III. Innenpolitik/Aussenpolitik
Volltext
1. Asylpolitik
1Die Migrationsströme haben weltweit 1993 das geschätzte Ausmass von rund 19 Millionen Menschen auf der Flucht angenommen ; weitere rund 20 Millionen Menschen sind Vertriebene im eigenen Land. Die meisten Flüchtlinge halten sich in den Ländern der Dritten Welt auf. In Europa hat der Bürgerkrieg in Jugoslawien rund 3 Millionen Menschen zu Fluchtlingen gemacht. In der Schweiz machten sie 1992 den grössten Anteil der Asylsuchenden aus. Das schweizerische Asylgesetz wurde 1979 erlassen und angesichts der steten Zunahme von Asylsuchenden dreimal im Sinne einer restriktiveren Asylpolitik und einer Beschleunigung des Asylverfahrens revidiert. Die vierte Revision ist in Vorbereitung. 1992 ist die Zahl der neu eingereichten Asylgesuche gegenüber dem Vorjahr um mehr als die Hälfte zurückgegangen. 1993 ist die Zahl der Gesuche wieder steigend, bis EndeAugust 1993 wurden bereits wieder rund 16 000 neue Asylgesuche eingereicht.
2Von 1987 bis 1991 war die Zahl der Menschen, welche in der Schweiz um Asyl nachsuchten, jedes Jahr markant gestiegen. In der ersten Hälfte der achtziger Jahre hatte die Zahl nicht so stark aber stetig zugenommen, wie Tabelle Nr. 9 ausweist. 1992 weist die Asylstatistik einen Rückgang gegenüber dem Vorjahr um mehr als die Hälfte aus : Rund 18’000 Menschen stellten ein Asylgesuch gegenüber mehr als 41’000 im Jahr 1991. Als Gründe fur den Rückgang nannte das Bundesamt fur Flüchtlinge die gesunkene Attraktivität der Schweiz als Asylland aufgrund folgender Tatsachen : die Beschleunigung des Asylverfahrens, die schlechte Arbeitsmarktlage, das Arbeitsverbot von drei Monaten. Durch den Krieg im ehemaligen Jugoslawien, das eine wichtige Durchgangsroute fur Schlepperorganisationen war, befindet sich die Schweiz nun etwas abseits der Schlepperrouten, welche über Bulgarien und Ungarn eher die nördlichen Nachbarländer zum Ziele haben.
3Über ein Drittel der Asylgesuche stellten Kriegsvertriebene aus dem ehemaligen Jugoslawien (6’300 Personen, 35 %). Die nächstgrösseren Gruppen stellen Flüchtlinge aus Sri Lanka (2’800 Personen, 16%), aus derTürkei (1’800 Personen, 10 %), aus Somalia (1’100 Personen, 6 %). Die weiteren Herkunftsländer sind in Tabelle Nr. 9 ausgewiesen.
4Mit den Gesuchen aus früheren Jahren zusammen erhielten per Ende 1992 insgesamt 31’000 Asylsuchende erstinstanzlichen Entscheid (mehrheitlich aufgrund kantonaler Befragung). 1’410 Personen wurde Asyl gewährt, inbegriffen 290 Personen im Rahmen von Familienzusammenführungen. Dies ergibt eine durchschnittliche Anerkennungsquote von 4,5 Prozent. Fur Gesuche aus dem ehemaligen Jugoslawien betrug sie 4,4 Prozent, tür Sri Lanka 1,9 Prozent, fur die Türkei 12,1 Prozent (vorwiegend Kurden).
5Die niedrige Anerkennungsquote führt konsequenterweise zu einer Flut von Beschwerden, welche als zweitinstanzliche Entscheide von der verwaltungsunabhängigen Asyl–Ftekurskommission gefällt werden. Ende 1992 waren mehr als 16’000 Rekurse hängig. Insgesamt wurden 1992 25 700 Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen, davon 24’400 mit Wegweisungsverfügung.
6Ende 1992 hielten sich insgesamt rund 110’000 Personen in der Schweiz auf, die infolge der Asylgesetzgebung oder der Bundesratsbeschlüsse zu Ex–Jugoslawien über eine Aufenthaltsberechtigung verfügen. Darunter befinden sich als grösste Gruppen die Asylbewerber mit hängigen Gesuchen (rund 48’000 Personen), anerkannte Flüchtlinge (rund 27’000 Personen), Aufenthaltsbewilligungen aus humanitären Gründen (rund 15’000 Personen). Bis Ende August 1993 haben bereits wieder rund 16’000 Personen ein Asylgesuch eingereicht, was wiederum auf einen anwachsenden Trend hindeutet.
7DEH fordert menschlichere Asylpraxis
8Anlässlich einer von der Schweizerischen Asylkoordination und der Bewegung fur eine offene, demokratische und solidarische Schweiz (BODS) und SOS–Asile Vaud organisierten Tagung in Lausanne (31.10.1992) zur Asylpolitik der Schweiz und Europas äusserte DEH–Vizedirektor Henri–Philippe Cart Kritik an der schweizerischen Asylpraxis. Diese bewege sich bei der strengen Ausschaffungspolitik gegenüber abgewiesenen Asylsuchenden im Bereich der Willkür. Die tiefe Anerkennungsquote werde den Tragödien in der ganzen Welt und den menschlichen Schicksalen nicht gerecht. Im Namen der DEH forderte Cart ein grosszügigeres Asylgesetz, das eine mildere Asylpraxis ermöglichen würde. Das neue Asylgesetz sollte die Schweiz zu einer neuen internationalen Strategie der Offenheit verpflichten, wozu die Schweiz von den restriktiven internationalen Absprachen („Asylfestung Europa“) Abstand nehmen müsste. Im Asylbereich tätige Hilfsorganisationen und Amnesty International kritisieren die Asylpolitik des Bundes ebenfalls. Zahlreiche andere Länder übernehmen die Klassifizierung der Länder wie sie die Schweiz mit der Einführung der Liste „verfolgungssicherer Länder“ praktiziert. Die Schweiz habe mit dieser Praxis negative Massstäbe gesetzt in der Migrationsproblematik.
9Kriegsvertriebene aus Ex–Jugoslawien
10Das schweizerische Asylgesetz kennt keine gruppenweise Anerkennung des Asyls von Menschen mit den gleichen Fluchtgründen, wie dies fur Kriegsvertriebene der Fall ist. Auf jedes Gesuch um Asyl wird in der Regel individuell eingetreten. Angesichts der grossen Zahl von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien hat die Schweiz unter der Bezeichnung „schutzsuchende Ausländer gemäss Bundesratsbeschluss Ex–Jugoslawien“ erstmals Personenkollektive „vorläufig aufgenommen“. Angesichts der Dringlichkeit einer notwendigen Regelung bewilligte das Bundesamt fur Flüchtlinge aufgrund verschiedener Bundesratsbeschlüsse den „vorläufigen Aufenthalt“ von insgesamt rund 10’000 Menschen aus Ex–Jugoslawien in der Schweiz. Ende 1992 waren rund 3’500 Personen gemäss diesem Beschluss registriert, weitere 6’500 Kriegsvertriebene sollen 1993 die Aufenthaltsbewilligung erhalten.
11Sri Lanka
12Der Flüchtlingsstrom aus Sri Lanka hait wegen der anhaltenden politischen und kriegerischen Wirren im Land an. Die meisten behandelten Asylgesuche werden abgelehnt, doch ist eine Rückweisung in der Regel nicht verantwortbar. Die konsequente Rückschaffung wird bei straffalligen Asylbewerbern angewandt. Der neue Direktor des Bundesamtes fur Flüchtlinge, Urs Scheidegger, führte im August 1993 eine Delegation an, welche in Sri Lanka Abklärungen fur ein Rückkehrabkommen unternahm. 1993 hielten sich rund 17’000 Asylsuchende aus Sri Lanka in der Schweiz auf, deren Gesuche hängig sind, weil der Vollzug der Rückweisung bei allfällig negativen Entscheiden kaum durchführbar wäre. Das geplante Rückkehrabkommen soll die Wiedereingliederung der Flüchtlinge nach ihrer Rückkehr in die Heimat unterstützen.
13„Sichere Länder“
14Bei der dritten Asylgesetzesrevision 1990 erhielt der Bundesrat die Vollmacht, eine „Liste verfolgungssicherer Länder“ zu führen. Auf Asylgesuche aus diesen Herkunftsländern wird in der Regel nicht näher eingetreten. Die Staatsangehörigen werden angehört und zurückgeschafft, ausser im Fall, dass sie eine Verfolgung glaubhaft machen können. In diesem Fall werden die angegebenen Asylgründe gemäss dem ordentlichen Asylverfahren abgeklärt. Die Liste umfasst folgende Länder (Stand Oktober 1993) : Ungarn, Polen, Bulgarien, Rumänien, Indien, Albanien, Ghana, Senegal, Gambia, Tschechei und Slowakei. Widerrufen wurden Algerien (Februar 1992) und Angola (November 1992).
15Als verfolgungssicher gilt ein Land, in dem in bestimmten Regionen oder unter bestimmten Bevölkerungsgruppen politisch oder ethnisch bedingte Konflikte herrschen fur den Bundesrat auch dann, wenn innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten bestehen. Mit dieser Begründung enthält die Liste auch Indien, obwohl Amnesty International Indien in bestimmten Gebieten grobe Verletzungen von Menschenrechten vorwirft. Im Dezember 1992 reichte die Schweizer Sektion von Amnesty International dem Bundesrat eine Petition ein mit 15’000 Unterschriften, welche die Streichung Indiens von der Liste der verfolgungssicheren Länder verlangte. Die Petition ist Bestandteil einer weltweiten Al–Kampagne gegen anhaltende schwere Menschenrechtsverletzungen in Indien. Die indische Regierung bestätigte im November 1992 gegenüber Amnesty International den Tod von 77 Menschen in Polizeihaft als Folge von Folterungen. In den Bundesstaaten Pandschab, Dschammu und Kaschmir herrschen Ausnahmegesetze. Amnesty International ist der Ansicht, dass in Indien die innerstaatliche Fluchtmöglichkeit nicht garantiert ist.
16Migrationspolitik
- 1 Die Ergebnisse der interdisziplinären Forschungen wurden veröffentlicht : Migration aus der Dritten (...)
17Die Ausländer–, die Gastarbeiter– und die Asylpolitik der Schweiz sollen in Zukunft besser koordiniert werden. Das Konzept „Rückkehr in Sicherheit und Würde“ soll bei der nächsten Revision in das Asylgesetz aufgenommen werden. Dieses Konzept sieht die rasche vorläufige Aufnahme von ganzen Menschengruppen, die aus Repressionsstaaten oder aus Kriegsgebieten flüchten, vor. Hat sich die Menschenrechtssituation im Herkunftsland gebessert und lässt sich eine Rückkehr verantworten, soll diese begleitet werden vom UNO–Hochkommissariat fur Flüchtlinge und von einheimischen Menschenrechtsorganisationen. Vor Ort sollen die Rückkehrenden beim Wiederaufbau ihrer Existenz mit Mitteln aus der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt werden. Diese Vorschläge machten Wissenschafterinnen und Wissenschafter verschiedener Disziplinen im Rahmen einer Forschung(1).
18Vierte Revision des Asylgesetzes
19Die vierte Revision des Asylgesetzes soll in zwei Schritten erfolgen und bis Anfang 1996 abgeschlossen sein. In einem ersten Schritt sollen die Massnahmen gegen kriminelle Asylbewerber realisiert werden. Damit gibt der Bundesrat dem Druck im Parlament und in der Öffentlichkeit nach, wo insbesondere die Straftaten von Aslybewerbern im Drogengeschäft verurteilt werden. In einem zweiten Schritt sollen die übrigen Revisionspunkte verwirklicht werden, insbesondere soll der Status der Gewaltflüchtlinge eingeführt werden. Dies bedeutet, dass Vertriebene aus einem bestimmten Kriegsgebiet ohne Individualverfahren einen besonderen Rechtsstatus erhalten sollen. Praktisch alle europäischen Länder und die USA verschärfen ihre Asylpolitik und erlassen restriktive Asylgesetze und Immigrationsbestimmungen.
20Weitere asylpolitische Themen
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Die SVP hat die Initiative gegen die illegale Einwanderung im Oktober 1993 eingereicht.
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Der Bundesrat hat eine Motion zur Bekämpfung der Kriminalität unter den Asylbewerbern (Motion der Zürcher Ständerätin Monika Weber) als Postulat entgegengenommen (Septembersession 1993).
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- 2 Frauenflüchtlinge in der Schweiz. Ein Handbuch. Hrsg. : Eidg. BürofürdieGleichstellung von Frau und (...)
Mehrere Organisationen und Parteien in der Schweiz haben 1992 gegen die Massenvergewaltigungen in Ex–Jugoslawien protestiert und forderten den Bundesrat auf, erlittene Vergewaltigung als Asylgrund anzuerkennen. Oft ist das Flüchtlingsschicksai fur Frauen besonders hart. Das Eidgenössische Büro fur die Gleichstellung von Frau und Mann hat in einem Handbuch die spezifischen Probleme der Frauen–Flüchtlinge analysiert(2).
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Der Christliche Friedensdienst (CFD) – eine entwicklungspolitische Organisation – hat den Vertrag über die Flüchtlingsbetreuung mit dem Bundesamt fur Flüchtlinge aus Protest gegen die schweizerische und europäische Flüchtlingspolitik gekündigt. Diese sei immer stärker auf die Abschreckung und immer weniger auf die Anerkennung von Flüchtlingen ausgerichtet.
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Im August 1992 forderten die Hilfswerke einen Ausschaffungsstop fur abgewiesene Kosovo–Albaner und ihre Familien. Nach einer Abklärungsreise im Februar 1993 entschied das Bundesamt fur Flüchtlinge, dass die Gründe fur die Anerkennung von Kosovo–Albanern als Gewaltflüchtlinge nicht gegeben seien. Die Bewegung fur eine offene und demokratische Schweiz (BODS) protestierte gegen dieses Urteil, welches ihrer Meinung nach aufgrund politischer Propaganda (der serbischen Seite) gefällt worden sei. Albanien wurde im Oktober 1993 auf die Liste der „verfolgungssicheren Länder“ genommen.
Quellen
Bundesamt fur Flüchtlinge, Asylstatistik 1992 und Asylstatistik Januar – August 1993
ai–Magazin 1/93 (Schweiz–Indien/ai–Petition)
Asylon (Hrsg. Bundesamt fur Flüchtlinge), Dezember 1992 (Nr. 14)
NZZ und Tages–Anzeiger, 16.1.1993 (Asylstatistik 1992)
Tages–Anzeiger, 5.1.1993 (NFP 21/ Multikulturelle Gesellschaft)
Tages–Anzeiger, 29.7.1993 (Rückkehrabkommen mit Sri Lanka)
NZZ, 24.9.1993 (Asyldebatte im Ständerat)
NZZ, 9.12.1992 (Asylpolitischer Protest des CFD)
Beat Leuthardt, Furcht vor Asylfestung Europa – DEH fordert milderes Asylgesetz und menschlichere Asylpraxis, in : Solothurner AZ, 6.11.1992 Tages–Anzeiger, 20. 4.1993 (Asylgericht im Dienste serbischer Propaganda) Bundesamt fur Flüchtlinge : Informationsdienst, Asylon (Zeitschrift)
2.Kapitalflucht
21Die Schweiz hat seit 1990 ihre Gesetzgebung zur Bekämpfung der Geldwäscherei und zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe verstärkt. Diesgilt vor allem fur den finanziellen Bankensektor, wohingegen die Bekämpfung der durch NichtBankeninstitutionen erfolgenden Geldwäscherei weiterhin viel schwieriger ist. Daneben nimmt die Schweiz aktivan den Diskussionen auf internationaler Ebene teil, insbesondere im Rahmen der OECD, in der Arbeitsgruppe zur Verstärkung der Zusammenarbeit gegen die Geldwäscherei (Financial Action Task Force on Money Laundering, FATF), der die OECD–Staaten und einige andere Länder angehören. Diese Gruppe hatte 1990 einen Katalog mit vierzig (rechtlich nicht verbindlichen) Empfehlungen erstellt, welche die Verbesserung der nationalen Gesetzgebung im Strafrechtsbereich, eine Verstärkung der Mittel fur die Ermittlung und Verhütung von Geldwäschereigeschäften, sowie die Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit und die Forderung der Rechtshilfe in Strafsachen anstreben. Die Durchsetzung dieser Empfehlungen in den Mitgliedsländern wird einer Prüfung durch die Arbeitsgruppe unterzogen. Ferner wirkt die FA TF auch fur eine Annahme ihrer Empfehlungen in den Staaten, die ihrer Gruppe nicht angehören, und führt Studien über die Weiterentwicklung der Geldwäschereimethoden durch.
22Seit Anfang der achtziger Jahre sind mehrere Fälle von Kapitalflucht in die Schweiz aufgedeckt worden. Ehemalige oder derzeit amtierende Staatsoberhäupter aus Entwicklungsländern wurden beschuldigt, grosse Summen aus dem öffentlichen Haushalt ihres Landes entwendet und in der Schweiz hinterlegt zu haben. Unter ihnen sind Jean–Claude Duvalier (Haiti), Ferdinand Marcos (Philippinen), Manuel Antonio Noriega (Panama), Sese Seko Mobuto (Zaire), Alfred Stroessner (Paraguay) und Moussa Traore (Mali) zu nennen. (Siehe die vorhergehenden Jahrbuchausgaben, insbesondere betreffend die Fälle Ferdinand Marcos und Moussa Traore.) Mit der Einreichung eines Rechtshilfeantrags, der es dem betroffenen Land erlauben soll, illegal in der Schweiz hinterlegte Gelder wiederzuerlangen, wird ein langwieriges und kompliziert.es Verfahren eingeleitet. Es gibt zahlreiche Einspruchsmöglichkeiten (in allen betroffenen Kantonen und in jeder Phase des Verfahrens) und es ist schwierig, die Fluchtgelder zu ermitteln, da sie unter Decknamen, durch Strohmänner oder mit Hilfe von Tarnfirmen deponiert werden können.
23Verstärkung der Rechtshilfe
24Die Aktion Finanzplatz Schweiz–Dritte Welt und die Erklärung von Bern hatten 1991 mit der Unterstutzung von 200 Organisationen eine Informationskampagne in der Schweiz organisiert, um eine bessere Verhütung der Kapitalflucht, sowie eine Beschleunigung und Ausweitung der Rechtshilfe zu fördern (Kampagne „Fur eine Schweiz ohne Fluchtgelder“, siehe Jahrbuch 1993). Diese Organisationen wollten vor allem eine Revision des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen erreichen. Die Schweiz lehnt derzeit jegliche Rechtshilfe fur Steuerhinterziehung (einschliesslich fur in einem anderen Land begangenen Steuerbetrug), illegale Devisenausfuhr oder gewisse Wirtschaftsvergehen ab, welche im Schweizer Recht nicht verurteilt werden. Auch die Motion Dormann vom 21. März 1991 hatte im Sinne der Forderungen der Entwicklungsorganisationen eine Beschleunigung des Rechtshilfeverfahrens und die Ausweitung der Rechtshilfe angestrebt.
251993 wurde von einer vom Bundesrat eingesetzten eidgenössischen Expertenkommission eine Revision des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vorgeschlagen. Die Revision muss noch vom Parlament verabschiedet werden. Sie sieht eine Beschleunigung des Rechtshilfeverfahrens, nicht aber seine Ausdehnung auf Steuerhinterziehung und Wirtschaftsvergehen vor. Die Einspruchsmöglichkeiten werden auf eine einzige Gelegenheit am Ende des Verfahrens beschränkt. Diese Rekurse werden somit nicht die Vernehmlassung betreffen und keine aufschiebende Wirkung haben. Sind mehrere Kantone betroffen, so kann ein Kanton das Verfahren fur alle anderen Kantone führen.
26Die Erklärung von Bern hat ihre Enttäuschung über die nach ihrer Ansicht zu beschränkten Gesetzesverbesserungsvorschläge zum Ausdruck gebracht. Das Rechtshilfeverfahren bleibt kantonal und es wird keine zeitliche Begrenzung des Verfahrens festgesetzt. Die Erklärung von Bern wollte eine Beschränkung der Verfahrensdauer auf sechs Monate sowie eine Verfahrensführung durch den Bund fur jene Fälle erreichen, bei denen von abgesetzten Staatsoberhäuptern Gelder unterschlagen und in die Schweiz gebracht worden wären.
27Schweizer Gesetze zur Bestrafung der Geldwäscherei
28Das wichtigste Tätigkeitsgebiet der organisierten Kriminalität ist der illegale Drogenhandel, der einen eindrucksvollen weltweiten Umsatz erreicht. Die Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Geldwäscherei (FATF) hat den Verkauf von Kokain, Heroin und Haschisch auf einen Betrag von rund 120 Milliarden Dollar evaluiert, wovon 85 Milliarden zur Geldwäscherei oder fur Investitionen bereitstehen konnten (Bericht der FATF vom 7. Februar 1990). Bei der Ermittlung von Geldwäschereigeschäften gibt es drei Phasen : eine Phase, in der die flüssigen Geldmittel in das (formelle oder informelle) nationale Finanzsystem eingeschleust werden, eine Phase, in der das Geld ins Ausland geschickt wird, um ins Finanzsystem von (wenig oder gar nicht regulierten) Zufluchtsländern eingegliedert zu werden, und eine Phase, in der es in Form von Transferzahlungen aus augenscheinlich annehmbaren Gründen zurückgeholt wird. Das eidgenössische Justiz– und Polizeidepartement hat Mark Pieth mit der Verfassung eines Berichts über die organisierte Kriminalität in der Schweiz beauftragt, der im November 1993 veröffentlicht wurde. Der Bericht bestätigt, dass die Schweiz aufgrund ihres breiten Angebots an finanziellen Dienstleistungen fur ail jene, die Geld waschen wollen, weiterhin attraktiv bleibt. Es ist schwierig, aus steuerlichen oder anderen Gründen in der Schweiz plazierte Gelder von Geldern aus kriminellen Geschäften zu unterscheiden.
29Die Schweiz hat seit Ende der achtziger Jahre ihre Gesetze mit dem Ziel einer härteren Strafverfolgung der Geldwäscherei verschärft. 1990 war eine Änderung des schweizerischen Strafgesetzbuches in Kraft getreten, nach der jene bestraft werden, welche die Ermittlung, Entdeckung oder Beschlagnahme von Vermögenswerten krimineller Herkunft beeinträchtigen (Gesetz über Geldwäscherei und mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften). Ein zweites Massnahmenpaket wurde im Herbst 1993 vorbereitet, um Geldsummen zweifelhaften Ursprungs in grosserem Umfang beschlagnahmen und die Zugehörigkeit zu kriminellen Organisationen (bzw. deren Unterstutzung) unter Strate stellen zu können. Bislang konnten lediglich Einzelpersonen wegen krimineller Aktivitäten strafrechtlich verfolgt werden, nicht aber Unternehmen (wohingegen gewisse Unternehmen möglicherweise hauptsächlich zum Zweck der Geldwäscherei geschaffen wurden). Gemäss dem Gesetzesentwurf konnten Angestellte von Finanzinstituten oder auch Geschäftsanwälte die Justizbehörden auf Tatbestände hinweisen, die ihnen zweifelhaft erscheinen (ohne wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses belangt werden zu können). Jedoch besteht keine Meldepflicht fur zweifelhafte Fälle (wie dies in den Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft vorgesehen ist).
30Die Beschlagnahme der finanziellen Grundlagen krimineller Organisationen ist ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung dieser Organisationen. Die Schweiz hat die Konvention des Europarates über Geldwäscherei, Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von deliktischen Vermögenswerten ratifiziert. Das Übereinkommen definiert nationale Mindestmassnahmen betreffend die Untersuchung, Beschlagnahmung und Einziehung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte und regelt die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich. Die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene ist wichtig, da die kriminellen Organisationen versuchen, aus den rechtlichen Besonderheiten der verschiedenen Staaten Nutzen zu ziehen. Das geltende Schweizer Recht entspricht den Forderungen dieser Konvention.
31Aufgrund von Vorschlägen der Nationalräte Charles Poncet (Liberal, Genf) und Christoph Blocher (SVP, Zurich) sieht die Revision des vom Nationalrat am 17. Dezember 1993 verabschiedeten Bankengesetzes vor, dass die ausländischen Aufsichtsbehörden kein Recht mehr haben, ohne weiteres direkte Kontrollen bei Zweigniederlassungen von Firmen ihrer Länder in der Schweiz auszuüben. Die Aufsichtsbehörden eines anderen Landes konnten somit Informationen über illegale Aktivitäten von Zweigniederlassungen in der Schweiz an die Strafjustizbehörden ihres Landes nur dann weiterleiten, wenn die Schweiz diesem Drittland bereits Rechtshilfe in Strafsachen gewährt hat (d.h. nach Abschluss des Rechtshilfeverfahrens, welches sich über mehrere Jahre hinziehen kann). Diese Gesetzesänderung, die noch vom Ständerat genehmigt werden muss, stellt fur die Linksparteien, wie auch fur verschiedene Spezialisten dieser Rechtsfragen einen Rückschritt im Kampf gegen Geldwäscherei und Kapitalflucht dar.
32Arbeitsgruppe zur Zusammenarbeit gegen Geldwäscherei (FATF)
- 3 Der Kooperationsrat der Golfstaaten setzt sich aus Saudiarabien, Bahrein, den Vereinigten Arabische (...)
33Die Arbeitsgruppe zur Zusammenarbeit gegen die Geldwäscherei (Financial Action Task Force on Money Laundering, FATF) wurde 1987 auf dem Wirtschaftsgipfel der sieben führenden Industrienationen (G–7) gegründet, um Massnahmen zur Bekämpfung der Geldwäscherei zu erarbeiten. Der FATF gehören alle OECD–Staaten, sowie der Kooperationsrat der Golfstaaten(3), ferner Hongkong, Singapur und die Türkei an. (Die Schweiz hatte 1991–1992 den Vorsitz der Gruppe geführt.)
34Die Arbeitsgruppe hatte 1990 vierzig (völkerrechtlich nicht bindende) Empfehlungen zur Bekämpfung der Geldwäscherei veröffentlicht, zu deren allmählicher Durchsetzung sich die Mitgliedsländer verpflichtet haben. Gemäss diesen Empfehlungen sollten die Mitgliedstaaten das Waschen von Geldern aus dem Drogenhandel unter Strafanklage stellen, die gewaschenen Vermögenswerte beschlagnahmen und die Rechtshilfeverfahren verbessern. Die strafrechtliche Haftung der Firmen selbst (und nicht nur die der Angestellten) sollte herangezogen werden können.
35Die Durchsetzung dieser Empfehlungen wird von der FATF bei jedem Mitgliedsland auf der Grundlage von Evaluierungen geprüft. Die Massnahmen der Schweiz wurden 1992–93 untersucht. Der diesbezügliche Bericht der FATF begrüsst die Fortschritte der Schweiz im Kampf gegen die Geldwäscherei. Die strafrechtliche Verfolgung der Geldwäscherei ist seit 1990 im schweizerischen Strafgesetzbuch verankert. Die Identifikation des Kunden oder des wirtschaftlichen Anspruchsberechtigten ist im Bankensektor vorgeschrieben. Die Behörden können die unrechtmässig erworbenen Gelder sperren, beschlagnahmen und einziehen. Der Bericht über die Schweiz stellt jedoch fest, dass zusätzliche Massnahmen im finanziellen Nichtbankensektor erforderlich sind.
36Die FATF führt ferner Studien über die Weiterentwicklung der Geldwäschereimethoden und über geeignete Gegenmassnahmen durch. Die jüngsten Analysen bestätigen eine erhöhte Tendenz zur Benutzung von Nichtbanken–Finanzinstitutionen zur Geldwäscherei (mit oder ohne deren Wissen). Die Herkunft der Gelder kann durch verschiedene finanzielle oder nichtfinanzielle Kanäle verschleiert werden : Wechselstuben, Wertanlagenberater, Immobiliengeschäfte, Versicherungen (besonders Lebensversicherungen), Kreditkartenfirmen, elektronische oder bargeldlose Überweisungen, Konsumkreditinstitute, Mietkauf, Versteigerungen, Kauf von Feuerwaffen zu Sammelzwecken oder Anschaffung von Kunstwerken, Goldhandel, Postsparwesen, Kasinos. Der Einsatz von Tarnfirmen zu Geldwäschereizwecken wurde von der Arbeitsgruppe ebenfalls untersucht. Um Gelder ins Ausland zu transferieren, können Waren zu überhöhten Preisen durch Firmen gekauft werden, die „Geldwäschern“ gehören, und zwar bei Off–shore–Gesellschaften, die diesen Geldwäschern gleichfalls gehören. Viele Gerichtsbarkeiten, darunter diejenige der Schweiz, erlauben es, den tatsächlichen Eigentümer einer Firma zu verschweigen. Einige Rechtsanwälte arbeiten speziell an der Ausnutzung der in den verschiedenen Ländern bestehenden Gesetzgebungen, um die Identität ihrer Kunden zu verbergen. Sie können zu diesem Zweck auch Tarnfirmen gründen.
37Im Rahmen ihres Programms fur äussere Beziehungen verstärkt die FATF ihre Bemühungen, auch Nichtmitgliedsländer dazu zu bringen, wirksame Massnahmen gegen die Geldwäscherei zu ergreifen, vor allem in den Ländern der Karibik, Mittel– und Osteuropas und Asiens. Die Arbeitsgruppe hat derzeit die Idee aufgegeben, eine international anerkannte „schwarze Liste“ der Länder zu veröffentlichen, welche die Empfehlungen der FATF nicht oder in zu beschränktem Masse anwenden. Weitere Massnahmen waren geprüft worden, wie zum Beispiel der Plan, alle Uberweisungen und Zahlungen in diese Lande einer spezifischen Prüfung zu unterziehen. Die FATF arbeitet auch mit anderen fur diesen Bereich zuständigen internationalen Organisationen zusammen (Europarat, Interpol, Internationales UN–Programm zur Rauschgiftkontrolle, Rat fur die Zusammenarbeit in Zollfragen, Internationaler Währungsfonds, Weltbank, usw.).
38Beschlagnahmte Gelder aus dem Drogenhandel
39Auf Kantonsebene haben die Federation genevoise de cooperation und Vertreter aller politischen Parteien dem Genfer Grossen Rat eine Änderung des Strafgesetzbuches vorgeschlagen. Nach diesem Vorschlag sollten die bei einem Verstoss gegen das Bundesdrogengesetz beschlagnahmten Gelder zu einem Drittel fur öffentliche oder private lokale Organisationen, die fur die Verhütung der Drogensucht arbeiten, und zu zwei Dritteln fur die Entwicklungszusammenarbeit bereitgestellt werden, insbesondere zur Unterstutzung von Programmen zur Verhütung der Rauschgiftsucht in den Entwicklungsländern und zur Forderung alternativer Aktivitäten an Stelle der Rauschgiftherstellung in den Ländern des Südens, Wiedereinsetzung von beschlagnahmten Mitteln entsprechend den Empfehlungen des UN–Entwicklungsprogramms (UNDP). Die Empfehlung Nr. 39 der FATF fordert die Länder auf, die Beschlagnahme– und Einziehungsverfahren unter den Ländern zu koordinieren und eine Teilung der beschlagnahmten Mittel vorzusehen.
40Bislang waren die den Rauschgifthändlern abgenommenen Gelder in die Staatskassen geflossen. So wurden beispielsweise im Herbst 1993 in Genf von den amerikanischen Justizbehörden 11,7 Millionen Franken gezahlt, um den Genfer Justizbehörden fur ihre Zusammenarbeit zu danken, die vor kurzem eine sehr umfangreiche Beschlagnahme bei Drogenhändlern in den USA ermöglicht hat.
Quellen
Message concernant la ratification par la Suisse de la Convention no 141 du Conseil de l’Europe relative au blanchiment, au dépistage, à la saisie et à la confiscation du produit du crime, du 19 août 1992, 92.068
OCDE, Rapports annuels du Groupe d’Action Financière sur le blanchiment de capitaux, Paris, OCDE, Rapports 1990, 1991, 1992 et 1993
Pieth, Mark und alii, Bekämpfung der Geldwäscherei. Modellfall Schweiz ?, Basel, 1992 Declaration de Berne, Vers un developpement solidaire, no 114, octobre 1992, no 119, octobre 1993
i3W, Bruno Gurtner, Kapitalflucht : Noch sind die Probleme ungelöst, Bern, i3W Entwicklungspolitischer Dokumentations– und Pressedienst, 19. Oktober 1992 Tages–Anzeiger, 16.11., 18.12., 22.12.1993 Nouveau Quotidien, 27.10.1993
Anmerkungen
1 Die Ergebnisse der interdisziplinären Forschungen wurden veröffentlicht : Migration aus der Dritten Welt – Ursachen, Wirkungen, Handlungsmöglichkeiten, dritte ergänzte Auflage, Hrsg. Walter Kälin, Bern 1993. Mit dem Thema Einwanderung befasst sich auch das Nationale Forschungsprogramm 21 Kulturelle Vielfalt und nationale Indentität.
2 Frauenflüchtlinge in der Schweiz. Ein Handbuch. Hrsg. : Eidg. BürofürdieGleichstellung von Frau und Mann. Bern, 1993. Rund ein Viertel der Asylsuchenden in der Schweiz sind Frauen, doch sei das Asylverfahren vorwiegend auf asylsuchende Männer zugeschnit–ten, was asylsuchende Frauen benachteilige, kommt die Studie zum Schluss.
3 Der Kooperationsrat der Golfstaaten setzt sich aus Saudiarabien, Bahrein, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Oman, Katar und Kuwait zusammen.
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Titel | Tabelle Nr. 9. Asylgesuche 1982–1992 |
Abbildungsnachweis | Quelle : Bundesamt für Flüchtlinge |
URL | http://0-journals-openedition-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/sjep/docannexe/image/1409/img-1.png |
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Zitierempfehlung
Papierversionen:
„III. Innenpolitik/Aussenpolitik“, Schweizerisches Jahrbuch für Entwicklungspolitik, 13 | 1994, 97–107.
Online-Version
„III. Innenpolitik/Aussenpolitik“, Schweizerisches Jahrbuch für Entwicklungspolitik [Online], 13 | 1994, Online erschienen am: 30 Mai 2013, abgerufen am 17 Februar 2025. URL: http://0-journals-openedition-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/sjep/1409; DOI: https://0-doi-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/10.4000/sjep.1409
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