1Rund 26’000 Personen haben 2002 in der Schweiz um Asyl angesucht. Dies sind rund 26 Prozent mehr als im Vorjahr, als die Zahl der Asylgesuche leicht über dem Mittel der vergangenen zehn Jahre lag (siehe Grafik 1).
Grafik 1 : Entwicklung der Asylgesuche (1991-2002)
Quelle : Bundesamt für Flüchtlinge, Asylstatistik 2002, BFF, Januar 2003.
2Wie bereits in den vergangenen Jahren stammen die zahlenmässig stärksten Gruppen von Asylsuchenden aus der Balkanregion, nämlich aus der Bundesrepublik Jugoslawien (14 %), Bosnien-Herzegowina (6 %) und Mazedonien (4,2 %), gefolgt von Personen aus der Türkei (7,4 %) und aus dem Irak (4,5 %).
Tabelle 36 : In der Schweiz eingereichte Asylgesuche 2001-2002 nach Herkunftsland
Quelle : Bundesamt für Flüchtlinge, Asylstatistik 2002, BFF, Januar 2003.
3Mehrere Länder erscheinen zum ersten Mal unter den zehn bedeutendsten Herkunftsländern der Asylsuchenden, nämlich Nigeria (4,1 %), Angola (3,2 %), Rumänien (3,7 %) und Bulgarien (3 %).
4Anders als in der hitzigen öffentlichen Diskussion um die SVP-Initiative stets behauptet wurde, liegt die Schweiz im europäischen Vergleich punkto Anzahl Asylgesuche pro Kopf nicht etwa an erster, sondern hinter Österreich und Norwegen an dritter Stelle (siehe Grafik 2).
Grafik 2 : Anzahl Asylgesuche pro 100’000 Einwohner in Westeuropa (1. Dezember 2001 – 30. Juni 2002)
Quelle : Bundesamt für Flüchtlinge, Asylstatistik 2002, BFF, Januar 2003.
52002 gewährte das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) 1729 Personen Asyl ; das sind 23,3 Prozent weniger als im Vorjahr. Der Anteil der anerkannten Gesuche an allen behandelten Dossiers ging von 11,7 auf 8 Prozent zurück. Allerdings variiert dieser Anteil je nach Staatsangehörigkeit sehr stark. So betrug er bei Personen aus dem Irak und aus der Türkei mehr als 30 Prozent, bei Personen aus Sri Lanka etwas mehr als 15 Prozent und bei Asylsuchenden aus Bosnien und aus dem Kongo rund 5 Prozent. 70 Prozent dieser Entscheide betrafen Familienzusammenführungen.
- 1 Zur Erinnerung : Seit 2000 werden diese Personen nicht mehr zum Asylbereich gerechnet.
62002 wurden 4170 Personen vorläufig aufgenommen (53 % weniger als 2001). Damit setzte sich der seit 1999 beobachtete rückläufige Trend fort. Vorläufig aufgenommen wurden vor allem Personen aus der Bundesrepublik Jugoslawien und aus Bosnien-Herzegowina. Auch die Zahl der fremdenpolizeilich geregelten Fälle (8725) nahm gegenüber dem Vorjahr ab (-20 %)1. Insgesamt ist die Zahl der Personen im Asylbereich gegenüber dem vorangegangenen Jahr stabil geblieben (+0,4%).
Tabelle 37 : Personen im Asylbereich (Stand Ende Dezember 2001 und 2002)
Quelle : Bundesamt für Flüchtlinge, Asylstatistik 2002, BFF, Januar 2003
72002 lag die Zahl der Wegzüge aus der Schweiz mit 17’000 leicht höher als im Vorjahr (+7,4%). In rund der Hälfte dieser Fälle handelte es sich um nicht offizielle Wegzüge, womit sich die Erfahrungen vergangener Jahre bestätigten. Zu den nicht offiziellen Wegzügen werden Asylsuchende gezählt, die freiwillig, jedoch ohne Meldung zu erstatten, in die Heimat zurückkehren oder in einen Drittstaat auswandern, beziehungsweise sich ohne gültige Papiere weiterhin in der Schweiz aufhalten.
83188 Personen, die als anerkannte Flüchtlinge in der Schweiz wohnten, wurde der Flüchtlingsstatus entzogen, da sie keinerlei Gefahren mehr ausgesetzt waren. Darüber hinaus entzog das BFF 9219 Personen die vorläufige Aufenthaltsbewilligung. Es handelte sich dabei mehrheitlich um Personen aus Sri Lanka und aus dem ehemaligen Jugoslawien, die in den Genuss kantonaler Sonderregelungen gekommen waren.
9Die hauchdünne Ablehnung der SVP-Initiative „gegen Asylrechtsmissbrauch“ war das abschliessende Thema der letztjährigen Übersicht über die Asylpolitik (Jahrbuch 2003, Nr. 1, S. 225). Im Anschluss an diesen Volksentscheid war namentlich im Hinblick auf die anstehenden parlamentarischen Debatten zu den Gesetzesvorlagen über Asyl- und Ausländerfragen ein restriktiverer Kurs zu erwarten. Das Ergebnis der Volksabstimmung machte sich vor allem indirekt bemerkbar. Das belegen zwei Beispiele von höchst unterschiedlicher Tragweite : die Nominierung an der Spitze der Eidgenössischen Flüchtlingskommission und vor allem das Entlastungsprogramm für den Bundeshaushalt.
10Entsprechend seiner Überzeugung, dass die Eidgenössische Kommission für Flüchtlingsfragen vom Bundesamt für Flüchtlingswesen unabhängig sein sollte, hatte BFF-Direktor Jean-Daniel Gerber seit langem den Wunsch geäussert, sein Amt als Präsident dieser Kommission niederzulegen. Im Anschluss an die Abstimmungen vom Herbst 2002 kamen die Behörden diesem Wunsch nach. Als Nachfolger wurde mit Roland Eberle ein SVP-Politiker gewählt, der die am 24. November verworfene Initiative, welche auf eine Rückweisung von Asylsuchenden in einen sicheren Drittstaat abzielte, massgeblich mitgetragen hatte. Die Nominierung des Thurgauer Ständerates auf den 1. Januar 2003 deutet darauf hin, dass die Behörden die SVP stärker in die Entscheidungsfindung im Asylbereich einbinden wollen. Damit erhält die Kommission, die bislang primär eine beratende Rolle spielte, ein neues politisches Profil.
11Angesichts des Ungleichgewichts der Bundesfinanzen beschloss der Bundesrat Ende 2002 ein Entlastungsprogramm für den Bundeshaushalt (EP) in Höhe von mehreren Milliarden Franken. Im Zuge dieser Sparmassnahmen muss auch das BFF bis 2006 140 Millionen Franken einsparen, davon allein 60 Millionen im ersten Jahr.
- 2 Beobachter weisen darauf hin, dass ähnlichen Bestimmungen in den Niederlanden nur ein kurzfristiger (...)
12Das BFF lehnte eine lineare Kürzung der an die Kantone ausbezahlten Beiträge zur Unterstützung der Personen im Asylbereich – die bereits mehrmals gesenkt wurden – ab und schlug stattdessen vor, jene Fälle, in denen ein Nichteintretensentscheid vorliegt, von der Unterstützung für Asylsuchende auszuschliessen. Konkret bedeutet dies, dass rund 6000 Personen nicht mehr in den Genuss von Sozialleistungen kommen. Als Begründung liess das BFF verlauten, dass Personen, auf deren Gesuch nicht eingetreten wird und die sich nach Ablauf der Ausreisefrist noch immer in der Schweiz aufhalten, illegal in der Schweiz leben und damit gegen das Gesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) verstossen. Auf diese Weise hoffen die Behörden einen Anreiz zu schaffen, damit die betreffenden Personen das Land verlassen und keine zusätzlichen Kosten verursachen. Ganz allgemein erhofft man sich eine abschreckende Wirkung dieser Massnahmen, welche die Attraktivität der Schweiz für potenzielle Asylsuchende verringern soll, denn ein offensichtlich unbegründetes Gesuch soll keinerlei Aussichten auf Sozialhilfeleistungen oder auf Regularisierung eines illegalen Aufenthaltes bieten. Dänemark und die Niederlande beispielsweise haben bereits vergleichbare Massnahmen ergriffen2.
- 3 Jürg Schertenleib, „Zu den Entlastungsmassnahmen im Asylbereich“, Asyl, 3/03.
13Die Verfechter des Asylrechts zeigten sich empört über diese Massnahmen, die gewisse Personen sowohl von Sozialleistungen als auch vom Arbeitsmarkt ausschliessen und in eine prekäre Lage bringen. Sie machten geltend, dass diese Vorschriften sich einseitig gegen besonders verletzliche Personen (Minderjährige ohne Begleitung durch Erwachsene, Frauen) richten und damit gegen internationale Vereinbarungen wie zum Beispiel die Konvention über die Rechte des Kindes oder die Europäische Menschenrechtskonvention verstossen. Ferner wiesen sie darauf hin, dass diese Massnahmen der „Sans-Papiers“-Problematik (Jahrbuch 2003, Nr. 1, S. 231) und der Schwarzarbeit Vorschub leisten und zudem zu einem Anstieg der Kriminalität führen dürften, und warfen die Frage auf, ob die derzeitigen Sparmassnahmen nicht letztlich bei Gemeinden, Hilfswerken und Kirchen zu einem erheblichen Kostenanstieg führen werden3.
- 4 „Suppression de l’aide sociale aux requérants d’asile déboutés : les cantons expriment leur sceptic (...)
14Verschiedene Kreise beurteilten diese Massnahmen als Bestrebungen des Bundes, die Unterstützungskosten für Personen, welche nach dem Ausschluss aus dem Asylbereich unweigerlich von der Fürsorge abhängig werden, auf die Kantone abzuwälzen. Tatsächlich hält die Botschaft über das Entlastungsprogramm 2003 ausdrücklich fest, dass diese Personen einen verfassungsmässigen Anspruch auf Nothilfeleistungen haben, die nota bene von den lokalen Behörden ausgerichtet werden. Dies erklärt auch die Skepsis der Kantone, die im Rahmen der Konferenz der kantonalen Fürsorgedirektoren ihrer Besorgnis Ausdruck verliehen4.
- 5 EJPD, Entlastungsprogramm 2003 : Einführung der Massnahmen im Asylbereich auf den 1. April 2004, Pr (...)
15Ursprünglich beabsichtigten die Behörden eine zügige Umsetzung der Sparmassnahmen. Der entsprechende Vorschlag wurde vom Ständerat genehmigt, im Nationalrat hingegen abgelehnt. Da die Differenzbereinigung zwischen den beiden Kammern erst in der Wintersession stattfinden konnte, verzichtete der Bundesrat auf eine dringliche Umsetzung und beschloss stattdessen, den Abschluss des ordentlichen Verfahrens abzuwarten. Ganz allgemein dürfte der ordentliche Verfahrensweg für einen Teil der vorgeschlagenen Massnahmen (z.B. die Verkürzung der Einsprachefristen) besser geeignet sein. Mit diesem Thema wird sich das am 19. Oktober 2003 gewählte Parlament befassen, und die Sparmassnahmen können frühestens im April 2004 in Kraft treten5.
- 6 SDA, Nationalratskommission verschärft Asylgesetz, Pressemitteilung, 17. November 2003.
- 7 Siehe weiter unten, „Zürcher Vorschläge zur Aufnahme von Asylsuchenden“.
16Im November 2003 befasste sich die Staatspolitische Kommission des Nationalrates mit der Revision des Asylgesetzes. Zur Debatte stand dabei die Einführung einer Bestimmung, wonach die Entwicklungshilfe für Staaten, welche die Rücknahme abgewiesener Staatsangehöriger verweigern, teilweise oder vollständig eingefroren werden kann6. Ferner sah die Kommission trotz eines entsprechenden Antrags der Stadt Zürich davon ab, das Arbeitsverbot während der ersten drei Monate aufzuheben7. Das Asylgesetz wird höchstwahrscheinlich während der Sondersession im Mai 2004 im Plenum gleichzeitig mit der Vorlage für das neue Ausländergesetz behandelt werden.
17Der Vorschlag zur Abschaffung der Sozialhilfeleistungen für abgewiesene Asylsuchende geht mit einer Beschleunigung des Verfahrens an der Grenze einher. Das so genannte System DUO kommt noch vor der Aufteilung der Asylsuchenden auf die Kantone zum Tragen und zielt darauf ab, offensichtlich unbegründete Fälle von vornherein auszuscheiden.
- 8 BFF, Beschleunigtes Asylverfahren. Das System DUO bewährt sich im ersten Jahr, Medienmitteilung, 14 (...)
18Mitte August zog das BFF eine positive Bilanz über das vor einem Jahr eingeführte beschleunigte Verfahren : Die Zahl der Nichteintretensentscheide hat sich erhöht, und ein Fünftel der erstinstanzlichen Entscheide wurde direkt in den Empfangsstellen und im Transitzentrum getroffen. Dabei zeigte sich, dass die Hälfte der Gesuche unbegründet waren8. Bei Asylsuchenden aus Afrika wird das neue Verfahren systematisch angewendet.
- 9 BFF, Bezeichnung neuer Safe Countries im Asylbereich, Medienmitteilung, 25. Juni 2003.
19Am 25. Juni 2003 veröffentlichte der Bundesrat die von der SVP geforderte Liste der verfolgungssicheren Staaten. Neben allen EU- und EFTA-Staaten sowie den zehn Ländern, die der EU im Jahr 2004 beitreten werden, gelten auch Bosnien und Herzegowina sowie Mazedonien als Safe Countries. Die ergänzte Liste umfasst damit neu 38 Staaten, während bisher lediglich neun Länder (Albanien, Bulgarien, Gambia, Ghana, Indien, Litauen, die Mongolei, Rumänien und der Senegal) zu den verfolgungssicheren Staaten gezählt wurden. Ob ein Land als verfolgungssicher gilt, wird jährlich geprüft. Dieses Vorgehen ermöglicht eine Beschleunigung und Vereinfachung des Asylverfahrens, denn auf Gesuche von Personen, die aus einem dieser Länder stammen, wird nicht eingetreten, es sei denn, es lägen Hinweise auf eine Verfolgung vor. Rund 10 Prozent der Asylsuchenden stammen aus so genannten Safe Countries9.
- 10 SFH, Safe Country : SFH fordert Schutz von besonders Verletzlichen, Pressemitteilung, 31. Juli 2003
20Die SFH zeigte sich über die Aufnahme von Bosnien und Mazedonien in die Liste der Safe Countries äusserst beunruhigt. Das Prinzip der verfolgungssicheren Staaten wurde 1990 eingeführt. Staaten sollten als verfolgungssicher gelten, wenn sie politisch stabil sind, die Menschenrechte gewährleisten und die internationalen Konventionen im Asylbereich anwenden. Diese Voraussetzungen scheinen in den beiden Balkanländern jedoch nicht erfüllt zu sein. Die SFH ruft die Behörden dazu auf, namentlich besonders Verletzlichen (Kranken, unbegleiteten Minderjährigen, Angehörigen von Minderheiten) weiterhin uneingeschränkten Zugang zum Asylverfahren zu gewähren und deren Bedürfnis nach Schutz zu berücksichtigen, so wie dies im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist10. Nach Ansicht der SFH ist der Safe-Country-Beschluss über diese beiden Länder vor dem Hintergrund der Sparmassnahmen insofern bedeutsam, als ein Nichteintretensentscheid automatisch den Ausschluss von der Sozialhilfe nach sich zieht, so dass schutzbedürftige Personen auf der Strasse stehen. Ausnahmen für besonders Verletzliche seien nicht vorgesehen.
21Der Einschluss von Bosnien-Herzegowina und Mazedonien in der Liste der Safe Countries ändert nichts an der Lage von Personen aus diesen Ländern, die bereits vorläufig oder als Flüchtlinge aufgenommen wurden. Hingegen werden Personen, deren Gesuch abgelehnt wurde, in ihre Heimat zurückgeschickt.
22Das hauchdünne Abstimmungsergebnis über die SVP-Initiative im November 2002 hat auf alarmierende Weise gezeigt, wie negativ Asylsuchende mittlerweile in der schweizerischen Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Die Behörden der Stadt Zürich, die tagtäglich die auf Bundesebene beschlossenen Massnahmen vollziehen und Asylsuchende aufnehmen müssen, wollten der negativen öffentlichen Wahrnehmung mit konstruktiven Vorschlägen begegnen. Um den vorherrschenden Trend zu einer stets repressiveren und restriktiveren Regelung des Asylbereichs zu durchbrechen, stellten sie einen Katalog von Massnahmen vor, die einen Ausweg aus der Sackgasse bieten sollten.
- 11 „Du travail que les Suisses ne veulent pas faire“, Bilan, 1. Mai 2003. Laut Marcello Fontana von de (...)
- 12 Aufruf des Stadtrates von Zürich : Zehn Regeln für eine Neue Schweizerische Asylpolitik, 31. Januar (...)
23Um die Belastung der Fürsorge zu reduzieren, schlug die Stadt Zürich insbesondere vor, Asylsuchenden einen erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Für Asylsuchende gilt nämlich je nach Kanton ein drei- bis sechsmonatiges Arbeitsverbot ; sofern sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen dürfen, sind sie gezwungen, Stellen anzunehmen, für die sich kein Schweizer und kein anderer Ausländer mit vorteilhafterem Status beworben hat. Dadurch beschränken sich ihre Arbeitsmöglichkeiten auf gewisse Sektoren mit notorisch niedrigem Lohnniveau, wie zum Beispiel das Gastgewerbe. Daher erstaunt es nicht, dass die Working Poor, die zudem durch eine besondere Steuer in Form der Sicherheitskonten11 belastet werden, von der Sozialhilfe abhängig sind. Eine Beschäftigung wäre für Asylsuchende insofern von Vorteil, als sie gefordert wären, für sich selbst zu sorgen. Nicht zuletzt würde auch ihr Image davon profitieren – schliesslich wird ihnen oft genug vorgeworfen, „fürs Nichtstun auch noch zu kassieren“. Um die Berufstätigkeit von Asylsuchenden zu unterstützen, könnten die lokalen Behörden nützliche Arbeitsangebote fördern. Das System der Sicherheitskonten, das sich als sehr kostspielig erwiesen hat, ist zu ersetzen, um die Zahl der Asylsuchenden, die wegen der Lohnkürzungen fürsorgeabhängig sind, zu verringern. Gemäss dem in der Verfassung verankerten Grundsatz (Art. 62) sollten Kinder und Jugendliche Zugang zur obligatorischen Schulbildung und zur Ausbildung erhalten. Lokale Behörden, die eine Politik nach diesen Grundsätzen verfolgen, sollten vom Bund finanziell unterstützt werden. Schliesslich fordert der Stadtrat von Zürich die Einberufung einer nationalen Asylkonferenz12.
- 13 Jörg Frieden, Der Asylbereich. Entwicklung und sozialpolitische Perspektiven aus der Sicht des Bund (...)
24Das asylpolitische Manifest der Stadt Zürich wurde mehrheitlich begrüsst. Die Stadt Zürich hat mit der Umsetzung ihrer eigenen Vorschläge bereits begonnen, und der Bund signalisiert Bereitschaft, einen Teil der damit verbundenen Kosten zu tragen. Die in der Vergangenheit durchgeführten Beschäftigungsprogramme haben auf überzeugende Weise gezeigt, dass sie die Integration der Asylsuchenden fördern, die Kriminalität verringern und das Image der Asylsuchenden bei der Bevölkerung verbessern. Allerdings hält die SFH die Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Behörden für nicht zweckmässig. Vielmehr sollten Asylsuchende in der Privatwirtschaft eine Beschäftigung finden, um zu verhindern, dass die Attraktivität des Landes für Asylsuchende gestärkt wird13.
25Die nationale Asylkonferenz von Anfang April 2003 befasste sich nicht vorrangig mit den Vorschlägen des Zürcher Stadtrates, sondern bot der Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes, Ruth Metzler, Gelegenheit, ihr Projekt zur Umsetzung der Sparmassnahmen zu erläutern.
- 14 „Action humanitaire 2000 : un bilan en demi-teinte“, Asylon, Oktober 2003.
26Die SFH zog die Bilanz aus ihren Bemühungen zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen für Asylsuchende, die bereits vor Ende 1992 in die Schweiz eingereist waren (HUMAK, „Humanitäre Aktion 2000“; Jahrbuch 2001, S. 301-302). Rund 16’000 Personen kamen in den Genuss einer F-Aufenthaltsbewilligung (vorläufige Aufnahme). Diese Bewilligung war als Übergangslösung bis zur Erteilung einer Bewilligung B gedacht, welche die rechtliche Situation dieser Personen konsolidiert. Hingegen gelang es nicht, all jenen Personen zur Rückkehr zu verhelfen, deren Antrag im Zusammenhang mit der HUMAK abgewiesen worden war (rund 700 Personen). Da nicht alle hängigen Fälle abschliessend geregelt werden konnten, ist nicht auszuschliessen, dass mittelfristig eine weitere Aktion lanciert werden muss14.
- 15 Martina Kamm, Denise Efionayi-Mäder, Anna Neubauer, Philippe Wanner, Fabienne Zannol, Aufgenommen a (...)
27Auch für die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) ist die Regelung des Statuts von Personen, die seit mehreren Jahren in der Schweiz leben, ein zentrales Anliegen. In einem Ende Oktober 200315 veröffentlichten Bericht übt die EKR Kritik an der Aufenthaltsbewilligung F in ihrer heutigen Form. Sie wird an Asylsuchende vergeben, die zwar nicht als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention anerkannt wurden, aber einen legitimen Anspruch auf eine bestimmte Form des Schutzes haben, sowie an Personen im Asylbereich, die nicht in ihre Heimat zurückgewiesen werden können und/oder solide Bindungen mit der Schweiz geknüpft haben. Eine Untersuchung zeigt jedoch, dass 60 Prozent dieser Personen seit mehr als fünf Jahren und 30 Prozent der Erwachsenen seit über zehn Jahren in der Schweiz leben. Obwohl es sich bei 45 Prozent dieser Personen um Kinder handelt, ist der Familiennachzug verboten. Faktoren wie die mangelnde geografische und berufliche Mobilität, die Einschränkungen in Bezug auf die Berufstätigkeit, die Bevorzugung Einheimischer bei der Vergabe von Lehrstellen an Jugendliche und die verminderten Sozialhilfeleistungen erschweren die Eingliederung einer bedeutenden Gruppe von 26’000 Inhabern einer F-Aufenthaltsbewilligung, obwohl absehbar ist, dass sie längerfristig in der Schweiz bleiben werden. Der Vorschlag zur Einführung einer „humanitären Aufnahme“ (Jahrbuch 2003, Nr. 1, S. 222-223), der in der Vorlage über die Teilrevision des Asylgesetzes aufgegriffen wird, macht deutlich, dass auch die Behörden die Unzulänglichkeiten der bisherigen „vorläufigen Aufnahme“ erkannt haben.
- 16 Zwischen 1993 und 2003 hat die Schweiz mit 20 Ländern Rückübernahmeabkommen abgeschlossen, nämlich (...)
- 17 EJPD, Bundesrat genehmigt Abkommen mit Nigeria, Medienmitteilung, 10. September 2003.
- 18 „Asyl-Experiment ohne Gewähr. Offene Fragen zu den Verträgen mit Senegal und Nigeria“, Neue Zürcher (...)
28Im Zusammenhang mit den aussenpolitischen Massnahmen im Asylbereich ist die Schweiz weiterhin bestrebt, Rückübernahmeabkommen mit den Herkunftsländern von Asylsuchenden abzuschliessen16. Im Januar 2003 wurde nach dem Vorbild der Vereinbarungen mit den europäischen Ländern (Jahrbuch 2000, S. 272) ein Übereinkommen zwischen der Schweiz und Nigeria unterzeichnet. Dieses sieht eine Zusammenarbeit der beiden Staaten in Migrationsfragen vor, namentlich die Ausbildung der Mitarbeitenden der nigerianischen Einwanderungsbehörden, Rückkehrhilfeprogramme für nigerianische Staatsangehörige17 sowie eine Zusammenarbeit im Kampf gegen AIDS18.
29Im März 2003 jedoch lehnte der Senegal die Ratifizierung des am 8. Januar in Dakar unterzeichneten Transitabkommens ab. Anders als bei einem Rückübernahmeabkommen, welches für Staatsangehörige des unterzeichnenden Landes gilt, regelt das Transitabkommen die Rückführung abgewiesener Asylsuchender aus Westafrika. Das Transitabkommen sollte eine Lösung für die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Feststellung der Identität afrikanischer Asylsuchender bieten. Gemäss dem Abkommen sollten sich Afrikanerinnen und Afrikaner, deren Identität nicht nachgeprüft werden konnte, drei Tage lang in einer Transitzone am Flughafen von Dakar aufhalten, damit ihre Staatsangehörigkeit vor Ort überprüft werden kann. Falls die Abklärungen ergebnislos verlaufen, sollten sie anschliessend wieder in die Schweiz zurückgeführt werden. Beobachter weisen darauf hin, dass ein solches Transitabkommen weltweit einmalig ist und dass sich deswegen Nutzen und Risiken dieses Instruments nur schwer abschätzen lassen19.
- 20 „Abdoulaye Wade : l’Afrique n’est pas un continent où il suffit d’injecter de temps en temps des fo (...)
- 21 Die ersten Bestrebungen zur Errichtung einer Migrationsaussenpolitik zielten in erster Linie auf di (...)
- 22 „Kinshasa refuse un avion rempli de réfugiés congolais déboutés“, Le Courrier, 29. September 2003.
30Im Senegal wurde seitens der NGO grosser Druck gegen das nur auf Ministerebene ausgehandelte Abkommen ausgeübt. Sie machten geltend, das Abkommen würde das Land zum „Auffangbecken Westafrikas“20 degradieren und wegen der möglichen Charterflüge mit Einwanderern die Beziehungen zu den Nachbarstaaten belasten, und lehnten diesen Versuch zum Aufbau einer Migrationsaussenpolitik in Afrika ab21. Die Demokratische Republik Kongo ihrerseits verweigerte im September 2003 einer Maschine mit abgewiesenen Asylsuchenden an Bord die Landeerlaubnis22. Wie jedoch die Verhandlungen zu einem Abkommen mit Nigeria zeigen, ist der Aufbau einer Migrationsaussenpolitik nach wie vor aktuell.
31Ebenfalls im aussenpolitischen Zusammenhang ist auf europäischer Ebene die Inbetriebnahme des Systems EURODAC im Januar 2003 zu erwähnen. Diese Datenbank für den Vergleich digitaler Fingerabdrücke dient den europäischen Ländern als wichtigstes technisches Hilfsmittel im Asylbereich. Damit gewinnt für die Schweiz das Dublin-Dossier (Jahrbuch 2003, Nr. 1, S. 221), welches Teil der Bilateralen Verhandlungen II zwischen der Schweiz und der Europäischen Union ist, noch grössere Bedeutung.
32Ferner sah die Schweiz davon ab, die Internationale Konvention über den Schutz der Rechte aller Wanderarbeiter und ihrer Familienangehörigen (Migrant Workers Convention, MWC) zu unterzeichnen, welche das Verbot der Diskriminierung der Wanderarbeiter aufgrund ihrer Rasse oder Nationalität verankert. Die Konvention trat am 1. Juli 2003, dreizehn Jahre nach ihrer Verabschiedung durch die UNO-Vollversammlung 1990, in Kraft. Allerdings ist sie bisher von keinem einzigen OECD-Land unterzeichnet worden.
- 23 „L’ODR se livre au grand public“, Asylon, März 2003.
33Das BFF hat die Anstrengungen im Bereich der Kommunikation über das Asylwesen, das nach wie vor für öffentliche Diskussionen sorgt, weiter verstärkt (Jahrbuch 2000, S. 273). Im Anschluss an eine umfassende Neugestaltung seiner Publikationen begann das Amt, an verschiedenen Gewerbeausstellungen und Messen den Kontakt mit der Öffentlichkeit zu suchen23. Ferner brachte das BFF mit swiss-checkin.ch ein Multimedia-Spiel über Asylfragen heraus, das sich primär an Jugendliche richtet und auf spielerische Weise Informationen über das Asylwesen vermittelt.
- 24 „L’asile n’est pas un jeu“, Vivre ensemble, Nr. 93, Juni 2003.
34Das Spiel, dessen Nutzen vom BFF positiv beurteilt wurde, stiess bei der Eidgenössischen Rassismuskommission und bei den Verteidigern des Asylrechts auf Kritik : Obwohl an sich nicht rassistisch, bediene sich das Spiel auf subtile Weise der sozialen und emotionalen Kluft zwischen Schweizern und Flüchtlingen und trage dazu bei, diese noch zu vertiefen. Damit fördere das Spiel die Ablehnung und den Ausschluss von Asylsuchenden24. Angesichts dieser Kritiken beschloss das BFF sehr rasch, das Spiel von seiner Website zu entfernen.
35Die parlamentarische Beratung über das neue Ausländergesetz (Jahrbuch 2001, S. 317-318) dürfte noch auf sich warten lassen, denn die Vernehmlassung über den Gesetzesentwurf machte eine ausgeprägte Polarisierung der Standpunkte deutlich (Jahrbuch 2002, S. 236). Es steht deshalb zu erwarten, dass die parlamentarische Debatte vertagt wird. Vor einer Stellungnahme zum Entwurf forderten die Arbeitgeberverbände Informationen über die Auswirkungen des freien Personenverkehrs zwischen der Schweiz und der EU. Im Brennpunkt steht gegenwärtig die Frage, ob im Zuge der für Mai 2004 geplanten EU-Erweiterung die Personenfreizügigkeit auch auf die neuen Mitgliedsländer ausgeweitet wird.
- 25 Integrationsbüro EDA/EVD, Bilaterale Abkommen I Schweiz – EU : Erste Erfahrungen ein Jahr nach Inkr (...)
36Trotz aller Befürchtungen wirkte sich das In-Kraft-Treten der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU am 1. Juni 2002 nicht massgeblich auf die Migrationsströme aus. Angesichts der 15’000 Personen aus der EU, die in der Schweiz eine Stelle angetreten oder sich hier niedergelassen haben, kann weder von einer Einwanderungsflut, noch von einer Destabilisierung des Arbeitsmarktes oder von Lohndumping die Rede sein25.
37Zwar befindet man sich derzeit noch in einer Übergangsphase, in der – namentlich zum Schutz der einheimischen Arbeitskräfte und zur Lohnüberwachung – Arbeitsbewilligungen von offizieller Stelle erteilt werden. Ab Juni 2004 jedoch werden diese Vorkehrungen durch die flankierenden Massnahmen gegen das Lohn- und Sozialdumping abgelöst. Beim Personenfreizügigkeitsabkommen sind neue Verhandlungen über dessen Ausdehnung auf die zehn Länder erforderlich, die der EU 2004 beitreten werden.
38Kaum haben sich die ersten Befürchtungen in Bezug auf die Personenfreizügigkeit gelegt, wirft die nächste Etappe – nämlich die Ausdehnung des freien Personenverkehrs auf die zehn künftigen EU-Mitglieder – neue Fragen auf. Die Behörden begrüssen die Osterweiterung als weiteren Schritt zur Sicherung des Friedens auf dem europäischen Kontinent und die Ausdehnung des Binnenmarktes auf 450 Millionen Personen als Garant für Wirtschaftswachstum. Darüber hinaus verfügten die neuen EU-Mitglieder neben einem hohen Bildungsniveau und qualifizierten Fachleuten auch über Arbeitskräfte, die der Nachfrage der Landwirtschaft und des Tourismus in der Schweiz entsprechen.
39Am 14. Mai 2003 schickte der Bundesrat das Verhandlungsmandat über die Personenfreizügigkeit in Konsultation. Gegenstand der Gespräche werden angemessene Übergangsregelungen sein, die sich an den auf sieben Jahre befristeten Übergangsbestimmungen im Bereich des freien Personenverkehrs mit den 15 bisherigen EU-Mitgliedsstaaten anlehnen. Es handelt sich um ein relativ heikles Dossier, denn der Zustrom von Arbeitskräften aus dem Osten wird zwar von gewissen Kreisen begrüsst, von anderen jedoch gefürchtet.
- 26 Jean-Claude Rennwald, „Immigration, le vrai débat“, L’Evénement syndical, Mai 2003.
- 27 Im Mai 2003 hat die Staatspolitische Kommission des Nationalrates den Grundsatz befürwortet, wonach (...)
40Die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit wird vom SGB grundsätzlich positiv beurteilt. Hingegen befürchtet die Gewerkschaft Bau und Industrie ein Lohn- und Sozialdumping und fordert weitere Schutzmassnahmen, namentlich gleich lange Übergangsfristen wie in Deutschland und Österreich, den Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen in Sektoren, die noch keine solchen Verträge haben (Landwirtschaft, Reinigungsbranche, Transportgewerbe), und die Übernahme gewisser europäischer arbeitsrechtlicher Normen durch die Schweiz26. Am entgegengesetzten Ende des politischen Spektrums lehnt die SVP die Ausdehnung des Abkommens über die Personenfreizügigkeit ab und hat bereits angekündigt, gegebenenfalls das Referendum zu ergreifen27.
41Die frühestens für Anfang 2005 geplante Ratifizierung des Abkommens sorgt also bereits heute für Diskussionen. Es steht einiges auf dem Spiel, denn ein Nein zu diesem Dossier würde automatisch die Kündigung aller sieben Bilateralen Abkommen aus dem Jahr 1999 bedeuten.
- 28 90 % der eingegangenen Regularisierungsanträge stammen aus den Kantonen Genf, Waadt, Neuenburg, Fre (...)
42Die Debatte über die Zulassungspolitik wird nach wie vor von der „Sans-Papiers“-Problematik überschattet. Seit Dezember 2001, als sich im Anschluss an die Veröffentlichung des Metzler-Rundschreibens ein Ausweg abzeichnete (Jahrbuch 2003, Nr. 1, S. 231-232), hat sich Enttäuschung breit gemacht : Von den mehreren Tausend Personen ohne reguläre Aufenthaltsgenehmigung (Schätzungen sprechen von 70’000 bis 180’000) haben seit September 2001 lediglich 500 ihren Aufenthalt legalisieren können28 – aus der Sicht gewisser politischer Akteure eine unbefriedigende Bilanz. Das Genfer Kantonsparlament beispielsweise forderte in einer von sämtlichen Fraktionen mitgetragenen Motion die Regularisierung der Sans-Papiers und unterstützte damit einen ähnlichen Vorstoss der Kantonsregierung. Diese hatte im Oktober 2003 in einem Schreiben an das Collectif de soutien aux sans-papiers die Schwachstellen der schweizerischen Migrationspolitik in Bezug auf die Zulassung angeprangert und den Genfer Conseil de surveillance du marché de l’emploi aufgefordert, sich zu dieser Problematik zu äussern, die in einem engen Zusammenhang mit der Überwachung des Arbeitsmarktes steht.
- 29 „Neuer Ruf nach Bewilligungen für Papierlose. Caritas Schweiz für bedingte Regularisierung“, Neue Z (...)
43Caritas wiederum beurteilt das geltende Regularisierungsverfahren für Härtefälle als ineffizient und unzureichend und spricht sich resolut für eine kollektive Regularisierung aller Sans-Papiers aus, welche nicht zum Asylbereich zählen29. Gleichzeitig fordert das Hilfswerk eine teilweise Öffnung des schweizerischen Arbeitsmarktes für Personen ausserhalb der EU und der EFTA.
44In drei Jahren schlägt man Wurzeln : So oder ähnlich könnte das Motto der In tegrationspolitik lauten, die heute einen festen Platz in der politischen Landschaft der Schweiz einnimmt. Im vergangenen Jahr standen zwei Themen im Vordergrund, nämlich die Neuausrichtung der aktiven Integrationspolitik und das Umdenken in Bezug auf das Einbürgerungskonzept und die damit verbundenen Praktiken. Aber auch die auswegslose Situation in der „Sans-Papiers“-Frage rief in verschiedenen Kreisen Reaktionen hervor.
45Nach der Verabschiedung des Artikels über die Integration der Einwanderer im Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) (Jahrbuch 2001, S. 317) wurden die Bundesbehörden mit der Förderung der Integration beauftragt. Für die Jahre 2002 und 2003 verfügte die Eidgenössische Ausländerkommission (EKA) über einen Kredit von 12,5 Millionen Franken. Gegenwärtig ist eine Teilrevision der Integrationsverordnung vom Oktober 2000 im Gange.
- 30 IMES (Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung – seit dem 1. Mai 2003 gültige neue B (...)
46Seitens der Behörden ist man bestrebt, Neuerungen rasch einzuführen und nicht abzuwarten, bis das neue Ausländergesetz den langen Weg der parlamentarischen Beratung mit seinen zahlreichen Hürden absolviert hat. Die Vorlage, die sich derzeit in der Vernehmlassung befindet, setzt neue Prioritäten für vom Bund finanzierte Projekte : Förderung der Verständigung (über Sprachkurse), Öffnung der Institutionen für die ausländische Bevölkerung, Erleichterung des Zusammenlebens, Entwicklung von Kompetenzzentren sowie Innovation und Qualitätssicherung der unterstützten Projekte30.
- 31 Damit berücksichtigt die neue Verordnung die von Einwandererkreisen erhobene Kritik am eingeschränk (...)
47Darüber hinaus umfasst der Revisionsentwurf zwei wesentliche Neuerungen. Zum einen wird der Geltungsbereich auf Gruppen von Einwanderern ausgedehnt, die nicht im Besitz einer Niederlassungsbewilligung (B- oder C-Bewilligung) sind31. Auf diese Weise sollen auch Inhaberinnen und Inhaber einer F-Aufenthaltsbewilligung Zugang zu den Integrationsmassnahmen erhalten, die seit dem Jahr 2000 schrittweise eingeführt werden. Das Pendant zu diesem Vorschlag besteht in der Teilrevision des Asylgesetzes, die unter anderem eine humanitäre Aufnahme für Asylsuchende vorsieht, deren Rückführung nicht zumutbar oder gar widerrechtlich ist und die deshalb mittel- bis längerfristig in der Schweiz bleiben werden. Als einzige Gruppe bleiben somit nur noch jene Asylsuchenden von den Integrationsmassnahmen ausgeschlossen, in deren Fall noch kein definitiver Entscheid vorliegt oder die provisorisch aufgenommen wurden, da ihre Rückführung derzeit nicht möglich ist.
- 32 Teilrevision der Integrations- und der Begrenzungsverordnung. Erläuternder Bericht zur VIntA (SR 14 (...)
48Zum anderen wollen die Behörden mit der Verordnung das Konzept der Gegenseitigkeit des Integrationsprozesses zwischen Einwanderern und Wohngesellschaft verankern, indem von den Migrantinnen und Migranten ein grösseres Engagement gefordert wird. Dazu gehört unter anderem die Forderung, die schweizerische Rechtsordnung zu beachten und sich um den Erwerb der Landessprache zu bemühen. Durch ein System von Anreizen (namentlich die vorzeitige Verleihung der Niederlassungsbewilligung) und Sanktionen soll das Verhalten der Migrantinnen und Migranten belohnt, beziehungsweise „bestraft“ werden. Das Beherrschen der Landessprache soll für Personen verpflichtend werden, die in der Schweiz eine öffentliche Funktion ausüben wollen, beispielsweise als religiöse Betreuungsperson oder als Lehrperson für heimatlichen Sprach- und Kulturunterricht32.
49Schliesslich hat das BFA im Februar 2003 die Schweizerische Konferenz der kommunalen, regionalen und kantonalen Integrationsdelegierten (KID) ins Leben gerufen, um auf Gemeindeebene die Koordination und den horizontalen Erfahrungsaustausch in Bezug auf Integrationsfragen zu erleichtern. Die tripartite Agglomerationskonferenz dagegen stellt die vertikale Koordination zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden sicher. Sie hat empfohlen, auf subnationaler Ebene interdepartementale Stellen zu schaffen.
50Noch bevor das neue Ausländergesetz (AuG) beschlossen werden konnte, erforderte das am 1. Januar 2004 in Kraft getretene neue Berufsbildungsgesetz (BBG) eine Änderung des bestehenden Ausländergesetzes (ANAG), welche den vorzeitigen Nachzug von Kindern begünstigt und jugendlichen Ausländerinnen und Ausländern, die im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz gekommen sind, den Zugang zur Berufsbildung garantiert.
51Im Juni 2003 folgte der Ständerat dem Nationalrat und sprach sich mit deutlicher Mehrheit für eine erleichterte Einbürgerung für junge Ausländerinnen und Ausländer der zweiten Generation und für die Anwendung des Ius Soli für die der dritten Generation aus. Während Einigkeit darüber herrschte, dass die Einbürgerung nach dem Ius Soli bei der Geburt erfolgen soll, wünschte eine Minderheit, dass dazu ein Antrag der Eltern erforderlich sein sollte. Gemäss dem verabschiedeten Text wird die Schweizer Staatsbürgerschaft automatisch bei der Geburt verliehen, es sei denn, die Eltern erheben dagegen Einspruch. Dieses Vorgehen gewährleistet in zahlreichen Fällen, dass die ursprüngliche Staatsbürgerschaft beibehalten werden kann (Jahrbuch 2003, Nr. 1, S. 233). Da diese neuen Bestimmungen eine Verfassungsänderung erfordern, werden die Stimmbürgerinnen und -bürger an der Urne darüber entscheiden müssen.
- 33 „Akt der Realpolitik. Kein gesetzliches Rekursrecht bei Nichteinbürgerung“, Neue Zürcher Zeitung, 2 (...)
52Hingegen sprach sich die kleine Kammer gegen die Einführung eines Beschwerderechts für Einbürgerungswillige aus, deren Antrag abgelehnt wurde. Dieser Vorschlag lehnt sich an das Übereinkommen des Europarates zur Verringerung der Fälle der Staatenlosigkeit an. Die Debatte zu dieser Frage war äusserst lebhaft. Verschiedentlich wurde geltend gemacht, eine Berufungsmöglichkeit gegen einen vom Souverän gefällten Entscheid untergrabe das Fundament der direkten Demokratie. Im Anschluss an den Bundesgerichtsentscheid (siehe weiter unten) beschloss der Bundesrat, in der Vorlage auf seinen ursprünglichen Vorschlag des Beschwerderechts zu verzichten33.
- 34 „Emmen refuse de naturaliser des citoyens d’ex-Yougoslavie“, Le Temps, 1. Juli 2003.
53Am 29. Juni 2003 lehnten die Stimmbürger der Gemeinde Emmen erneut die Einbürgerung von Personen aus der Balkanregion ab, während Personen mit italienischem Pass oder aus einem anderen Nicht-EU-Land das Schweizer Bürgerrecht zuerkannt wurde34. Nur wenige Tage später äusserte sich das Bundesgericht (BG) in einem öffentlichen Verfahren zu der Berufung von fünf einbürgerungswilligen Personen, deren Gesuch im Jahr 2000 von der Gemeindeversammlung in Emmen abgelehnt worden war (Jahrbuch 2001, S. 321-322).
- 35 „Zwei Machtworte zur Einbürgerung. Diskriminierung verboten – Begründung erforderlich“, Neue Zürche (...)
54Die Bundesrichter sprachen sich in erster Linie gegen die SVP-Initiative in der Stadt Zürich aus, wonach Einbürgerungen vom Stimmvolk gutgeheissen werden müssen. Das Urteil bestätigte den Entscheid der Zürcher Kantonsregierung, welche die Initiative als verfassungswidrig erklärte. Darüber hinaus hiess das Bundesgericht – in Übereinstimmung mit dem ersten Entscheid – den Rekurs gegen die in Emmen abgelehnten Einbürgerungsgesuche gut. Das Gericht vertritt die Auffassung, dass für das Einbürgerungsverfahren dieselben grundlegenden Regeln wie für jeden anderen behördlichen Entscheid gelten müssen und die Einbürgerung per Urnenentscheid mit diesen Grundsätzen unvereinbar ist35. Das Gericht hielt fest, dass direktdemokratische Verfahren nicht geeignet sind, um Rechtsnormen auf Einzelfälle anzuwenden. In einem einstimmigen Beschluss hielt die erste öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts fest, dass die Einführung der Urnenabstimmung über Einbürgerungsgesuche gegen das verfassungsmässige Recht der Gesuchsteller auf einen begründeten Entscheid verstösst. Hingegen äusserte sich das Bundesgericht nicht zu von Gemeindeversammlungen gefällten Entscheiden, die ebenfalls keine Begründung für eine Ablehnung des Gesuchs erlauben.
- 36 „Kein rechtsfreier Raum bei Einbürgerungen. Bundesgericht begründet Urteile“, Neue Zürcher Zeitung, (...)
55In den einstimmig verabschiedeten Erwägungen macht das Bundesgericht geltend, dass das Diskriminierungsverbot gemäss Artikel 8 der Bundesverfassung dem Ermessensspielraum der Behörden Grenzen setzt. Die Behörden sind verpflichtet, die Grundrechte, nämlich den Anspruch auf rechtliches Gehör und auf die Wahrung der Persönlichkeitsrechte, zu schützen. Direktdemokratische Verfahren sind in Fällen anwendbar, in denen alle Bürger potenziell betroffen sind. Sie gewährleisten jedoch keinen angemessenen Schutz der Grundrechte des Einzelnen. Die direkte Demokratie stösst damit bei den verfassungsmässigen Rechten an ihre Grenzen36. Das Bundesgericht forderte die Gemeinden auf, Einbürgerungsverfahren festzulegen, die mit den Grundrechten vereinbar sind.
56Das Urteil des Bundesgerichts wurde von Einwandererkreisen, von der Eidgenössischen Ausländerkommission und von der Eidgenössischen Rassismuskommission begrüsst, rief jedoch in Dutzenden Deutschschweizer Gemeinden, die ihre Einbürgerungsverfahren neu definieren müssen, Unmut hervor.
- 37 In diesem Sinne äusserte sich Alt-Bundesrat Arnold Koller, der als zuständiger Departementschef die (...)
- 38 „Das Bundesgericht zwischen Recht und Macht“, Neue Zürcher Zeitung, 5. August 2003.
57Der Entscheid der Bundesrichter ist umstritten : Verschiedene Exponenten der schweizerischen Politlandschaft bedauerten, dass die Rechtssprechung an die Stelle der Politik getreten sei37. Beobachter machten geltend, dass der Grundsatzentscheid aus technischer Sicht zwar überzeugend sei, bei zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern jedoch den direktdemokratischen Nerv getroffen habe. Ein Brückenschlag zwischen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sei nicht absehbar38. Da das Bundesgericht lediglich befugt ist, die Vereinbarkeit von Rechtshandlungen mit dem geltenden Recht zu prüfen, liegt die Ausgestaltung der Macht der Gerichtsbarkeit letztlich beim Volk und beim Gesetzgeber. Hingegen hofft das Bundesgericht, dass sein Urteil dem Gesetzgeber zu der Einsicht verhilft, dass die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in jedem Fall überwiegen.
- 39 „Les délégués du parti lancent deux initiatives sur l’asile et les naturalisations“, Le Temps, 15. (...)
58Als Reaktion auf den als skandalös beurteilten Bundesgerichtsentscheid will die SVP im März 2004 eine Initiative zum Thema Einbürgerungen lancieren, die den Gemeinden die Befugnis verleihen soll, selbst zu entscheiden, welches Organ für Einbürgerungsentscheide zuständig ist39.
- 40 „Une initiative populaire veut effacer le vote des étrangers de la Constitution“, Le Courrier, 18. (...)
59Bei der Frage der politischen Rechte der Ausländerinnen und Ausländer sind zögerliche Fortschritte erkennbar. Die Änderung des Gesetzes über die Ausübung der politischen Rechte wurde vom Waadtländer Kantonsparlament gutgeheissen. Mit dieser Änderung, die am 1. Januar 2004 in Kraft treten sollte, ist die Grundlage für die Ausübung des in der neuen Kantonsverfassung verankerten Stimmrechts für Ausländerinnen und Ausländer auf Gemeindeebene gegeben. Gleichzeitig jedoch ergriff ein nach eigenen Angaben unabhängiges Komitee das Referendum gegen dieses Recht, obwohl dieses im Rahmen der Abstimmung über die neue Kantonsverfassung vom Stimmvolk gutgeheissen wurde40. Im Kanton Bern lehnte die politische Rechte einen Vorschlag der Kantonsregierung ab, wonach den Gemeinden die Möglichkeit gegeben werden sollte, ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern das aktive und sogar das passive Wahlrecht zu verleihen. Dagegen kam im Kanton Genf eine Initiative zur Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts von Ausländern auf Gemeindeebene zustande. Die Vorlage dürfte im kommenden Jahr zur Abstimmung gelangen.
- 41 „L’UDC veut replacer l’asile dans la campagne“, Le Temps, 11. Juli 2003.
60Zahlreiche Beobachter führen das zunehmende politische Gewicht der SVP auf die Art und Weise zurück, wie die Partei die Anwesenheit ausländischer Bevölkerungsgruppen in der Schweiz thematisiert. Seit den Wahlen vom 19. Oktober 2003 ist die SVP aufgrund der Sitzverteilung im Nationalrat die stärkste Fraktion. Damit steht zu erwarten, dass im Hinblick auf die ausländische Bevölkerung in der Schweiz neue politische Akzente gesetzt werden. Die SVP ist entschlossen, in dieser Frage auch weiterhin Druck auszuüben : Noch vor den Wahlen hatte sie die Lancierung einer weiteren Asylinitiative angekündigt – es wäre die dritte Initiative zu diesem Thema. Der Vorstoss verlangt, dass jede Person, die über einen Drittstaat in die Schweiz gelangt ist, ungeachtet einer allfälligen Weigerung dieses Landes dorthin zurückgeführt wird, dass auf die Gesuche von Personen, die ohne gültige Papiere oder illegal in die Schweiz gelangt sind, nicht eingetreten wird, und dass straffällige Asylsuchende ausgewiesen werden. Neben den Asylsuchenden hat die SVP bereits eine weitere politische Zielscheibe identifiziert : Sie macht sich dafür stark, den illegalen Aufenthalt in der Schweiz als Straftat zu qualifizieren, die mit Gefängnis und sofortiger Ausweisung geahndet wird41. Nachdem Christoph Blocher, der starke Mann der SVP, in den Bundesrat gewählt wurde und seit dem 1. Januar 2004 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement leitet, welches für Asyl- und Migrationsfragen zuständig ist, und nachdem der bisherige Direktor des Bundesamtes für Flüchtlinge, Jean-Daniel Gerber, zurückgetreten ist, dürfte ein Kurswechsel nicht auf sich warten lassen.