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HauptseiteBänder23-11. Teil : Fakten1. Aussenpolitik

Zusammenfassung

Am ersten Januar 2003 trat Micheline Calmy-Rey als Nachfolgerin von Bundesrat Joseph Deiss das Amt der Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) an. Die neue Bundesrätin tritt für eine sichtbare und kohärente Aussenpolitik ein und will die Bereiche Friedensförderung und humanitäres Völkerrecht stärken. Wie auch von der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates angeregt, soll das diplomatische Aussennetz überprüft werden. Die Zusammenarbeit zwischen den Botschaften und den Koordinationsbüros der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) will die Departementschefin stärken und Synergien ausschöpfen1.

Als Vollmitglied der Vereinten Nationen konnte die Schweiz ihre aussenpolitischen Interessen besser wahrnehmen. Als Grundlage dazu diente weiterhin der Aussenpolitische Bericht des Bundesrates aus dem Jahr 20002. Durch den UNO-Beitritt ist der Bundesrat gehalten, sich in der internationalen Politik klar zu positionieren. Der Irakkonflikt war eines dieser Ereignisse, zu welchem die Schweiz Stellung nahm.

Im israelisch-palästinensischen Konflikt nahm die Schweiz eine aktive Rolle als humanitärer Akteur wahr und unterstützte eine Friedensinitiative der israelischen und palästinensischen Zivilgesellschaft.

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Volltext

1.1. Die Schweiz und die UNO

Bilanz des Bundesrates nach dem UNO-Beitritt

  • 3 Bundesrat, Bericht 2003 über die Zusammenarbeit der Schweiz mit der Organisation der Vereinten Nati (...)

1Ein halbes Jahr nach dem UNO-Beitritt der Schweiz unterbreitete der Bundesrat dem Parlament den ersten Jahresbericht über die Zusammenarbeit der Schweiz mit der Organisation der Vereinten Nationen3. Der vom Parlament kritisch zur Kenntnis genommene Bericht berichtet einerseits über die Aktivitäten der Schweiz anlässlich der 57. Generalversammlung der UNO und andererseits über die Zukunftsperspektiven und Prioritäten der Zusammenarbeit der Schweiz mit der UNO. Zusammenfassend zieht der Bundesrat eine positive Bilanz : „Als Mitglied vermochte die Schweiz ihren Standpunkten mehr Nachdruck zu verleihen und ihre Interessen besser zu verteidigen. Sie konnte ebenfalls, oft im Anschluss an Aktionen in Prioritätsbereichen, im Rahmen der Generalversammlung Initiativen ergreifen.“ Ein grosser Erfolg für die Schweiz stellte das an der 57. Generalversammlung verabschiedete Zusatzprotokoll zur Folterkonvention dar.

Jahrbuch 2004, Nr. 1, Kap. 9.4, „Menschenrechtspolitik“.

Einschätzung des UNO-Beitritts durch Zivilgesellschaft und Bevölkerung

2An der zweiten „NGO-Konferenz zur UNO“ würdigten die Schweizer Nichtregierungsorganisationen den UNO-Beitritt und diskutierten den Bericht des Bundesrates4. Die NRO forderten, dass sich die Schweiz in verschiedenen Bereichen aktiver, engagierter und kohärenter zeigen sollte. Sie befanden ausserdem, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Bundesverwaltung und NRO noch verbessern liesse. Insbesondere kleinere Organisationen mit Erfahrungen in Spezialgebieten und engen Kontakten zu den betroffenen Bevölkerungskreisen könnten einen wertvollen Beitrag zur Politikformulierung leisten. Gleichzeitig wurde auch eine engere Beteiligung des Parlaments in UNO-Belangen gefordert.

  • 5 Neue Zürcher Zeitung, 1. Februar 2002.
  • 6 economiesuisse, Finanz-Monitoring : Kosten der Aussenbeziehungen expandieren, 23. April 2003, http: (...)

3Der Unternehmerverband economiesuisse befürwortete zwar den UNO-Beitritt, da sich die UNO seit einigen Jahren für eine marktwirtschaftliche Ordnung einsetze und ein Beitritt der Schweiz wirtschaftliche Vorteile bringe5. Der Verband ist aber der Meinung, dass der finanzielle Beitrag der Schweiz an die Vereinten Nationen nicht erhöht werden sollte. Da sich die Pflichbeiträge mit dem UNO-Beitritt erhöht hätten, müsse die Schweiz die freiwilligen Beiträge kürzen und sich nur dort beteiligen, wo sie komparative Vorteile besitze6.

  • 7 Haltiner Karl, Wenger Andreas, Bennett Jonathan, Tresch Tibor Szvircsev, Sicherheit 2003, Aussen-, (...)

4Die Schweizer UNO-Politik konnte 2003 in der Bevölkerung auf breite Unterstützung zählen ; der Beitritt zur Organisation wurde keinesfalls bereut. In einer Umfrage vom Februar 2003 für die Publikation „Sicherheit 2003“ wünschten 59 Prozent der Befragten, dass sich die Schweiz aktiv für die Anliegen der UNO einsetzen und der Organisation Friedenstruppen zur Verfügung stellen solle ; 55 Prozent sähen die Schweiz gerne im UNO-Sicherheitsrat vertreten7. In einer zweiten Befragung nach dem Irakkrieg im April 2003 befanden sogar 65 Prozent der Bevölkerung, dass sich die Schweiz aktiv und an vorderster Linie für die Ziele der UNO einsetzen solle.

5Die Vereinten Nationen haben in der Schweiz durch die Ereignisse um den Irakkrieg nicht an Legitimität eingebüsst. Acht Personen von zehn waren der Ansicht, dass nur die UNO und sonst niemand das internationale Recht durchsetzen dürfe ; 96 Prozent fanden es wichtig, dass sich die Staaten ans internationale Recht halten.

Die 58. Generalversammlung der UNO

  • 8 Pressemitteilung EDA, 20. August 2003 ; siehe auch den Bericht des Bundesrates über die Zusammenarb (...)

6Für die am 16. September 2003 eröffnete 58. Generalversammlung setzte sich die Schweiz folgende drei Schwerpunkte : Stärkung der Rolle der UNO und Umsetzung der Reformen, Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele und Engagement für eine nachhaltige Entwicklung sowie Förderung der Menschlichen Sicherheit8.

Stärkung der Rolle der UNO und Umsetzung der Reformen

  • 9 Die Schweiz unterstützt auch die Umsetzung der Reformvorschläge des Brahimi-Berichts, welche im Rah (...)

7Das an der 57. Generalversammlung vorgelegte Reformpaket von UNO-Generalsekretär Kofi Annan, Agenda for further change zur Verbesserung des Zusammenhalts, der Kohärenz und der Effizienz der UNO, kann auf die Unterstützung der Schweiz zählen9.

8Die Schweiz möchte die Rolle der Vereinten Nationen in wirtschaftlichen und sozialen Fragen neu definieren. Wechselbeziehungen zwischen der internationalen Sicherheit und der wirtschaftlichen Entwicklung sollen besser berücksichtigt werden und die Beziehungen zwischen der UNO, den Bretton-Woods-Institutionen und der WTO sollen überprüft werden. Auch möchte die Schweiz die Generalversammlung beleben und ihre Relevanz erhöhen. Dies soll mit einer verkleinerten Zahl von Traktanden, kürzeren Berichten und der Vermeidung einer Häufung von sich überschneidenden Resolutionen geschehen. Die Schweiz unterstützt ferner eine Reform des Sicherheitsrates. Insbesondere wünscht sie, dass sich die Arbeitsmethoden des Gremiums in Richtung höhere Transparenz und erweiterte Beteiligungsmöglichkeiten für alle Mitglieder (nicht nur für die fünf ständigen Mitglieder) und für Nichtmitglieder weiter entwickeln. Ausserdem stimmt sie einer erweiterten und repräsentativeren Zusammensetzung des Sicherheitsrates sowie einem eingeschränkten Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder zu.

Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele und Engagement für eine nachhaltige Entwicklung

9Die Schweiz unterstützt die acht Millenniums-Entwicklungsziele, da sie die ärmsten Länder in den Mittelpunkt der internationalen Entwicklungsbemühungen stellen und alle für die nachhaltige Entwicklung der Menschheit wesentlichen Bereiche umfassen. Die Schweiz will sich aktiv an der Millenniumskampagne und an der Ausgestaltung des Monitorings zur Umsetzung beteiligen. Damit soll die globale politische Akzeptanz und Anerkennung der Entwicklungsziele gesichert werden.

10Das Engagement für die nachhaltige Entwicklung in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Umwelt wird fortgesetzt, eine bessere Koordination dieser Bereiche im UNO-System gefördert, und es wird an der Verwirklichung der an den grossen Weltkonferenzen eingegangenen Verpflichtungen gearbeitet.

Förderung der Menschlichen Sicherheit

11Die Schweiz setzt sich für eine vermehrte Ausrichtung der UNO-Prioritäten auf Aktivitäten im Bereich der Menschlichen Sicherheit ein. Die Themen Minen, leichte Waffen, Kinder in bewaffneten Konflikten und die Rolle nichtstaatlicher Akteure in Konfliktsituationen stehen dabei im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Jahrbuch 2004, Nr. 1, Kap. 11.3, „Menschliche Sicherheit“.

Die Beiträge der Schweiz ans UNO-System

12Der UNO-Beitritt der Schweiz bringt Veränderungen der Zahlungsverpflichtungen an die Organisation mit sich. Die Vollmitgliedschaft erfordert Beiträge in den drei Bereichen Reguläres Budget, UNO-Gerichtshöfe und Friedenserhaltende Operationen. Der Beitragssatz für das ordentliche Budget von derzeit 1,6 Milliarden US-Dollar wird durch die Wirtschaftskraft des jeweiligen Mitgliedslandes bestimmt. Der höchste Beitragssatz liegt bei 22 Prozent, der tiefste bei 0,001 Prozent des regulären Budgets. Der Beitragssatz der Schweiz wurde auf 1,274 Prozent festgelegt. Damit belegt sie den 14. Platz aller Beitragszahler.

13Die wichtigsten Beiträge fliessen aus den Ländern USA (22 %), Japan (19,5 %), Deutschland (9,8 %), Frankreich (6,5 %), Grossbritannien (5,5 %) und Italien (5,1 %). Diese sechs Staaten bestreiten zusammen über zwei Drittel des regulären UNO-Budgets.

14Das Budget für friedenserhaltende Operationen beträgt rund 3 Milliarden US-Dollar. Die Schweiz beteiligt sich hier ebenfalls mit einem Beitragssatz von 1,274 Prozent. Die zusätzlichen Kosten für die Schweiz als Vollmitglied belaufen sich (je nach Dollarkurs) auf gut 60 Millionen Franken pro Jahr. Diese Summe entspricht gut 10 Prozent der durchschnittlichen Gesamtbeiträge der Schweiz ans UNO-System.

15Im Jahr 2002 leistete die Schweiz einen Gesamtbeitrag von 717 Millionen Franken an multilaterale Institutionen.

Tabelle 1 : Überblick über die schweizerischen Beiträge an multilaterale Organisationen 2002, in Millionen Franken

Tabelle 1 : Überblick über die schweizerischen Beiträge an multilaterale Organisationen 2002, in Millionen Franken

a Im Jahr 2002 war die Schweiz nur in den letzten Monaten Vollmitglied der UNO. Die Pflichtbeiträge fürs Jahr 2003 werden dementsprechend höher ausfallen und bei provisorisch 70,7 Millionen Franken liegen (Reguläres Budget 26,3 Millionen, UNO-Gerichtshöfe 4,0 Millionen, Friedenserhaltende Operationen 40,4 Millionen Franken).

Quelle : EDA, Politische Abteilung III, UNO-Koordination

UNO-Weltgipfel über die Informationsgesellschaft

16Auf multilateraler Ebene war die Schweiz im Dezember 2003 Gastgeberland der ersten Phase des unter der Ägide der Vereinten Nationen stattfindenden Weltgipfels über die Informationsgesellschaft (WSIS). Die Schweiz stellte die Logistik zur Verfügung, sorgte für die Sicherheit und koordinierte eine Reihe von Veranstaltungen zum Gipfel. Mit ihrem Einsatz wollte sie einen Prozess in die Wege leiten, der zu einer gerechteren Informationsgesellschaft führt.

Jahrbuch 2004, Nr. 1, Kap. 9.1, „Weltgipfel über die Informationsgesellschaft“ ; 2003, Nr. 2, „Infor-mationsgesellschaft und internationale Zusammenarbeit : Development. com“.

1.2. Die Irakpolitik der Schweiz

Waffeninspektion und Abrüstung

17Im Jahr 2003 stand der Irakkonflikt im Zentrum der internationalen Politik. Als UNO-Vollmitglied nahm die Schweiz offiziell Stellung zur Irak-Krise.

  • 10 Die UNO-Kommission zur Kontrolle des irakischen Waffenhandels, United Nations Monitoring, Verificat (...)

18Am 8. November 2002 verabschiedete der UNO-Sicherheitsrat mit der Resolution 1441 den seit 1991 zehnten Beschluss zur Abrüstung des Iraks. Die Resolution verlangte von Bagdad detaillierte Informationen über seine Waffenprogramme und einen ungehinderten Zugang der Inspektoren der Unmovic10 zu vermuteten Lagern und Produktionsstätten atomarer, biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen. Die vom Irak akzeptierte Resolution enthielt nach Ansicht der Schweiz und einer Mehrheit der Staatengemeinschaft keinen Automatismus hin zu einer militärischen Intervention.

  • 11 Meeting of the Security Council on „The situation between Iraq and Kuwait“, Statement by H. E. Amba (...)

19Die Schweiz setzte sich in einer Erklärung vor dem Sicherheitsrat mit Nachdruck gegen die Proliferation von Massenvernichtungswaffen und für die Umsetzung der UNO-Resolutionen zu Abrüstung und Inspektionen im Irak ein. Gleichzeitig betonte sie, die friedlichen und diplomatischen Möglichkeiten seien voll auszuschöpfen, um einen Krieg zu verhindern. Vor einer allfälligen Gewaltanwendung müsse unbedingt der Sicherheitsrat eingeschaltet werden11.

20Mit der Entsendung von zwei Gruppen von Festungswächtern und einem Waffeninspektor im Dezember 2002 und im Januar 2003 unterstützte die Schweiz die Abrüstungsbemühungen der internationalen Gemeinschaft im Irak. Die im Rahmen der Unmovic arbeitenden Bau-Teams hatten die Aufgabe, die bis 1998 betriebene und seither teilweise verlassene logistische Basis für die UNO-Abrüstungskommission in Bagdad baulich wieder betriebsfähig zu machen.

21Am 27. Januar 2003, zwei Monate nach Beginn der Waffeninspektionen im Irak, legte die Unmovic dem Sicherheitsrat ihren vollständigen Bericht vor. Zwar wurden keine Beweise für das Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen oder von Programmen, die auf die Herstellung solcher Waffen abzielen, gefunden. Die Inspektoren warfen dem Irak jedoch schwere Versäumnisse vor und forderten gleichzeitig mehr Zeit für Inspektionen. Die Waffenkontrollen wurden mit teilweise positiven Ergebnissen weitergeführt.

22Die mit dem Bericht nicht zufriedenen Länder USA und Grossbritannien beschuldigten den Irak der Missachtung der Abrüstungsresolution 1441 und bereiteten eine neue UNO-Resolution vor, welche bei einer weiteren Missachtung der Verpflichtungen den Weg für eine militärische Intervention im Irak geebnet hätte.

  • 12 Erklärungen an den Sicherheitsrat von Pierre Helg, 18. Februar 2003, und von Jenö Stählin, 11. März (...)

23Die Schweiz sprach sich klar für eine Fortsetzung und Ausweitung der UNO-Inspektionen aus und war der Auffassung, dass es noch Wege zu einer friedlichen Streitbeilegung gäbe12. Da jedoch die Wahrscheinlichkeit für einen Krieg im Irak immer grösser wurde, organisierte die DEZA Mitte Februar ein internationales humanitäres Treffen zur Koordination der humanitären Hilfe im Irak.

Jahrbuch 2004, Nr. 1, Kap. 4.2, „Internationales humanitäres Treffen über den Irak, Genf“.

Der Krieg gegen den Irak

24Als der US-Regierung klar wurde, dass im UNO-Sicherheitsrat keine Mehrheit für eine zweite Resolution zustande kommen würde, erklärte sie am 17. März 2003 die Irakpolitik der Vereinten Nationen für gescheitert und zog mit ihrer Koalition am 20. März in den Krieg gegen den Irak.

  • 13 Erklärung an den Sicherheitsrat, Jenö Staehelin, 26. März 2003.

25In einer Erklärung vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bedauerte die Schweiz den Krieg und bezeichnete die Tatsache, dass ein vereintes Handeln des UNO-Sicherheitsrates gescheitert war, als gefährlichen Präzedenzfall für die kollektive Sicherheit. Die Schweiz forderte die Kriegsparteien auf, das humanitäre Völkerrecht zu respektieren und klar zwischen militärischem und humanitärem Handeln zu unterscheiden. Humanitäres Handeln habe zwingend den Grundsätzen der Menschlichkeit, der Unparteilichkeit und der Neutralität zu gehorchen, und das Programm „Öl für Lebensmittel“ sollte wieder aufgenommen werden. Weiter befürwortete die Schweiz eine zentrale Rolle der UNO bei der Koordination der humanitären Hilfe und die rasche Wiederherstellung der irakischen Souveränität. „Die Souveränität des Irak muss sowohl auf politischer als auch auf wirtschaftlicher Ebene wiederhergestellt werden, unter voller Wahrung seiner Einheit und seiner territorialen Integrität : Die Ressourcen des Landes gehören dem irakischen Volk und nur ihm“13.

  • 14 „Die Schweiz wird also darauf achten, dass sie in keiner Weise zu den militärischen Operationen ode (...)
  • 15 In diesem Zusammenhang hat die SP-Schweiz am 28. März 2003 bei der Bundesanwaltschaft eine Strafanz (...)

26Der Bundesrat erachtete die bewaffnete Intervention ohne Ermächtigung des Sicherheitsrates als einen bewaffneten Konflikt zwischen Staaten und wendete daher das Neutralitätsrecht an14. Dies bedeutete das Verbot von Kriegsmaterialexporten durch die Eidgenossenschaft an kriegführende Parteien und die Überwachung der Exporte von Kriegsmaterial durch Unternehmen gemäss Gesetzgebung15. Die Exporte werden dann nicht bewilligt, wenn sie entweder einen Beitrag an die militärischen Operationen leisten oder den „Courant normal“ übersteigen – das heisst wegen der militärischen Operationen zunehmen. Ausserdem ist es Flugzeugen von kriegführenden Staaten untersagt, die Schweiz zu militärischen Zwecken zu überfliegen.

27In mehreren Belangen setzte sich die Schweiz im Verlauf des Jahres 2003 für die irakische Zivilbevölkerung und für den Schutz irakischer Kulturgüter ein.

  • 16 Pressemitteilung EDA, 1. April 2003 ; International Humanitarian Law Research Initiative Monitoring (...)

28Ausserdem wurde ein Projekt zur systematischen Erfassung von objektiven Informationen über Kriegsauswirkungen auf die Zivilbevölkerung und Analysen über das humanitäre Völkerrecht im Irak realisiert. Das Informationszentrum steht Medienschaffenden und Mitarbeitern von humanitären Organisationen zur Verfügung und soll die Öffentlichkeit für die Situation der Zivilbevölkerung sensibilisieren16.

Jahrbuch 2004, Nr. 1, Kap. 4, „Humanitäre Hilfe“ ; und in Kap. 13, „Plünderung des kulturellen Erbes im Irak – Position der Schweiz“, S. 241-242.

Besatzung und Wiederaufbau

  • 17 Erklärung von Bundesrätin Calmy-Rey vor der Presse, 16. April 2003.
  • 18 „Der Bundesrat legt das Exportgesetz für Kriegsmaterial derart weich aus, dass selbst einem kriegfü (...)

29Am 15. April erklärte US-Präsident George Bush das Regime von Saddam Hussein für beendet. Nur einen Tag später hob der Bundesrat das Neutralitätsrecht auf. Er hatte festgestellt, dass die irakischen Streitkräfte nicht mehr in der Lage seien, organisierten Widerstand zu leisten, womit kein eigentlicher bewaffneter Konflikt mehr existiere17. Das aus wirtschaftlichen Gründen so früh aufgehobene Waffenexportverbot – der Bundesrat wollte den Verkauf von 32 Tiger-Kampfflugzeugen an die US Navy nicht gefährden – stiess unter den politischen Parteien und in den Medien auf teilweise harsche Kritik18.

30Gleichzeitig sprach der Bundesrat weitere 20 Millionen Franken für humanitäre Massnahmen. Es gehe jetzt darum, der leidenden irakischen Bevölkerung zu helfen und den Aufbau demokratischer Strukturen in die Wege zu leiten.

  • 19 Neue Zürcher Zeitung, „Freie Hand für die USA im Irak“, 23. Mai 2003.

31In Übereinstimmung mit der Resolution 1483 des UNO-Sicherheitsrates vom 22. Mai 200319 beschloss der Bundesrat am 30. Mai 2003, die im Jahr 1990 eingeführten Embargomassnahmen gegenüber dem Irak aufzuheben. In Kraft bleiben das Verbot der Lieferung von Rüstungsgütern sowie die Sperrung von Konten ehemaliger irakischer Regierungsmitglieder. Neu eingeführt wurden Massnahmen im Bereich der Kulturgüter. Um die Rückerstattung von gestohlenen irakischen Kulturgütern zu erleichtern, wurde der Handel mit solchen Gütern und deren Erwerb verboten ; ihr Besitz wurde einer Meldepflicht an das Bundesamt für Kultur unterstellt.

1.3. Weitere aussenpolitische Aktivitäten

Genfer Initiative : Ein Friedensprojekt für den Nahen Osten

32Mitte Oktober 2003 stellte eine Arbeitsgruppe von Israelis und Palästinensern um den ehemaligen israelischen Minister Yossi Beilin und den früheren palästinensischen Minister Yasser Abed Rabbo einen Friedensvorschlag zur Beendigung des Konflikts zwischen Israel und Palästina vor20. Während der vorausgegangenen, über zwei Jahre dauernden Arbeiten wurden die heikelsten Fragen des Konfliktes umfassend diskutiert und im Konsens bis ins Detail gelöst. Das Friedensmodell beantwortet namentlich die Fragen der Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge, der gegenseitigen Anerkennung des Staates, der israelischen Siedlungen und des Status der Stadt Jerusalem.

  • 21 NZZ am Sonntag, „Vom Berner Chalet auf die Weltbühne“, „Sharon hat ein Eigentor geschossen“, 19. Ok (...)
  • 22 tachles – Das jüdische Wochenmagazin, „Wir stehen hinter dem Projekt“ , 17. Oktober 2003.

33Das Friedensprojekt war im Herbst 2001 als private Initiative des Genfer Professors Alexis Keller und von Persönlichkeiten aus beiden Lagern, die in ihrem eigenen Namen aktiv wurden, entstanden21. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten wurde später darüber informiert und unterstützte zunehmend das Projekt im Rahmen seiner Förderung von Dialogprojekten aus den Zivilgesellschaften. Aufgrund der finanziellen und logistischen Unterstützung durch die Schweiz wird der Friedensplan „Genfer Initiative“ genannt22. Das Dokument wurde nach der Paraphierung im Oktober 2003 Bundesrätin Calmy-Rey zu treuen Händen übergeben.

34Der Friedensvorschlag, der nicht im Widerspruch zur offiziellen Road Map steht, soll gemäss Bundesrätin Calmy-Rey als Serviceleistung gesehen werden und bei offiziellen Friedensverhandlungen als Referenztext dienen. An einem feierlichen Anlass haben die Initianten den symbolischen Friedensvertrag am 1. Dezember 2003 in Genf der Öffentlichkeit vorgestellt23.

Europäische Ebene

35Die im Jahr 2003 beschlossene Erweiterung der Europäischen Union um zehn Staaten auf den 1. Mai 2004 wirkt sich direkt auf die schweizerische Aussenpolitik aus. Mit der Aufnahme der als „Transitionsländer“ bezeichneten Staaten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ungarn, Slowakei und Tschechische Republik haben diese ihre politische und wirtschaftliche Transformation weitgehend abgeschlossen und werden künftig wohl den „entwickelten Ländern“ zugerechnet werden. Letzteres gilt auch für die drei übrigen Beitrittsländer Slowenien, Malta und Zypern. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und den Beitrittsländern werden sich daher künftig vermehrt im Rahmen der Beziehungen Schweiz-EU abspielen. Vor diesem Hintergrund verhandelte die Schweiz 2003 über die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf die neuen Mitgliedsländer der EU und über eine zweite Serie bilateraler Verträge (Bilaterale II).

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Bibliografie

Jahrbuch 2004, Nr. 1, Kap. 3 „Zusammenarbeit mit Osteuropa und der GUS“ ; und Kap. 12.2 „EU-Osterweiterung“, S. 225-226.

QUELLEN

Bundesrat, Aussenpolitischer Bericht 2000 – Präsenz und Kooperation : Interessenwahrung in einer zusammenwachsenden Welt, Bern,15. November 2000 (BBl 2001 261).

Bundesrat, Bericht 2003 über die Zusammenarbeit der Schweiz mit der UNO und mit den internationalen Organisationen mit Sitz in der Schweiz, Bern, Februar 2003 (BBl 2003 2653).

Bundesrat, Bericht über die im Jahr 2002 abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge, Bern, Mai 2003 (BBl 2003 4063).

EDA, Schweiz Global, das Magazin des Departements für auswärtige Angelegenheiten, Ausgaben 2003, Bern, 2003.

Haltiner Karl, Wenger Andreas, Bennett Jonathan, Tresch Tibor Szvircsev, Sicherheit 2003, Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitische Meinungsbildung im Trend, Forschungsstelle für Sicherheitspolitik der ETHZ, Zürich, 2003.

Wenger Andreas, „Krieg und Frieden im Irak : Internationale Sicherheitspolitik im Wandel“, in Wenger Andreas (Hg.), Bulletin 2003 zur schweizerischen Sicherheitspolitik, Forschungsstelle für Sicherheitspolitik der ETHZ, Zürich, 2003.

INTERNET-ADRESSEN

EDA – Informationen zur UNO : http://www.uno.admin.ch.

Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) : http://www.eda.admin.ch.

Genfer Initiative, The Geneva Accord : http://www.monde-diplomatique.fr/cahier/proche-orient/a10414.

Gesellschaft Schweiz-UNO : http://www.schweiz-uno.ch.

International Humanitarian Law Research Initiative Monitoring IHL in Iraq : http://www.ihlresearch.org/iraq.

Swiss Foreign and Security Policy Network (SSN) : http://www.ssn.ethz.ch.

Organisation der Vereinten Nationen (UNO) : http://www.un.org.

The United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission : http://www.unmovic.org.

UN General Assembly, 58th Session : http://www.un.org/ga/58.

Vereinte Nationen Deutscher Übersetzungsdienst : http://www.un.org/Depts/german.

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Anmerkungen

1 Calmy-Rey Micheline, „Rede im Rahmen der Pressekonferenz : 100 Tage im Amt“, Bern, April 2003 ; Neue Zürcher Zeitung, „Neues Rollenbild für Schweizer Diplomaten“, 25. April 2003, und Bundesrätin Calmy-Rey Micheline, „Die Guten Dienste – Teil der Friedenspolitik“, in Neue Zürcher Zeitung, 18. August 2003.

2 Aussenpolitischer Bericht 2000, Präsenz und Kooperation : Interessenwahrung in einer zusammenwachsenden Welt, Bern, 15. November 2000.

3 Bundesrat, Bericht 2003 über die Zusammenarbeit der Schweiz mit der Organisation der Vereinten Nationen und mit den internationalen Organisationen mit Sitz in der Schweiz (03.018), Bern, 26. Februar 2003 (BBl 2003 3653).

4 Schlussfolgerungen aus der Zweiten Schweizer NGO-Konferenz zur UNO, April 2003, http://www.schweiz-uno.ch.

5 Neue Zürcher Zeitung, 1. Februar 2002.

6 economiesuisse, Finanz-Monitoring : Kosten der Aussenbeziehungen expandieren, 23. April 2003, http://www.economiesuisse.ch.

7 Haltiner Karl, Wenger Andreas, Bennett Jonathan, Tresch Tibor Szvircsev, Sicherheit 2003, Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitische Meinungsbildung im Trend, Zürich, 2003.

8 Pressemitteilung EDA, 20. August 2003 ; siehe auch den Bericht des Bundesrates über die Zusammenarbeit der Schweiz mit den Vereinten Nationen, 26. Februar 2003, und die Rede von Pascal Couchepin an der Generaldebatte der UNO-Generalversammlung, New York, 23. September 2003.

9 Die Schweiz unterstützt auch die Umsetzung der Reformvorschläge des Brahimi-Berichts, welche im Rahmen der UN-Friedensmissionen auf die Stärkung der Handlungsfähigkeit und auf eine schnelle Einsatzfähigkeit abzielen.

10 Die UNO-Kommission zur Kontrolle des irakischen Waffenhandels, United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission (Unmovic), wurde 1999 als Nachfolgeorganisation der 1998 aus dem Irak ausgewiesenen Unscom ins Leben gerufen.

11 Meeting of the Security Council on „The situation between Iraq and Kuwait“, Statement by H. E. Ambassador Jenö C.A. Staehelin, Permanent Representative of Switzerland to the United Nations, New York, 17 October 2002.

12 Erklärungen an den Sicherheitsrat von Pierre Helg, 18. Februar 2003, und von Jenö Stählin, 11. März 2003 ; Pressemitteilung Bundesrat „Irak-Krise – Die Haltung des Bundesrates“, 19. Februar 2003.

13 Erklärung an den Sicherheitsrat, Jenö Staehelin, 26. März 2003.

14 „Die Schweiz wird also darauf achten, dass sie in keiner Weise zu den militärischen Operationen oder zu den Kriegsanstrengungen beiträgt“; Pressemitteilung EDA, 20. März 2003.

15 In diesem Zusammenhang hat die SP-Schweiz am 28. März 2003 bei der Bundesanwaltschaft eine Strafanzeige wegen Verletzung des Kriegsmaterialgesetzes eingereicht.

16 Pressemitteilung EDA, 1. April 2003 ; International Humanitarian Law Research Initiative Monitoring – IHL in Iraq, http://www.ihlresearch.org/iraq.

17 Erklärung von Bundesrätin Calmy-Rey vor der Presse, 16. April 2003.

18 „Der Bundesrat legt das Exportgesetz für Kriegsmaterial derart weich aus, dass selbst einem kriegführenden Land alle möglichen Rüstungsgüter verkauft werden dürfen, sofern sie nicht unmittelbar zum Einsatz kommen. Anders gesagt : Die Schweiz hält sich beim laufenden Konflikt vornehm zurück und liefert Materialien für den nächsten.“, Tagesanzeiger, 17. April 2003.

19 Neue Zürcher Zeitung, „Freie Hand für die USA im Irak“, 23. Mai 2003.

20 Der Text der Genfer Initiative, The Geneva Accord : http://www.monde-diplomatique.fr/cahier/proche-orient/a10414.

21 NZZ am Sonntag, „Vom Berner Chalet auf die Weltbühne“, „Sharon hat ein Eigentor geschossen“, 19. Oktober 2003.

22 tachles – Das jüdische Wochenmagazin, „Wir stehen hinter dem Projekt“ , 17. Oktober 2003.

23 swissinfo, „Neues Datum für Lancierung der Genfer Initiative“, 8. November 2003, http://www.swissinfo.ch.

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Abbildungsverzeichnis

Titel Tabelle 1 : Überblick über die schweizerischen Beiträge an multilaterale Organisationen 2002, in Millionen Franken
Beschriftung a Im Jahr 2002 war die Schweiz nur in den letzten Monaten Vollmitglied der UNO. Die Pflichtbeiträge fürs Jahr 2003 werden dementsprechend höher ausfallen und bei provisorisch 70,7 Millionen Franken liegen (Reguläres Budget 26,3 Millionen, UNO-Gerichtshöfe 4,0 Millionen, Friedenserhaltende Operationen 40,4 Millionen Franken).
Abbildungsnachweis Quelle : EDA, Politische Abteilung III, UNO-Koordination
URL http://0-journals-openedition-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/sjep/docannexe/image/208/img-1.png
Datei image/png, 9,2k
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Zitierempfehlung

Papierversionen:

Christoph Stamm, „1. Aussenpolitik“Schweizerisches Jahrbuch für Entwicklungspolitik, 23-1 | 2004, 3-11.

Online-Version

Christoph Stamm, „1. Aussenpolitik“Schweizerisches Jahrbuch für Entwicklungspolitik [Online], 23-1 | 2004, Online erschienen am: 22 April 2010, abgerufen am 11 Februar 2025. URL: http://0-journals-openedition-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/sjep/208; DOI: https://0-doi-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/10.4000/sjep.208

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Autor

Christoph Stamm

Politologe.

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