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2. Öffentliche Politik und Privatinitiativen

Migration : eine geteilte Verantwortung

Patricia A. Santo Tomas
p. 99-106

Anmerkungen des Autors

Der vorliegende Artikel beruht auf einem Vortrag, der am 30. Oktober 2007 im Rahmen der Jahreskonferenz 2007 der Politischen Abteilung IV des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) in Bern gehalten wurde. Er veranschaulicht die neueren Tendenzen aus der Perspektive eines Landes des Südens, das selbst ein Herkunftsland von Migrationsbewegungen ist, und präsentiert ein Beispiel für die Umsetzung einer aktiven Migrationspolitik.

Volltext

1Die Philippinen haben eine lange Migrationsgeschichte. Die Bewohner dieses Archipels – mit seinen 7107 im Westpazifik verstreuten Inseln – sind seit jeher von einem Ort ihres Landes zum anderen gezogen, wenn ihnen das Glück nicht hold war, oder wenn die Zukunftsaussichten schlecht waren. Doch lässt sich der Filipino nicht durch nationale Grenzen abhalten. Es ist nachgewiesen, dass portugiesische und spanische Schiffe im 15. Jahrhundert Filipinos von ihren Reisen mit sich zurückbrachten, die von Geschichten über ferne Länder fasziniert waren. Und so ist es noch bis zum heutigen Tage. Im ersten Halbjahr 2007 haben über eine halbe Million Filipinos ihr Land verlassen, um in Übersee Arbeit zu finden, wodurch sie für lange Zeit von Heimat, Familie und Freunden getrennt werden. Sie werden als Overseas Filipino Workers (OFW) bezeichnet. In dieser Zahl sind die philippinischen Touristen, Studenten, Geschäftsleute, Investoren und viele andere nicht eingeschlossen, deren Reise- und Abenteuerlust den Philippinen einen weltmännischen Anstrich geben.

2Die Migrationstendenz wird durch die globale Nachfrage nach Arbeitskräften beeinflusst, ein Phänomen, das durch die Erdöleinnahmen Mitte der 70er Jahre gefördert wurde und Arbeitnehmer aus der ganzen Welt in den Mittleren Osten anzog. In den entwickelten Ländern nimmt zum anderen der Anteil der alternden Bevölkerung zu – zweifellos eine Reaktion auf unheilvolle Vorhersagen über einen möglichen unkontrollierten Bevölkerungszuwachs in einer Welt mit weitgehend gleichbleibenden Ressourcen. Schliesslich haben die virtuelle Welt des Internets und die Verbesserungen der globalen Transport– und Kommunikationsmittel dem Rest der Welt ein Fenster mit Blick auf das Geschehen geöffnet, das sich auf anderen Hälfte des Planeten abspielt.

  • 1 Im Jahr 2000 waren auf den Philippinen über 2,6 Millionen Studenten im Hochschulwesen registriert ( (...)

3Auf den Philippinen wird die Bereitschaft zur Auswanderung verständlicherweise durch all diese Faktoren beeinflusst. Zudem werden die Menschen dort durch eine Einschulungsrate von über 90 Prozent, durch die der Hochschulbildung beigemessenen Bedeutung1 und durch eine expandierende Wirtschaft, in der auch noch die kleinste armseligste Hütte mindestens ein Mobiltelefon besitzt, dazu angeregt, ihr Glück anderswo zu suchen.

4Die Veränderungen der Weltbevölkerungsentwicklung, das Bestehen lokaler Unruhen und die politischen Auswirkungen des Terrorismus – unter anderen Faktoren – haben die Migration heute zu einem hochaktuellen Thema werden lassen. Gleichzeitig fördern die Fortschritte im Transport- und Kommunikationswesen und die transnationalen Sozialnetze die globale Mobilität. Bevor die Migrationsproblematik zu einem weiteren Krisenherd in den internationalen Beziehungen wird, sollten die über dieses Phänomen informierten Instanzen die ihm gebührende sachliche und objektive Aufmerksamkeit zukommen lassen.

Temporäre Wanderung : die vorherrschende Migrationsart

  • 2 Diese Definition entspricht nicht der üblichen internationalen Definition, gemäss der die temporäre (...)

5Die philippinischen Migranten lassen sich nach verschiedenen Kriterien einstufen. Je nach Dauer ihres Aufenthalts können sie temporäre oder dauerhafte Migranten sein. Dauerhafte Migranten werden als Einwanderer oder als legale ständige Gebietsansässige im Ausland definiert, deren Aufenthalt nicht von einem Arbeitsvertrag abhängt. Temporäre Migranten sind dagegen Personen, deren Aufenthalt in Übersee beschäftigungsbedingt ist, und von denen man erwartet, dass sie nach Ablauf ihres Arbeitsvertrags in ihr Land zurückkehren2.

6Gemäss ihrem Statut können sie reguläre oder irreguläre Migranten sein. Reguläre Migranten sind Personen, deren Papiere gültig und für ihren Aufenthalt als temporäre oder dauerhafte Migranten verbindlich sind. Papierlose Migranten sind Personen, die entweder keine ordnungsgemässen Ausweise besitzen oder keine gültige Aufenthalts- oder Arbeitsgenehmigung haben, bzw. die über die Dauer ihres legalen Aufenthalts hinaus in einem fremden Land bleiben.

7Die nationalen Statistiken geben ferner an, ob die Migranten in die Vereinigten Staaten oder nach Asien auswandern (Bestimmungsgebiet), ob sie männlich oder weiblich sind (Geschlecht), ob sie Köche oder Ärzte sind (spezifischer Vertrag), freiberuflich oder angestellt sind (Berufsstatus), zu Land oder zur See arbeiten (Beschäftigungsgebiet).

  • 3 Das Nationale Statistische Amt der Republik der Philippinen schätzt, dass das Land im Jahr 2006 87 (...)

8Die Schätzungen betreffend den Bestand – das heisst die Anzahl der sich zu einem bestimmten Zeitpunkt im Ausland aufhaltenden Migranten – ergeben für die Philippinen im Jahr 2006 weltweit insgesamt 8 233 172 Filipinos in Übersee3, von denen 43 Prozent in Nordamerika leben (siehe Tabelle 1). Knapp die Hälfte der Overseas Filipino Workers (46%) sind temporäre Migranten und rund 11 Prozent irreguläre und vermutlich temporäre Migranten (siehe Tabelle 2). In der Kategorie der regulären temporären Migranten sind 274 497 Seeleute eingeschlossen, die rund 7 Prozent der gesamten temporären Arbeitnehmer ausmachen.

Tabelle 1 : Filipinos im Ausland nach Bestimmungsgebieten (Bestand an temporärenund dauerhaften Migranten), 2006

Tabelle 1 : Filipinos im Ausland nach Bestimmungsgebieten (Bestand an temporärenund dauerhaften Migranten), 2006

Quelle : Commission on Filipinos Overseas, „Stock Estimate of Overseas Filipinos as of December 2006“, http://www.cfo.gov.ph >Statistics.

Tabelle 2 : Filipinos im Ausland nach Art der Migration, 2006

Tabelle 2 : Filipinos im Ausland nach Art der Migration, 2006

Quelle : Commission on Filipinos Overseas, „Stock Estimate of Overseas Filipinos as of December 2006“, http://www.cfo.gov.ph >Statistics.

9Die Abwanderung umfasst durchschnittlich 900 000 Arbeitnehmer im Jahr, deren Verträge von der Philippine Overseas Employment Administration (POEA) registriert werden. Dabei ist es interessant, zu vermerken, dass die Vereinigten Staaten die höchste Anzahl an dauerhaften Migranten und nur rund 1,5 Prozent der philippinischen temporären Migranten verzeichnen. Saudi-Arabien registriert seinerseits die höchste Anzahl an temporären Migranten aus den Philippinen. Der Anteil der dauerhaften Migranten in Saudi-Arabien beträgt 2006 lediglich 247 Personen von den insgesamt 3,6 Millionen Filipinos, die ständig im Ausland leben.

10Im Verlauf der letzten zwanzig Jahre hat die temporäre Migration aus den Philippinen sehr viel rascher als die dauerhafte Migration zugenommen. Die Beschäftigung im Ausland ist in den Jahren 1989, 1990, 1995 und 2003 zurückgegangen. Die dauerhafte Migration bietet ein vielfältigeres Bild, mit Rückgängen in den Jahren 1989, 1991, 1994, 1995, 1997, 1998 und 2003. Auch ist zu vermerken, dass die dauerhafte Migration nicht über eine fünfstellige Zahl hinaus gewachsen ist, während die temporäre Migration in den vergangenen zwanzig Jahren sechsstellig war und im Jahr 2006 siebenstellig wurde.

11Somit ist die vorherrschende Art der internationalen Migration im Fall der Philippinen eindeutig die temporäre Migration (mit Arbeitsvertrag).

Neuere Emigrationstendenzen auf den Philippinen

12Der internationale Arbeitsmarkt hat seit dem Bauboom Mitte der 70er Jahre, der sich auf die Entwicklung der Länder des Mittleren Ostens konzentrierte, einen Wandel durchgemacht. Derzeit ist festzustellen, dass sich viele Merkmale der temporären Migration verändern : Während die Anzahl der Anstellungen im Ausland insgesamt zunimmt, überwiegen die Wiederanstellungen mit 60 Prozent gegenüber den Neuanstellungen mit durchschnittlich 40 Prozent. Folglich ändern sich auch die statistischen Daten bezüglich der philippinischen Migranten. So sind beispielsweise die jungen Arbeitnehmer von früher heutzutage Beschäftigte im Alter von 30 Jahren und darüber.

13Zu Anfang machten die Arbeitnehmer des Produktionssektors den Grossteil der in andere Länder abwandernden Filipinos aus. Heute wird diese Kategorie von den Beschäftigten des Dienstleistungssektors überholt, dicht gefolgt von den freiberuflichen, technischen und medizinischen Arbeitskräften.

14Anfänglich arbeiteten die Filipinos im Ausland als Auftragnehmer und übergaben schlüsselfertige Bauprojekte. Heute werden lediglich Arbeitskräfte geliefert, und die Vermittler, vor allem ausländische und lokale Rekrutierungsbüros, sind die Hauptakteure.

15Auch die geschlechtliche Zusammensetzung der Migranten und Migrantinnen hat sich gewandelt : Während Mitte der 70er Jahre grosse Nachfrage nach männlichen Arbeitskräften bestand, überwiegen heute die weiblichen Beschäftigten. Die Frauen, die in den 70er Jahren 20 Prozent der Migrationsbewegung ausmachten, stellen jetzt 60 bis 90 Prozent der Emigration je nach den betreffenden Berufszweigen. Als Krankenpflegerinnen, Lehrerinnen, Angestellte im Hotel- und Gaststättengewerbe haben Frauen einen klaren Vorteil.

16Das Hauptbestimmungsgebiet ist weiterhin der Mittlere Osten, dicht gefolgt von Asien. Nach Ländern aufgeschlüsselt steht Saudi-Arabien sowohl bei den Wiederanstellungen als auch bei den Neuanstellungen weiterhin an der Spitze (siehe Tabelle 3). Jedoch sind fortan bei den Neuanstellungen unter den ersten zehn Bestimmungsländern auch Staaten wie Korea, die Vereinigten Staaten, der Libanon und Japan zu finden.

Tabelle 3 : Aufteilung der OFW nach den zehn wichtigsten Bestimmungsländern (Neuanstellungen und Wiederanstellungen), 2005–2006

Tabelle 3 : Aufteilung der OFW nach den zehn wichtigsten Bestimmungsländern (Neuanstellungen und Wiederanstellungen), 2005–2006

Quelle : Philippine Overseas Employment Administration (POEA), OFW Global Presence : A Compendium of Overseas Employment Statistics : 2006, http://www.poea.gov.ph.

Schlüsselfragen und soziale Auswirkungen

17Die mit der Beschäftigung im Ausland zusammenhängenden Fragen haben sich im Laufe der Zeit nicht wesentlich geändert. Es besteht das Brain Drain-Problem, da sich die Abwanderung einmal mehr auf die medizinischen Arbeitskräfte konzentriert. Seit den 50er Jahren ist das Pflegepersonal der Philippinen in die entwickelteren Länder abgewandert, was Empörung über die Subventionierung ausländischer Gesundheitssysteme durch die Entwicklungsländer auslöste. Die Migrationsbewegungen der Filipinos in diesem Sektor verliefen zyklisch und weisen Zuwächse und Abnahmen im Siebenjahresrhythmus auf. Demzufolge hatte die Berufswahl auf den Philippinen, die – lange bevor das Internet aufkam – durch die internationale Nachfrage stark beeinflusst wurde, Überschüsse und Knappheiten an Arbeitskräften verzeichnet, die durch die zeitliche Verschiebung beim Hochschulstudium bedingt waren. Dieses Mal waren die beliebteren Studiengänge Krankenpflege und Informationstechnologie. Der erste Lehrgang wird offensichtlich mit einem Auge auf den ausländischen Arbeitsmarkt durchgeführt. Der zweite hängt mit dem Phänomen der Auslagerung von Geschäftsverfahren zusammen, die sich auf interne Betriebsabläufe (Backroom Operations), Call-Centers, Animation und sonstige auf lokaler Ebene erbrachte Dienstleistungen im Bereich der Informationstechnik fokussiert.

18Die zweite Thematik ist, wie oben erwähnt, die so genannte Feminisierung der Beschäftigung im Ausland, bei der mehr Frauen als Männer für eine Arbeit in Übersee abwandern. Dies mag einesteils mit der Nachfrage nach Arbeitskräften zusammenhängen, wie auch mit der Tatsache, dass die weiblichen Hochschulabsolventen die männlichen sowohl bei der vierjährigen Grundausbildung als auch beim graduellen und postgraduellen Studium überschreiten. Diese Entwicklung hat bedeutende Auswirkungen auf die Geschlechterrolle – beispielsweise auf die Rolle der Frau als Hauptstütze für den Unterhalt der philippinischen Familie – und auf die Beziehungen zwischen den Generationen.

  • 4 Die Bewerber für einen Arbeitsplatz im Ausland müssen vor Verlassen des Landes ein Seminar (Pre-Dep (...)

19Ferner gibt es die Problematik der Sozialfürsorge. Filipinos sind in 197 Ländern und Gebieten in der ganzen Welt anzutreffen. Naturgemäss besteht immer die Möglichkeit einer Unvereinbarkeit zwischen der philippinischen Kultur und den lokalen Bräuchen und Gewohnheiten, ganz abgesehen von der Religion oder den politischen Systemen. Wo sich verschiedene Kulturen begegnen, können Missverständnisse auftreten. Es gab viele Fälle, in denen sich Probleme aus kulturellen Unterschieden oder aus Unterschieden beim gesetzlichen Rahmen ergaben. Auch wenn diese Probleme durch ein Seminar zur Orientierung und kulturellen Sensibilisierung vor der Abreise angegangen werden4, ist nicht jeder und jede fähig, einen kulturellen Unterschied zu verinnerlichen. Der philippinische Staat unterhält neben seinem diplomatischen Korps weltweit auch ein Netzwerk von zweihundert Sozialattachés und Fürsorgebeamten, die für die Wohlfahrt und das Wohlergehen seiner Staatsbürger im Ausland Sorge tragen.

20Die Wiedereingliederung der Migranten ist ein wesentliches Problem auf den Philippinen. Mit Ausnahme möglicherweise jener Migranten, die in den Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und Japan leben, kehren die meisten Filipinos nach Ablauf ihres Arbeitsvertrags – auch nach mehrmaliger Vertragserneuerung – in ihr Land zurück. Dabei sind jene gut daran, die in die Ausbildung ihrer Kinder und in verbesserte Wohnungen für ihre im Lande verbliebenen Familienangehörigen investiert haben. Es gibt aber auch viele Migranten, die ohne Ersparnisse zurückkommen oder die ihr Geld in Luxusgütern von begrenztem Wert vergeudet haben. Manche haben nicht einmal für ein Pensionssystem für ihren Ruhestand oder für medizinische Versicherung vorgesorgt. Die Wiedereingliederungsbemühungen der philippinischen Regierung konzentrieren sich auf vorzeitige Rückkehr, Ausbildung im Unternehmen, soziale Altersversorgung und Humankapitalinvestitionen.

21Ferner besteht die Frage der Abhängigkeit von den Überweisungen der Migranten in ihr Herkunftsland einerseits und der Ankurbelung der lokalen Wirtschaft zu mehr Wachstum andererseits. Zwar haben die Überweisungen der Migranten im Laufe der Jahre beträchtlich zugenommen, doch sind auch die Aufwendungen der philippinischen Regierung im Infrastruktur- und Humankapitalbereich nicht zurückgeblieben. Zwischen 2004 und 2005 sind die Überweisungen der philippinischen Arbeitnehmer um 26 Prozent auf 10,7 Milliarden US-Dollar angestiegen. Von diesem Gesamtbetrag stammten 6,4 Milliarden Dollar von Migranten in den USA. Die Frage der Abhängigkeit von den Überweisungen der Migranten ist weiterhin Gegenstand politischer und akademischer Diskussionen. Unter den Akademikern gibt es Kontroversen betreffend die Auswirkungen der Überweisungen auf die lokale Wirtschaft. Zwar tragen die Überweisungen auf der Ebene der einzelnen Familien zur Armutsminderung bei, doch werden die makroökonomischen Effekte und das Potenzial für nachhaltiges Wachstum zuweilen von Autoren in Frage gestellt, welche die zunehmenden Ungleichheiten und die Abhängigkeit der Empfängerländer von den Migrantenüberweisungen kritisieren.

22Die Rolle der Philippinen als Exportland von Arbeitskräften wird manchmal überbetont. Gleichwohl bleibt die Tatsache bestehen, dass die Arbeitnehmer nicht auswandern könnten, wenn keine Nachfrage nach philippinischen Arbeitskräften bestünde. Länder mit einer Arbeitskräftenachfrage importieren die Fachkenntnisse und Fertigkeiten der philippinischen Arbeitnehmer gemäss ihrem Bedarf. Hierfür hat die philippinische Regierung klare Rahmenvorschriften, einen ausgefeilten Schutzmechanismus und ein Wiedereingliederungsprogramm erstellt, das nicht auf die Länder angewiesen ist, in denen unser Humankapital zum Einsatz kommt. Die Philippinen sehen die Migration als eine geteilte Verantwortung an, eine Politik, der sie mit ihren begrenzten Ressourcen nach besten Kräften nachkommen.

Die Emigrationpolitik auf den Philippinen

23Es ist wichtig, zu vermerken, dass die Möglichkeit der temporären Migration den philippinischen Arbeitnehmern seit den 70er Jahren offenstand. Und so, wie wir Normen für die lokale Beschäftigung geschaffen haben, wurden auch Standards für die Arbeit im Ausland erstellt. Als die Beschäftigung im Ausland eingeführt wurde, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, setzte die philippinische Regierung neue Gesetzesvorschriften fest und schuf schliesslich zwei Spezialbehörden, die sich auf die Bedürfnisse der Auslandsarbeiter konzentrieren, und zwar die Philippine Overseas Employment Administration (POEA) und die Overseas Workers Welfare Administration (OWWA). Das Arbeitsgesetzbuch lieferte den Rechtsrahmen, als das Programm für die Beschäftigung im Ausland 1976 eingeführt wurde. Seitdem wurden eine Reihe von Gesetzen erlassen, welche die Modalitäten der temporären Migration im Einzelnen festlegen.

  • 5 Dieser Prozess bezieht sich auf die Anwerbung und Ausbildung philippinischer Arbeitnehmer durch Reg (...)

24Die philippinische Regierung ist als Regulierungsinstanz tätig, sie bietet aber auch Vermittlungsdienste an, wenn eine andere Regierung zwischenstaatliche Arbeitsvermittlungen anfordert5. Dies war in der Anfangsphase der Emigration nach Saudi-Arabien der Fall, auch wenn diese Abkommen sich jetzt nur noch auf die staatlichen Krankenhäuser in diesem Land beschränken. Grossbritannien hatte eine ähnliche Abmachung für die Anstellung von KrankenpflegerInnen für den nationalen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) getroffen. Auch mit Korea und Japan wurden ähnliche Abkommen abgeschlossen. Wo dies machbar ist, zieht die philippinische Regierung es vor, die Anwerbung und Anstellung frühzeitig dem Privatsektor zu überlassen.

25Die philippinische Regierung, die den Schutz und das Wohlergehen der Beschäftigten im Ausland als im Interesse aller beteiligten Parteien – des Migranten, seines Herkunftslandes und des Aufnahmelandes – liegend erachtet, hat ein Programm erstellt, das den Beschäftigungsprozess von der Stellenbewerbung und einer angemessenen Ausbildung bis zur Wiedereingliederung nach der Rückkehr überwacht und verfolgt. Die Regierung betreibt ein Lizenzsystem für über tausend Arbeitsvermittlungsstellen, die Migrationsarbeiter im Ausland einsetzen. Die Arbeitgeber werden von der Regierung zugelassen und sanktioniert, wenn sie die vertraglich festgelegten Arbeitsbedingungen verletzen. Die Bestimmungen sehen ein Disziplinarverfahren vor, das einem Rekrutierungsbüro bei Zuwiderhandlung die Lizenz entzieht. Die Arbeitnehmer müssen sich ihrerseits einer medizinischen und psychologischen Untersuchung sowie einer Überprüfung ihrer Referenzen unterziehen, bevor sie die Philippinen für ihre Arbeit im Ausland verlassen. Ihre Verträge sind in einer Datenbank bei der Philippine Overseas Employment Administration (POEA) registriert, was es der Regierung erlaubt, sie erforderlichenfalls wieder aufzufinden.

26Die Arbeitnehmer sind für die Dauer ihres Vertrags bis zwei Monate nach der Rückkehr durch eine Versicherung gedeckt. Im Fall einer Katastrophensituation an ihrem Arbeitsplatz (Krieg wie im Irak, Epidemie wie das Lungensyndrom SARS) werden die Filipinos durch die Regierung zu ihrem Schutz auf die Philippinen zurückgebracht oder in ein Drittland evakuiert. Ferner wird ein Register der Arbeitgeber geführt und kontrolliert, so dass Arbeitgeber, die ihre philippinischen Beschäftigten schlecht behandelt haben, keine Genehmigung zur Einstellung von Filipinos mehr erhalten. Der philippinische Reisepass führt zudem die Liste jener Länder auf, in denen Filipinos nicht angestellt werden dürfen.

27In den hauptsächlichen Gebieten, in denen Filipinos arbeiten, können die OFW vor Ort Fürsorgestellen zur Beratung und Weiterbildung aufsuchen, wobei die Schulung an ihren arbeitsfreien Wochenenden erfolgt. Den Filipinos steht überall, wo sie sich aufhalten, eine Rechtsvertretung zur Verfügung, und zwar auch in Situationen, in denen sie den Gesetzen des Aufnahmelandes zuwidergehandelt zu haben scheinen. Wenn sie erkranken und medizinische Behandlung im Heimatland benötigen, können sie zur Einlieferung in ein Krankenhaus auf die Philippinen zurückgebracht werden.

28Die Regierung ist ferner bestrebt, bilaterale Abkommen abzuschliessen, welche die Schutzmechanismen für die philippinischen Arbeitnehmer stärken. In mindestens vier Ländern enthalten diese Abkommen Arbeitsbedingungen (einschliesslich Löhne), die mit denen der Staatsbürger des betreffenden Landes vergleichbar sind.

29Mit diesem Bestreben nach geteilter Verantwortung nehmen die Philippinen eine klare Stellung ein, um ihre Arbeitnehmer zu schützen, aber auch um sicherzustellen, dass diese die Bräuche und Gesetze des temporären Aufnahmelandes einhalten. Als Gegenleistung ersucht unsere Regierung um den Schutz der philippinischen Arbeitnehmer gegenüber jedem, der ihre Rechte verletzen könnte.

Schluss

30Die Beschäftigung folgt letztendlich den Gesetzen von Angebot und Nachfrage, gleich ob auf nationaler oder internationaler Ebene. Jedoch erfordert sie auch ein transparentes Regelwerk für den Schutz und die Sicherheit der Arbeitnehmer, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Im Glauben, dass die transnationale Mobilität der Arbeitskräfte den Aufnahmeländern wie auch den Arbeitnehmern selbst und ihren Herkunftsländern wechselseitige Vorteile einbringen kann, hat die philippinische Regierung ein umfassendes System von Regelungen über die Beschäftigung im Ausland erstellt, das alle Phasen des Prozesses von der Ausbildung vor der Abreise bis zur Wiedereingliederung nach der Rückkehr umfasst. Diese Massnahmen ergeben sich aus dem Bewusstsein, dass mangelnder Schutz schwere Bedrohungen nicht nur für die Migranten, sondern auch für die Gesellschaft des Aufnahmelandes in ihrer Gesamtheit mit sich bringt. Es ist erwiesen, dass das Fehlen klar festgelegter Regeln betreffend die Rechte der Migranten schwerwiegende Probleme wie Schwarzarbeit, welche zu unlauterem Wettbewerb, Sozialdumping und Steuereinbussen, Menschenschmuggel, kriminellen Machenschaften und Unsicherheit führt, noch gravierender macht.

31Zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, dass ein einseitiger Ansatz zur Regulierung der Migrationsflüsse unzureichend ist, und dass es notwendig ist, die internationale Zusammenarbeit zu fördern und konstruktive Lösungen zu finden, die sowohl die Herkunftstaaten als auch die Aufnahmestaaten einbeziehen. In diesem Sinne kann eine stark regulierte und integrierte Emigrationspolitik zu mehr Dialog und geteilter Verantwortung beim Migrationsmanagement zwischen den betroffenen Staaten und möglicherweiseauch auf multilateraler Ebene führen. Ein solches Migrationsmanagement kann für temporäre wie auch für dauerhafte Migrationsbewegungen als Wegweiser dienen.

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Anmerkungen

1 Im Jahr 2000 waren auf den Philippinen über 2,6 Millionen Studenten im Hochschulwesen registriert (P. Santo Tomas, „Filipinos Working Overseas : Opportunity and Challenge“, in International Organization for Migration (IOM), World Migration 2005 :Costs and Benefits of International Migration, Genf, IOM, 2005, S. 239–251).

2 Diese Definition entspricht nicht der üblichen internationalen Definition, gemäss der die temporäre Migration mehr als drei Monate und weniger als ein Jahr dauert.

3 Das Nationale Statistische Amt der Republik der Philippinen schätzt, dass das Land im Jahr 2006 87 Millionen Einwohner umfasst (http://www.census.gov.ph), was bedeutet, dass rund 10% der Bevölkerung temporäre oder dauerhafte Migranten sind. Dieser Anteil ist in etwa demjenigen der Schweiz ähnlich, doch sind die beiden Länder in Bezug auf den Umfang ihrer Bevölkerung kaum zu vergleichen.

4 Die Bewerber für einen Arbeitsplatz im Ausland müssen vor Verlassen des Landes ein Seminar (Pre-Departure Orientation Seminar,PDOS) besuchen, das sie über die Gesetze, Bräuche und Gewohnheiten des Bestimmungslandes informiert (siehe P. Santo Tomas, op. cit.).

5 Dieser Prozess bezieht sich auf die Anwerbung und Ausbildung philippinischer Arbeitnehmer durch Regierungsstellen der Herkunfts- und der Aufnahmeländer (und nicht auf private Anwerbungs- oder Vermittlungsstellen).

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Abbildungsverzeichnis

Titel Tabelle 1 : Filipinos im Ausland nach Bestimmungsgebieten (Bestand an temporärenund dauerhaften Migranten), 2006
Abbildungsnachweis Quelle : Commission on Filipinos Overseas, „Stock Estimate of Overseas Filipinos as of December 2006“, http://www.cfo.gov.ph >Statistics.
URL http://0-journals-openedition-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/sjep/docannexe/image/321/img-1.png
Datei image/png, 8,2k
Titel Tabelle 2 : Filipinos im Ausland nach Art der Migration, 2006
Abbildungsnachweis Quelle : Commission on Filipinos Overseas, „Stock Estimate of Overseas Filipinos as of December 2006“, http://www.cfo.gov.ph >Statistics.
URL http://0-journals-openedition-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/sjep/docannexe/image/321/img-2.png
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Titel Tabelle 3 : Aufteilung der OFW nach den zehn wichtigsten Bestimmungsländern (Neuanstellungen und Wiederanstellungen), 2005–2006
Abbildungsnachweis Quelle : Philippine Overseas Employment Administration (POEA), OFW Global Presence : A Compendium of Overseas Employment Statistics : 2006, http://www.poea.gov.ph.
URL http://0-journals-openedition-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/sjep/docannexe/image/321/img-3.png
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Zitierempfehlung

Papierversionen:

Patricia A. Santo Tomas, „Migration : eine geteilte Verantwortung“Schweizerisches Jahrbuch für Entwicklungspolitik, 27-2 | 2008, 99-106.

Online-Version

Patricia A. Santo Tomas, „Migration : eine geteilte Verantwortung“Schweizerisches Jahrbuch für Entwicklungspolitik [Online], 27-2 | 2008, Online erschienen am: 31 Mai 2010, abgerufen am 16 Januar 2025. URL: http://0-journals-openedition-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/sjep/321; DOI: https://0-doi-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/10.4000/sjep.321

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Autor

Patricia A. Santo Tomas

Präsidentin der Development Bank of the Philippines (DBP) und frühere Sekretärin des Department of Labor and Employment (DOLE). Von Mai 1982 bis September 1987 war Patricia A. Santo Tomas Leiterin der Philippine Overseas Employment Administration (POEA).

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