Einführung
Volltext
1Eines der markantesten Ereignisse zum Ende des Jahres 1993 ist zweifellos der Abschluss der Uruguay–Runde, der sich in einer Atmosphäre des Tauzie–hens zwischen zwei der Giganten der Weltwirtschaft, den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, abgespielt hat. Der Medienrummel, den diese letzte Wende der GATT–Gespräche auslöste, hat paradoxerweise das Schwei–gen der übrigen Welt deutlich werden lassen. Die grosse Mehrheit der Länder, die an den Verhandlungen teilgenommen haben – unter ihnen alle Entwicklungsländer – mussten sich in dieser letzten Phase mit einer Zuschauerrolle zufrieden geben.
2Es wird schwierig sein, die globalen Auswirkungen der Uruguay–Runde zu ermitteln, schon allein wegen der Vielzahl und der Komplexität der behandelten Themen. Für die Entwicklungslânder wird es wahrscheinlich unmöglich sein, eine allgemeine Bilanz zu ziehen, in Anbetracht der immer grösseren Unter–schiede der Art und Weise ihrer Eingliederung in die Weltwirtschaft. Bei den Handelsgesprächen bestehen von jetzt ab kaum noch gemeinsame Interessen zwischen den asiatischen Schwellenländern einerseits und den afrikanischen Ländern südlich der Sahara andererseits. Diese afrikanischen Länder, deren Volkswirtschaft am anfälligsten ist, werden noch ärmer aus der Uruguay–Runde hervorgehen, als sie hineingegangen sind. Ihre Exportaussichten bleiben düster, während sie infolge der Kürzung der Produktionssubventionen in den industrialisierten Exportländern für ihre Nahrungsmittelimporte aus diesen Ländern mehr zu zahlen haben werden. Wohl ist zum Ausgleich eine Steigerung der Nahrungsmittelhilfe vorgesehen, doch ist dies wirklich eine Lösung für das chronische Problem der internationalen Wirtschaftsbeziehungen dieser Länder ?
3Die Assymetrie in der Kosten–Nutzen–Verteilung des Welthandels zwischen dem Norden und dem Süden drückt sich auch im Textilbereich aus. Seit 1973 erlaubt das Multifaserabkommen es den Industrieländern, ihre Textileinfuhren aus den Entwickungsländern durch Kontingente zu beschränken. Die Uruguay–Runde wird diesem übermässigen Vorrecht ein Ende setzen, das die Entwicklungsländer in einem der wenigen Bereiche benachteiligt, in dem einige von ihnen (Länder mit niedrigem Einkommen) gegenüber den Industriestaaten komparative Vorteile aufweisen. Das am 15. Dezember 1993 in Genf abgeschlos–sene Schlussabkommen räumt den Industrieländern bis zur vollständigen Libe–ralisierung des Textilhandels jedoch eine Frist von zehn Jahren ein. Die Indu–strieländer verfügen somit zur Durchsetzung ihrer Strukturanpassung über viel grosszügigere Fristen als diejenigen Länder, welche der strengeren Praxis der Bretton–Woods–Institutionen unterworfen sind.
4Die oben beschriebene Situation ist nur ein Beispiel für die Widersprüche der Politik der Industrieländer gegenüber den Entwicklungsländern. Diese Widersprùche sind zweifacher Art. Sie ergeben sich einerseits aus dem Gegen–satz zwischen Worten und Taten, nach dem Motto : „Tut, was ich euch sage, aber nicht was ich selbst tue“, und andererseits aus widersprùchlichen Politiken, wobei „die linke Hand nicht weiss, was die rechte tut“. Das obige Beispiel des Textilhandels betrifft beide Arten von Widersprüchen : Zum einen werden die den Entwicklungsländern im Bereich des Wirtschaftsliberalismus gemachten Vorschriften von ihren Urhebern selbst nicht befolgt. Zum anderen hemmt die restriktive Handelspolitik der reichen Länder gegenüber gewissen Einfuhren aus dem Süden die industrielle Entwicklung der armen Länder und widerspricht den Zielen der Politik der Entwicklungszusammenarbeit dieser Industrieländer.
5Die vom Entwicklungshilfeausschuss der OECD seit einigen Jahren mit dem Ziel unternommenen Bemühungen, die Kohärenz der Politiken gegenüber den Entwicklungsländern zu verstärken, haben besondere Bedeutung zu einem Zeitpunkt, zu dem die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit geringer werden und es notwendiger denn je ist, sie wirksam einzusetzen. Diese erhöhte Wirksamkeit erfordert mehr Kohärenz. Indem wir die vielfältigen Aspekte der Beziehungen zwischen der Schweiz und den Entwickungslândern behandeln, möchten wir das Jahrbuch Schweiz–Dritte Welt zu einem Arbeitsinstrument für alle machen, die in den verschiedensten Kreisen das Anliegen teilen, die Wir–kung der Beteiligung der Schweiz an der internationalen Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen.
6Die vorliegende Jahrbuchausgabe enthält eine Jahresübersicht über die Ereignisse betreffend die bilateralen und multilateralen Beziehungen der Schweiz zu den Entwicklungsländern bis Oktober 1993 (mit einem Sachregi–ster). Dièse Übersicht umfasst viele Bereiche (Wirtschafts– und Handelsbezie–hungen, Entwicklungszusammenarbeit, Umwelt, Migration, wissenschaftliche Forschung, menschliche Entwicklung). Die öffentliche Zusammenarbeit der Schweiz mit den Ländern Mitteleuropas und der früheren Sowjetunion wird darin ebenfalls behandelt.
7Ferner umfasst das Jahrbuch Schweiz–Dritte Welt 1994 ein Literaturver–zeichnis der seit Fertigstellung des Jahrbuchs 1993 erschienenen Werke über die Beziehungen der Schweiz zur Dritten Welt, sowie eine Auswahl von in der Schweiz zu Entwicklungsproblemen veröffentlichten Texten. Des weiteren infor–mieren Statistiken über den Handel, die Finanzflüsse und die öffentliche Entwicklungshilfe der Schweiz.
8Der Teil „Analysen und Stellungnahmen“ enthält dieses Jahr Beiträge zu vier Themen :
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Die Prioritäten der schweizerischen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit.
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Die transnationalen Schweizer Firmen und die Umwelt in den Entwicklungsländern.
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Die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit mit Ghana im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme.
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Die Entschuldung, nachdem der in der Ausgabe 1993 erschienene Artikel von Rolf Kappel zu drei Antworten angeregt hat, die wir im vorliegenden Jahrbuch zusammen mit einer Antwort des Verfassers veröffentlichen.
9In diesem Jahr haben wir dem Beitrag der Schweiz zur internationalen Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitswesen eine Artikelreihe gewidmet. Die Wahl des Themas ist zum einen durch die zentrale Bedeutung dieses Be–reichs in der menschlichen Entwicklung bedingt und zum anderen durch unsere Absicht begründet, eine umfassende Débatte über die im Gesundheitswesen zu verfolgende Politik mit allen betroffenen Akteuren – der Bundesverwaltung, den schweizersichen Hilfswerken und den interessierten beruflichen und akademi–schen Kreisen – einzuleiten. Dièse Absicht veranlasste uns, zum Abschluss der Artikelreihe einen Vorschlag für eine Stratégie der Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitsbereich zu veröffentlichen, ein Beitrag, der von fünf Spe–zialisten der Gesundheitspolitik in den Entwicklungsländern des Schweizerischen Tropeninstituts und des IUED gemeinsam ausgearbeitet wurde.
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10Ich danke den Verfasserinnen und Verfassern der von uns im Teil „Analysen und Stellungnahmen“ des Jahrbuchs veröffentlichten Artikel herzlich für ihre Beiträge, die neue Aufschlüsse über die Beziehungen Schweiz–Dritte Welt liefern. Mein Dank geht ebenfalls an die Kolleginnen und Kollegen des Redak–tionskomitees, welche die umfangreiche Dokumentation über einen ständig wachsenden Bereich zusammengetragen und in übersichtlicher Form präsen–tiert haben. Ferner danke ich den Expertinnen und Experten der Bundesverwaltung, der Dachverbände und der Hilfswerke, die uns Jahr für Jahr wirksam beim Sammeln und Prüfen der zahlreichen von uns veröffentlichten Daten helfen. Schliesslich möchte ich den Kolleginnen und Kollegen danken, welche die Übersetzung und die Herausgabe dieses Werks ausgeführt haben. Die sehr kurzen Fristen, die ihnen zur Verfügung standen, sind ein beredtes Zeugnis ihres Engagements fur das Gemeinschaftsunternehmen „Jahrbuch Schweiz–Dritte Welt“.
Zitierempfehlung
Papierversionen:
Jacques Forster, „Einführung“, Schweizerisches Jahrbuch für Entwicklungspolitik, 13 | 1994, VII–IX.
Online-Version
Jacques Forster, „Einführung“, Schweizerisches Jahrbuch für Entwicklungspolitik [Online], 13 | 1994, Online erschienen am: 27 Mai 2013, abgerufen am 23 März 2025. URL: http://0-journals-openedition-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/sjep/1405; DOI: https://0-doi-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/10.4000/sjep.1405
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