergibt. Wir gehen davon aus, dass die privaten Beiträge nicht nach dem Giesskannenprinzip gleichmässig auf die entsprechenden Länder verteilt werden, sondern dass die begrenzten Mittel nach bestimmten Prioritäten in die Länder des Südens und des Ostens fliessen. In dieser Analyse sollen demnach die tieferliegenden allgemeinen Determinanten bestimmt werden, welche die dezentral gefällte Länderwahl der privaten Hilfe beeinflussen.
3Unsere Hypothese ist folgende : Die geografische Verteilung der privaten Hilfe der Schweiz wird durch zwei Kategorien von Faktoren beeinflusst. Die erste Kategorie besteht aus entwicklungsländerspezifischen, der Schweiz externen Faktoren. Dazu gehören der wirtschaftliche und soziale Entwicklungsstand eines Landes, seine humanitäre Lage und sein Platz in der internationalen Empfängergemeinschaft. Die zweite Kategorie besteht aus Schweiz-internen Faktoren. Dazu zählen die Verteilung der öffentlichen Entwicklungshilfe, die aus Entwicklungs- und Transitionsländern stammende Wohnbevölkerung oder die geografische Distanz der Empfängerländer zur Schweiz. Ein besonderes Augenmerk legen wir dabei auf die Beziehung zwischen der privaten Hilfe und der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit, da vieles darauf hindeutet, dass letztere einen beträchtlichen Einfluss auf die private Hilfe ausübt.
4Angesichts der oftmals auf individuelle Initiative durchgeführten Projekte nehmen wir ausserdem an, dass bei der geografischen Verteilung auch der Faktor „individuelle Präferenzen“ eine beträchtliche Rolle spielt.
Ursachenmodell
5Die Basis für diese quantitative Analyse bilden die privaten Beiträge aus der Schweiz für das Jahr 2001. Berücksichtigt werden 150 Entwicklungs- und Transitionsländer mit mindestens 200’000 Einwohnern. Im nächsten Teil werden wir uns einen Überblick über die geografische Verteilung verschaffen. Dann testen wir die verschiedenen Teilhypothesen, und zum Schluss wird ein geprüftes Gesamtmodell über die Determinanten der geografischen Verteilung privater Hilfe Auskunft geben.
- 3 Auf den Plätzen 21 bis 30 stehen die Länder Guatemala, Rumänien, Bangladesch, Kenia, Haiti, Kamerun (...)
6Im Jahr 2001 flossen 330,6 Millionen Franken an privater Hilfe in Entwicklungs- und Transitionsländer. Davon können 296 Millionen (ca. 90%) einzelnen Ländern zugeordnet werden; 34,6 Millionen (ca. 10%) flossen in länderübergreifende Projekte und können keinem bestimmten Land zugeordnet werden. 127 Länder profitierten von den privaten Geldflüssen aus der Schweiz, 65 Länder erhielten über eine Million Franken. Aus Tabelle 1 werden grosse Beitragsunterschiede ersichtlich. Sie zeigt die zwanzig wichtigsten Empfängerländer, welche gut 60 Prozent der zugeordneten privaten Hilfe bekommen3. Weiter ist erkennbar, dass sechs Länder zusammen mehr als ein Drittel aller Beiträge erhalten.
7Um zu sehen, ob sich die Höhe der Beiträge mit der Grösse des Landes erklären lassen, lohnt es sich, die Beitragshöhe mit der Bevölkerungszahl in Beziehung zu setzen. Tabelle 2 zeigt daher die wichtigsten Empfängerländer unter Einbezug ihrer Bevölkerung. Mit der Darstellung der Pro-Kopf-Hilfe wird ersichtlich, wie viel finanzielle Hilfe die Bevölkerung und die einzelnen Personen erhalten. Die bevölkerungsreichsten Staaten gehören nun nicht mehr zu den Hauptempfängern. Neun Staaten (im Fettdruck in der Tabelle 1 und 2) finden in beiden Kategorien einen Platz unter den ersten zwanzig. Die grossen Unterschiede zwischen den Staaten bleiben aber auch mit dieser Kategorisierung bestehen.
8Trotz einem Geldfluss in 127 von 150 Entwicklungs- und Transitionsländern gibt es eine relativ hohe Konzentration der Beiträge in wenige Länder. Dies legt die Vermutung nahe, dass die privaten Hilfswerke bei ihrer Wahl der Empfängerländer Schwerpunkte setzen. Im Kapitel „Faktoren, welche die Länderwahl beeinflussen“ wollen wir uns an die Determinanten dieser Prioritätensetzung herantasten.
Tabelle 1: Die 20 wichtigsten Empfängerländer privater Hilfe 2001 (in absoluten Zahlen)
Tabelle 2: Die 20 wichtigsten Empfängerländer privater Hilfe (pro Kopf der Bevölkerung)
9Grafik 1 zeigt die geografische Verteilung der privaten Spenden nach Kontinenten. Afrika und Asien erhalten ein knappes Drittel der Gelder, die Entwicklungsländer Amerikas ein gutes Fünftel, nach Europa fliesst ein gutes Sechstel aller Beiträge. Das Verhältnis des Kontinents, der am wenigsten erhält (Europa) zu dem, der am meisten erhält (Afrika), beträgt 1:2. Setzen wir nun die Beiträge in Beziehung zu den Bevölkerungszahlen, so zeigt sich ein ganz anderes Bild (Grafik 2). Die Einwohner der europäischen, afrikanischen und amerikanischen Entwicklungs- und Transitionsländer erhalten zwischen 12 und 13 Rappen pro Person. Die Bevölkerungen der asiatischen Länder erhalten nur 2,6 Rappen pro Person. Dies zeigt, dass das Gewicht Asiens in der privaten Hilfe sehr viel geringer ist, als das Gewicht der anderen Kontinente. Es ist jetzt Europa, das am meisten von der privaten Hilfe profitiert. Das Verhältnis zwischen Asien und Europa beträgt 1:5.
Grafik 1: Beiträge nach Kontinenten (in Prozenten)
Grafik 2: Beiträge pro Kopf der Bevölkerung (in Rappen)
- 4 DAC-Liste der Hilfeempängerländer (1. Januar 2001) im Jahrbuch 2004, Nr. 1.
- 5 Indien und China können damit auch mit den Grafiken 1 und 2 (Hilfe nach Kontinenten) verglichen wer (...)
10Eine Übersicht der Verteilung der Beiträge nach dem Pro-Kopf-Einkommen der Länder gibt erste Hinweise auf eine mögliche Prioritätensetzung der privaten Hilfswerke. Wir stützen uns dabei auf die Einkommenskategorien der OECD aus dem Jahr 20014. Die hier der Anschaulichkeit und der Bevölkerungsgrösse wegen ausgegliederten Länder Indien und China gehören zur Kategorie der Länder mit tiefem Einkommen5.
11Grafik 3 zeigt, dass sich die beiden Kategorien „tiefes Einkommen“ und „mittleres Einkommen untere Stufe“ über 80 Prozent der Hilfe teilen. Grafik 4 zeigt die Pro-Kopf-Beiträge für jede Einkommenskategorie. Die Bevölkerungen der Länder in der Kategorie „mittleres Einkommen untere Stufe“ erhalten am meisten von der privaten Hilfe aus der Schweiz. Hätte man China und Indien in der Kategorie der ihnen entsprechenden Kategorie der „tiefen Einkommen“ aufgeführt, so wären die Pro-Kopf-Beiträge dieser Kategorie auf 4,7 Rappen gesunken, also praktisch auf die Höhe der Kategorie „mittleres Einkommen obere Stufe“. Dieser Überblick deutet an, dass sich die private Hilfe weder auf die ärmsten, noch auf die reichsten Entwicklungsländer fokussiert. Die Konzentration liegt vielmehr auf den Ländern im mittleren Einkommensbereich.
Grafik 3: Aufteilung der Gelder nach Einkommenskategorie
Grafik 4: Aufteilung pro Kopf und pro Einkommenskategorie (in Rappen)
12Wir haben gesehen, dass die Gelder in eine grosse Anzahl Länder fliessen, dass die Beiträge pro Land sehr grosse Unterschiede aufweisen, und dass sich 50 Prozent der Hilfe auf vierzehn Länder konzentriert. Weiter wurde ersichtlich, dass der bevölkerungsreiche asiatische Kontinent relativ zur Bevölkerung klar weniger Hilfe erhält als die anderen Kontinente. Schliesslich konnten wir eine Konzentration der Hilfe auf Entwicklungsländer mit mittlerem Einkommen feststellen. Im folgenden Teil werden wir unsere Grundhypothesen zur Aufteilung der privaten Hilfe erläutern und testen.
- 6 Siehe auch Annex. Auch die Variablen „Demokratie/Bürgerrechte“ (Indikator von Freedom House) und „G (...)
13Bei dieser Hypothese wird davon ausgegangen, dass Charakteristika der Entwicklungsländer die geografische Verteilung der Hilfe bestimmen. Zu nennen wäre da in erster Linie der Entwicklungsstand der entsprechenden Länder. Eine kohärente Entwicklungszusammenarbeit mit der Priorität der Armutsbekämpfung würde die ärmsten Länder am meisten unterstützen. Die Teilhypothese ist daher folgende: Je „weniger entwickelt“ ein Land, desto grösser die privaten Beiträge aus der Schweiz. Für die Bestimmung des Entwicklungsstandes verwenden wir den „Human Development Index“ der Vereinten Nationen, welcher das „Wohlbefinden“ der einzelnen Länder misst. Die oben aufgezeigte Verteilung nach Einkommenskategorien liess es erahnen: Die lineare Regressionsanalyse zeigt keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Stand der menschlichen Entwicklung eines Landes und dessen privater Unterstützung aus der Schweiz6. Die Hypothese muss daher verworfen werden.
- 7 Die nationalen Sammeltage der Glückskette nach Katastrophen (1998 für mittelamerikanische Opfer des (...)
14Die Hilfswerke sind auf individuelle Spenden angewiesen und richten daher ihre Entwicklungszusammenarbeit zumindest teilweise auf die Präferenzen der Spender aus. Diese Teilhypothese geht davon aus, dass soziale Notlagen, verursacht durch Kriege, Naturkatastrophen und Ernteausfälle den potenziellen Spender zu einer Spende bewegen7. Je grösser die menschlichen Katastrophen in einem Land, desto mehr Beiträge fliessen an den entsprechenden Ort. Tatsächlich liegt der Anteil der humanitären Hilfe bei der privaten Hilfe zwischen einem Viertel und einem Drittel und damit höher als bei der öffentlichen Hilfe.
- 8 Zur Konstruktion der Indikatoren und zur Regression siehe auch Annex.
15Als Indikatoren für die Ursachenanalyse wählten wir für die Messung der Schwere der kriegerischen Ereignisse die Kriegsopferzahlen des schwedischen Konfliktforschungsinstitutes SIPRI der Jahre 1997 bis 2001. Für die Messung der Schwere von Naturkatastrophen wählten wir die Daten über Opferzahlen des Rückversicherungskonzerns SwissRe der Jahre 1998 bis 2001. Als allgemeinen Indikator für die humanitäre Situation der entsprechenden Landesbevölkerungen wählten wir die Zahl der unterernährten Menschen der Periode 1999/2001 aus den Daten der FAO8.
16Die Korrelationsanalyse zeigt einen statistisch signifikanten positiven Zusammenhang zwischen den „Katastrophen-Indikatoren“ und der geografischen Verteilung der Hilfe auf. Dabei wirkt sich vor allem die Variable „Unterernährung“ auf die Verteilung aus; die Variable „Naturkatastrophe“ hat dagegen kaum einen Einfluss auf die Verteilung. Kumuliert man in einer linearen Regressionsanalyse die Variablen „Unterernährung“ und „Kriege“, so können diese knapp ein Viertel (r2 = 0.24) der geografischen Verteilung privater Hilfe erklären.
- 9 So flossen zum Beispiel nach dem stark mediatisierten Kosovokonflikt in Jugoslawien sehr viele Spen (...)
17Die Teilhypothese, dass die private Hilfe in einem bestimmten Mass (aber vielleicht weniger, als oftmals vermutet) von Katastrophen in Entwicklungsländern abhängig ist, konnte erhärtet werden. Es stellt sich aber die Frage, ob vielleicht nicht so sehr die Katastrophen an sich, sondern viel eher deren Mediatisierung in der Schweiz die privaten Spenden beeinflusst9.
- 10 Zur Konstruktion der Indikatoren und zur Regression siehe auch Annex.
- 11 Der Zusammenhang wird auch durch einen Vergleich zwischen den 20 wichtigsten Empfängerländern der w (...)
18In dieser Teilhypothese gehen wir davon aus, dass es Entwicklungsländer gibt, welche einerseits sehr offen für ausländische Hilfe sind und andererseits richtiggehende Lieblinge der internationalen Hilfe darstellen. Nach dem Motto „wer bekommt, dem geben auch die Schweizer Hilfswerke“ wird vermutet, dass die geografische Verteilung privater Hilfe von den Beiträgen der weltweiten Gebergemeinschaft abhängt. Als Indikator verwenden wir dabei die weltweit gesamten Hilfeleistungen, welche ein entsprechendes Entwicklungsland erhält10. Das Resultat der Analyse ist erstaunlich. Der Zusammenhang der Variablen ist statistisch signifikant und positiv. Die Hypothese wird erhärtet, da 26 Prozent der Varianz durch die Regressionsgleichung erklärt werden11.
19Wir gehen bei dieser Hypothese davon aus, dass die private Hilfe durch ihre Einbettung in den schweizerischen Kontext durch diesen auch stark beeinflusst wird. Diese Beeinflussung wirkt sich auch auf die geografische Verteilung aus. Es sind aber weder die geografische Distanz der entsprechenden Länder zur Schweiz, noch die sprachlich-kulturelle Distanz, welche einen Einfluss auf die Verteilung haben. Wir vermuten vielmehr, dass die Immigration, das heisst die Anzahl in der Schweiz wohnenden Personen aus den entsprechenden Entwicklungsländern sowie die öffentliche Hilfe des Bundes die Länderwahl der privaten Hilfe beeinflussen.
20Die erste Teilhypothese lautet folgendermassen: Je mehr Personen aus dem entsprechenden Entwicklungs- oder Transitionsland in der Schweiz wohnen, desto mehr finanzielle Hilfe erhält dieses Land. Der Einfluss könnte auch in die andere Richtung gehen: Je mehr finanzielle Hilfe ein Land erhält, desto mehr Personen wandern aus dem entsprechenden Land in die Schweiz ein. Aus nachfolgenden Gründen nehmen wir aber an, dass die Richtung des Einflusses der erstgenannten Hypothese entspricht. Die eingewanderte Wohnbevölkerung in der Schweiz weckt das Interesse der Schweizer Bevölkerung für die entsprechenden Länder. Die Immigranten und die Schweizer Bevölkerung lernen sich gegenseitig kennen. Durch die so entstandene emotionale Nähe ist die Schweizer Bevölkerung bereit, etwas für die Verbesserung der Lebensbedingungen in den entsprechenden Ländern beizutragen. Gleichzeitig können sich die Hilfswerke auf das Wissen und die Erfahrung der eingewanderten Personen stützen und mit Projekten in deren Ursprungsländern Synergien nutzen. Zudem gründen die in der Schweiz eingewanderten Personen Unterstützungsvereine für ihre Herkunftsregion und finanzieren Projekte zur Unterstützung der heimatlichen Bevölkerung.
- 12 Zur Konstruktion der Indikatoren und zur Regression siehe auch Annex.
21Als Indikator für die aus Entwicklungs- und Transitionsländern eingewanderte Wohnbevölkerung verwenden wir die Zahlen der Volkszählung 2000 des Bundesamtes für Statistik12.
- 13 Sieben Länder finden sich gleichzeitig auf der Liste der 20 wichtigsten Empfängerländer privater Hi (...)
22In der linearen Regression setzen wir die Variable „eingewanderte Wohnbevölkerung der einzelnen Länder“ als unabhängige Variable, die schweizerische private Hilfe in die einzelnen Länder als abhängige Variable ein. Die lineare Regression ist statistisch signifikant und die Beziehung ist stark. Die eingewanderte Wohnbevölkerung aus südlichen und östlichen Ländern erklärt 28 Prozent der geografischen Verteilung der privaten Hilfe13.
23Vieles deutet darauf hin, dass die geografische Verteilung der privaten Hilfsgelder in Entwicklungs- und Transitionsländer der Verteilung der öffentlichen Gelder ähnlich ist. Die Hauptthese dieser Arbeit lautet deshalb folgendermassen: Die Länderaufteilungen der privaten und der öffentlichen Hilfe sind sich sehr ähnlich und beeinflussen sich gegenseitig. Das bedeutet, dass die privaten und die öffentlichen Entwicklungsgelder zu einem beträchtlichen Teil in die gleichen Länder fliessen – Bund und private Hilfswerke haben dieselben Schwerpunktländer. Der Einfluss der öffentlichen Entwicklungsarbeit auf die private Entwicklungszusammenarbeit ist aber grösser als umgekehrt. Folgende Gründe sprechen für diese Hypothese:
- 14 Zum Beispiel entstanden in Nepal erste Projekte des Hilfswerks Helvetas im Jahr 1956. Das Land wurd (...)
24In der Schweiz gingen in den 50er Jahren private Initiativen und Aktivitäten von Missionswerken der öffentlichen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit vo raus. Dies ist wohl hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Schweiz keine Kolonien besass. 1961 wurde dann vom Bund ein Dienst für technische Zusammenarbeit geschaffen, um öffentliche bilaterale Projekte durchzuführen. Eine Koordination mit den privaten Hilfswerken war ausdrücklich vorgesehen. Der Bund profitierte von den Erfahrungen der Hilfswerke; die letzteren wurden zu Ausführenden bilateraler Projekte des Bundes. Für seine bilaterale Entwicklungszusammenarbeit wählte der Bund dabei teilweise Länder aus, in denen die privaten Institutionen bereits aktiv waren14.
- 15 Bundesgesetz über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe von 1976.
25Die Zusammenarbeit des Bundes mit den Hilfswerken wurde auch gesetzlich festgeschrieben: „Der Bundesrat kann Bestrebungen privater Institutionen, die den Grundsätzen und Zielen dieses Gesetzes entsprechen, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Die Institutionen haben eine angemessene Eigenleistung zu erbringen.“15
- 16 Bundesrat, Botschaft über die Weiterführung der technischen Zusammenarbeit und der Finanzhilfe zu G (...)
- 17 Bundesrat, Botschaft über die Weiterführung der internationalen humanitären Hilfe der Eidgenossensc (...)
26Die Botschaft über die Weiterführung der Entwicklungshilfe von 2003 zeugt vom engen Verhältnis des Bundes mit den Hilfswerken: „Seit ihren Ursprüngen zeichnet sich die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit durch eine intensive Zusammenarbeit mit schweizerischen Nichtregierungsorganisationen aus, sowohl im operationellen wie im entwicklungspolitischen Bereich“.16 Und auch die Botschaft über die Weiterführung der humanitären Hilfe spricht von einer engen Partnerschaft: „Die im humanitären Bereich aktiven Schweizer Hilfswerke spielen eine wichtige Rolle bei der Durchführung von Projekten. Sie teilen ihre Erfahrungen mit der DEZA, wodurch Synergien möglich werden“17.
- 18 Bundesrat, Botschaft über die Weiterführung der technischen Zusammenarbeit und der Finanzhilfe zu G (...)
27Die schweizerischen NRO führen Projekte und Programme der DEZA durch (so genannte Mandate oder Regieaufträge). Zudem leistet die DEZA Beiträge an Entwicklungsprojekte, welche von schweizerischen Hilfswerken in eigener Verantwortung durchgeführt werden (mehrjährige Programmbeiträge an 13 grössere NRO). Insgesamt wickelt die DEZA 25 bis 30 Prozent ihrer bilateralen Hilfe über schweizerische NRO ab. Der Anteil der öffentlichen Beiträge, gemessen an den gesamten Aktivitäten der privaten Organisationen, beläuft sich auf 35 bis 40 Prozent18.
- 19 So zum Beispiel bei der so genannten „Osthilfe“: „...werden die Aufträge der Ostzusammenarbeit im W (...)
28Seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts werden die Mandate der DEZA in der Regel öffentlich ausgeschrieben, und auch nichtschweizerische NRO und die Privatwirtschaft können sich dafür bewerben. Bewusst wird damit der Konkurrenzdruck unter den Hilfswerken erhöht19.
- 20 Ähnliches gilt für die humanitäre Hilfe : Der Bund überträgt den Hilfswerken Aufgaben, „wenn ein Hi (...)
29Diese enge Zusammenarbeit deutet auf eine gleiche Länderwahl von Bund und Hilfswerken hin. Zu Beginn der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit beeinflussten die privaten Institutionen die Länderwahl des Bundes. Mit der Zeit wurde jedoch die bilaterale Zusammenarbeit des Bundes immer bedeutender und deren Beiträge überflügelten diejenigen der privaten Hilfe. Damit wurde der Bund in seiner Länderwahl selbstständiger. Für diejenigen Hilfswerke, welche mit dem Bund zusammenarbeiten, ist es aus Synergiegründen nahe liegend, die privat finanzierten Projekte in denselben Ländern durchzuführen, in denen sie auch die Regieaufträge des Bundes ausführen. Die öffentliche Ausschreibung der Bundesaufträge verstärkt diesen Trend. Ein Hilfswerk erhält einen öffentlichen Auftrag, sofern es gegenüber anderen Hilfswerken (und gegenüber den bundeseigenen Leistungen) einen komparativen Vorteil hat20. Ein solcher Auftrag ist leichter erhältlich, wenn das kandidierende Hilfswerk im entsprechenden Land bereits über Erfahrung verfügt. Damit steigt das Interesse der Hilfswerke, in den aktuellen Schwerpunktländern der DEZA mit eigenen Projekten aktiv zu sein und die zukünftigen Schwerpunktländer der DEZA zu erahnen. Daher denken wir, dass der Bund die Länderwahl der privaten Institutionen heute stärker beeinflusst, als umgekehrt.
30Kommen wir nun zur empirischen Analyse. Als Indikator verwenden wir die gesamten öffentlichen Leistungen an Entwicklungs- und Transitionsländer aus dem Jahr 2001. Die lineare Regression zeigt einen sehr starken positiven Zusammenhang zwischen öffentlicher und privater Hilfe (R = 0.71, r2 = 0.51)21. Demnach können 51 Prozent der Verteilung der privaten Hilfe durch die geografische Verteilung der öffentlichen Hilfe erklärt werden.
- 22 Siehe Tabelle 4 im Annex.
31Der starke Zusammenhang wird auch durch einen Vergleich zwischen den zwanzig wichtigsten Empfängerländern der öffentlichen Hilfe und den wichtigsten privaten Empfängerländern aus Tabelle 1 deutlich. Acht Länder finden sich auf beiden Listen22. Die Analyse wurde aber eventuell dadurch verzerrt, dass der Bund einen beträchtlichen Teil der bilateralen Hilfe länderübergreifend einsetzt und damit keinem bestimmten Land zuweist. Während bei der privaten Hilfe nur 10 Prozent nicht zugeordnet werden können, sind es bei der öffentlichen Hilfe 35 Prozent. Wegen dieser „Unpräzision“ von Seiten des Bundes könnte der tatsächliche Zusammenhang zwischen privater und öffentlicher Hilfe um einiges grösser oder geringer sein.
Grafik 5: Private Hilfe in Korrelation zur öffentlichen Hilfe, 2001
32Gerade weil die private Hilfe dezentral und nicht durch eine Institution koordiniert ist, spielen bei der geografischen Verteilung der Hilfe die individuellen Präferenzen eine nicht unbedeutende Rolle. Das Element wird dadurch verstärkt, dass die Schweiz ein kleines Land und der Gesamtbetrag der privaten Hilfe dementsprechend bescheiden ist. Daher können individuelle Initiativen sowie Interessen und Opportunitäten eines Einzelnen (oder einer kleinen Gruppe) einen beträchtlichen Einfluss auf die geografische Verteilung haben. Zwei besonders markante Beispiele mögen dies illustrieren: Im Jahr 2001 erhielt Kambodscha knapp 20 Millionen Franken an privaten Beiträgen. Dies entspricht einem Anteil von 6,7 Prozent der gesamten Hilfe; das Land steht damit an dritter Stelle der Empfängerländer. Schauen wir uns genauer an, wie sich diese Hilfe zusammensetzt, so sehen wir, dass allein die Beiträge an die Stiftung Kinderspital Kantha Bopha über 16 Millionen Franken ausmachen. Würde dieses sehr stark an eine Einzelperson gebundene Projekt nicht existieren oder in einem anderen Land (warum nicht z.B. in Laos) stattfinden, so würde Kambodscha nur an sechsundzwanzigster Stelle stehen.
33Als zweites Beispiel nehmen wir Albanien. Das Land stand bei der privaten Pro-Kopf-Hilfe an zweiter Stelle. Über 60 Prozent der Beiträge an Albanien stammten vom Verein Operazione Ticinese Aiuti Albania (O.T.A.A.). Dieser wurde mit dem einzigen Ziel gegründet, die (katholische) Bevölkerung der Diözese Rrèshen zu unterstützen. Ohne diese Initiative einer kleinen Gruppe würde Albanien bei der Pro-Kopf-Hilfe erst an neunter Stelle stehen.
34Diese Beispiele machen deutlich, dass ein einzelnes Projekt oder eine individuelle Initiative in einem „zufällig“ gewählten Land den Schlüssel der geografischen Verteilung sehr stark beeinflussen kann. Es ist jedoch schwierig, den Einfluss der individuellen Präferenzen zu quantifizieren.
35Schliessen wir jetzt die wichtigsten unabhängigen Variablen in ein Gesamtmodell ein. Der gewichtigste Faktor ist die „öffentliche Hilfe“. Fügt man die Variable „gesamte Hilfeleistungen der internationalen Gebergemeinschaft“ hinzu, so trägt diese nur sehr wenig Zusätzliches zur Erklärung der abhängigen Variable „private Hilfe“ bei. Daraus schliessen wir, dass die öffentliche Hilfe ihrerseits relativ stark der Logik der „internationalen Modeländer“ folgt.
36Als zweitwichtigste unabhängige Variable fungiert die „eingewanderte Wohnbevölkerung“. Ihr Gewicht beträgt 58 Prozent der Variable „öffentliche Hilfe“. Als dritten und letzten unabhängigen Faktor schliessen wir die Variable „Unterernährung“ in unsere multiple Regression ein. Ihr Gewicht ist noch etwas schwächer und beträgt 53 Prozent der Variable „öffentliche Hilfe“.
37Das Schlussmodell mit diesen drei unabhängigen Variablen erklärt 59 Prozent der abhängigen Variable „private Hilfe“ (r2 = 0.59)23. Damit bleiben 41 Prozent der Varianz unerklärt. Diese 41 Prozent setzen sich aus uns unbekannten Faktoren und aus den „individuellen Präferenzen“ zusammen.
Definitives Ursachenmodell
38Wir haben gesehen, dass für die geografische Verteilung der privaten Hilfe in erster Linie interne Faktoren eine Rolle spielen. Mit Abstand an erster Stelle steht dabei das Gewicht der öffentlichen Hilfe. Die private und die öffentliche Hilfe sind, was die geografische Ausrichtung betrifft, nicht komplementär. Vielmehr teilen sie sich eine bedeutende Zahl von „Schwerpunkländern“. Bei dieser Ähnlichkeit stellt sich natürlich die Frage nach der Verteilungslogik der öffentlichen Hilfe. Welche Determinanten bestimmen denn die Länderwahl der öffentlichen Hilfe? Dieser Frage müsste in einer anderen Analyse nachgegangen werden.
39Da die Höhe der privaten und öffentlichen Beiträge beträchtlichen jährlichen Schwankungen unterworfen ist, würde es Sinn machen, die beiden Variablen über mehrere Jahre hinweg zu vergleichen.
40Die „individuellen Präferenzen“ sind aus oben genannten Gründen wohl der zweitwichtigste Faktor bei der geografischen Ausrichtung privater Hilfe. Diesem Phänomen ist jedoch mit unserer quantitativen Analyse nicht beizukommen. Mit einer qualitativen Nachforschung könnte da ein besserer Einblick gewonnen werden.
41Die aus Entwicklungsländern stammende Wohnbevölkerung stellt einen weiteren, jedoch weniger wichtigen internen Faktor für die Länderwahl dar.
42Bei den äusseren Faktoren fällt einzig die Variable „Unterernährung“ ins Gewicht. Eine prekäre humanitäre Situation in einem Land hat demnach einen positiven Einfluss auf die Höhe der privaten Beiträge aus der Schweiz.
43Erstaunlicherweise hat der Entwicklungsstand eines bestimmten Landes keinen Einfluss auf die Höhe der Hilfsleistungen; diese Hypothese musste demnach verworfen werden. Die private Hilfe ist nicht auf die am wenigsten entwickelten Länder ausgerichtet. Geht man davon aus, dass Entwicklungshilfe in erster Linie den ärmsten Ländern zugute kommen soll, so muss die private Hilfe als unkohärent bezeichnet werden.
44Weiter ist der Einfluss von Kriegen und Naturkatastrophen relativ gering. In diesem Zusammenhang bleibt aber die Rolle der Medien zu untersuchen. Es müsste analysiert werden, inwieweit eine starke Mediatisierung einzelner Katastrophen und Kriege die Geldflüsse der privaten Hilfe in die entsprechenden Länder leiten.
45Die Antwort auf unsere Frage nach der Logik der Länderwahl kann angesichts der Resultate dieser Arbeit auf folgenden Punkt gebracht werden: Die geografische Verteilung privater Hilfe aus der Schweiz hat sehr viel mit der Schweiz und sehr wenig mit den Entwicklungs- und Transitionsländern zu tun.
- 31 R = Korrelationskoeffizient, r2 = lineares Bestimmtheitsmass, Beta = standardisierter Regressionsko (...)
Die Länder in Fettdruck befinden sich ebenfalls unter den 20 Ländern, welche die höchsten privaten Hilfe leistungen erhalten (Tabelle 1 „absolute Beiträge“ für Tabellen 4, 5, 6 und Tabelle 2 „Pro-Kopf-Beiträge“ für Tabelle 3).
Tabelle 3: „Entwicklungsstand“, die 20 am wenigsten entwickelten Länder (Human Development Index, 2000)
* eigene Schätzung.
Tabelle 4: Öffentliche Hilfe“, die 20 Länder, welche am meisten öffentliche Entwicklungshilfe erhalten (in Tausend Franken, 2001)
Tabelle 5: „Eingewanderte Wohnbevölkerung“, die 20 wichtigsten Herkunftsländer von Migranten (in Anzahl Personen, 2000)
Tabelle 6 : „Unterernährung“, die 20 von Unterernährung am meisten betroffenen Länder (in Millionen unterernährter Menschen, 1999-2001)