1Die Weltkonferenz über Bildung für alle hatte zum Ziel, den Bemühungen für die allgemeine Einführung der Grundausbildung bis zum Jahre 2000 neuen Antrieb zu verleihen. Die in den meisten Entwicklungsländern vorherrschende Wirtschaftskrise hatte insbesondere in Afrika und Lateinamerika einen Rückgang der realen Pro-Kopf-Aufwendungen im Bildungsbereich zur Folge. Der auf der Konferenz verabschiedete Aktionsrahmen unterstreicht die Bedeutung der Anstrengungen zur Förderung der Grundausbildung und schlägt Massnahmen auf nationaler und internationaler Ebene vor. Die Schweiz hat an der Vorbereitung sowie an den der Konferenz unterbreiteten Änderungsanträgen aktiv mitgewirkt.
2Die Weltkonferenz über Bildung für alle (zur Befriedigung der Bedürfnisse im Bereich der Grundausbildung) fand vom 5. bis 9. März 1990 in Jomtien, Thailand, statt. 1500 Delegierte, Vertreter von 155 Ländern, nahmen daran teil. Die Konferenz wurde im Rahmen des Internationalen Jahres der Alphabetisierung gemeinsam von der UNESCO, der UNICEF, dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen und der Weltbank organisiert.
3Die Konferenz hatte zum Ziel, die Entscheidungsträger, Entwicklungshilfeinstitutionen und nichtstaatlichen Organisationen betreffend die Lage des Bildungswesens in der Welt zu sensibilisieren. Sie sollte insbesondere neue Finanzmittel mobilisieren, um den allgemeinen Zugang der Jugendlichen und Erwachsenen zur Basisausbildung (Grundschulunterricht und Alphabetisierung) zu gewährleisten. Die geplante Konferenz sollte den Verantwortlichen der Bildungspolitik als Bezug dienen, ähnlich der Konferenz von Alma Ata im Gesundheitsbereich, welche 1978 in der UdSSR einberufen worden war. Die Konferenz von Alma Ata hatte die Prioritäten der nationalen Gesundheitspolitiken definiert und den Schwerpunkt auf Impfkampagnen, Basisgesundheitsdienste und das Ziel der „Gesundheit für alle im Jahre 2000” gelegt.
4Die wesentliche Rolle, die der Bildung bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beigemessen wird, hat in den sechziger Jahren zu massiven Investitionen im Bildungssektor geführt. Seit den siebziger Jahren scheinen sich die Anstrengungen der Industrieländer jedoch zu stabilisieren, und die Krise der Finanzierung des Bildungswesens verschlimmert sich in den Entwicklungsländern. Das nachlassende Wachstum des Bruttosozialprodukts (und manchmal sogar sein realer Rückgang), die steigende Last des Schuldendienstes und die Anwendung bestimmter Massnahmen im Rahmen der Strukturanpassungspolitik (Kürzung der öffentlichen Ausgaben, usw.) – all diese Faktoren haben zu einem realen Rückgang der Bildungsausgaben in mehreren Entwicklungsländern geführt. Die Kapitalaufwendungen und die laufenden Kosten (unter Nichtberücksichtigung der Löhne und Gehälter) wurden am meisten davon betroffen, darunter auch das Unterrichtsmaterial. Die Nachfrage im Bildungssektor ist aber – schon allein aufgrund des anhaltenden Bevölkerungswachstums – weiterhin sehr hoch. Nach Angaben der UNESCO gibt es derzeit über 960 Millionen Analphabeten auf der Welt (davon zwei Drittel Frauen).
5Tabelle Nr. 1 gibt einen Überblick über die Entwicklung der Anstrengungen im Bildungsbereich in den Jahren 1970-1987. Aus der Statistik geht hervor, dass die öffentlichen Bildungsausgaben als Prozentsatz des BSP in den Entwicklungsländern steigen. Diese Zahlen ergeben jedoch ein falsches Bild, da das BSP seit Anfang der achtziger Jahre in einigen Ländern zurückgegangen ist und die Ausgaben oft weniger rasch gestiegen sind als das Bevölkerungswachstum, insbesondere in Afrika und Lateinamerika, wo die öffentlichen Ausgaben pro Einwohner zurückgegangen sind. Der Anteil des Erziehungshaushalts am gesamten Staatshaushalt hat ebenfalls Tendenz zu sinken. Wird die Anzahl der Länder und ihre Entwicklung berücksichtigt (Tabelle Nr. 2), kann man feststellen, dass die Aufwendungen im Bildungsbereich anteilmässig am BSP zurückgegangen sind. (Man nimmt hier an, dass ein Land seine Anstrengungen in diesem Bereich erhöht bzw. senkt, wenn der Indikator der öffentlichen Ausgaben im Bildungssektor, in Prozent des BSP ausgedrückt, um 0,2 Punkt ansteigt bzw. absinkt.)
Tabelle Nr. 1. Öffentliche Ausgaben im Bildungssektor,1970-1987
Quelle : UNESCO, Annuaire statistique 1989. Paris ; UNESCO, 1989.
UNESCO, Annuaire statistique 1987, Paris, UNESCO, 1987 (für die Zahlen von 1970).
6
Tabelle Nr. 2. Bildungsausgaben Entwicklungsländer insgesamt

Quelle : F. Caillods (Leitung). Perspectives de la planification de l’éducation. Atelier organisé par l’Institut international de planification de l’éducation (IIPE) à l’occasion de son 25e anniversaire. Paris, IIPE, 1989.
7Zum Abschluss der Konferenz wurden zwei Texte angenommen, und zwar die Welterklärung über Bildung für alle und der Aktionsrahmen zur Befriedigung grundlegender Bedürfnisse im Bildungsbereich. Der erste Text bekräftigt, dass jeder Mensch das Recht auf Bildung hat. Um den Bildungsbedarf zu befriedigen, ist es notwendig, den Zugang zur Grundausbildung für alle zu ermöglichen, grösseres Schwergewicht auf die Verbesserung der Lehrlingsausbildung zu legen und die Partnerschaften zwischen den verschiedenen Bildungsbereichen, zwischen den einzelnen Ministerien, sowie zwischen dem Staat und den nichtstaatlichen Organisationen auszubauen. Der Aktionsrahmen setzt die Grundprinzipien für die Durchsetzung der in der Erklärung aufgeführten Ziele fest. Dieser Rahmen soll den Regierungen, den Organisationen für bilaterale Hilfe, den internationalen und nichtstaatlichen Organisationen als Richtlinie dienen. Die Massnahmen sind auf drei Ebenen vorgesehen : Aktionen auf nationaler Ebene, Zusammenarbeit zwischen den Ländern auf regionaler Ebene, internationale Multi- und bilaterale Zusammenarbeit.
8Auf der Konferenz kündigte die Weltbank den Entschluss an, ihren Bildungshaushalt für 1990 von 800 Millionen auf 1,5 Milliarden Dollar zu verdoppeln ; die UNICEF schlug ihrerseits vor, ihr Budget (ausgehend von den derzeitigen Ausgaben in Höhe von 50 Millionen Dollar) für die Grundausbildung bis 1995 zu verdoppeln. Parallel zur Konferenz wurden Themendiskussionen am runden Tisch und Ausstellungen veranstaltet.
9Die Schweiz hat mit einer Delegation unter der Leitung des Direktors der DEH, Fritz R. Staehelin, aktiv an der Konferenz teilgenommen. Die Schweiz hatte sich an der Vorbereitung der Konferenz mit einem Beitrag von 100 000 Franken beteiligt. Nach Ansicht des Leiters der schweizerischen Delegation sind die Ursachen der Verschlechterung der Situation des Bildungswesens in den Entwicklungsländern in folgenden Faktoren zu suchen : Wirtschaftskrise, Sinken der Rohstoffpreise, mangelhafte Verwaltung der öffentlichen Mittel, Schwerfälligkeit im administrativen Sektor, Unangepasstheit der Bildungsprogramme und der Organisation des Schulwesens an die Bedürfnisse der Gesamtbevölkerung, starke Kürzungen der Staatshaushalte aufgrund der Last des Schuldendienstes und der Austeritätsmassnahmen, die jedoch von der Schweiz als unvermeidlich angesehen werden. Die Schweizer Delegierten bedauerten die Tatsache, dass das Bildungswesen allzu oft den Haushaltskürzungen zum Opfer falle.
10Der ständige Vertreter der Schweiz bei der UNESCO, Frangois Nordmann, führte den Vorsitz des Ausschusses, der mit der Abfassung der Änderungsanträge beauftragt war. Die Schweiz hat mit Erfolg einige Änderungen der Konferenztexte vorgeschlagen, um die Bedeutung der Verbesserung der Bildungsqualität hervorzuheben und die Notwendigkeit zu betonen, die Bildungssysteme den lokalen sozio-kulturellen Bedingungen anzupassen, um dadurch insbesondere zu vermeiden, dass die Schule die Landflucht verstärkt oder in erster Linie eine Laufbahn im öffentlichen Dienst fördert.
11Anlässlich des Meinungsaustausches über die im Anschluss an die Weltbildungskonferenz vorzusehenden Folgemassnahmen weigerten sich die Vereinigten Staaten, die UNESCO mit dieser Aufgabe zu betrauen. Die Schweiz hat sich zusammen mit anderen Ländern bemüht, einen Kompromiss in dieser Frage zu finden. Der angenommene Text beschränkt sich darauf, das Angebot der UNESCO zur Kenntnis zu nehmen. Die vier Organisationen, welche die Weltkonferenz über Bildung für alle veranstaltet haben, werden die Durchführung der Folgemassnahmen im Rahmen ihrer normalen Tätigkeit und auf ihren ordentlichen Konferenzen übernehmen. Angesichts der Tatsache, dass die Frage der Folgemassnahmen nicht global gelost wurde, besteht jedoch die Gefahr, dass keine klaren und konzertierten Optionen, nach dem Vorbild der Entscheidungen im Gesundheitssektor, getroffen werden können. Dies umso mehr, als einige der ärmsten Entwicklungsländer sich bezüglich der in den verabschiedeten Dokumenten erwähnten Zielsetzung der allgemeinen Einführung der Primarschulbildung bis zum Jahre 2000 sehr zurückhaltend zeigten.
12Die erste Gelegenheit zur Prüfung der Folgemassnahmen dieser Konferenz ergab sich auf der internationalen Bildungskonferenz, die vom 3. bis 8. September 1990 vom Internationalen Erziehungsbüro (BIE) in Genf organisiert wurde. Hauptziel der Konferenz war es, die von der Weltkonferenz über Bildung für alle festgelegten Ausrichtungen auf operationeller und pädagogischer Ebene im Einzelnen zu prüfen. In den Erklärungen der Delegationsleiter wurde der Wille der Teilnehmerstaaten bekräftigt, im Bereich der Grundausbildung neue Wege zu gehen. Sechs Arbeitsgruppen befassten sich mit den praktischen Aspekten der Ausrichtungen, die in der Erklärung der Weltkonferenz in Jomtien festgelegt wurden.
13Die schweizerische Delegation wurde von Dominique Föllmi, Leiter des Departements für öffentliches Bildungswesen des Kantons Genf angeführt. Die Delegation schlug gemäss der in Jomtien vertretenen Linie zahlreiche Änderungsanträge zum Empfehlungsentwurf vor, welcher der Konferenz zur Annahme unterbreitet wurde.
14Im Rahmen dieser Empfehlung, die den Titel „Bildung für alle : erneuerte Politiken und Strategien für die neunziger Jahre” trägt, hat die Konferenz insbesondere die UNESCO aufgefordert, die Mitgliedstaaten auf deren Wunsch bei der Ausarbeitung ihres Aktionsprogramms zur Förderung der Bildung für alle zu unterstützen und ihre operationellen Kapazitäten zu verstärken, sowie die Durchführung konzertierter Aktionen in Zusammenarbeit mit anderen bilateralen oder multilateralen Organisationen vor Ort zu gewährleisten. Ferner fordert sie das Internationale Erziehungsbüro (BIE) auf, an den nächsten Tagungen der internationalen Bildungskonferenz einen Bericht über die Durchsetzung der Empfehlung vorzulegen. Schliesslich ist geplant, eine weitere Session der Konferenz dem Thema der Bildung für alle und somit den Folgemassnahmen der Konferenz von Jomtien zu widmen.
15Auf der Ozonkonferenz in London wurde im Juni 1990 eine Verstärkung des Protokolls von Montreal zum Schutz der Ozonschicht von 1987 angenommen. Die Teilnehmerstaaten beschlossen ausserdem, einen Fonds zur Förderung des Transfers von umweltfreundlicheren Ersatztechnologien in die Entwicklungsländer zu errichten.
16Im September 1987 hatten 46 Länder, darunter die Schweiz, in Montreal ein Protokoll betreffend den Schutz vor die Ozonschicht gefährdenden Substanzen verabschiedet (siehe Jahrbuch 1990, S. 9). Das Protokoll strebt eine schrittweise Herabsetzung der Herstellung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) um 50 % bis zum Jahre 2000 an. Die Halonproduktion sollte auf dem Stand von 1986 gehalten werden. Den Entwicklungsländern wurde eine zusätzliche Frist von zehn Jahren eingeräumt, um ihren FCKW-Konsum zu reduzieren.
17Die Anwendung von FCKW hat sich durch ihre zerstörende Auswirkung auf die Ozonschicht und ihre Verstärkung des Treibhauseffekts als gefährlich erwiesen. Die in gewissen Feuerlöschern verwendeten Halon gase sind noch gefährlicher.
18Gegenüber den mit der Verwendung der FCKW verbundenen Bedrohungen hat sich das am 1. Januar 1989 in Kraft getretene Protokoll zum Schutz der Ozonschicht jedoch als unzureichend erwiesen. Im Mai 1989 haben sich die Teilnehmer der unter der Schirmherrschaft des Umweltprogramms der Vereinten Nationen abgehaltenen Konferenz von Helsinki für ein totales Verbot der FCKW bis zum Jahre 2000 ausgesprochen. Die Entwicklungsländer hatten die Schaffung eines Fonds für finanzielle Hilfe vorgeschlagen, um den Transfer kostspieligerer alternativer Technologien zu erbleichtem.
19Auf der Ozonkonferenz von London (21.-29. Juni 1990) haben 13 Länder – darunter Australien, die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz – ohne Erfolg ein Verbot der FCKW ab 1997 gefordert. Die 13 Staaten haben sich in einer Erklärung verpflichtet, die Herstellung und den Verbrauch von FCKW bis 1997 einzustellen. Die Konferenz hat es ermöglicht, das Protokoll von Montreal zu ergänzen und einen Fonds in Höhe von 240 Millionen Dollar (für die ersten drei Jahre) zu schaffen, der von derzeit 8 Industrieländern finanziert wird. Dieser Fonds soll es den Entwicklungsländern erlauben, anstelle von FCKW weniger umweltgefährdende Ersatzprodukte zu verwenden. Indien, das dem Protokoll bislang noch nicht angehört, hatte eine viel höhere Hilfe für die Entwicklungsländer gefordert. Die Art der Verwaltung des Fonds für den Technologietransfer muss noch definiert werden. Einige Länder, darunter die Schweiz, möchten diesen Fonds sowie andere künftige für den Umweltschutz bestimmte Fonds in den von der Weltbank zu schaffenden Mechanismus, d.h. die globale Umweltfazilität (den sogenannten „Grünen Fonds”) eingliedern. Dies würde eine Zentralisierung der Transfermechanismen im Umweltschutzbereich zugunsten der Entwicklungsländer im Rahmen einer einzigen internationalen Organisation bedeuten.
20Die Länder haben ferner eine Verschärfung des Protokolls in Bezug auf Halon gas angenommen, gemäss der die Halonproduktion ab 1992 den Stand von 1986 nicht überschreiten darf. Der Verbrauch und die Herstellung von Halon müssen bis 1995 um die Hälfte reduziert werden und sollen ab dem Jahre 2000 verboten werden. Es sind lediglich Ausnahmen für die Fälle vorgesehen, in denen für die Halonverwendung keine Alternativen gefunden werden. Die dem Protokoll angehörenden Länder müssen bis Anfang 1993 eine Liste der vorzusehenden Ausnahmen aufstellen. Die Entwicklungsländer können weniger drastische Massnahmen treffen, sofern ihr Pro-Kopf-Verbrauch ein gewisses Niveau nicht übersteigt. Die Schweiz hatte sich für eine kürzere Frist für das Halon verbot eingesetzt. Das Umweltschutzgesetz könnte, mit einigen Ausnahmen, ein Verbot der Halon einfuhr und -ausfuhr ab 1991 vorsehen.
21In der Schweiz ist der Verkauf von Aerosolen mit FCKW als Treibgas ab 1991 verboten. Der Verbrauch dieser FCKW machte 1986 45 % des gesamten FCKW-Verbrauchs aus. Das Verbot der übrigen FCKW wird zeitlich gestaffelt, um es der Industrie zu erlauben, umweltverträgliche Ersatzlösungen (für Kühlgeräte, Kunstschaum, Reinigungsmittel und industrielle Lösungsmittel) zu finden. Die vorgeschlagenen Massnahmen wurden nach Rücksprache mit den betroffenen Kreisen bis Ende September 1990 unterbreitet. Sie sollen zu einer starken Verringerung des FCKW-Verbrauchs führen, der 1991 2000 Tonnen und 1995 800 Tonnen – gegenüber 5000 Tonnen 1989 und über 8000 Tonnen 1986 – erreichen könnte.
22Auf der 25. Generalkonferenz der UNESCO wurde eine neue Kommunikationsstrategie ausgearbeitet und angenommen. Anfang der achtziger Jahre hatten die Debatten in der UNESCO über eine neue Weltinformations- und -Kommunikationsordnung heftige Kritik seitens der Industrieländer ausgelöst. Auch wenn die Diskussionen auf der 25. Generalkonferenz ruhiger als in der Vergangenheit verliefen, scheint die Krise der UNESCO noch nicht Oberwunden zu sein. Die Vereinigten Staaten sind weiterhin nicht bereit, in die UNESCO zurückzukehren. Die Schweiz setzt ihre Politik für eine Erneuerung der Organisation fort. Sie beteiligt sich aktiv an den Reformbemühungen und kann dabei auf ihre Schweizer Vertreter in Schlüsselposten, insbesondere im Exekutivrat, zählen.
Nationale schweizerische UNESCO-KommissionDie Schweiz gehört der UNESCO seit Januar 1949 als Mitglied an. Die nationale schweizerische UNESCO-Kommission wurde vom Bundesrat im Mai 1949 gegründet. Sie setzt sich aus Vertretern der Regierung und jener Kreise zusammen, die sich für die Probleme der Erziehung, der wissenschaftlichen Forschung und der Kultur interessieren. Seit 1989 umfasst die Kommission 45 Mitglieder, die vom Bundesrat für vier Jahre gewählt werden. Sie ist in fünf Sektionen aufgeteilt, die den wichtigsten Tätigkeitsbereichen der UNESCO entsprechen (Erziehung und Gesellschaft, Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften, Kultur, Kommunikation). Die Kommission wirkt als Konsultationsorgan für die Regierungsbehörden. Ferner informiert sie die Öffentlichkeit über die Tätigkeit der UNESCO und stellt zwischen der Organisation und den von ihrer Arbeit betroffenen Kreisen eine Verbindung her.
- 1 Der MacBride-Bericht war ein der UNESCO unterbreiteter externer Bericht, der von einer aus 15 Exp (...)
23Die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, UNESCO, befindet sich seit Anfang der achtziger Jahre in einer Krisensituation. Damals hatten mehrere Industrieländer Vorwürfe betreffend die Politisierung der Debatten, die defizitäre Haushaltsführung der Organisation und die Methoden des früheren Generaldirektors der UNESCO, des Senegalesen Amadou Mahtar M’Bow, laut werden lassen. Die Kritik der westlichen Länder, darunter die der Schweiz, hatte sich vor allem gegen das Projekt einer „Neuen Welt-informations- und -Kommunikationsordnung” (NWIKO) gerichtet, das ihrer Ansicht nach die Grundsätze der Medienfreiheit und der Demokratie bedrohte. Dieses Projekt war 1978 von den Entwicklungsländern unterbreitet worden, die damit einen gewissen Schutz gegen die Unausgewogenheit des internationalen Informationsflusses (Vorherrschaft der vier westlichen Presseagenturen : Associated Press (AP), United Press International (UPI), Reuter und Agence France Presse (AFP) bei der weltweiten Verbreitung von Informationen) erreichen wollten. Die MacBride-Kommission1 hatte 1980 Empfehlungen für ein Programm zur Entwicklung der Kommunikation ausgearbeitet (grössere Verantwortung der Journalisten, Warnung betreffend die negativen Auswirkungen, welche die kommerziellen Praktiken auf die Kommunikation haben können, usw.). Das internationale Programm zur Entwicklung der Kommunikation (PIDC) wurde 1982 auf Initiative der Industriestaaten geschaffen. Im Rahmen dieses Programmes wurde finanzielle und technische Hilfe geleistet, um die Fähigkeiten der Entwicklungsländer im Kommunikationsbereich zu entwickeln.
24Die Krise der UNESCO erreichte ihren Höhepunkt in den Jahren 1984-85, mit dem Austritt der Vereinigten Staaten, Grossbritanniens und Singapurs aus der Organisation, sowie 1987, als der frühere UNESCO-Generaldirektor sich zur Wiederwahl für ein weiteres Mandat stellte. Die Wahl des Spaniers Federico Mayor zum neuen Generaldirektor weckte Hoffnungen auf eine tiefgreifende Umstrukturierung der UNESCO Die USA sind jedoch der Meinung dass der ein Geleitete Reformprozess noch zu wenig weit fort Beschritten sei Sie erklärten im Frühjahr 1990 dass sie noch nicht in die Organisation zurückgehren wollten sondern es vorziehen den Druck von aussen aufrechtzuerhalten
25Die Schweiz gehörte zu den ersten Ländern die an gewissen Ausrichtungen der UNESCO – ideologische Kontroversen Zersplitterung der finanziellen Mittel auf eine zu grosse Anzahl von Programmen, mangelhafte Geschäftsführung des früheren Generaldirektors – Kritik geäussert hatten. Sie hatte sich 1987 einer Wiederwahl von M’Bow als Generaldirektor energisch widersetzt und die Kandidatur von Federico Mayor unterstützt. Sie beabsichtigte, im ei sie einer konstruktiven Opposition und des Engagements für die multilaterale Zusammenarbeit bei der Neuorientierung der UNESCO eine aktive Rolle zu spielen mit dem Ziel einer Wiederherstellung des Universalcharakters der Organisation.
26Die 25. Generalkonferenz der UNESCO fand vom 17. Oktober bis 16. November 1989 in Paris statt. 159 Mitgliedstaaten, darunter die Schweiz, nahmen daran teil. Die Schweizer Delegation wurde vom Direktor der Direktion für internationale Organisationen, Jean-Pierre Keusch, geleitet. Die Generalkonferenz ist das oberste Organ der UNESCO. Sie tagt alle zwei Jahre unter Teilnahme aller Mitgliedstaaten. Danach folgt der Exekutivrat (eine Art internationales Parlament), dem die Vertreter von 51 Staaten angehören. Altständerat Franz Muhe im ist seit 1987 (und bis 1991) Mitglied des Exekutivrates.
27Die Tagesordnung der 25. Generalkonferenz umfasste drei heikle Punkte : den Beitrittsantrag Palästinas, (das heute lediglich einen Beobachterstatus für die PLO besitzt), die Annahme des Budgets der Organisation für 1990-91 und die Definition des Ansatzes und der Massnahmen der UNESCO auf dem Gebiet der Information und der Kommunikation. Die Konferenz spielte sich trotzdem in ruhiger Atmosphäre ab.
28Eine am ersten Konferenztag verabschiedete Entschliessung forderte eine Fortsetzung der Prüfung des von Palästina eingereichten Beitrittsantrags und beschloss, Palästina (und nicht den „palästinensischen Staat”) so weit wie möglich an der Tätigkeit der UNESCO teilnehmen zu lassen. Der Beitrittsantrag selbst wurde auf die nächste Generalkonferenz verschoben.
- 2 Die sieben grossen Programme für 1990-95sind folgende : Erziehung und Zukunft ; Wissenschaft für (...)
29Die Konferenz sollte das mittelfristige Arbeitsprogramm für die Jahre 1990-95 annehmen, in dessen Rahmen die grossen Linien der Tätigkeit der UNESCO festgelegt werden. Die westlichen Länder, darunter die Schweiz, hatten seit mehreren Jahren eine Konzentration der Aktivitäten der Organisation gemäss klar definierter Prioritäten gefordert. Die Neuausrichtung geht noch zu langsam vor sich, jedoch setzt sich das verabschiedete Programm (zur Zufriedenheit der Schweiz) aus einer beschränkten Anzahl von Programmen zusammen (18 gegenüber 64 in der Vergangenheit). Es besteht aus sieben Grossprogrammen, die ihrerseits in Unterbereiche unterteilt werden (siehe vollständige Programmliste unter Anmerkung2).
30Die Festlegung der Tätigkeit der UNESCO im Informations- und Kommunikationsbereich stand im Mittelpunkt der Diskussionen. Der Exekutivrat hatte unter Schwierigkeiten eine „neue Kommunikationsstrategie” ausgearbeitet. Ein Entschliessungsentwurf war nahe daran, einen Konsens zu erzielen, als eine Vielzahl von Zusatzanträgen der „Gruppe der 77” (Entwicklungsländer) die Debatten erneut verkrampfte, indem man wieder über die Legitimität der Forderung nach einer neuen Weltinformationsordnung sprach (131. Tagung des Exekutivrates).
31Die von der Generalkonferenz schliesslich verabschiedete Resolution ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen dem Wunsch der Entwicklungsländer, die Disparitäten beim Informationsfluss zu reduzieren, und dem Anliegen der Industrieländer, den freien Informationsfluss zu garantieren. So muss alles getan werden, um die Freiheit des Informationsflusses auf internationaler und auf nationaler Ebene, sowie „einen breiteren und besser ausgewogenen Informationsfluss ohne Behinderung der Ausdrucksfreiheit” zu gewährleisten, (Entschliessungen der Generalkonferenz, französischer Text). Die UNESCO und die Mitgliedstaaten müssen die „Ungleichheiten verringern, die den Informationsfluss derzeit kennzeichnen” dank einer verstärkten Hilfe zur Entwicklung der Infrastrukturen und der Kommunikationskapazitäten in den Entwicklungsländern. Die Entschliessung verstärkt somit die Rolle des internationalen Programms zur Entwicklung der Kommunikation (PIDC) : erhöhte Mobilisierung finanzieller Mittel, Intensivierung der Massnahmen, darunter die Entwicklung von Infrastrukturen, Kompetenzen und Kapazitäten im Kommunikationsbereich in den Entwicklungsländern).
32Für die Schweizer Delegation ist die Informationsfreiheit das oberste Prinzip. Alle anderen Begriffe (darunter ein breiterer und ausgewogener Informationsfluss) sind diesem Prinzip „an Bedeutung untergeordnet”. Nach Ansicht der Schweiz sollte der Streit über eine neue Weltinformationsordnung unbedingt überwunden werden und man sollte einer Minderheit widerstrebender Staaten keine einseitig ausgerichteten Texte aufzwingen. Konkrete Beiträge an Ausrüstung und Ausbildung seien viel wichtiger. Die Schweiz hat sich mit der angenommenen Strategie zufrieden erklärt, da sie den westlichen Anliegen, insbesondere den zahlreichen Hinweisen auf die erforderliche Ausdrucksfreiheit und die Unabhängigkeit der Medien Rechnung trägt. Der Leiter des Programms für die Entwicklung der Kommunikation ist der ständige Vertreter der Schweiz bei der UNESCO, François Nordmann. Jedoch werden weitere Mittel für das Programm gebraucht, um die zahlreichen Finanzierungsanträge zufriedenstellend zu berücksichtigen. 1989 belief sich der Sonderfonds des Kommunikationsprogramms lediglich auf rund 2,3 Millionen Dollar. Der Beitrag der Schweiz betrug 300’000 Franken.
33Die Annahme der übrigen Programme gab nicht zu so intensiven Debatten Anlass. Die Schweiz hat zahlreiche Erklärungen abgegeben. Sie hat die Betonung des Kampfes gegen den Analphabetismus begrüsst, eine Ausrichtung, für die sie sich bereits auf der 23. Generalkonferenz der UNESCO eingesetzt hatte. Hingegen hat die Schweiz ihre Vorbehalte betreffend die Zweckmässigkeit der Ausarbeitung einer internationalen Konvention über die Bedingungen des Lehrpersonals des Hochschulwesens zum Ausdruck gebracht.
34Im Januar 1989 hatte die Schweiz ein Programm zur Unterstützung des der UNESCO angegliederten Internationalen Erziehungsbüros (BIE) in Genf angekündigt, im Betrag von rund 250’000 Franken. Zum anderen unterstützt sie das Internationale Institut für Erziehungsplanung (IIPE) in Paris, 1989 im Betrag von 250’000 Franken. Das Institut für Erziehungsplanung wurde 1963 gegründet. Es veranstaltet Kurse und Seminare zur Ausbildung von Planung- und Verwaltungspersonal im Bildungsbereich aus den Entwicklungsländern. Ferner unternimmt das Institut Forschungen über die Planung und Finanzierung des Bildungswesens.
35Die Schweiz ist derzeit Mitglied des Rates des Internationalen Erziehungsbüros und des zwischenstaatlichen Rates des Internationalen Hydrologischen Programms. Sie wurde in das zwischenstaatliche Komitee der Weltdekade für kulturelle Entwicklung gewählt.
36Das Budget der UNESCO für 1990-91 beläuft sich auf 381 Millionen Dollar, was einem realen Nullwachstum entspricht. Die Schweiz hatte sich der von Federico Mayor vorgeschlagenen Variante widersetzt, die einen realen Zuwachs um 2,5 Prozent vorsah.
37Der unter der Führung des neuen Generaldirektors eingeleitete Reformprozess wird von der Schweiz aufmerksam verfolgt. Sie betrachtet die 25. Generalkonferenz als den Beginn eines Wandels. Sie hat anschliessend scharfe Kritik an den Verfahren des Generaldirektors zur Durchsetzung der von der Generalkonferenz gewünschten Strukturreformen geübt. So hat es Federico Mayor anfangs versäumt, den Exekutivrat zu den von ihm beabsichtigten Massnahmen zu konsultieren. Er hat einen Reformplan mit bedeutenden Dezentralisierungs-massnahmen und zahlreichen Ernennungen für hohe Posten des UNESCO Sekretariats in die Wege geleitet, wobei es scheint, dass dessen finanzielle Folgen und Auswirkungen auf die Durchführung des Programms ungenügend geprüft wurden. Dies hat zu einer Klarstellung auf der 134. Tagung des Exekutivrates im Mai 1990 geführt. Seither wird der Reformprozess, der von den Mitgliedstaaten aufmerksam verfolgt wird, in einer als harmonisch angesehenen Weise fortgesetzt.
38Die dritte Generalkonferenz der UNIDO beschloss, in den neunziger Jahren eine zweite industrielle Entwicklungsdekade für Afrika durchzuführen. Weitere wichtige Themen waren die Förderung der Investitionen, die Auseinandersetzung der UNIDO mit der Verschuldungsproblematik und mit Fragen des Umweltschutzes sowie die Verbesserung der Ausbildung zur Mobilisierung der menschlichen Ressourcen.
39Die dritte UNIDO-Generalkonferenz fand vom 20.-25. November 1989 am Sitz der Organisation in Wien statt. Generaldirektor Domingo Siazon (Philippinen) wurde für ein zweites Mandat von vier Jahren gewählt.
Die UNIDO ist eine auf industrielle Entwicklung spezialisierte UN-Organisation. Sie wurde 1986 eine rechtlich selbständige Spezialorganisation der UNO mit eigenem Budget und hat ihren Sitz in Wien. Eine wichtige, noch zu klärende Frage der Organisation ist ihre Rolle als Koordinatorin der industriellen Aktivitäten innerhalb des UN-Systems, insbesondere ihre Stellung gegenüber dem Entwicklungsprogramm der UNO (UNDP). Die UNIDO muss innerhalb der UN-Spezialorganisationen ihre Bedeutung und ihre Effizienz noch unter Beweis stellen. Die Schweiz ist Mitglied der UNIDO und unterstützt das UNIDO-Investitionsförderungsbüro in Zürich.
40Aufgabe der UNIDO-Generalkonferenz – nebst der Verabschiedung der Arbeitsprogramme und Budgets – ist es, vertieft über die Probleme der Industrialisierung der Entwicklungsländer zu diskutieren und grundsätzliche Strategien industrieller Entwicklung zu erarbeiten. Diese Aufgabe wird jedoch nach Ansicht der Schweizer Delegation von der UNIDO noch zu wenig wahrgenommen. Die Debatten der Generalkonferenzen erschöpfen sich oft in der Frage nach der Finanzierung weiterer Projekte technischer Zusammenarbeit. Ein Grund dafür mag sein, dass die Ländergruppierungen in der Industrialisierungsfrage nicht einheitliche Standpunkte vertreten. So ist es öfters der Fall, dass beispielsweise die jungen asiatischen Industrie- und Schwellenländer, die zur Gruppe 77 (Entwicklungsländer) gehören, die Haltung der Industrieländer vertreten und unterstützen.
41Der Anteil der Entwicklungsländer an der weltweiten Industrieproduktion ist gering. Er stagnierte 1988 bei 13,8 Prozent. Wie die UNIDO in ihrem jährlichen Überblick über die industrielle Entwicklung festhält, haben sich die afrikanischen Länder bemüht, ihre Abhängigkeit von Rohstoffexporten dank vermehrter Industrialisierung zu verringern, sehen sich nun jedoch wieder in die Rolle blosser Rohstofflieferanten zurückgedrängt, ohne wesentliche Industrialisierungsschritte realisiert zu haben.
42Aus Sicht der Schweizer Delegation verlief die hier besprochene dritte Generalkonferenz der UNIDO erfolgreich. Wichtigste Themen waren die Förderung der Investitionen, die zweite Industrie-Entwicklungsdekade für Afrika, das Umweltprogramm, Verschuldung und industrielle Entwicklung, die Verbesserung der Ausbildung zur Förderung der menschlichen und finanziellen Ressourcen und schliesslich Budget und Arbeitsprogramm.
43Wie anlässlich anderer internationaler Konferenzen und Generalversammlungen internationaler Organisationen ist auch für die UNIDO-Generalversammlung zu erwähnen, dass – je nach Interessen – jeweils nur wenige Delegationen engagiert und aktiv an den Verhandlungen teilnahmen.
44Die UNIDO will neue Dienstleistungen zur Investitionsförderung anbieten. Bis anhin ausschliesslich in Industrieländern bestehende Einrichtungen zur Förderung der Investitionen in Entwicklungsländern – wie etwa das UNIDO-Büro in Zürich – sollen auch in den Entwicklungsländern selbst und in einigen Ländern Osteuropas errichtet werden. Bereits wurden zwei Büros zur Förderung der Investitionen im eigenen Land bzw. in der näheren Entwicklungsregion in Seoul und in Warschau eröffnet ; weitere Büros sind vorgesehen in Moskau und in Peking. Die Finanzierung dieser Büros sowie ihre Möglichkeit zur Förderung der Investitionen im eigenen Land gaben allerdings zu heftigen Diskussionen Anlass. Einige Entwicklungsländer (Brasilien, Indien, Mexiko) wünschten ebenfalls die Errichtung solcher Büros zur Förderung von Investitionen in ihrem Land. Einige Industrieländer – darunter die Schweiz – sahen in der Errichtung solcher Büros aber die Gefahr der Doppelspurigkeit mit bereits bestehenden nationalen Institutionen zur Förderung der Investitionen, welche die UNIDO bereits heute unterstützen kann. Die verabschiedete Resolution verlangt von der UNIDO eine bessere Abstimmung ihrer Unterstützung mit anderen Einrichtungen auf dem gleichen Gebiet, namentlich der Dienstleistung FIAS (Foreign Investment Advisory Service) der Weltbank und eine Verbesserung der Qualität der Projekte industrieller Investitionen. Die UNIDO unterstützt die Regierungen der Länder, in welchen Investitionsförderungsbüros errichtet werden, bei der Suche nach extra-budgetären Finanzierungsquellen. Die Entwicklungsländer versuchten vergeblich, die Errichtung regionaler Investitionsförderungsbüros durchzusetzen, welche über das ordentliche UNIDO-Budget hätten finanziert werden sollen.
45Das UNIDO-Sekretariat legte der Generalkonferenz ein Umweltprogramm vor, das u.a. die Schaffung einer „Abteilung Umwelt” sowie die Einrichtung eines Umweltfonds vorsah. Die Generalkonferenz entschied sich allerdings gegen eine programmatische und operationelle Sonderrolle der UNIDO im Umweltschutz. Der Vorschlag stiess nicht nur bei einzelnen Industrieländern auf Opposition. Verschiedene Entwicklungsländer wehrten sich gegen eine neue Bevormundung und fürchteten, dass Umweltschutz gegen industrielle Entwicklung ausgespielt werde. Verabschiedet wurde schliesslich eine Resolution, „wonach alle UNIDO-Projekte die Umweltaspekte berücksichtigen sollen”. Die Schweiz befürwortet die Umweltanstrengungen der UNIDO und schlug eine engere Zusammenarbeit der UNIDO mit dem Umweltprogramm der UNO (UNEP) und mit den regionalen Entwicklungsbanken vor.
46Die Gruppe 77 unterbreitete der Generalkonferenz einen Resolutionsentwurf zur Verschuldungsproblematik. Dieser bekräftigt die Grundsätze der Resolution über die Verschuldung, wie sie von der letzten Generalversammlung in Bangkok verabschiedet wurde. Die Last der Verschuldung wird als grosses Hemmnis für Wachstum und Industrialisierung in den Entwicklungsländern anerkannt. Der Generaldirektor wird beauftragt, zusammen mit anderen internationalen Organisationen Programme zum Wiederaufbau und zur Restaurierung leidender Industrien in Entwicklungsländern zu errichten. Weitere Forderungen der Entwicklungsländer wie etwa diejenige, die UNIDO solle Risiko-Kapital zur Verfügung stellen, um damit negative Auswirkungen der Verschuldung auf die industrielle Entwicklung aufzufangen, kamen nicht durch. Auch die Errichtung eines speziellen Fonds für die Unterstützung von Basisindustrien oder eines UNIDO-Mandats zur Forschung nach neuen Lösungen aus der Verschuldungskrise fanden keine Mehrheit.
47Die schliesslich verabschiedete gemässigte Resolution fand die Unterstützung sämtlicher Mitglieder ausser den USA, welche der UNIDO beharrlich die Diskussion über Verschuldungsfragen verweigern mit der Begründung, die UNIDO sei dafür nicht der geeignete Ort.
48Die Mobilisierung der menschlichen Ressourcen auf dem Gebiet der Industrialisierung ist eine wichtige Aufgabe der UNIDO. Die Generalkonferenz beauftragte Generaldirektor Siazon, vermehrt dafür zu sorgen, dass die Frauen gezielt gefördert und in die UNIDO-Programme, namentlich auch in die Ausbildungsprogramme, einbezogen werden. Der schweizerische Delegationsleiter, Botschafter P.-L. Girard, unterstrich in seiner Eintretens rede die Bedeutung, welche die Schweiz der Ausbildung beimisst. Er befürwortete insbesondere eine Verstärkung der Zusammenarbeit der UNIDO mit den Unternehmen. Die UNIDO könnte beispielsweise unternehmensinterne Weiterbildung und die Zusammenarbeit unter den Unternehmen in Fragen der Ausbildung unterstützen. In den Entwicklungsländern vorhandenes Wissen sollte vermehrt zum Tragen kommen, indem die UNIDO beispielsweise Bildungsveranstaltungen mit lokalen Fachleuten organisiere.
49Die Förderung der finanziellen Ressourcen beschränkt sich im wesentlichen auf die Suche nach Kapital für die Finanzierung technischer Projekte und von Investitionshilfen. Einige Entwicklungsländer, insbesondere lateinamerikanische, verlangen von der UNIDO grössere Anstrengungen auf diesem Gebiet und schlugen die Errichtung einer Industrie-Entwicklungsbank vor. Dieser Vorschlag blieb ohne Unterstützung.
50Die Konferenz beschloss eine zweite Dekade industrieller Entwicklung für Afrika und stellte dafür 8,6 Millionen Dollar bereit. Die UNIDO ist beauftragt, zusammen mit der Wirtschaftskommission für Afrika, dem OAU-Sekretariat und anderen zuständigen Organisationen ein Programm zur Unterstützung der afrikanischen Staaten im Bereich der industriellen Entwicklung auszuarbeiten. Die erste Dekade für Afrika (1980-1990) hatte keine nachweisbaren substantiellen Fortschritte der industriellen Entwicklung gebracht. Die schweizerische Delegation zeigte sich dem neuen Afrika-Plan gegenüber skeptisch. Gegenüber dem vorhergehenden Afrika-Plan müsse Wesentliches verbessert werden. Insbesondere müssten geplante Projekte auf ihre Machbarkeit und auf ihren konkreten industriellen Impact hin analysiert werden, damit die Fehler aus dem früheren Plan vermieden werden.
51Für Lateinamerika und Asien laufen bereits früher beschlossene Spezialprogramme, so beispielsweise das Wiederaufbau-Programm für Lateinamerika und die Karibik.
52Durch Konsens wurden zwei politische Resolutionen angenommen : Die Hilfe der UNIDO an Namibia nach dessen Unabhängigkeit wird verstärkt und die von der OAU anerkannten südafrikanischen Befreiungsbewegungen werden von der UNIDO mehr technische Hilfe – vor allem im Bereich Ausbildung und Kleinunternehmen – erhalten. Keinen Konsens aber eine klare Mehrheit von Ja-Stimmen (darunter die Schweiz) erzielte eine Resolution über den Ausbau der technischen Hilfe an das palästinensische Volk.
53Für die Jahre 1990-91 wurde ein ordentliches Budget von rund 150 Millionen Dollar verabschiedet ; das Budget 1988-89 betrug 120 Millionen Dollar. Der Beitrag der Schweiz beträgt rund 2,5 Millionen Dollar.
54Eine interne Organisationsstudie schlägt eine schrittweise Einführung von Reformschritten mit dem Ziel der Reduzierung der Departemente vor. Die Zahl der stellvertretenden Generaldirektoren soll von derzeit fünf auf drei reduziert werden.
55Die Schweiz ist aktives Mitglied der UNIDO und wurde in die beiden Leitungsorgane Industrie-Entwicklungsrat und in das Programm- und Budget-Komitee gewählt. Die Schweiz unterstützt die Programme der technischen Zusammenarbeit der UNIDO und erhöhte ihren Beitrag, weil sich ihrer Ansicht nach die Qualität der ihr zur Prüfung vorgelegten Projekte allmählich verbessert. Allerdings sei die UNIDO in ihren Projekten noch immer einseitig technisch ausgerichtet und es mangle noch am Einbezug sozio-ökonomischer Aspekte. Generell betrachtet die Schweiz die Strukturen der UNIDO als schwerfällig, zu wenig flexibel, um sinnvoll auf Veränderungen reagieren zu können. Sie begrüsst deshalb den begonnen Reformprozess.
56Die Mitgliedsländer der Welternährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO – sie ist die grösste UN-Sonderorganisation und hat ihren Sitz in Rom – beschäftigten sich an der 25. Generalversammlung schwergewichtig mit der Reform der Organisation und versuchten, die gegenteiligen Positionen zwischen Entwicklungsländern, FAO-Sekretariat und Industrieländern zu einem arbeitsfähigen Konsens zusammenzuführen. Weitere Themen waren die andauernde Finanzkrise der FAO und die Verabschiedung des Arbeitsprogramms sowie des Budgets 1990-91. Der eng mit der FAO zusammenarbeitende Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung IFAD konnte nach langen Verhandlungen 1989 die dritte Kapitalaufstockung verabschieden.
57Die 158 Mitgliedsländer der FAO treffen sich alle zwei Jahre zur Generalkonferenz in Rom und beschliessen nach dem Prinzip ein Land eine Stimme die grundsätzliche Ausrichtung und Politik der Organisation, das Arbeitsprogramm sowie über das Budget. In den letzten Jahren beschäftigte sich die FAO immer wieder mit den gleichen Problemkreisen Finanzkrise und Reform der Organisation. Die USA als grösster Beitragszahler halten mit ihren Einzahlungen zurück und drohen mit dem Austritt, falls die FAO sich nicht zu einer Straffung ihrer Aktivitäten und zu einer Effizienzsteigerung entschliesse. Auch an die FAO richten die USA ihren an fast alle UN-Organisationen gerichteten Vorwurf der Politisierung anstatt Versachlichung der Diskussion – in diesem Fall über Ernährung und Landwirtschaft. Wichtigstes Nichtmitglied der FAO sind die UdSSR, welche allerdings ihr Interesse für einen Beitritt bekundet haben.
58Die Schweiz ist seit 1946 Mitglied der 1945 gegründeten Organisation und ist rotationsmässig Mitglied des FAO-Rates, letztmals von 1987-1989. Die Haltung der Schweiz gegenüber der FAO gründet auf einer aktiven Mitarbeit im Sinne konstruktiver Kritik. Auch die Schweiz setzt sich für Reformen in Richtung Konzentration der Kräfte ein und beanstandet die Verzettelung der Aktivitäten.
59Die 25. FAO-Konferenz fand vom 11. bis 29. November 1989 in Rom statt. In der Eintretensdebatte standen die Probleme des Agrarhandels im Mittelpunkt. Der Protektionismus wurde zwar generell verurteilt und als Hemmnis anerkannt. Viele europäische Industrieländer verteidigten jedoch die besondere Rolle der Landwirtschaft, welche im nationalen Interesse einen gewissen Schutz benötige. Dies einerseits für den Schutz der Ernährungssicherheit aber auch als Sicherung für Beschäftigung und Einkommen der ländlichen Bevölkerung.
60Die FAO arbeitet regelmässig am Traktandum „internationale Anpassung der Landwirtschaft” (ajustement agricole). Sie will ihre in diesem Bereich gemachten Erfahrungen in die im GATT geführte Landwirtschaftsdebatte einbringen. Als FAO-Beitrag an die vierte UN-Entwicklungsdekade erarbeitet das Sekretariat eine Studie über Langzeitstrategien für denErnährungs- und Landwirtschaftssektor.
61Die FAO befasst sich seit mehreren Jahren mit einem Pestizid-Kodex, der an der Generalkonferenz 1985 als freiwilliger Kodex mit zwölf Artikeln verabschiedet wurde (Vgl. Jahrbuch 1986 und 1989). Die FAO-Konferenz von 1989 befasste sich nun nochmals ausführlich mit dem Artikel „Prior Informed Consent” (PIC). Von Seiten der Industrieländer war die bereits 1985 geforderte Aufnahme des „PIC” in den Kodex lange Zeit umstritten. Nach den PIC-Bestimmungen dürfen gefährliche Pestizide nur nach erfolgter Einwilligung des Importlandes ausgeführt werden. Diese Klausel wurde nun von der 25. Generalkonferenz per Konsens verabschiedet ; die Schweiz stimmte dem Konsens zu. Formal ist der „PIC” somit gültig, bis zu seiner praktischen Umsetzung muss eine Expertengruppe jedoch noch seine Funktionsweise klären. Insbesondere muss die Liste der gefährlichen Pestizide ausgearbeitet werden. Viele Entwicklungsländer riefen in Erinnerung, dass sie weder die Ausrüstung noch den notwendigen Ausbildungsstand haben, um die im Pestizidkodex mitsamt den PIC-Bestimmungen/vorgesehenen Kontrollen durchzuführen. Sie appellierten an die Industrieländer, sie mit technischer Hilfe zu unterstützen.
62Die Entwicklungsländer meldeten den Wunsch an, den freiwilligen Kodex in eine rechtlich bindende Konvention umzuwandeln. Dieser Wunsch dürfte auf rechtliche und politische Hemmnisse stossen. Rechtliches Hindernis ist beispielsweise der Umstand, dass die nationalen Gesetzgebungen für die Einführung des Kodex keine genügende Basis bilden. Politisch dagegen argumentieren werden vor allem die Industrieländer aber auch Entwicklungsländer mit ausgebautem Industriesektor. Der Pestizid-Kodex wird somit auch in Zukunft ein wichtiges FAO-Thema bleiben.
63Die FAO hat ein „globales System für Pflanzengenressourcen” geschaffen, welches sich aus einem Rahmen, dem sog. „Internationalen Engagement über die Pflanzengenressourcen”, einer Kommission und einem freiwilligen internationalen Fonds zusammensetzt. Ziel des „Internationalen Engagements” ist der Schutz des pflanzlichen Genmaterials und die gleichzeitige Sicherung des freien Zugangs zu den Genressourcen der Pflanzen. Der Schutz des pflanzlichen Genmaterials ist für die Landwirtschaft generell von grosser Bedeutung. Seine Handhabung beeinflusst aber auch stark die Nord-Süd-Beziehungen : der Grossteil des pflanzlichen Genmaterials befindet sich – in Form von Wildpflanzen und alten Kulturpflanzen – im Süden, die Forschungspotentiale hingegen befinden sich schwergewichtig im Norden. Mehrere Industrieländer hatten schon anlässlich der Verabschiedung des „Internationalen Engagements” 1983 ihre Vorbehalte angemeldet.
64Die FAO-Konferenz 1989 verabschiedete nun zwei vage gehaltene Resolutionen : Die Resolution „droits des agriculteurs” anerkennt das Recht der Bauern auf die von ihnen benutzten Pflanzengenressourcen. Sie sieht u.a. auch eine Entschädigung an die Bauern für den Falle einer kommerziellen Ausbeutung „ihres Genmaterials” vor. Die Resolution „interprétation concertée de l’engagement international” regelt die Rechte der Züchter und hält u.a. fest, dass „freier Zugang” nicht „unentgeltlicher Zugang” zu den Genressourcen bedeute. Noch sind die Formulierungen vage gehalten und vermitteln kein klares Konzept. Mit den beiden Resolutionen wurden jedoch seit 1983 strittige Punkte bereinigt. Die Schweiz stimmte den Resolutionen zu.
65An der 24. Generalversammlung 1987 hatten die Mitgliedsländer das FAO-Sekretariat beauftragt, einen Aktionsplan zur Integration der Frauen in der Entwicklung zu verfassen. Der Plan fordert eine systematische Eingliederung der Frauenfrage auf allen Stufen der FAO-Organisation, der Projekte, der Politik. Die Regierungen sind aufgerufen, ihre Gesetzgebung im Sinne des Frauen-Aktionsplanes zu revidieren. Schlüsselfragen sind beipielsweise der Zugang für die Frauen zu Land, zu Krediten, zu den Dienstleistungen und zu technischem Wissen. Grundvoraussetzung bildet der Zugang der weiblichen Bevölkerung zur Bildung. Die 25. FAO-Generalkonferenz nahm Kenntnis vom Aktionsplan und verabschiedete eine Resolution zu dessen Umsetzung in die Praxis.
66Das Arbeitsprogramm 1990-91 erfuhr eine weitere Ausdehnung und veranlasste mehrere Länder zur Kritik, dass durch diese Zersplitterung der Kräfte die Effizienz der FAO weiter sinke. Die Industrieländer hatten eine Konzentration und eine klare Setzung von Schwerpunkten in der Tätigkeit der FAO gefordert, dies bei einem realen Budget-Nullwachstum. Das Sekretariat und eine Mehrheit der Entwicklungsländer wehrte sich jedoch für ein Wachstum der Ausgaben. Verabschiedet wurde schliesslich ein ordentliches Budget von 568,8 Millionen Dollar, was gegenüber dem vorherigen Zweijahresbudget nach FAO-Berechnungen ein reales Wachstum von rund 1 Prozent ausmacht. Das ausserordentliche Budget (u.a. Beiträge des UN-Entwicklungsprogramms UNDP) wird für den gleichen Zeitraum auf 775 Millionen Dollar veranschlagt ; es dient insbesondere der Finanzierung des Feldprogramms. Das Feldprogramm der FAO ist umstritten, weil die Generalversammlung über diese Aktivitäten nur ex post informiert wird, sie kann über das Feldprogamm nicht entscheiden und dieses nur schwer kontrollieren.
67Die Budgetberatungen dauerten ganze zwei Wochen und waren Gegenstand zäher Verhandlungen. Insbesondere verärgerte die erst anlässlich der Konferenz präsentierte Reduktion des sog. „lapse factor” (Budgetabzug für nicht besetzte Posten) von 5,5 auf 3 Prozent, womit Generaldirektor Saouma faktisch rund 10 Millionen Dollar mehr zur Verfügung stehen.
68Auch die Schweiz zeigte sich verärgert über den „Budgettrick” und enthielt sich bei der Budgetabstimmung der Stimme. Die Delegation bedauerte auch die weitere Ausdehnung der Aktivitäten der FAO und hätte vielmehr eine Konzentration auf die eigentlichen Aufgaben der FAO gesehen, nämlich ihre Rolle als Informationszentrum zu Fragen der Landwirtschaft und Ernährung, als landwirtschaftspolitische Beraterin der Regierungen, welche diese in Planung und Analyse des Agrarsektors unterstützt, und schliesslich als Entwicklungsorganisation. Dabei gehe es jedoch nicht darum, den Bitten der Mitgliedsländer um Unterstützung oder Durchführung von Projekten ohne vorherige genaue Abklärung und Beratung zu entsprechen. Um effizient arbeiten und in den einzelnen Aktivitäten die kritische Masse erreichen zu können, müssten dafür andere Tätigkeiten aufgegeben werden.
69Die Einleitung des Reformprozesses hatte an der Generalversammlung 1987 begonnen, als eine z.T. FAO-interne Expertengruppe beauftragt wurde, Vorschlage für die Verbesserung der FAO-Tätigkeit auszuarbeiten und insbesondere folgende Bereiche auszuleuchten : Ziele, Rolle, Prioritäten und Strategien der FAO, ihre Feldaktivitäten und schliesslich Management-Fragen. Die eigentliche Reformdiskussion war wichtigstes Traktandum der hier besprochenen 25. FAO-Tagung. Die Entwicklungsländer fanden mehrheitlich, dass die FAO grundsätzlich gut arbeite, aber schwer unter der Finanzkrise leide ; zusätzliche Finanzmittel könnten die Situation bereits wesentlich verbessern. Dies war auch die Haltung des FAO-Sekretariats und des Generaldirektors Saouma, welcher betonte, dass allein durch das Bevölkerungswachstum laufend neue Fragen und Aufgaben an die FAO herantreten, denen nur mit einem grösseren Finanzhaushalt begegnet werden könne. Die meisten Industrieländer forderten eine klare Prioritätensetzung im Rahmen der vorhandenen Finanzen. Die FAO könne dadurch im internationalen Wettbewerb um die Entwicklungsgelder besser überzeugen, als durch weit verstreute Aktivitäten.
70Die Schweiz engagierte sich aktiv an der Reformdebatte. Sie leitete eine informelle Arbeitsgruppe, welche die Reformvorschläge der Industrieländer ausgearbeitet hatte. Die Delegation zeigte sich über die Reformdebatte enttäuscht. Es seien zwar zahlreiche Reformforderungen akzeptiert worden, allerdings in recht vager Form. Von einem Durchbruch bezüglich Reformdenken könne nicht gesprochen werden.
71Als Reformvorhaben beschloss die Generalversammlung u.a., dass die Aktivitäten der FAO in der Analyse und Beratung von Agrarpolitiken gestärkt werden sollen und dass eine Mitsprache der Mitgliedsländer über das Feldprogramm eingeführt wird. Eine rollende mittelfristige Planung auf sechs Jahre hinaus soll helfen, FAO-Schwerpunkte herauszukristallisieren.
72Der internationale Fonds für ländliche Entwicklung (IFAD) arbeitet eng mit der FAO zusammen. Dieser 1977 gegründete Landwirtschaftsfonds hat die Aufgabe, zusätzliche Finanzmittel zu mobilisieren, um die Ernährungsgrundlagen und die wirtschaftliche Situation der Ärmsten unter den Armen – dies sind insbesondere landlose Bauernfamilien – zu verbessern. Sie funktioniert praktisch als Agrarentwicklungsbank der UNO. Die Schweiz ist seit der Gründung Mitglied und im IFAD-Rat vertreten.
73Nach sehr schwierigen Verhandlungen wurde 1989 die längst fällige Kapitalaufstockung des IFAD beschlossen. Sie liegt mit 523 Millionen Dollar unter der erwarteten Erhöhung der Mittel auf 750 Millionen Dollar. Dies liegt in erster Linie am neuen Beitrags-Mechanismus. Bei der Gründung finanzierten zwölf OPEC-Länder und zwanzig Industrieländer den Fonds paritätisch. Die Gründung des IFAD geht auf die FAO-Konferenz von 1974 zurück, bei der sich die OPEC-Länder angesichts ihrer guten wirtschaftlichen Lage (Ölpreisboom) für zusätzliche Finanzierungsmassnahmen auf dem Agrarsektor einsetzten. Inzwischen ist der Oelpreis gefallen und die wirtschaftliche Lage der OPEC-Länder hat sich verschlechtert. Neu sind nun auch gewisse Schwellenländer zu Beitragszahlungen an den IFAD bereit. Für die dritte Kapitalaufstockung wurde folgendes Beitrags-Verhältnis beschlossen : OECD-Länder rund 346 Millionen Dollar, OPEC-Länder 124 Millionen Dollar, Schwellenländer 53 Millionen Dollar. Der Beitrag der Schweiz beträgt rund 17 Millionen Franken.
74An der 43. Weltgesundheitsversammlung wurden intensive Diskussionen über die Politik der wesentlichen Medikamente geführt. Unter den 32 weiteren Punkten ihrer Tagesordnung prüfte sie ausserdem die finanzielle Lage der Organisation, die Strategie zur Aids-Bekämpfung und die Anwendung des internationalen Kodexes zur Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten. Die Schweiz misst dem Aktionsprogramm für die wesentlichen Medikamente und dem Programm zur Aids-Bekämpfung besondere Bedeutung bei.
75Die 43. Weltgesundheitsversammlung fand unter Teilnahme von über 1000 Delegierten aus den Mitgliedsländern der WHO vom 7. bis 17. Mai 1990 in Genf statt. Namibia trat der Organisation im April 1990 als 167. Mitgliedstaat bei. Die Schweizer Delegation wurde vom Direktor des Bundesamtes für Gesundheitswesen, Beat Roos, geleitet.
76Die Debatten über das Aktionsprogramm für die wesentlichen Medikamente wurden auf der Grundlage des von WHO-Generaldirektor Hiroshi Nakajima unterbreiteten Tätigkeitsberichts geführt. Dieser Bericht wurde wegen der Befürchtungen, die durch die Politik des neuen Generaldirektors der Organisation in diesem Bereich ausgelöst wurden, mit grosser Spannung erwartet. Die Tätigkeit des Aktionsprogramms der wesentlichen Medikamente ist seit 1988 zurückgegangen. 1989 wurde die Hälfte der hierfür vorgesehenen Finanzmittel nicht ausgegeben. Auch sind einige Schlüsselposten in der Organisation noch nicht wieder besetzt worden, darunter derjenige des Leiters der neuen Medikamentenabteilung. Es ist nicht auszuschliessen, dass die von verschiedenen Ländern geleisteten freiwilligen Beiträge reduziert werden, wenn das Vertrauen in wirksame Programme nicht wiederhergestellt wird.
In den 80er Jahren hat die WHO bedeutende Anstrengungen zur Förderung eines rationelleren Medikamentengebrauchs unternommen. 1977 wurde das Ziel der „Gesundheit für alle bis zum Jahre 2000” angenommen. 1978, auf der Konferenz von Alma-Ata (UdSSR), wurden die Basisgesundheitsdienste als das geeignete Mittel zur Erreichung dieses Ziels angesehen. Das Aktionsprogramm für die wesentlichen Medikamente und Impfstoffe wurde noch im gleichen Jahr erstellt. Sein Hauptziel ist, eine regelmässige Versorgung der gesamten Bevölkerung mit einer Auswahl von mehr als 250 wesentlichen Arzneimitteln zu gewährleisten, die eine Bekämpfung von über 90 Prozent aller Krankheiten ermöglichen würde. Die 1986 angenommene Pharmastrategie der WHO erlaubt es den Regierungen, die technische Unterstützung der Organisation in Anspruch zu nehmen, um die nationalen Bedürfnisse an Arzneimitteln durch die Auswahl und Verteilung einer beschränkten Anzahl von Präparaten annehmbarer Qualität zu niedrigsten Kosten zu decken. Derzeit haben über hundert Länder eine Liste wesentlicher Medikamente aufgestellt und rund fünzig Länder haben mit der Ausarbeitung einer nationalen Politik der wesentlichen Medikamente begonnen.
77Nach Angaben der WHO haben 1,5 Milliarden Menschen noch immer nicht regelmässig Zugang zu den grundlegenden Arzneimitteln auf der Ebene der Basisgesundheitsdienste. Die wirtschaftlichen Probleme und der Devisenmangel haben in vielen Ländern eine Knappheit an Medikamenten zur Folge.
78Die Pharmaindustrie hat sich im Anfang gegenüber dem Konzept der wesentlichen Medikamente sehr skeptisch verhalten. Sie bemühte sich, das Konzept auf den öffentlichen Sektor der ärmsten Entwicklungsländer zu beschränken. Einige Industriestaaten schliessen sich diesem Standpunkt an. Andere Länder, darunter die Schweiz, sind der Ansicht, dass das Konzept der wesentlichen Medikamente das gesamte Gesundheitswesen aller Länder betrifft. Die pharmazeutische Industrie hat sich nach und nach im Ausbildungsbereich eingesetzt und hat mit beauftragten Gruppen zur Evaluierung des Arzneimittelbedarfs gewisser Länder zusammengearbeitet.
79Viele Länder, darunter auch die Schweiz, haben auf der 43. Weltgesundheitskonferenz ihre Unterstützung für das Aktionsprogramm der wesentlichen Medikamente bekräftigt. Die Schweiz hatte sich nachdrücklich gegen die Idee der Ausarbeitung eines Verhaltenskodexes für die Pharmaindustrie über die Vermarktung von Arzneimitteln ausgesprochen. Hingegen hat sie die Schaffung und anschliessend die Durchführung des Aktionsprogramms unterstützt. Sie hat eine externe Evaluation des Programms gefordert und sich an deren Finanzierung beteiligt. Diese Evaluation (siehe Quellen) hebt den Erfolg der Förderung des Konzepts der wesentlichen Medikamente hervor und analysiert die Massnahmen, welche mittels des Aktionsprogramms in denjenigen Ländern durchgeführt wurden, die ihre Politik im Bereich der wesentlichen Arzneimittel verbessern wollen. In ihrem Kommentar zu dieser Evaluation drückte die Schweiz den Wunsch aus, dass der Verteilung und der richtigen Anwendung der Medikamente in den Gesundheitszentren mehr Beachtung geschenkt werde.
80Auf der Weltgesundheitskonferenz hat die Schweizer Delegation die Bedeutung der Ausbildung des Personals im pharmakologischen Bereich und des Krankenpflegepersonals unterstrichen. Für die Schweiz besteht zwischen dem Konzept der wesentlichen Medikamente und dem Konzept des freien Marktes nicht unbedingt ein Widerspruch.
81Die WHO-Versammlung hat eine von der Schweiz miterfasste Entschliessung verabschiedet, in der die betroffenen Parteien aufgefordert werden, die Durchsetzung der revidierten Pharmastrategie zu fördern. Der Generaldirektor der Organisation wird darin aufgefordert, dem Konzept der wesentlichen Medikamente stärkere Unterstützung zukommen zu lassen und für die 45. Weltgesundheitskonferenz im Jahre 1992 einen Bericht über die Anwendung der von der WHO definierten ethischen Kriterien betreffend die Werbung der Arzneimittelfirmen auszuarbeiten.
82Der für 1991/92 vorgesehene Haushalt zur Finanzierung der Aktivitäten des Programms der wesentlichen Medikamente beläuft sich auf 22 Millionen Dollar.
83Die Internationale Gesundheitsaktion (Health Action International, HAI) ist ein 1981 geschaffenes Netz von etwa hundert Organisationen, welche Verbraucherverbände, Gesundheitsfachleute und Entwicklungshilfespezialisten aus 60 Ländern vertreten. Sie setzt sich für die Förderung eines rationellen Medikamentengebrauchs ein und ermutigt die WHO, ihre Bemühungen in diesem Bereich fortzusetzen.
84Auf der 43. Weltgesundheitskonferenz hat die HAI mit verschiedenen Delegationen Verbindung aufgenommen, um sie dazu anzuregen, das Aktionsprogramm der WHO zu unterstützen und die auf dem Konzept der wesentlichen Medikamente beruhende nationale Politik ihrer jeweiligen Länder zu verbessern.
85In der Schweiz hat die Erklärung von Bern auf Fälle von fraglichen Arzneimittelverkäufen der schweizerischen Pharmaindustrie in den Entwicklungsländern hingewiesen. Es handelt sich dabei um Präparate mit Verbindungen von Produkten, die als irrational angesehen werden, ferner um unvollständige Informationsblätter, irreführende Werbetexte, sowie um den Verkauf bestimmter Medikamente, für die es andere weniger gefährliche oder wirksamere Alternativen gibt. Auch kann ein und dasselbe Medikament je nach Land mit anderen Zusammensetzungen und unterschiedlichen Notizen verkauft werden.
86Gemäss einer von Robert Hartog 1989 im Auftrag der Erklärung von Bern durchgeführten Untersuchung sind nur 17 Prozent der von den Schweizer pharmazeutischen Firmen in 51 Entwicklungsländer exportierten 1084 Medikamenten auf der Liste der wesentlichen Medikamente aufgeführt. 31 Prozent der exportierten Arzneimittel werden in der Schweiz nicht vertrieben. Im September 1989 hat die Erklärung von Bern die Einführung gesetzlicher Massnahmen gefordert, um die Ausfuhr von in der Schweiz nicht registrierten Medikamenten zu verbieten.
87Der Vertreter der International Federation of Pharmaceutical Manufacturers’ Associations (IFPMA) hat auf der Weltgesundheitsversammlung den Wunsch der Pharmaindustrie ausgedrückt, mit dem Aktionsprogramm der WHO zusammenzuarbeiten, um die Versorgung mit wirksamen und qualitativ guten Arzneimitteln zu verbessern.
88Betreffend die Anwendung des internationalen Kodexes über die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten wurde ein Bericht vorgelegt. Der Exekutivrat der WHO hat angesichts des Zurückgehens der Häufigkeit und der Dauer des Stillens von Säuglingen in vielen Entwicklungsländern seine Besorgnis ausgedrückt. Die Niederlande haben die Ausarbeitung eines Systems zur Kontrolle der Anwendung dieses internationalen Kodexes vorgeschlagen, jedoch ohne Erfolg.
89Eine einstimmig angenommene Entschliessung hat zum Ziel, bis zum Jahre 2000 die durch Jodmangel verursachten Krankheiten in der ganzen Welt zu beseitigen. Nach Angaben der WHO leben eine Milliarde Menschen in einer durch Jodmangel gekennzeichneten Umwelt. Der Jodmangel wirkt sich vor allem auf schwangere Frauen und deren Kinder im Mutterleib (Totgeburten, bzw. Gehirnschäden beim Fötus oder beim Neugeborenen) aus. Die vorbeugende Verabreichung von jodhaltigem Salz, Öl oder Wasser Hesse sich ohne grosse Kosten durchführen. 2 Millionen Dollar würden ausreichen, um Programme zur Bekämpfung der Jodmangelkrankheiten in der Welt zu fördern.
90Das Problem der Immunschwächekrankheit Aids ist für die Mitgliedsländer der WHO weiterhin ein Grund zur Besorgnis. Nach WHO-Statistik waren 1989 600 000 Personen an Aids erkrankt und 5 bis 10 Millionen Menschen vom Aids-Virus (VIH) befallen. Die Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, die Programme zur Aids-Bekämpfung mit den für Frauen, Kinder und Familien bestimmten Programmen zu koordinieren, bzw. in diese Programme aufzunehmen.
91Die Schweiz hat dem von der WHO im Jahre 1987 verabschiedeten Programm zur Aids-Bekämpfung ihre Unterstützung zukommen lassen. Dieses Programm ist dazu bestimmt, die nationalen Programme der verschiedenen Länder zu unterstützen. Die schweizerische Delegation hat sich gegen jegliche Diskriminierungsmassnahmen gegen Aids-Kranke ausgesprochen.
92Bei der Zahlung der Mitgliedsbeiträge der Organisation sind weiterhin grosse Rückstände zu verzeichnen. Am 30. April 1990 betrug der Zahlungsrückstand 53,7 Millionen Dollar für die Jahre vor 1990 und über 200 Millionen Dollar für das Jahr 1990.
93Die Weltgesundheitsversammlung hätte für diejenigen Länder, deren Zahlungsrückstand zwei Jahre beträgt oder übersteigt, die vorgesehenen Sanktionen anwenden, das heisst diesen Ländern vorübergehend das Stimmrecht entziehen sollen. Jedoch wurde – zur Enttäuschung jener Länder, die ihre Beiträge pünktlich zahlen – die zur Durchsetzung der Sanktionen erforderliche Zweidrittelmehrheit der Mitgliedsländer nicht erreicht. Die Schweiz hätte die Anwendung der vorgesehenen Sanktionen begrüsst.
94Die WHO finanziert gemeinsam mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und der Weltbank das Programm zur Forschung und Ausbildung auf dem Gebiet der Tropenkrankheiten. Die Weltgesundheitsversammlung hat die Pharmaindustrie aufgefordert, die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe gegen Tropenkrankheiten zu verstärken und ihre Zusammenarbeit mit dem Programm zu intensivieren.
95Im Rahmen der WHO wurde eine Kommission für Gesundheit und Umwelt geschaffen, die sich insbesondere mit dem Problem der Entsorgung gefährlicher Abfälle befassen soll.
96Die von der Weltgesundheitsversammlung verabschiedete Entschliessung fordert die Mitgliedsländer einem Vorschlag der Schweiz entsprechend auf, die Basler „Konvention über die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs mit Sonderabfällen und ihrer Beseitigung” von 1989 (siehe Jahrbuch 1990) zu ratifizieren. Lediglich drei Länder, darunter die Schweiz, haben das Übereinkommen bisher ratifiziert, welches zu seinem Inkrafttreten 20 Ratifikationen benötigt ; 54 Staaten haben das Abkommen unterzeichnet.
97In einer weiteren von der Weltgesundheitsversammlung angenommenen Resolution wird der Generaldirektor der WHO aufgefordert, seine Prüfung des Beitrittsantrags Palästinas fortzusetzen. Im Vorjahr hatte die WHO bereits auf Vorschlag der Schweiz und neun weiterer Länder eine Abstimmung über diesen Antrag verschoben.
98Jedes Jahr im Juni findet in Genf die Internationale Arbeitskonferenz statt. 1990 wurden neue Normen verabschiedet auf den Gebieten Nachtarbeit und Anwendung chemischer Substanzen am Arbeitsplatz. Neue Normen betreffend die Arbeitsbedingungen in Hotelbetrieben und in Restaurants wurden in einer ersten Lesung vorbereitet, während eine Diskussion den Problemen der Selbständigerwerbenden gewidmet war. Die Konferenz verabschiedete eine Resolution über den Umweltschutz. Die ständigen Traktanden „Kontrolle der Anwendung der Normen” sowie der „Aktionsplan gegen die Apartheid” wurden auch dieses Jahr behandelt. Gastredner Nelson Mandela forderte die Fortsetzung der Wirtschaftssanktionen gegenüber Südafrika bis die Apartheid endgültig abgeschafft sei.
99Im Zusammenhang mit Nachtarbeit behandelte die 77. Arbeitskonferenz zwei Fragen : Die Ueberprüfung der ILO-Konvention Nr. 89 aus dem Jahre 1948, welche ein Nachtarbeitsverbot für Frauen in der Industrie vorsieht und die Schaffung einer neuen Konvention zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für alle in der Nacht arbeitenden Menschen.
100Die Arbeitskonferenz ergänzte die Konvention Nr. 89 zur Nachtarbeit : In einem Zusatzprotokoll werden Ausnahmeverfahren beschrieben, die eine Lockerung des Nachtarbeitsverbots für Frauen in der Industrie erlauben. Falls die Schweiz dieses Zusatzprotokoll ratifiziert, müsste eine Gesetzesänderung diese Ausnahmebestimmungen aufnehmen. Die Regierungsvertreter der Schweiz hatten vorgängig der Konferenz durchblicken lassen, sie werde das Übereinkommen Nr. 89 kündigen, falls das darin festgesetzte generelle Nachtarbeitsverbot für Frauen in der Industrie nicht gelockert werde. Die schweizerischen Gewerkschaften hingegen hatten sich vielmehr für eine Ausdehnung der Beschränkung der Nachtarbeit für beide Geschlechter eingesetzt, ohne Erfolg. Der verabschiedete Kompromiss bestätigt die Zweckmässigkeit des generell zu geltenden besonderen Schutzes zugunsten der Frauen und formuliert die Aufhebung des Nachtarbeitsverbotes als Ausnahme in besonderen Fällen. Nach der verabschiedeten Ergänzung kann eine staatliche Instanz – in der Schweiz das BIGA – unter bestimmten Bedingungen (z.B. nur mit der Zustimmung der Gewerkschaften) – die Einwilligung zu einer Lockerung des Nachtarbeitsverbots für Frauen geben. Die Vertreter der schweizerischen Arbeitgeber stimmten gegen die Kompromissformel, sie waren für eine bedingungslose Aufhebung des Nachtarbeitsverbots eingetreten. Viele Entwicklungsländer haben sich für das Beibehalten des Nachtarbeitsverbots für Frauen eingesetzt und betonten die Härte der Lage der Frauen.
101Verabschiedet wurde hingegen eine neue Konvention über die Verbesserung aller in der Nacht arbeitenden Menschen. Sie beschreibt geeignete Massnahmen, um die schädlichen Auswirkungen der Nachtarbeit auf die Gesundheit, die Sicherheit, das Familienleben, die soziale Integration, den beruflichen Aufstieg von allen Nachtarbeitenden – Frauen und Männern – zu vermindern.
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) wurde 1919 als gemeinsames Organ von Sozialpartnern (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberdelegationen) und Regierungsvertretern gegründet. Ihre operationelle Einheit ist das Internationale Arbeitsamt mit Sitz in Genf. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die ILO als Sonderorganisation in die UNO eingegliedert. An den jährlich im Juni stattfindenden Internationalen Arbeitskonferenzen werden neue Uebereinkommen zu Fragen der Beschäftigung und der sozialen und materiellen Sicherheit im weitesten Sinne ausgearbeitet oder revidiert sowie die Einhaltung bereits verabschiedeter Normen durch die Mitgliedstaaten überprüft. Die ILO hat demnach nicht die Nord-Süd-Zusammenarbeit als Arbeitsgrundsatz, sondern generell die Bedingungen der Arbeitswelt in allen Mitgliedsländern.
An der 77. Arbeitskonferenz nahmen über 2000 Delegierte aus 139 Ländern teil. Merkmal der Arbeitskonferenz ist das dreigliedrige System, wonach Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Regierungen mit jeweils mehreren Delegierten vertreten sind, was die grosse Teilnehmerzahl erklärt.
102Ein neues ILO-Übereinkommen regelt den Schutz der mit chemischen Substanzen Arbeitenden. Die Konvention definiert Risikoklassen und -stufen und verpflichtet die Lieferanten von Chemikalien zur Information über die Gefährlichkeit ihrer Produkte (mittels Etikettierung). Internationale Standards für die Lagerung und Handhabung dieser Produkte am Arbeitsplatz sollen ausgearbeitet werden. Besondere Beachtung verdienen dabei die Produktion- und Lagerbedingungen in Entwicklungsländern, wo oft das nötige Wissen und die Technologien fehlen, um die Menschen vor den schädlichen Auswirkungen chemischer Substanzen zu schützen, oder wo von Produzenten und Händlern solche Risiken für die mit diesen Stoffen Arbeitenden bewusst in Kauf genommen werden.
-
Vorbereitet wurden eine Übereinkunft und eine Empfehlung über die Arbeitsbedingungen im Hotel- und Restaurationsgewerbe, welche an der nächsten Arbeitskonferenz vertieft diskutiert und verabschiedet werden sollen. Die Konferenz diskutierte im weiteren Richtlinien zur Förderung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Selbständig erwerbenden.
-
Apartheid : Die Arbeitskonferenz bekräftigte ihren Willen zu wirtschaftlichen und politischen Sanktionen gegenüber dem Apartheidsregime in Südafrika und hielt fest, dass „positive Entwicklungen” im Land nicht darüber hinwegtäuschen sollen, dass das Regime an der Apartheid festhält.
-
Namibia : In einer Resolution fordert die Arbeitskonferenz zu einer Verstärkung der internationalen Hilfe an das unabhängige Namibia auf.
103Hauptthema nebst der Arbeit war an der 77. Arbeitskonferenz die Umwelt. In seinem Bericht „Die Umwelt und die Arbeitswert” betonte Generaldirektor Hansenne, dass Umweltfragen nicht einfach an die laufenden ILO-Programme angehängt werden können, sondern dass der Schutz der Umwelt vielmehr in alle Programme integriert werden müsse. Die Konferenz verabschiedete eine Resolution in welcher die Regierungen aufgerufen werden, in ihrer Politik zur Vollbeschäftigung den Umweltschutz gebührend zu beachten. Im weiteren ruft die Resolution zur Erhöhung der Entwicklungszusammenarbeit im Umweltbereich auf. Diejenigen Entwicklungsländer sollen besonders unterstützt werden, die auf den Abbau nicht regenerier barer Ressourcen verzichten.
- 3 Die Ergebnisse der Uruguay-Runde in den verschiedenen Verhandlungsgruppen werden in der nächsten (...)
104Die laufenden Verhandlungen der Uruguay-Runde haben Meinungsverschiedenheiten über die Frage zutage treten lassen, welches Ausmass die vorgesehene Liberalisierung des Welthandels annehmen soll3. Die Schweiz bereitet sich darauf vor, mit einer Infragestellung gewisser Instrumente ihrer Agrarpolitik konfrontiert zu werden. Einige Entwicklungsländer fürchten um ihre nationale Hoheit im Bereich der Dienstleistungen und des geistigen Eigentums. Die schweizerischen Hilfswerke haben 1990 zu bestimmten Verhandlungsthemen (Landwirtschaft, Dienstleistungen, geistiges Eigentum insbesondere auf dem Gebiet der Biotechnologien) Stellung genommen.
105Die multilateralen Handelsgespräche im Rahmen der Uruguay-Runde des GATT wurden im September 1986 in Punta del Este (Uruguay), unter der Teilnahme von 105 Ländern (darunter die Schweiz) eingeleitet. Die Verhandlungen werden in einer gesonderten Gruppe für den Handel mit Dienstleistungen und in vierzehn Gruppen für die verschiedenen Waren, mit dem Ziel einer Liberalisierung des Welthandels geführt. Die zum Abschluss der Uruguay-Runde vorgesehene Ministerkonferenz fand (trotz der Vertagung der Verhandlungen) im Dezember 1990 in Brüssel statt.
106Eine der Charakteristiken dieser Verhandlungsrunde ist der Wunsch der Teilnehmer, die Regeln des GATT auf weitere Sektoren des Welthandels auszudehnen (Investitionen, geistiges Eigentum und Dienstleistungen) und die GATT-Vorschriften in Bereichen anzuwenden, die dem Kompetenzbereich des GATT bislang entzogen wurden (zum Beispiel die Landwirtschaft).
107Bei der Liberalisierung des Handels sind seitens gewisser Länder Widerstände aufgetreten. So möchten die Entwicklungsländer das Multifaserabkommen durch ein den GATT-Regeln entsprechendes multilaterales System ersetzen. Das Multifaserabkommen erlaubt es den Industrieländern, für Textilien aus den Entwicklungsländern Einfuhrkontingente festzusetzen. Die Industrieländer wünschen ihrerseits eine allmähliche Abschaffung des Abkommens im Zeitraum von 10 bis 15 Jahren.
108Die von den Industrieländern angestrebte Handelsliberalisierung betrifft den grenzüberschreitenden Waren-, Dienstleistung- und Kapitalverkehr. Hingegen haben sich diese Länder der Idee einer von den Entwicklungsländern geforderten Migrationsfreiheit nachdrücklich widersetzt.
109Die Schweiz misst den Verhandlungen der Uruguay-Runde grosse Bedeutung bei, insbesondere was die Ziele einer Reform der Anwendung der Schutzklauseln, der Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen und eines besseren Schutzes des geistigen Eigentums betrifft.
110Im Juli 1990 hat die Arbeitsgemeinschaft der vier Hilfswerke Swissaid/ Fastenopfer/ Brot für Brüder/ Helvetas zu einigen Themen der GATT-Gespräche und zur Rolle der Schweiz in den Verhandlungen Stellung genommen. Im November 1990 wurde von verschiedenen Umweltschutzbewegungen, Bauernverbänden und Dritte-Welt-Organisationen (darunter : Basler Appell gegen Gentechnologie, Greenpeace Schweiz, Erklärung von Bern, Verein der kleineren und mittleren Bauernbetriebe) eine Petition an den Bundesrat und die Schweizer Delegation beim GATT eingereicht.
111Die Schweiz wünscht eine allmähliche Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen (Audio-visueller Bereich, Banken und Versicherungen, Bauwesen, Beratung und Werbung, Femmeldewesen, Transport und Tourismus). Sie strebt einen Zugang zum Dienstleistungsmarkt an, der auf den Grundsätzen der Nichtdiskriminierung, der Markttransparenz und der nationalen Behandlung beruht. Letztere räumt den nationalen und ausländischen Firmen in Bereichen, in denen eine konkrete Verpflichtung eingegangen wird, gleiche Behandlung ein. Die Meistbegünstigungsklausel ist für die Schweiz als eine Garantie der Nichtdiskriminierung sehr wichtig.
112Die Entwicklungsländer befürchten ihrerseits, dass die Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen das Wachstum eines selbständigen nationalen Dienstleistungssektors behindert und die transnationalen Dienstleistungsunternehmen zu sehr begünstigt. Die Hilfswerke haben die Schweiz aufgefordert, den Standpunkt der Entwicklungsländer zu berücksichtigen, insbesondere den der ärmsten Länder, die einen eigenen Dienstleistungssektor errichten wollen.
113Im landwirtschaftlichen Bereich forderten die USA eine vollständige Liberalisierung des Handels mit Agrarprodukten. 14 Nettoausfuhrländer von landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Cairns-Gruppe), darunter zehn Entwicklungsländer, schlugen die Abschaffung der meisten Beschränkungen des Zugangs zu den Agrarmärkten vor, sowie die Einführung genauer Regeln betreffend alle Subventionen, die eine Auswirkung auf den Handel mit Agrarprodukten haben.
114Diejenigen Entwicklungsländer, welche Nettoeinfuhrländer von landwirtschaftlichen Produkten sind, haben angesichts der Steigerung der Einfuhrkosten, die sich aus den landwirtschaftlichen Reformen ergeben würde, ihre Befürchtungen zum Ausdruck gebracht. Die Europäische Gemeinschaft widersetzte sich der Tendenz zum Freihandel. Die Vereinigten Staaten forderten im Herbst 1990 einen 70prozentigen Abbau der internen Agrarsubventionen, sowie eine 90prozentige Senkung der Agrarexportsubventionen innerhalb von zehn Jahren. Die Europäische Gemeinschaft schlug ihrerseits einen 30prozentigen Abbau dieser Subventionsmassnahmen und die Schweiz einen 20prozentigen Abbau in zehn Jahren vor.
115In Anbetracht ihrer weitgehenden Agrarschutzmassnahmen befand sich die Schweiz, zusammen mit den skandinavischen Ländern, Japan und Österreich in der Defensive. So widersetzte sich die Schweiz einer vollständigen Liberalisierung des Agrarhandels und setzte sich für die Anerkennung des Rechts der Länder ein, eine nationale Agrarpolitik zu verfolgen, die es ihnen gestattet, nichtwirtschaftliche Ziele (Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung, Erhaltung von bäuerlichen Familienbetrieben, usw.) zu verwirklichen. Nach Ansicht der USA sollten diese Ziele ohne Verzerrungen des Welthandels durch direkte Zahlungen an die Landwirte erreicht werden, die nicht an die Produktion gebunden sind, beispielsweise indem man die sogenannten „Landschaftsgärtner” für ihre Dienste an der Allgemeinheit bezahlt, anstatt die Einfuhren zu beschränken und Preisgarantien oder Exportsubventionen zu gewähren.
116Gemäss dem Standpunkt des Schweizerischen Bauernverbandes muss jedes Land über seine Agrarpolitik selber bestimmen können, und die vielfältigen nichtwirtschaftlichen Funktionen der Landwirtschaft sollten anerkannt werden. Die Schweizer Bauern und die Landwirte verschiedener westeuropäischer Länder haben mehrmals demonstriert, um ihre Befürchtungen gegenüber einer vollständigen Liberalisierung des Handels mit Agrarprodukten zum Ausdruck zu bringen, die zu einem bedeutenden Rückgang der Zahl der europäischen landwirtschaftlichen Betriebe führen könnte.
117Aufgrund von drei parlamentarischen Anfragen wurde am 1. Oktober 1990 im Nationalrat eine Debatte über die Frage der Auswirkungen der Uruguay-Runde auf die schweizerische Agrarpolitik geführt. Einige Parlamentarier drückten angesichts der Bedrohungen, die auf der Schweizer Landwirtschaft lasten, und in Anbetracht der mangelnden Berücksichtigung der Umweltschutzfragen durch das GATT ihre Befürchtungen aus. Nach Ansicht von Bundesrat Delamuraz sollte in der Schweiz ein System von direkten Zahlungen an die Landwirte errichtet werden ; die Landwirtschaft sollte ihrerseits die Zeichen des Marktes besser beachten.
118Die zwischen den Ländern im Agrarbereich bestehenden weitreichenden Meinungsverschiedenheiten hatten zur Folge, dass die gesamten Verhandlungen der Uruguay-Runde gebremst und deren Erfolg sogar in Frage gestellt wurde. So musste der für Dezember 1990 vorgesehene Abschluss der Handelsgespräche wegen der Divergenzen im Landwirtschaftssektor vertagt werden.
119Die Industriestaaten, darunter die Schweiz, strebten in den Verhandlungen einen verstärkten Schutz des geistigen Eigentums an. Für die Schweiz war ein Erfolg in diesem Bereich angesichts der betrügerischen Nachahmungen der von der Schweiz ausgeführten Erzeugnisse (Uhren, pharmazeutische Produkte, Textilien (Zeichnungen und Modelle), Werkzeugmaschinen, Schokolade, usw.) von entscheidender Bedeutung. Das GATT könnte dadurch die Mitgliedsländer dazu bringen, nationale Gesetze entsprechend den GATT-Vorschriften zu erlassen, indem es den Regierungen ein System zur friedlichen Beilegung von Streitfällen, mit der Verhängung von Sanktionen als letztem Mittel, zur Verfügung stellt.
120„Die schweizerischen Vorschläge zielen auf die Schaffung von Regeln ab, die ein hohes Schutzniveau sicherstellen sollen und geeignete Verfahrensbestimmungen miteinschliessen. Die neuen Regeln sollen im GATT selbst verankert sein, sich auf die allgemeinen Prinzipien des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Meistbegünstigung, Inländerbehandlung, Nichtdiskriminierung) stützen und dem Streitbeilegungsverfahren des GATT unterstellt werden.” (…) (Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 1989, S. 47).
121Einige Entwicklungsländer (vor allem Indien und Brasilien) befürchten, dass ein zwanzigjähriger Patentschutz die Entwicklung einer nationalen Industrie behindern würde und – im Widerspruch zu den Liberalisierungsbemühungen – das Monopol der ausländischen Firmen verstärken würde. Für die Industrieländer bleibt ein wirksamer Schutz des geistigen Eigentums hingegen der beste Garant für den Technologietransfer.
122Nach Ansicht von Richard Gerster (Koordinator der Arbeitsgemeinschaft der vier Hilfswerke) steht die Haltung der Schweiz im Widerspruch zur Geschichte des Landes. In der Tat hat der unzureichende Patentschutz es der Schweiz in der Vergangenheit erlaubt, sich durch Nachahmungsverfahren zu industrialisieren, insbesondere im Chemiesektor, der sich dem Schutz des geistigen Eigentums zu Anfang des Jahrhunderts widersetzt hatte.
123Nach Meinung der Hilfswerke sollte lediglich der Handel mit nachgeahmten Erzeugnissen im Rahmen des GATT geregelt werden, da die restlichen Probleme der Zuständigkeit der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) unterstehen. Die Patente über Nahrungsmittel und Medikamente sollten weiterhin im Rahmen der innerstaatlichen Gesetzgebung und nicht durch internationale Verordnungen geregelt werden.
124Die schweizerischen Umweltschutzbewegungen und Dritte-Welt-Organisationen widersetzen sich der Ausdehnung der Patente auf lebende Organismen, Mikroorganismen oder Tiere, die durch die neuen Biotechnologien genetisch verändert werden. Die verschiedenen nichtstaatlichen Organisationen befürchten in Anbetracht der Entwicklung der neuen Biotechnologien eine Marginalisierung der Kleinbauern, sowie eine Schwächung der Exportkapazität der ärmsten Länder aufgrund der neuen Anbau- und Ersatzprodukte. Die NGO wenden sich gegen eine Erschliessung des Erbgutes der Entwicklungsländer ohne Gegenleistung und warnen vor den mit dem Rückgang der biologischen Vielfalt verbundenen Gefahren. Sie sind der Meinung, dass die Patente sich dahingehend auswirken, den Zugang der Entwicklungsländer zu den genetischen Ressourcen und den neuen Technologien zu behindern.
125Die Vereinigten Staaten haben einen Patentschutz für alle genetisch veränderten lebenden Organismen ohne Ausnahme gefordert. Die Schweiz und Japan unterstützen diesen Vorschlag. Die Schweiz ist jedoch bestrebt, Missbräuche auf diesem Gebiet durch andere Mittel zu vermeiden, beispielsweise durch die Verweigerung der Eintragung der Patente, wenn die Erfindung die menschliche Würde verletzt. Die Parlementsdebatten über die Revision des Schweizer Patentgesetzes für einen besseren Schutz der Erfindungen in diesem Bereich wurden auf Anfang 1991 verschoben (zur Revision des Patentgesetzes siehe auch Jahrbuch 1990, S. 93 ff).
126Die schweizerischen Hilfswerke und diverse Umweltschutzbewegungen verlangen ein Verbot der Patentierung von Genen, Zellen oder Geweben eines jeglichen Lebewesens, um eine Aneignung des Genügtes der Menschheit zu vermeiden. Sie streben die Einführung einer nationalen Gesetzgebung über den Bereich der Gentechnologie an.
127Die im Herbst 1989 abgehaltene Tagung des Rates für Handel und Entwicklung war der jährlichen Prüfung der Interdependenz der Probleme betreffend den Handel, die Entwicklungsfinanzierung und das internationale Währungssystem gewidmet. In Anbetracht der Veränderungen in den osteuropäischen Staaten wurde die Zweckmässigkeit der traditionellen Diskussionen an der Tagung vom Frühjahr 1990 in Frage gestellt. 131 Mitgliedstaaten des Rates, darunter die Schweiz, haben an dieser 36. ordentlichen Tagung teilgenommen.
128Der UNCTAD-Bericht über Handel und Entwicklung 1989 bildete die Grundlage der Debatten auf der Herbsttagung 1989 des Rates. Die Auswirkungen der Verschuldungskrise der Entwicklungsländer standen ein weiteres Mal im Mittelpunkt der Analyse. Der Bericht weist erneut auf die Mängel der derzeitigen Schuldenstrategie hin, auch wenn die Idee eines konkreten Schuldennachlasses, wie er im UNCTAD-Bericht von 1988 vorgeschlagen worden war, im Brady-Plan aufgenommen wurde. Nach Ansicht des UNCTAD-Sekretariats sind die Mittel zur Reduzierung der Schulden der Entwicklungsländer weiterhin unzureichend, und diejenigen Länder, die unfähig sind, ihre gesamtwirtschaftliche Stabilität zu sichern, sind von diesem Schuldennachlass ausgeschlossen. Während die Gruppe B (Industrieländer) es für notwendig hält, dass ein Fortschritt in Richtung wirtschaftlicher Stabilität eine Voraussetzung für weitere Schuldenreduzierungen bildet, erklärte die „Gruppe der 77” (Entwicklungsländer) in den Debatten, dass die desolate Wirtschaftslage zahlreichen Entwicklungsländer einen Schuldennachlass unerlässich mache.
129Der Bericht untersucht ferner die Anpassungsbemühungen der am wenigsten entwickelten Länder, die in einem ungünstigen internationalen Rahmen erfolgten (Preisrückgang bei gewissen Rohstoffen, protektionistischer Druck, Mangel an finanziellen Mitteln zu Vorzugsbedingungen sowie an Darlehen der Handelsbanken). Zwar konnten einige der am wenigsten entwickelten Länder (12 Länder) aufgrund ihrer Strukturanpassungspolitik ein besseres aussenwirtschaftliches Gleichgewicht erzielen, jedoch wurde dies eher durch eine Beschränkung der Binnennachfrage und eine Drosselung der Einfuhren als durch eine Steigerung der Ausfuhren erreicht. Andere Ergebnisse sind weniger erfolgreich: Bei nur wenigen Ländern (3 von 12) liegt die jährliche Zuwachsrate des BSP über der Rate für die Gesamtheit der ärmsten Entwicklungsländer. Die Abwertung der Landeswährungen hat kaum zur Erhöhung der Ausfuhren beigetragen. Das Verhältnis des Schuldendienstes zu den Aus führerlosen ist bei einigen Ländern weiterhin hoch (50 Prozent für den Sudan, 49 Prozent für denNiger, 40 Prozent für Bangladesch, usw.). Ferner verweist der Bericht auf das Problem der mangelnden Kohärenz zwischen den Bemühungen der Entwicklungsländer, ihre Politik stärker in die Weltwirtschaft einzugliedern, und dem wachsenden Protektionismus seitens der Industrieländer.
130Zu Abschluss der Debatten wurde eine Entschliessung über die Verschuldung der Entwicklungsländer auf der Grundlage eines von der „Gruppe der 77” eingereichten Resolutionsentwurfs verabschiedet. Ein Jahr zuvor konnte in dieser Frage keine Übereinstimmung erzielt werden (siehe Jahrbuch 1990, Punkt 6.1.). Zur Zufriedenheit der Schweiz begrüsst die Entschliessung die in der internationalen Schuldenstrategie vor kurzem erfolgten Neuerungen, darunter die positiveren Massnahmen des Pariser Klubs betreffend die erleichterte Umschuldung der Schulden gewisser Entwicklungsländer mit niedrigem Einkommen. Der Resolutionstext führt sechs Massnahmen an, welche die Schuldner und Gläubiger im Rahmen einer verbesserten Schuldenstrategie ergreifen sollten, darunter Verhandlungen über Finanzierungsbestimmungen, die einen Schuldennachlass einschliessen können, die Ausarbeitung von Programmen gesamtwirtschaftlicher Stabilisierung durch die Schuldnerländer, unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die schwächeren Bevölkerungsgruppen.
131Am Ende dieser Tagung wurde eine Erklärung über den 25. Jahrestag der UNCTAD angenommen, dessen der Rat für Handel und Entwicklung auf seiner Sitzung vom 5. Oktober 1989 gedachte. Bei diesem Anlass wurde die Bedeutung der Rolle der UNCTAD bekräftigt, insbesondere von der Schweiz, welche die wesentlichen Leistungen der Organisation im Bereich der Zollpräferenzen und des Rohstoffhandels hervorgehoben hat.
132Auf der Tagung des Rates im Frühjahr 1990 wurde der Anerkennung der Werte der Marktwirtschaftsmechanismen neue Impulse verliehen – dies zur Zufriedenheit der Schweiz, welche auch ein Nachlassen der Gegensätze zwischen den einzelnen Ländergruppen begrüsste. Nach einer langen Periode, die vom Willen beherrscht war, bedeutende Instrumente zur Regulierung des Welthandels einzuführen (besonders in den Bereichen wettbewerbsbeschränkende Handelsmassnahmen, Technologietransfer, Seeschifffahrt, Rohstoffe, usw.), werden seit der Konferenz über Handel und Entwicklung von 1987 (UNCTAD VII) die Werte des freien Marktes wieder nachdrücklich bekräftigt. Die in den osteuropäischen Staaten eingetretenen Veränderungen lassen das Funktionieren der von der UNCTAD errichteten multilateralen Verhandlungsstruktur noch problematischer werden. Die Verhandlungen werden durch Ländergruppen geführt (die „Gruppe der 77”, die jetzt 128 Entwicklungsländer umfasst, die „Gruppe B” der Industrieländer, die „Gruppe D” der Ostblockstaaten, und China als separate Einheit). Dieses System wurde seit der UNCTAD VII in Fragegestellt, da es nicht erlaubt, die erhebliche Heterogenität der Interessen innerhalb einer Gruppe zu berücksichtigen (z.B. umfasst die „Gruppe der 77” sowohl am wenigsten entwickelte Länder wie auch neu industrialisierte Länder, die sogenannten „Schwellenländer). Auf der Frühjahrstagung 1990 des Rates für Handel und Entwicklung haben einige Länder Osteuropas (Ungarn, Polen und die Tschechoslowakei) erklärt, dass sie sich nicht mehr als zur „Gruppe D” zugehörig betrachten. Diese Länder wollen nicht mehr in den Unterlagen der UNCTAD als Länder mit verschiedenem System aufgerührt werden. Sie haben die Bezeichnung der traditionellen Diskussionen über den „Handel zwischen den Systemen” zurückgewiesen, die eine Förderung des Handels zwischen Ländern mit „unterschiedlichen Wirtschaft- und Gesellschaftssystemen” anstreben, insbesondere den „Ost-Südhandel”. Die Gruppe B bekräftigte jedoch, dass die Analyse des Ost-Südhandels weiterhin relevant sei. Bulgarien und Rumänien wollten ihrerseits nicht mehr als „sozialistische Länder” bezeichnet werden. Bislang wurde noch keine Lösung für einen neuen Ansatz gefunden. Nach Ansicht der Schweiz ist eine Neuorganisation des UNCTAD-Sekretariats notwendig.
133Des weiteren hat die Gruppe der 77 ihre Unzufriedenheit bezüglich der sich in den Verhandlungen der Uruguay-Runde noch verstärkenden Asymmetrie und Ungleichgewichte zum Ausdruck gebracht. Sie bedauerte den mangelnden politischen Willen, die Textilien in den Rahmen des GATT zu integrieren sowie diefestgefahrenen Verhandlungen im Landwirtschaftssektor. Für die Schweiz ist die Stärkung des multilateralen Handelssystems durch die Uruguay-Runde sehr wichtig, um eine Wiederankurbelung des Wachstums der Entwicklungsländer zu ermöglichen. Die Industrieländer machen über 80 Prozent des Welteinkommens aus. Sie sind somit in erster Linie für die Erhaltung des Wirtschaftswachstums verantwortlich und sollten den Zugang der Entwicklungsländer zu ihren Märkten fördern.
134In einer Entschliessung werden die auf der Frühjahrstagung behandelten Themen, darunter die jährliche Prüfung des Protektionismus und der Strukturanpassung aufgeführt, Zu diesem Thema wird eine Strukturanpassung in den Industrie Ländern gefordert, die eine Erweiterung der Märkte für diejenigen Produkte erlaubt, für die die Entwicklungsländer einen komparativen Vorteil aufweisen.
135Ferner setzte der Rat (gemäss dem ihm von der UNCTAD VII erteilten Auftrag) seine Untersuchung des Dienstleistungssektors fort, auf der Grundlage eines Berichtes des UNCTAD-Sekretariats, der das Problem des Handels mit Dienstleistungen und die Entwicklung der Technologie analysiert (siehe Quellen). In dem Bericht wird auf die mit dem Liberalisierungsprozess verbundenen Schwierigkeiten hingewiesen, wenn noch keine nationalen Bestimmungen erlassen wurden und wenn eine nationale Industrie erst im Entstehen begriffen ist. Nach Ansicht der Schweiz ist es notwendig, durch die Erstellung eines genau formulierten Zeitplans des Liberalisierungsprozesses Transparenz zu erzielen, anstatt Ausnahmen berechtigte Schutzmassnahmen und eine differenzierte Behandlung vorzusehen. die Durchdringung der internationalen Märkte setzt den grenzüberschreitenden Verkehr eines oder mehrerer Faktoren (Personen, Kapital, Güter und Informationen) voraus. Nach der Meinung der Schweiz sollte ein Liberalisierungsabkommen keine Änderungen der nationalen Einwanderungsgesetze nach sich ziehen.
136Die Konferenzen über Handel und Entwicklung finden alle drei oder vier Jahre statt und bilden den Mittelpunkt der Tätigkeit der UNCTAD. 1983 hatte Kuba der Organisation angeboten, die UNCTAD VI in Havanna abzuhalten. Wegen der Weigerung der Vereinigten Staaten, an einer in Kuba organisierten Konferenz teilzunehmen, wurde diese schliesslich in Belgrad veranstaltet. Aus den gleichen Gründen wurde die UNCTAD VII 1987 in Genf abgehalten. Für die UNCTAD VIII konnte, wiederum auf die Weigerung der USA, kein Konsens in der Gruppe B für die Bewerbung Kubas gefunden werden. Die anderen Ländergruppen waren hingegen bereit, die Konferenz in Havanna zu veranstalten. Auf der Frühjahrstagung des Rates gab Kuba bekannt, dass es sein Recht au die Einladung der UNCTAD VIII an ein anderes lateinamerikanisches Land abtritt. Die UNCTAD VIII wird im September-Oktober 1991 in Punta del Este (Uruguay) abgehalten.
137Im Oktober 1990 haben sich die Länder auf folgende Themen geeinigt, die auf der achten Konferenz über Handel und Entwicklung erörtert werden sollen : Entwicklungsressourcen, Welthandel, Technologie, Dienstleistungen, Rohstoffe.
138In die Berichtsperiode fiel die Entscheidung der Schweiz, dem neuen Internationalen Juteabkommen und dem Internationalen Zuckerabkommen beizutreten. Vier Jahre nach der Zinnkrise konnte eine gütliche Lösung zur Beilegung des Konflikts zwischen dem Internationalen Zinnrat, der im Dezember 1985 Konkurs gemacht hatte, und seinen Gläubigem gefunden werden. Bei den Internationalen Abkommen über Kaffee und Kakao bestehen weiterhin erhebliche Funktionsschwierigkeiten.
139Das Integrierte Rohstoffprogramm, das von der UNCTAD 1976 auf ihrer Konferenz in Nairobi ausgearbeitet wurde, war insbesondere dazu bestimmt, den Abschluss internationaler Abkommen über 18 Rohstoffe zu fördern. Hauptziele des Programms waren die Verringerung der Preisschwankungen bei den Rohstoffen, die Steigerung der Exporteinnahmen der Entwicklungsländer, die Diversifizierung ihrer Produktion und die Förderung ihrer Vermarktungs-, Vertriebsund Transportsysteme. Ferner wurde die Ausgleichsfinanzierung für Verluste bei Exporteinnahmen, die sich aus dem Rückgang der Rohstoffpreise ergeben, gefördert.
140Derzeit sind acht internationale Abkommen über die Produkte Jute, Kaffee, Kakao, Naturkautschuk, Olivenöl, Tropenhölzer, Weizen und Zucker in Kraft. Davon verfügt lediglich das Kautschukabkommen über ein funktionsfähiges Ausgleichslager zur Preisstabilisierung. Bei den Abkommen über Kaffee und Kakao sind die Regulierungsmechanismen derzeit ausser Kraft gesetzt. Die anderen Abkommen sehen keine wirtschaftlichen Bestimmungen vor, die ein Eingreifen auf dem Markt möglich machen würden. Sie tragen hauptsächlich zur besseren Markttransparenz bei.
141Die Schweiz gehört allen Rohstoffabkommen an, mit Ausnahme des Zukkerabkommens, (bei dem der Beitritt für Ende 1990 vorgesehen ist), und des Olivenölabkommens. Die Schweiz ist grundsätzlich für eine Beteiligung an solchen Abkommen, sogar mit wirtschaftlichen Bestimmungen, eingestellt, sofern sie die beiden folgenden Bedingungen erfüllen. Zum einen muss das Abkommen die Beteiligung der wichtigsten Ausfuhr- und Einfuhrländer sicherstellen, (die den überwiegenden Anteil des Weltmarkts ausmachen). Zum anderen dürfen die Wirtschaftsklauseln den grundlegenden Markttendenzen nicht entgegen gerichtet sein.
142Die Schweiz hat ausserdem für die Jahre 1987 bis 1990 ein Programm in Höhe von 40 Millionen Franken aufgestellt, das zur Ausgleichsfinanzierung der Defizite aus den Exporteinnahmen der ärmsten Entwicklungsländer bestimmt ist. Weitere 90 Millionen Franken werden ab 1991 für vier Jahre aus dem vierten Rahmenkredit zur Fortführung der wirtschafts- und handelspolitischen Massnahmen der Entwicklungszusammenarbeit für das gleiche Ziel bereitgestellt.
143Die UN-Konferenz über Jute und Juteartikel fand vom 30. Oktober bis 3. November 1989 (unter Beteiligung der Schweiz) statt. Zum Abschluss der Konferenz wurde ein Internationales Juteabkommen verabschiedet. Es soll das 1982 angenommene Abkommen ablösen, das am 8. Januar 1991 ausläuft. Die Schweiz hat ihre Beteiligung am Internationalen Juteabkommen erneuert.
144Die Vorbereitungen und die Verhandlungen über das Internationale Juteabkommen zogen sich von 1978 bis 1982 hin. Das Abkommen trat im Januar 1984 in Kraft. Es sah keine Preisstabilisierungsmassnahmen durch ein Ausgleichslager oder einen anderen Mechanismus vor. Es strebte eine bessere Markttransparenz an, indem es einen Rahmen für die Zusammenarbeit und Konsultationen zwischen den Juteexport- und -Importhandel bot. Es sollte die Ausdehnung des internationalen Jutehandels fördern, die Wettbewerbsfähigkeit der Juteerzeugnisse verbessern und die Produktion (durch eine Verbesserung der Erträge, der Qualität und der Fabrikationsverfahren) steigern. Diese Ziele sollten hauptsächlich durch die Verbreitung von Informationen betreffend den Jutemarkt erreicht werden und mittels der Ausarbeitung, Auswahl, Finanzierung und Durchführung von Projekten der Forschung und Entwicklung, der Kostenreduzierung und der Verkaufsförderung, indem man beispielsweise neue Verwendungsmöglichkeiten für Juteerzeugnisse suchte. Das Abkommen umfasst Rohjute, Kenaf, andere juteähnliche Fasern, sowie vorwiegend aus Jute hergestellte Produkte (Jutesäcke, Jutefaserteppiche, Jutetapeten u.a.).
145Die Internationale Juteorganisation, mit Sitz in Dakka (Bangladesh), überwacht die Anwendung des Juteabkommens. Der Internationale Juterat, in dem alle Mitgliedstaaten vertreten sind, ist das oberste Gremium der Organisation. Die Mitgliedsländer haben insgesamt 2000 Stimmen, davon 1000 Stimmen für die Ausfuhrländer und 1000 Stimmen für die Einfuhrländer. Die Stimmen sind entsprechend dem Marktanteil der einzelnen Mitgliedsländer aufgeteilt. Die Schweiz hat 6 Stimmen (von 2000).
146Die bescheidenen Jahresbeiträge, die von den Mitgliedstaaten gezahlt werden, decken lediglich die Verwaltungskosten. Es war ursprünglich im Abkommen vorgesehen, dass die Ausarbeitung und die Durchführung der Projekte von regionalen und internationalen Finanzinstitutionen, durch freiwillige Beiträge oder durch den zweiten Schalter des gemeinsamen Rohstoff-Fonds finanziert werden können. Da der zweite Schalter jedoch noch nicht in Betrieb ist, beruhte die Finanzierung der Projekte fast ausschliesslich auf den internationalen Organisationen und den freiwilligen Beiträgen der Mitgliedsländer. Auf dieser Grundlage konnte lediglich die Hälfte der zur Finanzierung der 17 ausgewählten Förderungsprojekte vorgesehenen Mittel zusammengetragen werden und nur vier Projekte wurden effektiv durchgeführt.
147Die fünf grössten Juteproduzentenländer, welche 99,6 Prozent der Weltausfuhren (im Durchschnitt der Jahre 1985/86 bis 1987/88) ausmachen, gehörten dem Abkommen an. Es handelt sich um Bangladesh (60,6 % der Weltausfuhren), Indien (20 %), China (9,2 %), Thailand (8,2 %) und Nepal (1,6 %).
148Die 15 grössten Juteimportländer, die dem Abkommen angehören (darunter die USA und die Europäische Gemeinschaft), machen nur 49,5 Prozent der Welteinfuhren aus (Zahlenangaben der UNCTAD). Die Sowjetunion, als grösstes Juteeinfuhrland der Welt, sowie andere Ostblockstaaten und verschiedene Juteeinfuhrländer Afrikas und Asiens haben sich dem Abkommen von 1982 nicht angeschlossen.
149Die Jute hat für Bangladesch und Indien heute noch eine gewisse sozio-ökonomische Bedeutung, wenngleich diese im Zurückgehen begriffen ist. 1989 machten die Juteausfuhren im Fall von Bangladesch nur noch 30 Prozent seiner Exporteinnahmen aus, gegenüber 80 Prozent Anfang der 70er Jahre (gemäss „Marchés tropicaux”).
150Die Juteherstellung ist durch starke Schwankungen von einem Jahr zum anderen gekennzeichnet, vor allem wegen der Abhängigkeit von den Wetterverhältnissen und den starken Preisschwankungen (bzw. die Auswirkung der Preisschwankungen auf die Wahl der Anbauerzeugnisse). Die Produktion schwankt seit 1960 jährlich um plus oder minus 16 Prozent. Die Juteherstellung in der Welt ist von 3,76 Millionen Tonnen im Jahre 1986/87 auf 2,96 Millionen Tonnen 1988/89 (gemäss Zahlenangaben aus „Marchés tropicaux”, 29.6.1990) zurückgegangen.
151Die Konkurrenz der Kunststoffe ist sehr stark und verschärft sich noch, wenn die Jutepreise ansteigen. Nichtsdestoweniger hat die Verwendung von Jute zur Herstellung von Säcken gewisse Vorteile bei der Beförderung halbverderblicher Nahrungsmittel und für die Umwelt (Lüftung, verwesbare Säcke).
152Das Juteabkommen von 1989 weist gegenüber dem alten Abkommen keine grundlegenden Veränderungen auf, da die vorgeschlagenen Änderungen keinen Konsens fanden. Obwohl Indien und Bangladesch sich bemühten, Preisstabilisierungsmechanismen in das Abkommen einzufügen, sind keine wirtschaftlichen Preisregulierungsbestimmungen darin vorgesehen, da sich die Juteeinfuhrländer der Einführung solcher Klauseln nachdrücklich widersetzten. Die Mehrheit der an den Verhandlungen beteiligten Länder hat sich geweigert, die Beiträge für die Projekte der Internationalen Juteorganisation obligatorisch zu machen. Es müssen zusätzliche Mittel durch den zweiten Schalter des gemeinsamen Rohstoff-Fonds gefunden werden, der im Juni 1989 in Kraft getreten ist. Die Diskussionen konzentrierten sich auch auf eine ausführlichere Beschreibung der Ziele des Abkommens. Eine neue Bestimmung sieht beispielsweise vor, „die Umweltaspekte im Rahmen der Organisationstätigkeiten gebührend zu berücksichtigen und dabei insbesondere die Vorteile der Verwendung von Jute als natürlichem Produkt hervorzuheben” (Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 89/1-2, S. 284). Das neue Abkommen sieht auch eine bessere Zusammenarbeit und Koordinierung mit anderen internationalen Organisationen vor.
153Das Internationale Juteabkommen tritt für eine Laufzeit von fünf Jahren (mit einer Verlängerung von maximal vier Jahren) in Kraft, wenn drei Staaten, die zusammen mindestens 85 Prozent der Nettoausfuhren und 20 Staaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der Nettoeinfuhren ausmachen, das Abkommen unterzeichnet oder ratifiziert haben.
1541988 machten die schweizerischen Nettoeinfuhren an Jutefasern und Juteleinen nur 0,2 Prozent des Weltvolumens im Jutehandel aus. Die Schweiz nimmt somit als Juteimportland den 27. Rang ein. Sie war Mitglied des ersten Juteabkommens seit 1982. Ab 1986 hat die Schweiz auf freiwilliger Basis zur Kofinanzierung von Forschungs- und Vermarktungsprojekten für einen Gesamtbetrag von 1 Million Dollar beigetragen. Sie würde eine Erhöhung der Anzahl der Förderungsprojekte begrüssen ; jedoch ist sie gegen vorgeschriebene Beiträge zur Finanzierung der Projekte eingestellt, solange man für die geplanten Vorhaben keine klaren Prioritäten setzt. Das derzeitig gehandhabte Verfahren erlaubt es der Schweiz, diejenigen Projekte zu unterstützen, die sie für wichtig hält, ähnlich wie bei der Finanzierung der Projekte des Internationalen Abkommens über Tropenhölzer oder des Internationalen Handelszentrums der UNCTAD und des GATT.
155In seiner Botschaft vom 10. Januar 1990 hat der Bundesrat der Bundesversammlung vorgeschlagen, den Beitritt der Schweiz zum neuen Juteabkommen zu erneuern, wobei er die Bedeutung des Rohstoffhandels für die ärmsten Entwicklungsländer hervorhob. Die eidgenössischen Räte haben diesen Vorschlag auf der Session im Frühjahr 1990 gebilligt ; die Ratifizierungsurkunden wurden im Herbst 1990 eingereicht.
156Gemäss der Botschaft des Bundesrates trägt das Abkommen zu einer besseren Markttransparenz bei. Der Entwicklung neuer Juteartikel sollte besondere Beachtung geschenkt werden. Die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit wird in Anbetracht der scharfen Konkurrenz der Kunstfasern für unerlässlich angesehen.
1571989-90 wies die Kakaoproduktion (nun bereits im sechsten Jahr) wiederum einen Produktionsüberschuss auf. Bis Anfang 1990 war die Tendenz der Kakaopreise sinkend. Die von der Internationalen Kakaoorganisation (ICCO)im Mittel von zehn Markttagen berechneten Richtpreise beliefen sich Anfang Januar 1990 auf 734 Sonderziehungsrechte (SZR) pro Tonne (gegenüber 1136 SZR/Tonne im Vorjahr). Die politische Krise in der Elfenbeinküste und die Aussichten auf eine Erhöhung der Kakaonachfrage in den osteuropäischen Ländern haben danach zu einem Anstieg der Kakaopreise geführt. Trotz des anhaltenden Produktionsüberhangs haben die meisten grossen Kakaoproduzentenländer ihre Produktion seit 1985-86 erhöht. Von 1985-86 bis 1989-90 hat die Weltkakaoproduktion um 21 % zugenommen und erreicht heute 2’398’000 Tonnen. Im gleichen Zeitraum stieg die Produktion in Malaysia um 83 %, in Nigeria um 45 %, in Ghana um 35 %, in Indonesien um 34 % und in der Elfenbeinküste, die 30 % der Weltproduktion liefert, um 23 % (Berechnung nach Angaben von Marchés tropicaux, 29.6.1990).
158Das niedrige Preisniveau kann die Zukunft der Kakaoproduktion bedrohen, insofern als der Kakaopreis unter die Produktionskosten absinken kann und die erforderlichen Kostenreduzierungsmassnahmen zu einer Qualitätsminderung führen würden.
159Ende Februar 1988 hatte das Ausgleichslager des Internationalen Kakaoabkommens von 1986 seine Höchstkapazität von 250’000 Tonnen erreicht. Dadurch ist das wichtigste Instrument des Abkommens zur Dämpfung der Preisschwankungen seither lahmgelegt. Der vorgesehene Marktrückzugsmechanismus, der eine zusätzliche Kakaolagerung in den Produzentenländern erlaubt, ist wegen der Meinungsverschiedenheiten zwischen den Erzeuger- und den Verbraucherländern über seine Funktionsweise und seine Finanzierung noch nicht in Kraft getreten. Es konnte kein Konsens über eine Revision des Interventionspreisbandes gefunden werden, das die Preise festsetzt, zu denen das Ausgleichslager einschreiten muss (betreffend die Funktionsschwierigkeiten des Abkommens, siehe Jahrbuch 1990, Punkt 6.6.2.).
160Das Abkommen von 1986 sollte im September 1990 auslaufen. Im März 1990 beschloss der Internationale Kakao rat jedoch, es ohne seine Wirtschaftsklauseln um zwei Jahre zu verlängern. Während dieser Zeit kann das Ausgleichslager nicht weiter aufgestockt werden. Die Finanzierung für die Lagerhaltung wird vor allem durch den Verkauf eines Teils der gelagerten Kakaobestände gesichert.
161Die auf die Kakaoeinfuhren und -ausfuhren erhobene Abgabe, mit der die Tätigkeit der Internationalen Kakaoorganisation finanziert wurde, ist abgeschafft worden. Mehrere Länder waren mit ihrer Zahlung an die Organisation bereits im Rückstand.
162Am 3. Juli 1989 hatte der Internationale Kaffeerat beschlossen, den im vierten Kaffeeabkommen von 1983 vorgesehenen Preisstabilisierungsmechanismus, die Kontingentierung der Ausfuhren, ausser Kraft zu setzen. Dieser Beschluss war durch gewisse Funktionsschwierigkeiten des Abkommens bedingt.
163Um ein Absinken der Kaffeepreise zu vermeiden, sah das Abkommen die Festsetzung eines Jahresglobalkontingents und die Aufteilung der Exportquoten unter den dem Abkommen angeschlossenen Kaffeeproduzentenländern vor. Die Quotenverteilung ist schwierig, wenn man diejenigen Länder berücksichtigen will, die auf dem Markt wachsende Bedeutung erlangen (Indonesien, mittelamerikanische Länder), und wenn die traditionellen Produzentenländer (Brasilien, afrikanische Länder) sich gegen eine Verringerung ihres Marktanteils wehren.
164Einige Verbraucherländer, vor allem die USA, wollten eine Begünstigung der Ausfuhrländer von „Arabica”-Kaffee und anderen Mild-Sorten erreichen (wobei der „Arabica”-Kaffee besonders in Tropengebieten in Mittelamerika, Kolumbien und einem Teil Westafrikas in 600-2000 Meter Höhe angebaut wird), und zwar auf Kosten des „Robusta”-Kaffees (der hauptsächlich in Westafrika und Indonesien in niedrigen Höhenlagen angebaut wird), mit dem Argument, dass der „Arabica”-Kaffee bei den westlichen Verbrauchern immer mehr Anklang finde.
165Die Standpunkte der Länder bezüglich der Quotenverteilung sind weiterhin unvereinbar, trotz der verheerenden Auswirkungen, welche die Aufhebung der Ausfuhrquoten für einige Länder nach sich zieht. Die Suspendierung der Quoten hatte einen starken Rückgang der Kaffeepreise zur Folge, die im Januar 1990 ihren niedrigsten Stand seit 14 Jahren erreichten.
166Der über 15 Markttage berechnete Mittelwert der Indikatorpreise ging vom 9. Januar 1989 (132,8 cents/lb) bis 13. Juni 1989 (115,3 cents/lb) um 13,2 Prozent und vom 13. Juni 1989 bis 31. Oktober 1989 (60,4 cents/lb) um 47,6 Prozent zurück. Die graphische Darstellung der Preisentwicklung zeigt, dass seither eine langsame Erholung der Kaffeepreise eingetreten ist.
167Nach Informationen der Internationalen Kaffeeorganisation (ICO) ist der Wert der Kaffeeausfuhren der ihr angehörenden 50 Produzentenländer 1989 um 800 Millionen Dollar gesunken (indem er von 9,4 Milliarden Dollar im Jahre 1988 auf 8,6 Milliarden 1989 zurückging). Diese Werteinbusse ergab sich trotz einer starken Zunahme des Ausfuhrvolumens um 13,8 Prozent von 1988 bis 1989 (Marchés tropicaux).
1681989 soll Kolumbien bei seinen Kaffeeexporteinnahmen Verluste in Höhe von 200 Millionen Dollar erlitten haben. Da der Kaffee die Hälfte der Exporteinnahmen dieses Lande ausmacht, trägt diese Krise nicht zur Erleichterung der Bemühungen Kolumbiens bei, Ersatzanbauprodukte für die Kokapflanzungen zu finden.
Abbildung Nr. 1 : Entwicklung der Kaffeepreise 1989-1990
(Indikatorpreise der Internationalen Kaffeeorganisation, über 15 Tage berechneter Mittelwert, in cents/lb)
Quelle : Berechnung aufgrund der Preisangaben in : Marchés tropicaux.
169Die afrikanischen Länder wurden von der Entwicklung auf dem Kaffeemarkt schwer getroffen, da der Anteil der Kaffeeausfuhren an den gesamten Ausfuhren einiger Länder weiterhin sehr hoch ist (95 % für Uganda, 90 % für Burundi, 65 % für Ruanda – gemäss Marchés tropicaux, 29.6.90).
170ImRahmen der Rückkehr zur Politik des „jeder für sich”, haben einige Länder (vor allem Kolumbien, Indonesien und verschiedene zentralamerikanische Länder) versucht, die Wertverluste bei den Ausfuhren durch eine beträchtliche Steigerung des Produktionsvolumens auszugleichen, wodurch die rückläufige Bewegung der Kaffeepreise noch verstärkt wird.
- 4 Die durch den Rückgang der Rohstoffpreise erzielten Einsparungen für die Schweiz wurden anhand de (...)
171Die Abschaffung des Quotensystems hat es den Verbraucherländern erlaubt, sich preisgünstig mit Kaffee einzudecken und Lagervorräte anzulegen. Aufgrund des Preisrückgangs bei den Kaffeeeinfuhren von 1988 bis 1989 lässt sich schätzen, dass die Kaffeelieferantenländer bei ihren Ausfuhren in die Schweiz 1989 eine Gewinneinbusse von 12,5 Millionen Franken erlitten haben. In ähnlicher Weise beliefen sich die Einbussen, welche die Kakaolieferantenländer der Schweiz infolge des Preisrückgangs von 1988 bis 1989 bei den Kakaobohnen hinnehmen mussten, auf über 7 Millionen Franken4.
172Das Internationale Kaffeeabkommen von 1983 sollte am 30. September 1989 auslaufen. Die 74 Mitgliedsländer der Internationalen Kaffeeorganisation (ICO) haben das Abkommen jedoch ohne die Wirtschaftsklauseln für zwei Jahre verlängert. Der Internationale Kaffeerat wurde damit beauftragt, die Wiederaufnahme der Verhandlungen für ein neues Abkommen vorzubereiten. Neben dem Problem der Verteilung der Exportquoten muss das neue Abkommen die mit dem Bestehen des doppelten Kaffeemarktes verbundenen Probleme lösen. Das Quotensystem betraf nur die Kaffeeausfuhren in die dem Abkommen angeschlossenen Länder. Die dem Abkommen nicht angehörenden Länder (osteuropäische Staaten, UdSSR, Mittlerer Orient, u.a.) konnten sich den Kaffee zu weitaus günstigeren Preisen beschaffen. Einige Produzentenländer konnten dadurch einem dem Abkommen nicht angehörenden Land ihren Kaffee zum halben Preis verkaufen. Der Kaffee konnte anschliessend einem dem Abkommen angehörenden Verbraucherland zu einem niedrigeren Preis als im Rahmen des Abkommens weiterverkauft werden. Für die Vereinigten Staaten ist die Abschaffung des doppelten Kaffeemarktes eine unerlässliche Voraussetzung für ihren Beitritt zu einem neuen Abkommen.
173Die Kaffeeproduzentenländer haben unter sich mehrere Tagungen abgehalten, um eine Verständigungsgrundlage zu finden, aber bisher ohne Erfolg. Ferner gab es Versuche, gewisse Kaffeekonsumentenländer dazu zu bringen, sich dem Abkommen anzuschliessen. Im September 1990 beschloss der Internationale Kaffeerat, das Abkommen ohne die Wirtschaftsklauseln bis zum 30. September 1992 zu verlängern.
174Für die Schweiz war die Aufhebung des Quotensystems unvermeidlich, zum einen wegen der Uneinigkeit über die Anpassung der Quoten an die Entwicklung der Nachfrage, zum anderen wegen der Weigerung der Verbraucherländer, einen höheren Kaffeepreis als die dem Abkommen nicht angehörenden Länder zu zahlen.
175Nachstehend sind die zwölf wichtigsten Kaffeelieferantenländer der Schweiz angegeben (ihr Anteil ist in Prozent des gesamten Kaffeeimportvolumens der Schweiz ausgedrückt) :
Gesamter Schweizer Import an ungeröstetem, koffeinhaltigem Kaffee 1989 : 61’165,7 Tonnen.
Quelle : Jahresstatistik des Aussenhandels der Schweiz, 1989, Erster Band. Eidgenössische Oberzolldirektion, Bern, 1990, Nr. 0901.1100.
176Das Internationale Zuckerabkommen wurde am 11. September 1987 unter der Schirmherrschaft der UNCTAD angenommen (siehe Jahrbuch 1989, S. 43, Internationales Zuckerabkommen). Die Schweiz ist dem Abkommen beigetreten, nachdem sie jahrelang die Zweckmässigkeit eines Beitritts zu den vorhergehenden Zuckerabkommen geprüft hatte.
177Die Wertzuckerproduktion (Rohr- und Rübenzucker) lag 1989-90 (bereits im fünften Jahr) leicht unter dem Weltverbrauch.
178Der internationale Zuckerhandel, der ein Viertel der Weltproduktion ausmacht, erfolgt auf zwei getrennten Märkten. Zum einen haben einige Verbraucherländer mit Erzeugerländern Präferenzabkommen abgeschlossen. Dieser Handel ist den Marktgesetzen nicht unterworfen. So führen die Mitgliedstaaten des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (COMECON) Zucker aus Kuba zu einem Preis ein, der weit über dem Weltmarktpreis liegt. Die Vereinigten Staaten haben Abkommen mit rund vierzig Ländern abgeschlossen. Ihre Einfuhrquoten gingen in den achtziger Jahren von 4,6 Millionen Tonnen 1981 auf 1,7 Millionen Tonnen 1986 zurück. Zum anderen besteht zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den AKP-Staaten (Entwicklungsländer Afrikas, der Karibik und des Pazifik) ein Zuckerabkommen, während die Gemeinschaft auch ein grosser Exporteur von Rübenzucker ist. Der andere Teil des Zuckerhandels erfolgt auf dem sogenannten „freien Weltmarkt”.
179Seit 1937 hat es fünf Internationale Zuckerabkommen gegeben. Sie besassen ein System von Ausfuhrquoten, um zu versuchen, die Zuckerpreise innerhalb eines festgesetzten Preisbandes zu halten. Das vierte Internationale Zuckerabkommen von 1968 wurde unter der Schirmherrschaft der UNCTAD ausgehandelt. Die Europäische Gemeinschaft ist weder dem vierten Abkommen noch dem fünften Abkommen von 1977 beigetreten. Letzteres wurde bis 1984 verlängert. Die Verhandlungen über ein sechstes Abkommen scheiterten wegen Meinungsverschiedenheiten zwischen einigen Zuckerexportländern und der Europäischen Gemeinschaft über die Preisstabilisierungsmechanismen und die Verteilung der Exportquoten.
180Schliesslich wurde 1987 ein Verwaltungsabkommen ohne wirtschaftliche Bestimmungen verabschiedet, das am 24. März 1988 für zweieinhalb Jahre in Kraft trat. Es kann bis 1992 verlängert werden. Das Abkommen hat die Förderung der internationalen Zusammenarbeit bezüglich der den Zuckermarkt betreffenden Fragen, sowie das Sammeln und Verbreiten von Informationen über den Zuckermarkt zum Ziel. Es kann ferner einen Rahmen für die Ausarbeitung eines eventuellen neuen Abkommens mit Wirtschaftsklauseln bieten.
181Die meisten grossen Zuckerproduzentenländer, einschliesslich der Europäischen Gemeinschaft, gehören dem neuen Zuckerabkommen an.
182Die Schweiz ist den Internationalen Zuckerabkommen bisher noch nicht beigetreten. Die Möglichkeit eines Beitritts ist aber häufig geprüft worden. Ein solcher Beitritt wurde jeweils nach Konsultationen der Schweizer Handels- und Industriekreise in der Vergangenheit mehrmals abgelehnt. Die vorhergehenden Abkommen schrieben vor, dass die Mitgliedsländer des Abkommens Zuckereinfuhren aus den Nichtmitgliedsländern einschränken bzw. verhindern müssen. Jedoch gehörte die Europäische Gemeinschaft, die den weitaus grössten Anteil der schweizerischen Zuckereinfuhren ausmacht, diesen Zuckerabkommen nicht an (siehe Abbildung Nr. 2).
1831989 hat die Schweiz 3’679 Tonnen Rohrzucker aus den Entwicklungsländern eingeführt, davon einen Teil über die Europäische Gemeinschaft (Zukkerimporte aus den AKP-Staaten, die zum Beispiel von Frankreich wiederausgeführt wurden). Die schweizerischen Zuckerrohreinfuhren sind sehr gering (1,8 Tonnen).
Quelle : Statistique annuelle du commerce extérieur de la Suisse, 1989 ; Direction générale des douanes, Berne 1990, vol 1, no 1701.1100).
184In mehreren parlamentarischen Anfragen wurde seit einigen Jahren eine Anstrengung der Schweiz gegenüber den Zuckerproduzentenländern der Dritten Welt gefordert. Das Postulat Gurtner (20. Juni 1985) forderte den Bundesrat auf, die Zuckereinfuhren aus denjenigen Entwicklungsländern zu fördern, die unter angemessenen sozialen und ökologischen Bedingungen Zucker herstellen. Das Postulat forderte, dass diese Einfuhren aus den Entwicklungsländern durch Zollpräferenzen erleichtert werden. Das Postulat Uhlmann (10. Oktober 1986) forderte die Regierung auf, zum Abschluss eines neuen Internationalen Zuckerabkommens beizutragen und den Beitritt der Schweiz zu einem solchen Abkommen vorzubereiten. Das Postulat Schwab (20. Juni 1989) forderte den Bundesrat erneut auf, die Zuckereinfuhren aus den Entwicklungsländern zu fördern. Es beantragte ferner den Einsatz öffentlicher Entwicklungshilfegelder für die Länder, deren Landwirtschaft auf einer Monokultur, insbesondere auf dem Zuckeranbau, beruht. Am 27. Februar 1989 beantragte das Postulat der Christlich-demokratischen Fraktion beim Bundesrat, die Zweckmässigkeit eines Beitritts der Schweiz zum Zuckerabkommen zu prüfen.
185Im Rahmen der Revision des Zuckerbeschlusses im Juni 1989 schaffte der Ständerat eine vom Nationalrat eingeführte Solidaritätsklausel ab. Diese Klausel forderte eine Förderung der Zuckereinfuhren aus gewissen Entwicklungsländern zu gerechten Preisen (im Rahmen bilateraler Abkommen). Der Nationalrat hat anschliessend ebenfalls auf diese Klausel verzichtet (siehe Jahrbuch 1990, Parlamentsdebatten, S. 73).
186Die Schweiz hatte bei der Verhandlung über das Internationale administrative Zuckerabkommen und das vorhergehende Abkommen einen Beobachterstatus. Seit 1. Juli 1989 gewährt die Schweiz auf Roh- und Kristallzucker aus den Entwicklungsländern Zollpräferenzen (Nullzölle).
187Der Beitritt der Schweiz zum Abkommen von 1987 wurde den eidgenössischen Räten in der Botschaft des Bundesrates vom 10. Januar 1990 vorgeschlagen, vor allem, um voll an den Verhandlungen über ein neues Zuckerabkommen teilzunehmen, das über Mittel zum Eingreifen auf dem Markt verfügen würde. Infolge der Annahme dieses Vorschlags durch die eidgenössischen Räte wurden die Ratifikationsurkunden im Herbst 1990 unterbreitet.
188Der Konkurs des Internationalen Zinnrates trat im Herbst 1985 ein. Der Rat verfügte damals nicht mehr über die erforderlichen Mittel, um die Geschäfte des Ausgleichslagers fortzuführen. Das Zinnausgleichslager wurde von den Mitgliedsländern und durch Bankdarlehen finanziert. Die Garantie eines Teils der Darlehen war das gelagerte Zinn (das rasch an Wert verlor). Daraufhin wurden Verhandlungen zwischen den Mitgliedsländern und den Gläubigerbanken und Maklerfirmen eingeleitet, die erfolglos waren. Seit 1986 wurden gegen den Internationalen Zinn rat, die Mitgliedsländer des Abkommens und gegen die Londoner Nichteisenmetallbörse (London Metal Exchange) Gerichtsverfahren eingeleitet. Der London Metal Exchange hatte die Zinnquotierungen während der Krise eingestellt.
189Der sich daraus ergebende Zusammenbruch der Zinnpreise hatte für einige Produzentenländer schwerwiegende Folgen. Der Zinnpreis pro Tonne, der vor der Krise bei 8’000 bis 10’000 Pfund Sterling gelegen hatte, war ein paar Monate später auf 3600 Rund Sterling abgesunken.
190Eine gütliche Lösung der Krise wurde weiterhin geprüft. Die Schweiz hat sich mehrere Male für eine aussergerichtliche Regelung ausgesprochen. Die Gläubiger verlangten zu diesem Zweck eine Entschädigung in Höhe von 182,5 Millionen Rund, gegenüber den 500 Millionen Rund Sterling, die sie vor dem Wiederverkauf der als Sicherheit dienenden Zinnbestände gefordert hatten.
191Die 22 Zinnhersteller- und -verbraucherländer haben diese Summe mittels Beiträgen jedes Mitgliedslandes des früheren Zinnabkommens Anfang 1990 aufgebracht. Die Verbraucherländer haben zwei Drittel dieser Summe finanziert. Der Beitrag der Schweiz soll (gemäss Zahlenangabe der NZZ) 1,2 Millionen Rund Sterling betragen haben. Daneben musste die Schweiz verschiedene Verwaltungs- und Gerichtskosten (Anwalt zur Vertretung der Schweizer Interessen) tragen.
192Das Internationale Zinnabkommen ist Ende Juni 1989 ausgelaufen. Im Frühjahr 1989 wurde eine unabhängige internationale Studiengruppe geschaffen, um die Verbreitung von Informationen und Studien über den Zinnmarkt zu gewährleisten (siehe Jahrbuch 1990, Punkt 6.2.5.). Seit 1987 hat der Verband der Zinnproduzentenländer, Association of Tin Producting Countries (ATPC), ein Ausfuhrquotensystem zur Stützung der Zinnpreise eingeführt. Dem Verband gehören Australien, Bolivien, Indonesien, Malaysia, Nigeria, Thailand und Zaire an.
193Die zwischenstaatliche Expertengruppe betreffend wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken sollte im April 1990 die zweite UN-Konferenz zur Überprüfung aller Aspekte des Kodexes über die wettbewerbsbeschränkenden Geschäftspraktiken vorbereiten. Die Länder der Gruppe B (Industrieländer) und die „Gruppe der 77” (Entwicklungsländer) konnten sich jedoch nicht auf gemeinsame Empfehlungen für diese Konferenz einigen.
1941980 wurde auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen ein Kodex von auf multilateraler Ebene vereinbarten Grundsätzen und gerechten Regeln zur Kontrolle wettbewerbsbeschränkender Geschäftspraktiken angenommen. Der Kodex hatte zum Ziel, die Leistungsfähigkeit des Welthandels durch die Förderung und den Schutz des Wettbewerbs sowie durch die Kontrolle der wirtschaftlichen Macht zu steigern. Er sollte ferner die Interessen der Verbraucher schützen und die Einführung von Gesetzgebungen und Politiken in diesem Bereich fördern.
Wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken sind Handlungen oder Verhaltensweisen von Unternehmen, die durch die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Marktstellung oder durch den Abschluss von Abkommen oder Absprachen untereinander den Marktzugang beschränken oder den Wettbewerb auf andere Weise ungebührlich einschränken (CNUCED Communique TAD/INF/1917).
Die wettbewerbsbeschränkenden Geschäftspraktiken werden als „horizontal” bezeichnet, wenn sie aus Abkommen zwischen Lieferanten ein und derselben Ware bestehen, die sich darauf einigen, die Preise festzusetzen und die Märkte unter sich aufzuteilen (Kartellabkommen oder Absprachen). Die sogenannten ‘Vertikalen" wettbewerbsbeschränkenden Geschäftspraktiken sind die Weigerung, zu verhandeln, der Abschluss von Alleinverkaufsabkommen, sowie zwischen Lieferanten und Verteilern oder Kunden vorgeschriebene Verkaufspreise. Sie können dem Handel abträglich sein, wenn sie von einer Firma mit marktbeherrschender Stellung angewandt werden. Das Bestehen derartiger Praktiken erlaubt es daher, protektionistische Massnahmen (ähnlich wie die Zölle und die von den Regierungen vorgeschriebenen nicht-tarifären Hindernisse) einzuführen. Jedoch kann beim GATT gegen die von den Regierungen verordneten Hindernisse Einspruch erhoben werden.
195Der Kodex über wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken ist auch auf die transnationalen Firmen anwendbar. Er ist aber rechtlich nicht bindend, da er in Form einer Empfehlung verabschiedet wurde.
196Die Schweiz hatte sich an der Ausarbeitung des Kodexes beteiligt. Nach Meinung der Schweiz erlaubt es das Kartellgesetz, den Machtmissbrauch der Unternehmer auf schweizerischem Hoheitsgebiet einzuschränken. Die Ausfuhrkartelle werden ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt ihrer Auswirkungen auf den schweizerischen Markt beurteilt (Prinzip der Auswirkung auf nationalem Hoheitsgebiet). Jedoch kann die Kartellkommission über wettbewerbsbeschränkende Absprachen Untersuchungen durchführen, wenn diese mit bestehenden zwischenstaatlichen Abkommen unvereinbar sind.
197Nach Meinung des Koordinators der schweizerischen Hilfswerke, Richard Gerster, wäre es notwendig, den Kampf gegen die wettbewerbsbeschränkenden Geschäftspraktiken zu verstärken. Die gesetzlichen Instrumente der Schweiz sind seiner Ansicht nach in diesem Bereich unzureichend (Vaterland, 19.7.1990).
198Die zwischenstaatliche Expertengruppe betreffend wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken hat von 1981 bis 1989 acht Mal getagt. Sie hat die Aufgabe, die Anwendung des Kodexes über wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken zu überwachen, und als Forum für einen Meinungsaustausch zwischen den Staaten zudienen.
199Auf der Konferenz zur Revision des Kodexes, die im November 1985 stattfand (siehe Jahrbuch1986), konnten sich die Länder nicht über die Finanzierung der Programme über technische Hilfe und Ausbildung für die Entwicklungsländer einigen. Diese Programme konnten dank der freiwilligen Beiträge gewisser Länder ab 1986 durchgeführt werden. So wurden in Afrika und Asien regionale Seminare organisiert, umdie betreffenden Länder über die negativen Auswirkungen der wettbewerbsbeschränkenden Geschäftspraktiken zu informieren und Mittel zu finden, um diese Praktiken festzustellen und abzuschaffen. Die „Gruppe der 77” hatte 1985 erfolglos vorgeschlagen, den Kodex rechtlich bindend zu machen.
200Auf der sechsten Tagung der zwischenstaatlichen Expertengruppe über wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken, die im November und Dezember 1987 zusammentrat, wurden Entscheidungen über die durchzuführenden Studien und die technische Hilfe angenommen. Seit einigen Jahren arbeitet das Sekretariat der UNCTAD an der Abfassung eines Handbuches der im Bereich der Wettbewerbsbeschränkungen Geschäftspraktiken angewandten Gesetzgebungen und an der Erstellung eines Standardgesetzes oder verschiedener Standardgesetze über wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken
201Die Tagungen der Expertengruppe vom 23 bis 27 Oktober 1989 und vom 23 bis 27 April 1990 waren zur Ausarbeitung von Empfehlungen für die im November 1990 geplante Konferenz über die Revision aller Aspekte des Kodexes bestimmt Die „Gruppe der 77” hat den mangelnden politischen Willen der Staaten bedauert den Kodex einzuhalten Nur Schweden und Norwegen haben den Kodex in ihre Gesetzgebung aufgenommen. Im Entscheidungsentwurf, den die „Gruppe der 77” für die Konferenz vom November 1990 unterbreitete, drücken die Entwicklungsländer angesichts des Fortbestehens der wettbewerbsbeschränkenden Geschäftspraktiken ihre Besorgnis aus und fordern verschiedene Änderungen betreffend die Bestimmungen des Kodexes, mehr Transparenz, sowie Konsultationsverfahren, die esden Entwicklungsländern erlauben würden, Anträge einzureichen betreffend die wettbewerbsbeschränkenden Geschäftspraktiken, die ihren Ursprung im Ausland haben. Die „Gruppe der 77” hat ferner die Schaffung einer Sonderkommission unter der Schirmherrschaft der UNCTAD gefordert, umdie Anwendung des Kodexes zuüberwachen.
202Nach Ansicht der Gruppe B, der sich auch die Schweiz anschliesst, obliegt es jedem einzelnen Staat, die erforderliche Gesetzgebung einzuführen, um die Auswirkungen der Wettbewerbsbeschränkungen Geschäftspraktiken auf seinem Markt zu vermeiden, selbst wenn diese Praktiken ihren Ursprung im Ausland haben. Die Gruppe B widersetzt sich ihrerseits der Einführung neuer Konsultationsverfahren.
203Die Standpunkte der Gruppe B und der „Gruppe der 77” sind übereinstimmend in Bezug auf die Notwendigkeit, die technische Hilfe zu steigern und die Transparenz bezüglich der wettbewerbsbeschränkenden Geschäftspraktiken zu verbessern. Die Vorschläge der beiden Gruppen wurden auf der Revisionskonferenz getrennt vorgelegt.
204Auf der zweiten UN-Konferenz über die am wenigsten entwickelten Länder wurde ein Aktionsprogramm für die 90er Jahre angenommen, das die Entwicklung der ärmsten Länder wieder ankurbeln soll. Dieses Aktionsprogramm enthält viel weniger in Zahlen festgelegte Ziele als das erste Programm von 1981. Zu den herkömmlichen Forderungen der am wenigsten entwickelten Länder (Steigerung der Hilfe für die ärmsten Länder, Verringerung der Schuldenlast, Ausgleichsfinanzierung) kamen neue Diskussionsthemen (Umwelt, Stärkung des Privatsektors, Achtung der Menschenrechte) hinzu. Die Geberländer können ihre Ziele im Bereich der Entwicklungshilfe flexibler gestalten, da kein einheitliches Ziel festgesetzt wurde. Die Fragen der Menschenrechte und der Verschuldung der Entwicklungsländer blieben bis zum Ende der Konferenz umstritten.
205Die zweite Konferenz der Vereinten Nationen über die am wenigsten entwickelten Länder fand vom 3. bis 14. September 1990 in Paris statt. 147 Länder, darunter die Schweiz, sowie die Vertreter verschiedener UN-Sonderorganisationen und nichtstaatlicher Organisationen nahmen daran teil. Nach einem Jahrzehnt, das für die Entwicklung der ärmsten Länder oft als verloren betrachtet wurde, war es auf dieser Konferenz nicht möglich, die erforderlichen Mittel zu finden, um wesentliche Fortschritte im Hinblick auf eine effektive Entwicklung dieser Länder zu erzielen.
206Die erste Konferenz der Vereinten Nationen über die am wenigsten entwickelten Länder hatte im September 1981 in Paris stattgefunden. Allgemeines Ziel des auf dieser Konferenz verabschiedeten „neuen substantiellen Aktionsprogramms” für die ärmsten Länder war die Umwandlung der Wirtschaft dieser Länder (siehe Jahrbuch 1982 und 1986). Die in diesem Programm festgelegten Ziele sind jedoch nicht verwirklicht worden. In der Binnenwirtschaft wurde das Ziel einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 7,2 Prozent des BIP (ausser in Botswana) nicht erreicht. Die tatsächliche Wachstumsrate belief sich im Durchschnitt nur auf 2,3 Prozent. Ferner wurde auch die für die landwirtschaftliche Produktion angestrebte Jahreswachstumsrate von 4 Prozent nicht erreicht, wobei das effektive Wachstum lediglich 1,6 Prozent betrug (Zahlenangaben der UNCTAD).
Die am wenigsten entwickelten Länder
Der Ausdruck „am wenigsten entwickelte Länder, der 1971 von den Vereinten Nationen festgelegt wurde, umfasst eine Gruppe von Ländern, die folgenden Kriterien entsprechen :
– Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bis zu 430 US-Dollar (1988) ;
– Alphabetisierungsrate bis zu 20 % der Bevölkerung im lesefähigen Alter ;
– Industrieanteil am Bruttoinlandsprodukt bis zu 10 %.
Diese Länder hängen oft weiterhin von der Ausfuhr einiger weniger Rohstoffe ab. Die am wenigsten entwickelten Länder machen 8,1 % der Weltbevölkerung, 0,7 % des weltweiten BIP und 0,4 % der Weltausfuhren aus (Quelle : UNCTAD).
Die Einfuhren der Schweiz aus den ärmsten Entwicklungsländern entsprachen 1989 0,12 % der gesamten Einfuhren der Schweiz. Diese Länder machen auch nur einen sehr geringen Anteil an den Ausfuhren der Schweiz aus (1989 : 0,26 %).
Die Liste der am wenigsten entwickelten Länder umfasste im September 1990 41 Staaten, gegenüber 31 Ländern im Jahre 1981. Sie ging am 22. Mai 1990 aufgrund der Wiedervereinigung der beiden jemenitischen Staaten von 42 auf 41 zurück. 28 der ärmsten Entwicklungsländer liegen in Afrika.
Afrika : Äquatorialguinea, Äthiopien, Benin, Botswana, Burkina Faso, Burundi, Dschibuti, Gambia, Guinea, Guinea-Bissau, Kap Verde, Komoren, Lesotho, Malawi, Mali, Mauretanien, Mosambik, Niger, Ruanda, Sao Tome und Principe, Sierra Leone, Somalia, Sudan, Tansania, Togo, Tschad, Uganda, Zentralafrikanische Republik.
Asien : Afghanistan, Bangladesh, Bhutan, Jemen, Laos, Malediven, Myanmar (Burma), Nepal.
Lateinamerika : Haiti
Ozeanien : Kiribati, Samoa, Tuvalu, Vanuatu.
207Das erste Aktionsprogramm empfahl den Geberländern, die öffentliche Entwicklungshilfe für die ärmsten Entwicklungsländer auf 0,15 Prozent ihres BSP anzuheben. 1988 betrug der Durchschnitt für die Mitgliedsländer des Entwicklungshilfeausschusses der OECD (DAC) 0,09 Prozent des BSP. Nur sechs der 18 DAC-Länder haben das festgesetzte Ziel überschritten, nämlich Norwegen (dessen öffentliche Entwicklungshilfe für die ärmsten Entwicklungsländer 1988 0,42 % des BSP erreichte), Dänemark (0,36 %), die Niederlande und Schweden (0,31 %), Finnland (0,23 %) und Italien (0,16 %). Von diesen Ländern hatten 1981/82 lediglich Finnland und Italien einen Anteil von unter 0,15 % des BSP. Die Schweiz wies 1988 einen Anteil von 0,10 % ihres BSP auf. Gemäss dem DAC-Jahresbericht von 1989 wiesen fünf Mitgliedsländer des DAC 1988 eine öffentliche Entwicklungshilfe von unter 0,10 % ihres BSP aus, darunter Japan (0,07 %) und die USA (0,04 %). Die öffentliche Entwicklungshilfe kann jedoch einen bedeutenden Anteil des Einkommens der am wenigsten entwickelten Länder erreichen : nach DAC-Angaben betrug dieser Anteil für die Hälfte dieser Länder 1987 über 20 % ihres BSP.
208Die Bilanz der Lage der ärmsten Entwicklungsländer ist am Ende der achtziger Jahre weiterhin besorgniserregend. Die Situation ist vor allem durch eine wachsende wirtschaftliche Marginalisierung dieser Länder, die Last des Schuldendienstes, niedrige einheimische Ersparnisse und einen Rückgang des Anteils der Investitionen am BIP pro Einwohner gekennzeichnet (siehe die von der UNCTAD jeden Sommer über die am wenigsten entwickelten Länder veröffentlichten Berichte). Das Pro-Kopf-Einkommen ist in mehreren dieser Länder im letzten Jahrzehnt zurückgegangen.
209Die Tagungen zur Vorbereitung der Konferenz vom September 1990 fanden vom April 1988 bis Juni 1990 statt. Die nichtstaatlichen Organisationen trugen vor allem durch die Veröffentlichung von Empfehlungen und durch Änderungsvorschläge betreffend die Schlusstexte (Verringerung der Schuldenlast, bessere Überwachung des Aktionsprogramms für die am wenigsten entwickelten Länder, usw.) zur Vorbereitung der Konferenz bei.
210Zum Abschluss der Konferenz wurde das Aktionsprogramm zugunsten der am wenigsten entwickelten Länder für die neunziger Jahre durch Konsens angenommen. In der offiziellen Schlusserklärung werden die Hauptthemen des Programms aufgeführt und die Prioritäten für das kommende Jahrzehnt hervorgehoben. Unter den Prioritäten werden die Erschliessung der menschlichen Ressourcen (Erziehung, Gesundheit, die Berücksichtigung der Rolle der Frau in der Entwicklung) sowie die Bekämpfung der Umweltschäden erwähnt. Auch wird die geteilte Verantwortung der ärmsten Entwicklungsländer und der internationalen Völkergemeinschaft im Kampf gegen die Armut unterstrichen.
211In Anbetracht der Probleme, die sich bei der Anwendung des ersten Aktionsprogramms für die am wenigsten entwickelten Länder ergeben haben, enthält das neue Programm fast keine in Zahlen festgesetzten Ziele mehr. Den Teilnehmerländern gelang es nicht, sich auf ein einheitliches Ziel der Entwicklungshilfe zu einigen. Frankreich hatte vorgeschlagen, dass das 1981 festgelegte Ziel (0,15 % des BSP für die öffentliche Entwicklungshilfe zugunsten der ärmsten Länder) erneut bekräftigt werde und dass diejenigen Länder, die dieses Ziel bereits erreicht haben, sich verpflichten, ihre Hilfe auf 0,20 % ihres BSP zu erhöhen. Frankreich hat sich in diesem Sinne verpflichtet. Andere Länder, darunter die Schweiz, wollten nicht, dass man eine genaue Zahl festsetzt.
212Der im Rahmen der Konferenz beschlossene Kompromiss ist flexibler. Er empfiehlt den Geberländern, welche über 0,20 % ihres BSP für die öffentliche Entwicklungshilfe zugunsten der am wenigsten entwickelten Länder aufwenden, ihre Bemühungen fortzusetzen. Die Länder, die das Ziel von 0,15 % des BSP erreicht haben, sollten ihren Anteil bis zum Jahre 2000 auf 0,20 % steigern. Die Länder, die sich verpflichtet hatten, das Ziel von 0,15 % zu erreichen, sollten sich bemühen, es zu verwirklichen. Die übrigen Länder, vor allem die Vereinigten Staaten und Grossbritannien, „ihre Hilfe erhöhen”
213Das programm misst der Erschliessung der menschlichen Ressourcen auf der Grundlage einer demokratischen und gerechten Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen und der Einhaltung der Menschenrechte Priorität bei. Einige Länder darunter die Schweiz hätten die Notwendigkeit der Achtung der Menschenrechte und der Demokratisierung im Entwicklungsprozess stärker betonen wollen Andere Länder hätten es begrüsst dass der Suche nach Lösung gen der Schuldenprobleme grössere Bedeutung beigemessen werde.
214Die UNCTAD wird damit beauftragt die Anwendung des Aktionsprogramms im Rahmen der Tagungen des Rates für Handel und Entwicklung alljährlich zu überprüfen Des weiteren ist eine Prüfung zur Halbzeit des Programms im Jahre 1995 vorgesehen
215Der Leiter der schweizerischen Delegation, F. Steherin, hob in seiner Erklärung die Wichtigkeit der beiden Voraussetzungen für die Wiederaufnahme eines anhaltenden Wirtschaftswachstums der am wenigsten entwickelten Länder hervor, nämlich eine gesunde internationale Umwelt und gute nationale Rahmenbedingungen : strukturelle Anpassung, eine optimale Teilung der Aufgaben zwischen dem öffentlichen und dem Privatsektor, die wirtschaftliche Initiative jedes Einzelnen fördern. Die Schweiz hat sich gegen Massnahmen einer globalen Abschaffung der öffentlichen Schulden der ärmsten Entwicklungsländer ohne Unterscheidung und ohne einen realistischen Plan wirtschaftlicher Wiederankurbelung ausgesprochen. Sie hält somit weiterhin am Grundsatz eines fallweisen Vorgehens bei der Lösung dieses Problems fest. Nach Ansicht der Schweizer Delegation sollten die ökologischen Kosten nach dem Prinzip verteilt werden, dass der Verursacher des Schadens für die Kosten aufkommen muss. Sie sollten bei wirtschaftlichen Entscheidungen systematisch berücksichtigt werden.
216Die Schuldenkrise dauert an und beeinflusst nachhaltig und negativ die wirtschaftliche Entwicklung in der Dritten Welt. Seit ihrem Ausbruch 1982 bestimmt die Krise der Aussenverschuldung die Beziehungen der Entwicklungsländer zu den Industrieländern. Unter anderem hindert sie die Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft. Das Schuldenmanagement der internationalen Finanzinstitutionen und der Gläubigerländer vermochte trotz wechselnder Strategien nicht, Lösungen substantieller Art vorzuschlagen. Die Geschäftsbanken weigern sich, die ihnen zugedachte Rolle der Vergabe von Neukrediten im geforderten Mass zu übernehmen. Sie ziehen sich vielmehr durch Abschreibungen und vermehrte Rückstellungen aus den verschuldeten Ländern zurück. Einzelne Entwicklungsländer ihrerseits stossen an volkswirtschaftliche und politische Grenzen, was die Zahlungsbereitschaft und -Fähigkeit, den Schuldendienst zu leisten, anbelangt. Regelmässig ist die Rede von der Gründung eines Schuldnerkartells des Südens, um mit den Gläubigern härtere Verhandlungen über Schuldenabschreibungen führen zu können. Letztmals warf die Südkommission – eine aus prominenten Persönlichkeiten aus Entwicklungsländern zusammengesetzte Kommission – diese Idee wieder auf. Zur Realisierung eines Schuldnerkartells des Südens fehlen nach Ansicht der Südkommission jedoch noch weitgehend das notwendige regionale Bewusstsein und eine griffige Koordination.
217Die Schweiz hat Ende Mai 1990 dem IWF und der Weltbank ihr Beitrittsgesuch eingereicht. Die beabsichtigte Mitgliedschaft in den Breton-Woods-Institutionen hat in der Schweiz eine breite Diskussion ausgelöst und zu zahlreichen Publikationen über die Verschuldungsprobleme und die Rolle der Schweiz geführt. (Im zweiten Teil dieses Jahrbuches findet sich eine Artikelreihe zum Thema „Die Schweiz und die Institutionen von Bretten-Woods”).
218Bevor wir die Situation der Schuldenkrise und deren prägende Elemente des Jahres 1989 sowie die Jahrestagung 1990 von IWF und Weltbank ausleuchten, ist es unerlässlich, kurz und summarisch auf die wirtschaftliche Lage der Entwicklungsländer im Jahre 1989 einzugehen. Dabei beschränken wir uns auf die Betrachtung der Wachstumsraten des BIP sowie einiger volkswirtschaftlicher Daten wie Rohstoffpreise, Austauschverhältnisse, Investitionen.
- 5 Die volkswirtschaftlichen Daten über Wachstum und Entwicklung in diesem Kapitel sind, wo nichts a (...)
219Das dynamische Wachstum der Weltwirtschaft gemessen am realen Bruttoinlandsprodukt, schwächte sich 1989 leicht ab auf 3,5 Prozent, verglichen mit 4,25 Prozent im Vorjahr5. Die Abschwächung konzentrierte sich auf die grossen Industrieländer, auf Osteuropa und die Entwicklungsländer. Das Wirtschaftswachstum betrug für die Entwicklungsländer aggregiert 3,25 Prozent, nachdem im Vorjahr ein Wachstum von 4,75 Prozent erreicht worden war. Einen Rückgang des Wachstums verzeichneten insbesondere die asiatischen Volkswirtschaften, welche 1988 mit einem Wachstum von über 9 Prozent eine ausserordentliche Entwicklungsdynamik verzeichnet hatten. 1989 schwächte sich diese Dynamik auf etwas über 5 Prozent ab. In Lateinamerika stagnierte die Wirtschaftstätigkeit weiterhin, bedingt durch die grosse Last der Aussenschuld, durch extrem hohe Inflation und durch einen weiteren Rückgang der Direktinvestitionen. In den Ländern südlich der Sahara verschlechterte sich die Wirtschaftslage weiter ; einige Länder wiesen ein Pro-Kopf-Einkommen aus, das mittlerweile unter das Niveau von Mitte der sechziger Jahre fiel. Tabelle Nr. 3 zeigt die Entwicklung des BIP in den einzelnen Ländergruppen.
Tabelle Nr. 3. Wachstum des BIP In den Entwicklungsländern
* Berechnet unter Verwendung der BIP–Gewichte und Wechselkurse von 1987.
Quellen : IMF, World Economic Outlook ; UN, Commission for Latin America and the Caribbean ; Angaben der einzelnen Länder, in : BIZ-Jahresbericht, Juni 1990.
220Die asiatischen Entwicklungsländer erlebten 1989 eine gegenüber den Vorjahren gedämpfte Entwicklungsdynamik. Wie Tabelle Nr. 3 zeigt, ist der Rückgang des realen Wachstums hauptsächlich auf die Entwicklung in China und in Indien zurückzuführen. Die chinesische Regierung dämpfte die Kreditausweitung und erhöhte die Zinsen, um zunehmende Preissteigerungen zu bremsen. In der Folge schwächte sich die private Nachfrage ab. Dies wiederum hatte Auswirkungenauf das Wachstum des Inlandprodukts (dieses reduzierte sich von 11,2 Prozent 1988 auf 3,9 Prozent 1989) und auf die Beschäftigungslage : die Zahl der Arbeitslosen und Unterbeschäftigten stieg auf schätzungsweise über 13 Prozent. In Indien verlief das Wirtschaftsjahr 1989 sehr unterschiedlich : die industrielle Produktion schwächte sich ab, während in der Landwirtschaft ein neuer Produktionsrekord verzeichnet wurde. Indiens Aussenverschuldung stieg trotz einer kräftigen Zunahme der Exporte an und erreichte 1989 beinahe 25 Prozent des BSP (1980 waren es 12 Prozent). Unter den jungen Industrieländern verzeichnete Südkorea den stärksten Rückgang des Produktionswachstums ; Ursache war eine Dämpfung der Exportdynamik. In den vorhergehenden drei Jahren hatte Südkorea allerdings ein ausserordentlich hohes Wachstum von 11,5 Prozent verzeichnet welches nun 1989 auf 6,5 Prozent zurückging. Auch Singapur, Hongkong und Taiwan erlebten eine gewisse Abkühlung der Konjunktur, verzeichneten jedoch dank einer starken Inlandnachtrage trotzdem ein durchschnittliches Wachstum des BIP von etwas über 6 Prozent. Thailand verzeichnete das dritte aufeinanderfolgende Jahr ein hohes Wachstum, mit 11 Prozent 1989 das höchste Wachstum weltweit.
221In Lateinamerika verlief die wirtschaftliche Entwicklung in der Region insgesamt negativ. Einzig Chile mit seiner expansiven Wirtschaftspolitik kam etwas aus der anhaltenden Stagnation der Volkswirtschaften heraus. Mit einem Wachstum des BIP 1989 von 9,3 Prozent weist Chile als einziges lateinamerikanisches Land im Durchschnitt der achtziger Jahre ein knapp positives Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens aus (0,9 Prozent). In allen anderen Ländern Lateinamerikas ist dieser Wert negativ und lag um durchschnittlich 8 Prozent unter dem letzten Höchststand von 1980. Ein negatives Wachstum des BIP verzeichneten 1989 Peru (–12,2 Prozent), Venezuela –8,1 Prozent) und Argentinien (–5,5 Prozent), die eine Hyperinflation aufwiesen und Antiinflationsprogramme durchführten. Zahlreiche lateinamerikanische Länder unternahmen eine Umorientierung ihrer Wirtschaft im Sinne der Strukturanpassungsprogramme des IWF und förderten einen grösseren Einbezug des Privatsektors und eine stärkere Integration in die Weltwirtschaft. Als kurzfristige Folge sank der Lebensstandard der breiten Bevölkerungsschichten weiter ab. Der anhaltend hohe Schuldendienst sowie die Zurückhaltung der Banken bei der Vergabe von Neukrediten führte auch 1989 zu einem weiteren Nettokapitalabfluss aus der Region. Mehrere Länder sahen sich gezwungen, ihre fälligen öffentlichen Schulden vor dem Pariser Klub umzuschulden.
222Die afrikanischen Entwicklungsländer verzeichneten aggregiert ein durchschnittliches Wachstum des BIP von 3,2 Prozent. Dieser Wert soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass wegen werter sinkender Preise der landwirtschaftlichen Rohstoffe, steigender Zinsen, einer generell ungünstigen Entwicklung der Terms of trade und wegen des starken Bevölkerungswachstums das reale Pro-Kopf-Einkommen erneut zurückging und auf ein Rekordtief sank. Es erreichte nicht einmal mehr den Stand von Mitte der sechziger Jahre. Die afrikanischen Entwicklungsländer kennen nun bereits eine lange Periode wirtschaftlichen Niedergangs mit folgenden prägenden Faktoren :
-
Sinkende Investitionsquote.
-
Sinkender Anteil am Welthandel (1980 : 4,5 Prozent ; 1988 : 1,9 Prozent). Es fehlt ein diversifiziertes Exportangebot. Die Entwicklung der Landwirtschaft wird durch Preisregulierungen und eine überbewertete Währung benachteiligt.
-
Oft hindert eine aufgeblähte öffentliche Verwaltung die Effizienz der Staatsbetriebe. Dafür bildet sich ein dynamischer „informeller Sektor” kleiner Unternehmen heraus, welche vorwiegend Dienstleistungen und andere nicht handelbare Güter produzieren.
-
Ein anhaltend hohes Bevölkerungswachstum und steigende Nahrungsmittelimporte.
-
Die zunehmende Auslandsverschuldung führt zu einem Verhältnis des Schuldendienstes zu den Exporterlösen von nahezu 50 Prozent (theoretisch, denn faktisch reduzieren Umschuldungen und Zahlungsrückstände diesen Wert auf – nach Einschätzung der Weltbank – volkswirtschaftlich „tragbare” rund 25 Prozent). Schuldendiensterleichterungen wurden unumgänglich und 1988/89 multilateral auch vereinbart und bilateral durchgeführt.
223Wie für die anderen Länderkategorien gilt auch hier die Tatsache, dass aggregierte Indikatoren einen eingeschränkten Aussagewert haben, sind diese doch der Durchschnitt von über vierzig Ländern unterschiedlichster wirtschaftlicher Lage.
224Die für die Entwicklungsländer wichtigen aussenwirtschaftlichen Einflüsse waren 1989 steigende Zinssätze, sinkende Rohstoffpreise (ausser Oel) und damit eine weitere Verschlechterung der Austauschverhältnisse für die nicht-ölexportierenden Entwicklungsländer, sinkende Direktinvestitionen und das Auslaufen erster zinsfreier Umschuldungstranchen. Die Entwicklung der Austauschverhältnisse zeigt Tabelle Nr. 4.
- 6 Die Rohstoff-Problematik ist ausführlicher dargestellt Im Kapitel „Rohstoffe”.
225Die Rohstoffpreise (ohne Oel) sanken 1989 weiter ab. Vor allem die Preise von Kaffee, Kakao, Nickel und Kupfer gingen aufgrund eines Überangebots auf den Weltmärkten oder infolge des Zusammenbruchs von internationalen Preisstützungsabkommen stark zurück6. Das Wachstum des Exportvolumens der nicht-ölexportierenden Entwicklungsländer von 7,5 Prozent vermochte die Verschlechterung der Austauschverhältnisse nicht zu kompensieren. Die ölexportierenden Entwicklungsländer verzeichneten dank günstigen Bedingungen eine Verbesserung ihrer Terms-of-Trade um 9,3 Prozent. Die in Dollar ausgedrückten Oelpreise stiegen um 20 Prozent, und auch die Nachfrage nach Oel nahm in den Industrie- und in einigen Entwicklungsländern stark zu.
226
Tabelle Nr. 4. Aussenwirtschaftliche Einflüsse auf die Produktion

* Berechnet unter Verwendung der Exportgewichte und Wechselkurse von 1987.
Quellen : IMF, World Economic Outlook ; UN Economic Commission for Latin America and the Caribbean, in : BIZ-Jahresbericht, Juni 1990.
227Die Direktinvestitionen in die Entwicklungsländer verlangsamten sich 1989 weiter und sanken unter das Niveau der siebziger Jahre. Die Direktinvestitionen in den zehn grössten Ländern Lateinamerikas beispielsweise gingen von 8,1 Milliarden Dollar 1988 auf 6,6 Milliarden Dollar 1989 zurück (Zahlen von MF, in NZZ, 27.7.1990).
2281989 hielt der Verkauf von Forderungen der Banken für Schulden der Entwicklungsländer an den Nichtbankensektor an. Mit diesen Verkäufen auf dem Sekundärmarkt ziehen sich die Banken zusehends aus dem Schuldenmanagement zurück. Tendenziell führt die Umwandlung von Forderungen in Beteiligungen zu einer Erhöhung der Direktinvestitionen, was in Ländern wie Chile und Mexiko auch tatsächlich der Fall war. Diese Art des Schuldenabbaus ist allerdings umstritten (Ausverkauf der Heimat), und der Trend wegen ungünstiger Rahmenbedingungen bereits rückläufig. Im Verhältnis zur gesamten Aussenschuld der Entwicklungsländer von V300 Milliarden Dollar bleiben diese Operationen zahlenmässig unbedeutend.
229Bezeichnend für die Entwicklung nicht nur der Investitionen sondern der privaten Finanzströme generell ist vielmehr die Tatsache, dass die an die BIZ berichtenden Banken die Kreditvergabe an Länder mit stark exportorientierter Wirtschaftspolitik wie z.B. Indonesien und Thailand in den letzten drei Jahren beträchtlich ausgeweitet und auch 1989 weiter verstärkt haben. Die Bankforderungen gegenüber den hochverschuldeten – vorwiegend lateinamerikanischen – Ländern haben jedoch stark abgenommen.
230Die gesamte Brutto-Aussenschuld der Entwicklungsländer betrug Ende 1989 1’322 Milliarden Dollar, was dem Niveau von 1987 entspricht, nachdem die Aussenschulden der Entwicklungsländer 1988 insgesamt 1’313 Milliarden Dollar betragen hatten. Der Schuldendienst (Zinsen plus Rückzahlung) betrug 1989 insgesamt 170 Milliarden Dollar (in etwa gleich wie im Vorjahr). Für die einzelnen Volkswirtschaften ist weniger der absolute Betrag der Schulden vorrangiges Problem, als vielmehr die Höhe des jährlich zu leistenden Schuldendienstes. Im Verhältnis Schuldendienst zu den Exporterlösen gibt es eine von der Weltbank geschätzte obere Grenze von rund 25 Prozent, die volkswirtschaftlich noch als „tragbar” erachtet werden.
231Die Massnahmen im Schuldenmanagement seit Ausbruch der Schuldenkrise zielen in erster Linie darauf aus, die Zahlungsfähigkeit und damit die Kreditwürdigkeit für den Schuldendienst aufrechtzuerhalten. 1989 löste die sog. Brady-Initiative erstmals innerhalb der Internationalen Finanzinstitutionen die Diskussion um die Notwendigkeit eines signifikanten Schuldenabbaus aus. Nachdem die Bereitschaft der Banken, neues Geld auszuleihen, einen absoluten Tiefpunkt erreicht hatte, wurde die Idee einer internationalen Agentur, welche die Garantie für die Schuldenbedienung und – Rückzahlung übernehmen würde, aufgeworfen. Namentlich Mexiko konnte gewisse Schulden – und Schuldendiensterleichterungen aushandeln. Auch Chile baute durch eine Schuldenverringerungsstrategie einen Teil seiner Schulden ab.
232Die Forderungen der Banken gegenüber den lateinamerikanischen Ländern gingen um 7 Prozent zurück, und zwar als Folge von Schuldenumwandlungen und Forderungsverkäufen, was bankeninterne Abschreibungen bedingte. Am stärksten nahmen die Forderungen gegenüber Brasilien (–5 Milliarden Dollar) und Argentinien (–4,9 Milliarden Dollar) ab – im Verhältnis zur jeweiligen Gesamtschuld sind dies relativ bescheidene Reduktionen. Die erwähnten Länder sind mit Zinszahlungen stark im Rückstand und mussten einen Teil ihrer Fälligkeiten vor dem Pariser Klub umwandeln. Die markante Erhöhung der Einlagen von Privaten aus diesen beiden Ländern bei den der BIZ berichtenden Banken deutet auf eine Beschleunigung der Kapitalflucht hin, wie die BIZ in ihrem Jahresbericht 1989 festhält.
233Die Zahlungsfähigkeit sowie die Zahlungsbereitschaft zwischen den Länderkategorien sowie zwischen einzelnen Ländern waren 1989 wiederum sehr unterschiedlich, was auf die jeweils länderspezifischen Auswirkungen der Aussenverschuldung auf die wirtschaftliche Lage zurückzuführen ist. Die einkommensschwachen Länder südlich der Sahara sowie einzelne Länder mittleren Einkommens in Lateinamerika verzeichnen die grössten schuldenbedingten Entwicklungshemnisse.
234Gemeinsames Problem vieler verschuldeter Entwicklungsländer ist der anhaltend negative Ressourcentransfer bei gleichzeitig steigenden Nettozinszahlungen. Der Bedarf an öffentlichen Krediten nimmt angesichts des Rückzugs der Geschäftsbanken stark zu. Rund 60 Prozent der Aussenfinanzierung der Entwicklungsländer ist mittlerweilen durch öffentliche Kredite abgedeckt. Im Zunehmen begriffen ist auch die Vergabe von öffentlich garantierten Handelskrediten.
235Auf verschiedenen Ebenen wurden im Berichtsjahr angesichts des Ernsts der Lage konkrete Möglichkeiten für einen Schuldenerlass ausgearbeitet. Im Zusammenhang mit der 1990 aktuell gewordenen Frage über einen Beitritt der Schweiz zum IWF wurde auch in unserem Land die Verschuldungsproblematik analysiert, wobei international diskutierte Fragen und Massnahmenvorschläge schweizbezogen diskutiert wurden.
236Angesichts der Tatsache, dass die Schuldenkrise andauert und die internationalen Beziehungen wesentlich prägt, sieht sich auch die Schweiz zu einem Positionsbezug in dieser Frage gezwungen. Im Berichtsjahr sind denn auch zahlreiche Stellungnahmen privater Organisationen und des Bundes veröffentlicht worden. Diese standen meist in direktem Zusammenhang zu dem vom Bundesrat beabsichtigten Beitritt der Schweiz zum IWF.
- 7 Zusammensetzung der verwaltungsexternen Kommissoon : Pierre Languetin, ehemaliger Präsident der N (...)
237Der Bundesrat beauftragte im Juni 1989 eine sechsköpfige Expertenkommission7, „Lösungsansätze zu formulieren, welche die Interessen der Schuldner und der Gläubiger berücksichtigen und für die Schweiz gangbar wären”. Die Gruppe sieht das Interesse der Schweiz, an der Lösung des Schuldenproblems mitzuarbeiten, nicht in der Wahrung ihrer unmittelbaren Interessen (z.B. den Schweizer Banken „helfen”), sondern den verschuldeten Ländern zu helfen, die Schuldenkrise zu überwinden, und auf den Weg der Entwicklung zurückzufinden, und so die Grundbedürfnisse ihrer Bevölkerungen besser befriedigen zu können.
238Die Gruppe geht davon aus, dass die seit Ausbruch der Schuldenkrise 1982 unternommenen Massnahmen eher die Züge eines Schuldenmanagements trugen als eine Entwicklungsstrategie darstellten. Prägende Elemente dieser Jahre waren : enormer Schuldenzuwachs, die Umkehrung des Nettoressourcentransfers zugunsten der Industrieländer, Neukredite dienten praktisch ausschliesslich der Finanzierung des Schuldendienstes. Das Schuldenmanagement konnte den Zusammenbruch des Zahlungssystems verhindern und den Dialog aufrechterhalten ; von einer Entwicklungsfinanzierung könne jedoch nicht die Rede sein. Ziel sei es nun, den Nettoressourcentransfer wieder zugunsten der Entwicklungsländer umzukehren. Dazu bedürfe es Finanzierungsmechanismen, welche keinen Zuwachs der Schulden verursachen. Der Bericht nennt vier Massnahmenbereiche :
- 8 Der Brady-Plan beinhaltete Forderungsverzichte auf Schulden von hochverschuldeten Entwicklungslän (...)
239Massmahmen zur Schuldenerleichterung für die hochverschuldeten ärmeren Entwicklungsländer haben die Minister am Treffen der sieben grossen Wirtschaftsnationen in Toronto 1988 beschlossen (Reduktion des Zinssatzes, Verlängerung der Umschuldungsperioden, Schuldennachlass). Die Schweiz wählte die Option der Zinsreduktion. Auch die Brady-Initiative8 zielte in diese Richtung : IWF und Weltbank sollen zusätzliche Finanzmittel für den konkreten Schuldenabbau zur Verfügung stellen, indem sie beispielsweise Rückkäufe von Schulden mit beträchtlichen Abschlägen finanzieren und auch verringerte Zinszahlungen durch Garantien abdecken. Die Expertengruppe befürwortet die Brady-Initiative und die Idee eines internationalen Garantiesystems : „Ein derartiges Garantiesystem würde ermöglichen, die Anstrengungen der Schuldnerländer, Regierungen und Gläubigerbanken zu kombinieren”. Die Experten nehmen an : „Was die Schweizer Banken betrifft, werden sie sich sicher den anderen Gläubigerbanken anschlössen” (Bericht S. 9).
240Der Bericht setzt die Priorität auf die Erleichterung des Zinsendienstes und befürwortet als Sondermassnahme in diesem Bereich die Einrichtung der erwähnten internationalen Garantieagentur zur Absicherung der Zinsenbedienung, wie sie bereits im Rahmen von IWF und Weltbank diskutiert wird. Der Bericht erwägt weiter die Einrichtung eines internationalen Vergleichsverfahrens, das den überschuldeten Ländern unter bestimmten Umständen einen Neuanfang ermöglichen könnte. Ein ähnliches Verfahren war beispielsweise bei der Schuldenregelung mit Indonesien im Jahre 1970 angewendet worden.
241Oeffentliche Uebertragungen : Im Falle der Länder mit niedrigem Einkommen – besonders (aber nicht ausschliesslich) jener Afrikas –, sollte die Schweiz nach Ansicht der Gruppe den Erlass der Schulden erwägen, welche gegenüber dem Bund im Rahmen der ERG eingegangen wurden. In Betracht zu ziehen sei auch die Finanzierung des Rückkaufs privater Forderungen zu Marktpreisen. Ein Teil des Gegenwerts sollte in lokaler Währung zur Aeufnung von Entwicklungs- und Umweltschutzfonds eingesetzt werden. In diesen Massnahmenbereich gehören schliesslich auch Mechanismen, die den Entwicklungsländern helfen, die für sie verheerenden Rohstoffpreisschwankungen aufzufangen.
242Direktinvestitionen : Der Bericht plädiert für eine Förderung der Direktinvestitionen, „wenn diese im Empfängerland positiv aufgenommen werden und wenn hinsichtlich ihres Verwendungszweckes und ihrer Verträglichkeit mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik des betreffenden Landes mit gebührender Vorsicht vorgegangen wird” (Bericht S. 11). Die Investitionsentscheide müssten jedoch auf rationalen Argumenten beruhen und – abgesehen vom Sonderfall des Umtausches von Guthaben in Beteiligungen (Debt-Equity-Swaps) – nicht auf künstlichen Anreizen durch die Industrie- oder die Entwicklungsländer beruhen.
243Kapitalrückfuhren : In diesem Bereich vertritt die Expertengruppe die Ansicht, dass die betroffenen Entwicklungsländer es in ihrer Hand hätten, die freiwillige Kapitalrückfuhr in Gang zu setzen durch die Schaffung rentabler Anlagemöglichkeiten beispielsweise oder auch mittels realistischer Wechselkurse (einschliesslich Kurssicherungen und Konvertibilitätsgarantien). Für die Industrieländer, wo das Fluchtgeld hinfliesst, nennt der Bericht keine konkreten Massnahmen zur Abwehr von Fluchtkapital. Spezifisch für die Schweiz bleibt der Bericht im Zusammenhang mit der Förderung der Kapitalrückfuhr vage : „Ebenso müsste zusammen mit den Banken und den verschuldeten Ländern nach Möglichkeiten gesucht werden, wie die freiwillige Kapitalrückfuhr gefördert werden kann ;…” (Bericht S. 22).
244Der Bericht schlägt für Länder, mit denen die Schweiz bereits intensive Beziehungen pflegt, sog. Gesamtpakete vor, die neben der Schuldenerleichterung oder dem Schuldenerlass beispielsweise Direktinvestitonen mit Debt-Equity-Swaps der Schweizer Banken und der Schuldnerländer kombinieren würden, oder mit Programmen zur Förderung der Kapitalrückfuhr, mit Massnahmen zur Förderung von Einfuhren aus den verschuldeten Ländern in die Schweiz, mit Umweltschutzprojekten und mit Programmen der öffentlichen Entwicklungshilfe und der privaten schweizerischen Hilfswerke. Mit solchen Gesamtpaketen sollten die schweizerischen Direktinvestitionen in Entwicklungsländern stimuliertwerden, wobei der Akzent eher auf arbeite- denn auf kapitalintensive Investitionsvorhaben zu setzen wäre.
245Nach Auffassung der Gruppe sollte der Umweltschutz in den Entwicklung Ländern zusammen mit der Förderung eines anhaltenden Wachstums in diesen Ländern ein Schwerpunktthema der bilateralen wie multilateralen Entschuldungspolitik der Schweiz bilden
- 9 Die verschiedenen Standpunkte zum geplanten Beitritt der Schweiz zum IWF sind ausführlich im Doss (...)
246Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz verfasste zuhanden des Parteitages (April 1990) ebenfalls ein Positionspapier zum IWF-Beitritt In den Grundzügen ähnelt die Analyse der Verschuldungsproblematik derjenigen des oben erwähnten Berichts Allerdings kritisiert das SP-Papier die Politik des IWF stark und macht ihr Ja zu einem Beitritt der Schweiz zum IWF von Bedingungen abhängig wie etwa Sozial- und Umweltverträglichkeit der IWF-Anpassungsprogramme9.
247Petition : Im Juni 1990 wurde die von sechs privaten Hilfswerken getragene Petition „Entwicklung braucht Entschuldung” eingereicht. Die Petition bittet Bundesrat und Parlament, anlässlich der 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft einen Fonds von mindestens 700 Millionen Franken zum Erlass von Schulden ärmerer Entwicklungsländer zu errichten. Damit seien Guthaben privater und öffentlicher schweizerischer Gläubiger unter Berücksichtigung ihres stark verminderten Marktwertes zu erwerben und die Forderungen den Schuldnern zu erlassen. Die betroffenen Regierungen müssen einen Teil der erlassenen Schulden in lokaler Währung für Entwicklungsvorhaben einsetzen.
- 10 Die Botschaft zum Rahmenkredit für wirtschafts- und handelspolitische Massnahmen wird ausführlich (...)
248Rahmenkredit : Auch der Bundesrat schlägt einen Schuldenerlass für hochverschuldete ärmere Entwicklungsländer vor. Vom neuen Rahmenkredit für Wirtschaft- und handelspolitische Massnahmen sollen 100 Millionen Franken für Entschuldungsmassnahmen verwendet werden10. Im Rahmen einer zweiten Entschuldungsaktion für Bolivien hat sich die Schweiz im Januar 1990 mit einem Beitrag von 4,5 Millionen Franken beteiligt. An der ersten Aktion 1988 hatte sich die Schweiz mit 5 Millionen Franken beteiligt. Mit den beiden Aktionen kann Bolivien den grössten Teil seiner kommerziellen Schulden gegenüber ausländischen Banken mit einem Abschlag von 90 Prozent liquidieren.
249Der Gedanke des Forderungsverzichts ist für die Schweiz nicht grundlegend neu ; 1977 hatte der Bund gegenüber den ärmsten Ländern Entwicklungshilfe-Darlehen im Umfang von 180 Millionen Franken erlassen. Inzwischen wird der grösste Teil der schweizerischen Entwicklungshilfe in Form von Geschenken geleistet. Aktuell für einen Forderungsverzicht des Bundes sind seine Anteile an den vor Juli 1988 gewährten Mischkrediten und Finanzhilfekrediten (seit Juli 1988 ist der Bundesanteil an den Mischkrediten nicht mehr rückzahlbar).
- 11 Die Vorschläge aus der Optik privater schweizerischer Entwicklungshilfswerke verfasste ihr Koordi (...)
250Vorschläge der Hilfswerke : Die Hilfswerke unterbreiteten in der Berichtsperiode ebenfalls konkrete Vorschläge zum Schuldenerlass11 :
-
Erlass von schweizerischen Entwicklungshilfe-Krediten (Mischkredite, Finanzhilfedarlehen).
-
Entschuldung von Krediten multilateraler Organisationen : Bisher sind Umschuldungen von IWF- und Weltbankkrediten und von Krediten regionaler Entwicklungsbanken tabu. Der IWF lockerte diese Haltung etwas mit der Errichtung der erweiterten Strukturanpassungsfazilität (ESAF) für die afrikanischen Entwicklungsländer südlich der Sahara. Zahlungsrückstände gegenüber IWF und Weltbank bedeuten für ein Land die Sperrung für weitere Kredite (auch bei der ESAF). Ein grosser Teil der Schuld der ärmsten Entwicklungsländer besteht jedoch gegenüber diesen internationalen Finanzinstitut tonen. Konkret schlagen die Hilfswerke vor, die Schweiz solle gegenüber den Schwerpunktländern ihrer Entwicklungszusammenarbeit Entschuldungszahlungen leisten, welche direkt zur Entlastung gegenüber den multilateralen Institutionen verwendet werden.
-
Erlass von ERG-Guthaben des Bundes und Erlass von Guthaben privater schweizerischer Gläubiger (Exporteure und Banken ; siehe Kapitel ERG).
-
Zu prüfen sei auch die Einrichtung eines internationalen zwischenstaatlichen Konkursrechtes, welches den zahlungsunfähigen Schuldnerländern eine heue tragfähige Grundlage ermöglichen würde.
-
Als bremsend auf die Kapitalflucht würde sich eine international koordinierte Verrechnungssteuer auswirken. Auch die von Bundesrat Stich im Rahmen des Zehnerklubs lancierte Idee zur Besteuerung internationaler Kapitaltransaktionen könnte die Kapitalflucht dämmen.
251In der Verschuldungsfrage besteht keine gemeinsame Stellungnahme der betroffenen Schweizer Geschäftsbanken. Es scheint jedoch, dass die Banken angesichts ihrer vergleichsweise geringen Ausstände und der beachtlichen Rückstellungen für Länderrisiken bereit sind, einer Reduktion des Schuldendienstes und einem Teilerlass ihrer Forderungen im Umfang von maximal 25 Prozent der ausstehenden Forderungen zuzustimmen (Fritz Schneider von der SKA in NZZ vom 22.6.89).
- 12 Ausführlich analysiert wird diese Problematik im Dossier „Kapitalflucht” des Jahrbuches Schweiz – (...)
- 13 Erklärung von Bern, Die „Swiss Connection” – Schweizer Banken und die Plünderung der Philippinen, (...)
252Die Schweizer Banken werden von entwicklungspolitischer Seite regelmässig wegen ihres Beitrages zur Schuldenkrise und als Hort von Fluchtgeld kritisiert12. Die Erklärung von Bern veröffentlichte im Berichtsjahr ein Dossier über die Geschäfte von Schweizer Banken in den Philippinen : „Schweizer Grossbanken haben mit rechts- und sittenwidrigen Krediten die Verschuldung der Philippinen angeheizt”13. Aufgelistet werden Fälle von Kreditgewährung unter dem Regime des ehemaligen Diktators Marcos. Erwähnt wirdetwa – beispielhaft für andere ähnlich gelagerte Fälle – die Mitfinanzierung eines Atomkraftwerkes durch die SBG ; das AKW liegt jedoch in einer Erdbebenzone und kann nicht in Betrieb genommen werden. Der philippinische Staat haftet nun für diese Schulden. Ein breites philippinisches Oppositionsbündnis „Freedom from Debt Coalition” verlangt einen Rückzahlungsstopp für illegitime Kredite. Die EvB unterstützt diese Bewegung mit Mitteln aus der Aktion „Schuldenstreichung selbstgemacht”, bei welcher 50 Einzelpersonen aus der Schweiz bei den Grossbanken Kredite von je 1000 Franken aufgenommen hatten, diese aber unter Verweis auf die illegitime Kreditgewährung und Hortung von Fluchtkapital aus den Philippinen nicht zurückbezahlten.
- 14 Folgende schweizerische Organisationen unterstützen den europäischen Appell an die Geschäftsbanke (...)
253Im Berichtsjahr lancierten europäische Nicht-Regierungs-Organisationen einen Appell an die europäischen Geschäftsbanken, ihre Verantwortung an der Verschuldungskrise mitzutragen und die von einzelnen Regierungen unternommenen Aktionen zum Schuldenerlass durch den Verzicht auf einen Teil ihrer Forderungen gegenüber hochverschuldeten Entwicklungsländern zu unterstützen14. Bei den bisherigen Lösungsansätzen seien die Geschäftsbanken nicht in ihre Mitverantwortung eingebunden worden, vielmehr sei die Verantwortung „sozialisiert” worden, Indem sie vom privaten auf den öffentlichen Sektor übergegangen sei. Die Geschäftsbanken seien in der Lage gewesen, ihre Rentabilität zu bewahren, ihre finanzielle Position auszubauen, ihre Aktivitäten auszuweiten und erhebliche Rückstellungen auf ihren Krediten zu tätigen.
254Von der Gesamtschuld der Entwicklungsländer von über 1300 Milliarden Dollar würden rund 500 Milliarden US-Dollar den kommerziellen Banken in Europa, Japan und Nordamerika geschuldet. Die Geschäftsbanken hätten zwar eine legitime wirtschaftliche Verantwortung gegenüber ihren Aktionären. Diese Interessen sollten jedoch in einem angemessenen Verhältnis zu den Auswirkungen der Schuldenkrise auf die Bevölkerung in den betroffenen hochverschuldeten Ländern stehen. Nur ein signifikanter Schuldenerlass könne den verschiedensten Ländern zur lebensnotwendigen Entwicklung verhelfen. Die Haltung der Geschäftsbanken in den Umschuldungsverhandlungen und Schuldenreduktionsstrategien habe einen direkten Einfluss auf die den Schuldnerländer zur Verfügung stehenden Ressourcen. Es liege somit auch an ihnen, bessere Bedingungen für die Armen zu schaffen. Dabei sollen die Banken zwei Prinzipien berücksichtigen : Erstens solle die Schuldenlast entsprechend der gemeinsamen Verantwortung für die Krise verteilt werden. Zweitens sollten Schuldenzahlungen keinen höheren Rang als die Grundrechte der Menschen in den Schuldnerländern auf Nahrung, Wohnung, Kleidung, ärztliche Versorgung, Bildung und eine überlebensfähige und gesunde Umwelt einnehmen.
255Zahlreiche schweizerische NRO unterstützen diesen Appell an die Geschäftsbanken. „Die Beruhigung an der Schuldnerfront im Norden, namentlich auf Bankenseite, kontrastiert mit der oft dramatischen Lage in den Schulderländern”, diese Sicht vertritt die Arbeitsgemeinschaft15.Symptomatisch für die unterschiedliche Ausprägung der Schuldenreduktion im Norden und im Süden seien die Mittelrückflüsse an kommerziellem Kapital von den Entwicklungsländern in die Industrieländer. Bei einem konjunkturellen Einbruch der Weltwirtschaftslage werde sich die Schuldenkrise im Süden noch zuspitzen. Die Arbeitsgemeinschaft plädiert deshalb für rasche, wirksame Entschuldungsmassnahmen, wie sie oben erwähnt wurden. Insbesondere müssten auch alle illegitimen, unsittlichen Forderungen durch ein international anerkanntes Verfahren als nichtig erklärt werden.
256Im Geschäftsjahr 1988/89 sowie auch im Geschäftsjahr 1989/90 hielt der seit 1986 negative Ressourcentransfer IWF/Entwicklungsländer an. Nach fast zweijähriger Debatte einigten sich die Mitgliedsländer des IWF im Mai 1990 auf eine Kapitalerhöhung um 50 Prozent auf 180 Milliarden Dollar (135,2 Milliarden SZR) ; IWF-Direktor Camdessus und die Entwicklungsländer hatten eine Verdoppelung des Fondskapitals gefordert, damit der IWF wirksam den Nettokapitaltransfer des Südens Richtung Norden bremsen könne.
257Seit 1986 ist der Nettokapitalfluss IWF-Entwicklungsländer negativ, das heisst, dass die Entwicklungsländer höhere Rückzahlungen an den IWF leisten als dieser ihnen neue Kredite gewährt. Grund dafür ist der Umstand, dass die zu Beginn der Schuldenkrise anfangs der achtziger Jahre kurzfristig zur Finanzierung von Zahlungsbilanzdefiziten gewährten Kredite zur Rückzahlung fällig wurden. Die Kreditgewährung des IWF für die Geschäftsjahre 1983 bis 1990 (Abschluss jeweils 30. April) zeigt Tabelle Nr. 5. Ein Merkmal der letzten Geschäftsjahre ist die hohe Diskrepanz zwischen zugesagten und effektiv gewährten Krediten. Der Grund liegt darin, dass der IWF daran festhält, nur so lange Kreditprogramme aufrechtzuerhalten, als die Länder sich an die IWF-Auflagen halten (Konditionalität). Im Geschäftsjahr 1988/89 beispielsweise hatte der IWF Kreditzusagen in der Höhe von 4,6 Milliarden SZR gemacht, aber nur 2,7 Milliarden SZR effektiv ausbezahlt. Insbesondere gegenüber lateinamerikanischen Ländern wie Peru, Brasilien und Argentinien wickelten sich die Kredite im erwähnten Berichtsjahr nur zögernd ab, weil diese Länder „die Voraussetzungen zur Kreditbeanspruchung” zeitweise nicht erfüllten. Der grösste Anteil der IWF-Kredite des Geschäftsjahres 1989/90 floss nach Lateinamerika, wo die Auszahlungen in Höhe von 3,1 Milliarden SZR gegenüber dem Vorjahr einen markanten Sprung ausmachen. Damit tritt der IWF in dieser Region als Katalysator der Schuldenstrategie nach dem Brady-Plan auf. Insgesamt dienten im Geschäftsjahr 1989/90 2,4 Milliarden SZR allein für die Reduktion von Altschulden, womit sich zum Teil die Verdoppelung der Auszahlungen auf insgesamt 5,3 Milliarden SZR erklärt.
258
Tabelle Nr. 5. Kreditgewährung des IWF 1983-1990

1)Nach 1983 Krediterteilung nur noch an Entwicklungsländer ; 1 SZR = $1,30 im Mittel der Berichtsperiode.
Quelle : IWF, in : NZZ 14.9.1989 und NZZ 13.9.1990.
259Die Kredite des IWF wie auch der Weltbank sind grundsätzlich nie Gegenstand von Umschuldungen. Gerät ein Land mit der Schuldenbedienung gegenüber IWF oder Weltbank in Verzug, risikiert es die Sperrung für weitere Kredite. Die Zahl der Länder mit Zahlungsrückständen hat sich auf 11 erhöht. Sie schuldeten dem IWF Rückstände im Gesamtbetrag von 3,1 Milliarden SZR (1 SZR = 1,3 Dollar), was mit einem Anteil am Kreditportefeuille von über 12 Prozent sehr hoch ist – bei der Weltbank machen die Rückstände lediglich etwas über 4 Prozent aus. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage der ärmsten Entwicklungsländer – vor allem der afrikanischen Entwicklungsländer südlich der Sahara – gründete der IWF 1987 die Erweiterte Strukturanpassungsfazilität (ESAF), aus deren Fonds den 60 ärmsten Entwicklungsländern Kredite zu weichen Bedingungen gewährt werden. Faktisch stellt die ESAF einen Schritt Richtung Umschuldung dar. Die Schweiz beteiligt sich an der ESAF mit rund 400 Millionen Franken.
260Angesichts der Fortdauer der Schuldenkrise sieht die Schuldenstrategie eine noch höhere Kreditvergabe von IWF und Weltbank vor. Damit der IWF die Kreditausweitung vornehmen kann, drängte sich eine Aufstockung der IWF-Eigenkapitalbasis auf. Ueber die Höhe der Aufstockung wurde ganze zwei Jahre lang beraten.
261Die Entwicklungsländer und IWF-Direktor Camdessus forderten eine Verdoppelung des Fonds-Kapitals von 120 Milliarden Dollar auf 240 Milliarden Dollar. Zugestimmt wurde an der Frühjahrstagung im Mai 1990 einer Kapitalerhöhung auf 180 Milliarden Dollar. Die Kapitalerhöhung ging mit einer Neuregelung der Quotenanteile einher. Die USA bleiben mit einem Anteil von 19,6 Prozent grösster Kapitalgeber und verfügen über eine faktische Veto-Gewalt, weil für wichtige Entscheidungen jeweils eine Mehrheit von 85 Prozent der Stimmen notwendig ist. Die Industrieländer machten ihre Zusage zur Kapitalerhöhung von der Einführung strengerer Bestimmungen für säumige Zahler abhängig. Neu können die Exekutiv-Direktoren des IWF mit einer Stimmenmehrheit von 70 Prozent einem säumigen Mitgliedsland das Stimmrecht vorübergehend entziehen, wenn seine Anstrengungen zur wirtschaftspolitischen Sanierung als ungenügend eingestuft werden. Als letztes Mittel erfolgt der Ausschluss. Die Schweiz ist nicht Mitglied des IWF, doch unterstützte sie im Rahmen des Zehnerklubs, wo jeweils die IWF-Traktanden vorberaten werden, diese Verschärfung der Bestimmungen.
262Die Schweiz zählt nicht zu den 151 Ländern, die Mitglied beim IWF sind. Sie hat sich jedoch im Juni 1990 um eine Mitgliedschaft bei den Institutionen von Breton-Woods beworben : es sind dies IWF, Weltbank, IDA (Internationale Entwicklungsagentur) und IFC (Internationale Finanzkorporation). Der IWF prüft die Kandidatur der Schweiz und schlägt die Beitrittsbedingungen, insbesondere den schweizerischen Kapitalanteil vor. Daraufhin wird der Bundesrat dem Parlament eine Botschaft über den Beitritt der Schweiz unterbreiten ; dieser untersteht dem fakultativen Referendum. (Vgl. ausführlich zu diesem Thema die Artikelreihe „Die Schweiz und die Institutionen von Bretton-Woods im zweiten Teil dieses Jahrbuches)”.
- 16 Eidgenössisches Finanzdepartement, Erläuterungen zum allfälligen Beitritt der Schweiz zu den Inst (...)
263Die Kandidatur für einen IWF-Beitritt hat in der Schweiz eine breite Diskussion ausgelöst, die verschiedenen Stellungnahmen finden Sie im erwähnten Dossier. Nachfolgend fassen wir lediglich die Erläuterungen des Bundesrates zur Kandidatur zusammen16.
264Eine Mitgliedschaft bei der Weltbank setzt die Mitgliedschaft beim IWF voraus. Bereits 1947 prüfte die Schweiz einen Beitritt zur Weltbank, welcher ohne IWF-Beitritt – der damals aus verschiedenen Gründen nicht in Frage kam – nicht möglich war. 1982 sprach sich der Bundesrat dann erstmals für einen Beitritt zu IWF und Weltbank aus, ohne einen zeitlichen Fahrplan zu nennen. 1986 wurde der Beitritt zur UNO von einer Mehrheit des Schweizer Volkes abgelehnt. In der Folge zögerte der Bundesrat das Beitrittsverfahren für IWF und Weltbank aufgrund der „nicht international und solidarisch ausgerichteten Stimmung im Volk” hinaus. Im Berichtsjahr wurde die Vorlage wieder aufgenommen ; erste exploratorische Gespräche führten im Juni 1990 zum Beitrittsgesuch. Wichtigste Forderung des Bundesrates : Die Schweiz will als IWF-Mitglied einen ständigen Sitz in den Exekutivdirektorien des IWF und der Weltbank einnehmen, um aktiv an den Entscheidungsprozessen teilnehmen zu können. Insbesondere in der Bewältigung der Schuldenkrise kommen IWF und Weltbank in Zukunft eine noch bedeutendere Rolle zu, welche die Schweiz engagiert mitgestalten möchte. Die IWF-Beitrittskosten sind direkt von der IWF-Quote abhängig und würden sich im Falle der Schweiz zwischen 1 Milliarde und 2,7 Milliarden SZR bewegen (1 SZR = 1,85 Franken), davon wären rund 20 Prozent in Devisen einzuzahlen, der Rest stellt Garantiekapital dar.
265Zur Weltbankgruppe gehören nebst der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank), die IDA (Internationale Entwicklungsagentur) und die MIGA (Multilaterale Investitionsgarantie-Agentur). Die Weltbank ging im Geschäftsjahr 1989/90 weniger Kreditverpflichtungen ein als im Vorjahr. Bei der IDA wurde die 9. Kapitalaufstockung wirksam. Die MIGA versicherte erste Projekte.
266Im Geschäftsjahr 1989/90 (per Ende Juni 1990) ging die Weltbank mit 20,7 Milliarden Dollar insgesamt weniger Kreditverpflichtungen ein als im Vorjahr (21,3). Der Anteil der IDA, welche besonders günstige Darlehen vergibt, stieg von 4,9 Milliarden Dollar im Vorjahr auf 5,5 Milliarden Dollar 1990. Der Anteil der Weltbankkredite sank von 16,4 Milliarden Dollar auf 15,2 Milliarden Dollar. Ein Grund für den Rückgang der Kreditvergabe war die Zurückhaltung der Weltbank gegenüber China nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung im Juni 1989. Der Wirtschaftsgipfel von Paris im Juli 1989 hatte die Sperrung der Weltbankkredite für China ausgesprochen, was am Wirtschaftsgipfel im Juli 1990 in Houston grundsätzlich bestätigt wurde, – mit der Ausnahme von Umweltkrediten. Im Verlaufe des Jahres 1990 wurde die Kreditsperre sukzessiv aufgehoben. Die Weltbank vergab bereits im Mai 1990 wieder einen neuen China-Kredit von 300 Millionen Dollar. Im Geschäftsjahr 1988/89 hatte China 1,3 Milliarden Dollar an Weltbankkrediten erhalten, und 1989/90 waren es nur 590 Millionen Dollar. Indien bezog mit 1,1 Milliarden Dollar ebenfalls bedeutend weniger Kredite als im Vorjahr (3 Milliarden Dollar), dies allerdings nicht aus politischen Gründen, sondern weil sich die wirtschaftliche Lage Indiens verbessert hat und sich das Land auf den internationalen Kapitalmärkten bedienen kann.
267Der Kreditrückgang der Weltbank entfällt ausschliesslich auf Asien (6,4 Milliarden Dollar im Geschäftsjahr 1989/90, 7,8 Milliarden Dollar 1988/89), während die afrikanischen Länder südlich der Sahara mit 3,9 Milliarden Dollar und Lateinamerika mit 5,9 Milliarden Dollar Kredite in praktisch gleicher Höhe wie im Vorjahr erhielten.
268Grösster Kreditnehmer der Weltbank im Geschäftsjahr 1989/90 war Mexiko mit 2,6 Milliarden Dollar (Vorjahr 2,2 Milliarden Dollar). Es folgen Brasilien und Indonesien mit je 1,6 Milliarden Dollar. Das Volumen der notleidenden (von den Schuldnern nicht mehr bediente) Kredite betrug 2,9 Milliarden Dollar, das sind 3,3 Prozent des gesamten ausstehenden Darlehensvolumens von 89 Milliarden Dollar. Den Entwicklungsländern verrechnete die Weltbank einen Zinssatz von 7,72 Prozent. Dieser lag etwas über den laufenden Gestehungskosten (7,37 Prozent).
269Der Anteil der Strukturanpassungskredite ging im Geschäftsjahr 1989/90 auf 19 Prozent zurück, während er im Vorjahr noch 32 Prozent betragen hatte. Neu vergab die Weltbank gemäss den Richtlinien des Brady-Planes erstmals Darlehen zur Schuldenreduktion. Die Philippinen erhielten ein solches Darlehen (200 Millionen Dollar), um einen Teil ihrer Aussenschuld bei den Geschäftsbanken zurückzukaufen. Diese Darlehensvergabe ist ebenfalls an Bedingungen geknüpft. So verpflichteten sich die Philippinen, Anstrengungen zu unternehmen, um das Investitionsklima zu verbessern. Die Philippinen gehören mit einer Aussenschuld von 29 Milliarden Dollar zu den am meisten verschuldeten Ländern. Der Anteil der Schulden gegenüber Geschäftsbanken beträgt rund 13 Milliarden Dollar. Die Aktion der Weltbank soll gekoppelt mit IWF-Darlehen und Neukrediten von Seiten der Geschäftsbanken das Wirtschaftswachstum der Philippinen wieder ankurbeln. Die Weltbank koordiniert die sog. „Konsultativgruppe für die Philippinen”, zu der 19 Gläubigerländer und 7 internationale Organisationen (u.a. IWF, IFC, UNDP, ADB) gehören.
270In ihrem Weltentwicklungsbericht 1990 legt die Weltbank das Schwergewicht auf die Armutsbekämpfung. 1985 lebten weltweit 1,15 Milliarden Menschen in Armut, 46,4 Prozent davon in Südasien, 25 Prozent in Ostasien, 16,1 Prozent in Afrika südlich der Sahara, 6,6 Prozent in Lateinamerika und in der Karibik und 5,9 Prozent in Europa, im Nahen Osten und in Nordafrika. Die Weltbank definiert die absolute Zahl der Armen durch ein Pro-Kopf-Einkommen im Jahr von maximal 370 US-Dollar. 18 Prozent der Gesamtbevölkerung gehören mit einem Einkommen von weniger als 275 Dollar zu den Ärmsten der Armen. Die Experten der Weltbank sind sich bewusst. Dass das Einkommen als Definition für die Armut ein beschränkter Indikator ist und beispielsweise nichts über die Einkommensverteilung innerhalb einer Gesellschaft oder den genauen Kalorienverbrauch der Menschen aussagt. Deshalb werden andere Indikatoren – beispielsweise Anteil der Konsumausgaben am Einkommen, Wert der Eigenproduktion, Preise und Preisunterschiede Stadt/Land – ebenfalls ermittelt. Die Weltbank schlägt eine Strategie zur Armutsbekämpfung vor, welche ihren Schätzungen nach die absolute Zahl der in Armut lebenden Menschen bis ins Jahr 2000 auf 825 Millionen senken soll. Zu einer wirksamen Bekämpfung der Armut gehöre einerseits die Schaffung von einkommenswirksamen Arbeitsmöglichkeiten für die Armen auf dem Land und in der Stadt und andererseits der Ausbau der sozialen Dienstleistungen.
271Was die Entwicklungshilfe anbelangt, schreibt der Bericht, dass es sehr schwierig sei, einen direkten Zuammenhang zwischen Entwicklungshilfe und Rückgang der Armut aufzuzeigen („a clear link between aid and the reduction of poverty has been hard to find”). Trotzdem plädiert der Bericht für einen Ausbau der Entwicklungshilfe. Diese möge mit weltweit 51 Milliarden Dollar in absoluten Zahlen als hoch eingestuft werden, doch im Verhältnis zu den Militärausgaben der Industrieländer beispielsweise stelle sie lediglich einen Anteil von 5 Prozent dar ; ein Ausbau der Hilfe erscheine in diesem Licht für die Zukunft durchaus „Verkraftbar”. Allerdings müsse die Hilfe vermehrt als in der Vergangenheit auf die Wirtschaftspolitik der Entwicklungsländer abgestimmt werden. In Realität beeinflusst die Weltbank – durch die Vergabe von Strukturanpassungskrediten beispielsweise – stark die Wirtschaftspolitiken der kreditnehmenden Länder. Zusammen mit dem IWF möchte die Weltbank die Entwicklungsländer durch eine Liberalisierung ihrer Wirtschaft in den Weltmarkt integrieren.
272Der Rückgang der Zahl der in Armut lebenden Menschen werde sich regional sehr unterschiedlich entwickeln, schreibt die Weltbank in ihrem Bericht. Sie schätzt, dass der Prozentuale Anteil Asiens markant sinken wird, hingegen derjenige der Länder südlich der Sahara zunehmen wird, dies auch in absoluten Zahlen.
273Die MIGA ist eine Wettbanktochter und wurde 1988 gegründet mit dem Ziel, die wirtschaftliche Entwicklung im Süden durch die Förderung ausländischer Direktinvestitionen voranzutreiben. Sie versichert ausländische Investitionen in Entwicklungsländern gegen nicht kommerzielle (Transfer- und politische) Risiken. Im Berichtsjahr versicherte die MIGA ihr erstes Projekt. Es handelt sich um eine amerikanische Firma, die Kupfer-, Gold- und Silber-Minen in Indonesien ausbeutet. Bis Juni 1990 kamen noch zwei Rückversicherungs-Abschlüsse (in Chile und Ungarn) hinzu.
274Viele Länder der Dritten Welt zeigen sich gegenüber der MIGA skeptisch und bleiben ihr fern. Wichtige lateinamerikanische Staaten wie Brasilien, Argentinien und Mexiko sind nicht Mitglieder. Die grossen Schuldnerländer Lateinamerikas lehnen das Versicherungskonzept der MIGA ab, weil dieses Interventionen ausländischer Regierungen zugunsten ausländischer Investoren vorsieht.
275Die Schweiz ist Mitglied der MIGA. Sie zeigte sich anlässlich eines Arbeitsgesprächs am Sitz der MIGA enttäuscht über den langsamen Start der Versicherungsarbeit. In ihrem ersten Geschäftsjahr hatte die MIGA tatsächlich kein Versicherungsprojekt abgeschlossen.
276Die Internationale Entwicklungsagentur (IDA) ist ein Fonds der Weltbank, welcher weiche Kredite an die ärmsten Entwicklungsländer (Pro-Kopf-Einkommen unter 580 Dollar) vergibt. Die Kredite sind für die ersten zehn Jahre zinsfrei bei einer Verwaltungsabgabe von 0,75 Prozent. Rund 45 Prozent der IDA-Kredite gehen an die Länder südlich der Sahara und je etwa 15 Prozent an China und Indien.
277Die neunte Aufstockung des IDA-Kapitals kam nur nach schwierigen Verhandlungen zustande. Insbesondere die USA zögerten ihre Zusage lange hinaus. Schliesslich einigten sich die Geberländer auf ein IDA-Kapital von rund 15 Milliarden Dollar. Mit diesem Betrag ist die IDA für die nächsten drei Jahre kaufkraftmässig gleich dotiert wie bei der achten Aufstockung, welche 12,4 Milliarden Dollar betragen hatte.
278Die Schweiz unterstützt die IDA in Form von Kofinanzierungen und Darlehen. Anlässlich der neunten Mittelaufstockung der IDA für die Dreijahresperiode 1991-1993 verpflichtete sie sich, IDA-Projekte und -Programme, welche die Schweiz autonom auswählt, im Umfang von 380 Millionen Franken zu unterstützen.
279Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank hielten ihre Jahrestagung 1990 vom 25. bis 27. September in Washington ab. Traditionsgemäss wurden die drei Hauptthemenbereiche Entwicklung der Weltwirtschaft, wirtschaftliche Lage der Entwicklungsländer und Schuldenkrise sowie Aufgaben und Politik von IWF und Weltbank diskutiert. Aktuelle Themen waren die wirtschaftlichen Auswirkungen der Golfkrise 1990 sowie die Finanzierung der strukturellen Anpassungen in den osteuropäischen Ländern und die erwartete zusätzliche finanzielle Unterstützung von IWF und Weltbank. Das vorhandene Instrumentarium wurde als genügend wirksam für diese zusätzliche Hilfe eingestuft. Die Schweiz nahm an der Jahreskonferenz 1990 mit besonderem Interesse – als Beobachterin – teil, hat sie doch im Juni 1990 ihre Kandidatur für einen IWF- und Weltbankbeitritt unterbreitet.
280Die beiden wichtigen vorberatenden Gremien Interims- und Entwicklungsausschuss bereiten jeweils die Positionen für die Plenarveranstaltung vor. Der Interimsausschuss ist zusammengesetzt aus Vertretern von Industrie- und Entwicklungsländern und berät den IWF in Währung- und Finanzfragen ; der Entwicklungsausschuss ist ein gemeinsames Gremium des IWF und der Weltbank und befasst sich mit Entwicklungsgraden. An den geschlossenen Sitzungen beider Gremien nehmen schweizerische Delegationen mit Beobachterstatus teil. Vor den Sitzungen der beiden beratenden Ausschüsse stimmen die Ländergruppen ihre Positionen ab : Gruppe der wichtigsten Währungsländer G5 (USA, England, Deutschland, Frankreich, Japan) und G7 (G5 plus Italien und Kanada), der Zehnerklub als Gruppe der elf wichtigsten westlichen Industriestaaten (inklusive Schweiz) und G24, die Ländergruppe der Entwicklungsländer.
281Im Frühjahr und anlässlich der Jahrestagung im Herbst 1990 fanden die vereinbarten Konsultationen zwischen der Schweiz und dem IWF betreffend die ESAF (Erweiterte Strukturanpassungsfazilität) statt. Die Schweiz hatte der ESAF rund 400 Millionen Franken zur Verfügung gestellt. An der Konsultation im Herbst 1990 in Washington war erstmals nach Absprache mit Bundesrat Stich und IWF-Direktor Camdessus die Arbeitsgemeinschaft Swissaid /Fastenopfer/ Brot für Brüder/ Helvetas als Beobachterin zugelassen.
282Die vorhandenen Instrumente von IWF und Weltbank – Fazilitäten und Länderprogramme – wurden als genügend eingestuft, um den wirtschaftlichen Auswirkungen der Golfkrise begegnen zu können. Die 50 Länderprogramme des IWF geben einen genügend detaillierten Einblick in die jeweilige Bedarfslage des betroffenen Landes und sowohl IWF wie Weltbank seien in der Lage, Mittel beschleunigt zur Auszahlung zu bringen. Im abgelaufenen Geschäftsjahr haben Quoten- und Kapitalerhöhungen von IWF und Weltbanktochter IDA die dafür notwendigen Mittel zusammengetragen. Der IWF will die bestehenden Fazilitäten so flexibel wie möglich handhaben. Sollte die Krise längerfristig andauern, zieht die Weltbank die Schaffung einer Oel-Sonderfazilität in Erwägung, die vor allem aus Überschüssen der ölexportierenden Länder gepriesen werden sollte. Verteilt würden die Mittel nach dem Muster der IDA-Kreditvergabe, wobei der Kreis der begünstigten Empfängerländer ausgeweitet würde. IWF-Direktor Camdessus kündigte an, dass die IWF-Kreditzinsen durch freiwillige zusätzliche Beiträge verbilligt werden könnten. Der schweizerische Bundesrat hat angekündigt, für die von der Golfkrise wirtschaftlich am stärksten betroffenen Entwicklungsländer koordiniert mit anderen Industrieländern ein zusätzliches Hilfepaket zu schnüren.
283Die Länder Osteuropas verlangen für die Finanzierung der Kosten der Strukturanpassung zusätzliche Mittel von IWF und Weltbank. Die Sowjetunion soll Unterstützung für ihr Reformprogramm in Form technischer Hilfe erhalten. IWF und Weltbank wollen diese Hilfe – wie bereits im Falle von Bulgarien und der Tschechoslowakei – im Hinblick auf eine künftige Mitgliedschaft gewähren.
284In der Schuldenstrategie wurden keine Neuerungen diskutiert und keine Beschlüsse gefasst. Einige Industrieländer – darunter England, Holland und Frankreich – kündigten weitere Initiativen zugunsten der ärmsten Entwicklungsländer an. England schlug vor, die Schulden dieser Länder um bis zu zwei Drittel zu erlassen. Diese Länder sind hauptsächlich gegenüber öffentlichen Gläubigern verschuldet. Für die Koordination des Schuldenmanagements der öffentlichen Schulden ist der Pariser Klub zuständig, der bereits Schuldenerleichterungsoptionen ausgearbeitet hat, nämlich die sog. Toronto-Bedingungen (vgl. hiezu die beiden Kapitel „Umschuldungen”). Bis anhin wurde den ärmsten Ländern ein Forderungsverzicht von 33 Prozent angeboten. Holland setzte sich sogar für den totalen Schuldenerlass für diese Ländergruppe ein. Der Entwicklungsausschuss, wo diese Vorschläge gemacht wurden, beauftragte den Pariser Klub, „diese so schnell wie möglich und zu den günstigsten Konzessionen umzusetzen”.
285Für die Gruppe der hochverschuldeten Länder Lateinamerikas wurden die Grundsätze der Brady-Strategie bekräftigt. Insbesondere das Mittel der Schuldenreduktion bietet Schuldnern und Gläubigem mehr Flexibilität für ihr Schuldenmanagement. Trotzdem nehmen die Zinsrückstände laufend zu und erreichten im Berichtsjahr über 20 Milliarden Dollar. Die brasilianische Finanzministerin erinnerte an den steten Netto-Mittelabfluss aus der Region : seit Beginn der Schuldenkrise hätten die Länder Lateinamerikas 250 Milliarden Dollar an Zinszahlungen geleistet, aber hätten lediglich 50 Milliarden Dollar an neuen Ressourcen erhalten. Wichtige Gläubiger lateinamerikanischer Länder sind die Geschäftsbanken, welche sich angesichts „der schlechten Zahlungsdisziplin” bei der Bedienung der Schulden sehr mit Neukreditvergaben zurückhalten. Sie verlangten vom IWF, dass dieser den Ländern erst Beistandskredite zuspreche, wenn diese mit den privaten Banken über die Zahlungen der Altschulden einig geworden sind. Von diesem Vorgehen ist der IWF in letzter Zeit wiederholt abgerückt und hat erste Kredittranchen frühzeitig ausbezahlt, was ihm scharfe Kritik der Geschäftsbanken eintrug.
286Die Schweiz begrüsste die Verbesserung der „Toronto-Bedingungen” zugunsten der ärmsten Entwicklungsländer. Der vierte Rahmenkredit für Wirtschaft- und handelspolitische Massnahmen sieht 100 Millionen Franken für Schuldenerlasse vor. (Vgl. entsprechendes Kapitel unter Entwicklungszusammenarbeit). Ueber die Mitgliedschaft der Schweiz bei IWF und Weltbank wurden anlässlich der Jahrestagung keine offiziellen Beschlüsse gefasst. IWF und Weltbank führen auch mit anderen Ländern noch Beitrittsverhandlungen : die Tschechoslowakei, Bulgarien und Namibia wurden Mitglieder des IWF. Die Mongolei hat ein Gesuch um eine Mitgliedschaft gestellt. Die Sowjetunion hat erste Beitritts-Kontakte aufgenommen. Womit als Länder ohne Beitrittsabsichten lediglich noch Albanien, Kuba und Nordkorea verbleiben.
287Die Kapitalerhöhung des IWF ist nach langen und schwierigen Verhandlungen in die Nähe der Realisierung gerückt, nachdem sich der Gouverneursrat im Juni 1990 für eine Erhöhung um 50 Prozent entschieden hatte. Falls die Mitgliedsländer diesen Kompromiss gutheissen – IWF-Direktor Camdessus hatte eine Verdoppelung der Mittel von 90 Milliarden SZR auf 180 Milliarden SZR verlangt – wird der IWF Mittel in der Höhe von 135 Milliarden SZR (rund 200 Milliarden Franken) zur Verfügung haben. Der Vorschlag muss von einer Anzahl Mitgliedsländern gutgeheissen werden, die zusammen mindestens 85 Prozent der Quoten besitzen.
288Der Pariser Klub ist ein informelles Verhandlungsforum von westlichen Gläubigerländern, welches multilaterale Umschuldungsaktionen für öffentliche Schulden koordiniert. Im Pariser Klub handeln die durch die Umschuldung betroffenen Gläubigerstaaten mit dem Schuldnerland die Rahmenbedingungen für die bilateralen Umschuldungsabkommen aus. An den Verhandlungen nehmen in der Regel auch Vertreter von IWF und Weltbank teil. Am meisten Umschuldungen werden mit den Ländern Afrikas südlich der Sahara vorgenommen. Diese Länder haben praktisch keinen Zugang zu kommerziellen Krediten mehr und ein Grossteil ihrer Aussenschuld sind öffentliche Schulden. Doch häufen sich in den letzten Jahren auch die Umschuldungen mit lateinamerikanischen Ländern und im asiatischen Raum insbesondere mit den Philippinen.
289Die Verhandlungen im Rahmen des Pariser Klubs betreffen alle bilateralen öffentlichen Darlehen einschliesslich der Konzessionären Kredite (Entwicklungshilfe, falls diese nicht in Geschenkform vergeben wurde) und der öffentlich garantierten Exportkredite. Seit den ersten Verhandlungen mit Argentinien 1956 hat sich ein standardisiertes Verfahren herausgebildet, das die Gleichbehandlung aller Gläubiger gewährleistet.
290Voraussetzung einer Umschuldung ist eine drohende Devisenknappheit im Schuldnerland (Zahlungsunfähigkeit) sowie eine Vereinbarung mit IWF über die Gewährung eines Bereitschaftskredits und über ein Wirtschaftsreformprogramm.
- 17 Siehe ausfuhrlçh dazu Jahrbuch Schweiz – Dritte Welt 1990.
291Umgeschuldet werden in der Regel Fälligkeiten, die innerhalb von 12 bis 18 Monaten zu leisten wären. Das Umschuldungsprozedere ist sehr zeitaufwendig. Doch sind die Gläubigerländer gegenüber mehrjährigen Vereinbarungen skeptisch ; sie fürchten, dass die Kontrolle dadurch schwieriger wird. Jedes wichtige Schuldnerland muss alle ein bis drei Jahre erneut vor dem Pariser Klub umschulden. Mit Zunahme der Zahlungsunfähigkeit zahlreicher Schuldnerländer dehnte sich die Rückzahlungsperiode von durchschnittlich acht bis zehn Jahren in einzelnen Fällen auf zwanzig Jahre aus. Während einer Karenzfrist müssen keine Zahlungen erfolgen. Galten zu Beginn der Pariser Klub-Aktionen für alle Länder kommerzielle Zinsen, wurden den ärmsten Ländern auch in diesem Bereich Konzessionen gewährt. In letzter Zeit werden Schulden auch teilweise erlassen. Der Weltwirtschaftsgipfel 1988 in Toronto hatte für 22 arme, schwer verschuldete afrikanische Länder die drei Optionen Zinserleichterung, teilweiser Schuldenerlass sowie Streckung der Rückzahlungsfristen konkretisiert17.
- 18 Vgl. die Kapitel „Bilaterale Umschuldungen” und „Exportrisikogarantie”.
292Die Schweiz nimmt an den Verhandlungen im Pariser Klub teil, wenn die Umschuldung Bundeskredite oder Kredite mit Bundesgarantie (ERG-gedeckte Kredite) betrifft, und dieser Betrag über der für die Beteiligung festgelegten Grenze liegt (in der Regel 1 Million SZR). Die schweizerische Verhandlungsdelegation wird vom BAWI geleitet, das auch den Vorsitz in der ERG-Kommission führt. Die Schweiz entschied sich unter den Toronto-Optionen für die Zinssenkungsvariante (Reduktion des Konsolidierungszinses um 3,5 Prozentpunkte, jedoch nicht mehr als 50 Prozent). Der Bund einigte sich mit den Exporteuren darauf, dass diese für ihren nicht ERG-gedeckten Teil der umgewandelten Schulden die gleichen konzessionären Zinsen gelten lassen. Die Zinskonzessionen gelten nur für seit 1989 neu umgeschuldete Kredite18.
293In den Jahren 1980 bis erstes Halbjahr 1989 haben die westlichen Gläubigerstaaten gesamthaft 136 Umschuldungsprotokolle vereinbart mit einem Totalbetrag von rund 100 Milliarden Dollar. (Zum Vergleich : die gesamte Aussenschuld aller Entwicklungsländer betrug Ende 1988 rund 1’300 Milliarden Dollar).
2941989 wurden im Rahmen des Pariser Klubs insgesamt 24 Umschuldungsprotokolle abgeschlossen, davon betrafen 15 auch die Schweiz (Vgl. Tabelle Nr. 6). 11 afrikanischen Ländern wurden Konzessionen gemäss den Toronto-Optionen gewährt, 6 davon betrafen die Schweiz. Im ersten Halbjahr 1990 wurden mit 10 Entwicklungsländern und mit Polen multilaterale Umschuldungsprotokolle abgeschlossen, davon 7 mit Toronto-Konzessionen. Im Berichtsjahr 1989 schuldeten Mexiko und Argentinien mit je 2,4 Milliarden Dollar den höchsten Betrag um, gefolgt von den Philippinen mit 1,85 Milliarden Dollar. Zaire unterschrieb 1989 bereits sein zehntes Umschuldungsprotokoll.
2951990 gewährten die Gläubigerländer anlässlich der Verhandlungen im Rahmen des Pariser Klubs erstmals einem nicht-afrikanischen Land die Toronto-Bedingungen, und zwar Bolivien. Das Land ist mit 5,45 Milliarden Dollar hoch verschuldet, davon sind 3,7 Milliarden Dollar öffentliche Schulden. Von der Umschuldung betroffen sind 277 Millionen Dollar. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 580 Dollar gehört Bolivien zu den ärmsten Ländern Lateinamerikas.
296Die umgeschuldeten Beträge betreffen Fälligkeiten des zu leistenden Schuldendienstes und sind in Bezug zur jeweiligen gesamten Aussenschuld des Landes von geringer Höhe. Im Falle Guinea-Bissaus, um nur ein Beispiel für viele andere Länder zu nehmen, würde der jährlich zu leistende Schuldendienst über 100 Prozent der Jahres-Exporterlöse ausmachen. Guinea-Bissau zählt mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 160 Dollar zu den fünf ärmsten Ländern der Welt. Seine Aussenschuld beträgt 420 Millionen Dollar ; umgewandelt wurden 1989 vor dem Pariser Klub 21 Millionen Dollar ; die Exporterlöse machten 1989 rund 20 Millionen Dollar aus.
297Die meisten afrikanischen Länder geraten mit ihren Schuldendienstzahlungen immer mehr in Rückstand. Angesichts des Preiszerfalls für wichtige Export-Rohwaren wie Kakao und Kaffee stehen die geschuldeten jährlich zu leistenden Zins- und Amortisationszahlungen in keinem volkswirtschaftlich vertragbaren Verhältnis zu den geringen Exporterlösen mehr. Dies führt dazu, dass zu den „normalen” Zahlungsrückständen immer häufiger bereits mehrmals konsolidierte Altschulden hinzukommen. Diese Schuldenspirale kann nur durch einen markanten Schuldenerlass unterbrochen werden. Die Option Schuldenerlass der Toronto-Modalitäten weist in diese Richtung.
298
Tabelle Nr. 6. Multilaterale Umschuldungsabkommen

* Konzessionelle Umschuldung mit Option A, B oder C gemäss der Toronto-Modalitäten.
** Keine Angaben.
Die mit * bezeichneten sog. Toronto-Modalitäten lassen den Gläubigerländern beim Abschluss der bilateralen Umschuldungsabkommen jeweils die Wahl zwischen folgenden drei Optionen :
A. Schuldenerlass von 30 Prozent der Schuld und Verzinsung zu Marktsätzen
B. Fristerstreckung der Schuld auf 25 Jahre bei 14 Karenzjahren und anschliessend Bedienung der Schuld nach Marktbedingungen
C. Reduktion des Zinssatzes um 3,5 Prozentpunkte oder um 50 Prozent Die 50-Prozent- Regel kommt.
Quelle : BAWI, S. 85.
299Den meisten vor dem Pariser Klub umschuldenden armen afrikanischen Ländern gewährt der IWF Sonderkredite aus seiner „Erweiterten Strukturanpassungsfazilität”, an der sich die Schweiz mit einem zinsfreien Beitrag von rund 400 Millionen Franken beteiligt. Aus dieser Fazilität gewährt der IWF seit 1988 Darlehen mit einer Laufzeit von zehn Jahren und einem Zinssatz von 0,5 Prozent. Die Weltbank hat in Zusammenarbeit mit den Industrieländern ein Sonderprogramm für Afrika aufgestellt und vergibt zusätzlich günstige Kredite in Höhe von 6 Milliarden Dollar. Die Schweiz beteiligt sich mit 200 Millionen Franken.
300Die multilateralen Umschuldungsprotokolle des Pariser Klubs setzen jeweils den Rahmen für die daraufhin abzuschliessenden bilateralen Abkommen. 1989 schloss die Schweiz 17 bilaterale Schuldenkonsolidierungsabkommen im Gesamtbetrag von 723 Millionen Franken ab. 7 Abkommen mit einem Gesamtbetrag von 32,5 Millionen Franken kamen in den Genuss der von der Schweiz gewählten Option C der Toronto-Modalitäten (Zinsreduktion).
301Im ersten Halbjahr 1990 schloss die Schweiz mit 9 Entwicklungsländern Umschuldungsabkommen ; sechs afrikanischen Ländern und Ekuador wurde die Zinsreduktion gewährt (Vgl. Tabelle Nr. 7).
302Die Kompetenz zum Abschluss von Schuldenkonsolidierungen liegt beim Bundesrat. In der Junisession 1990 verlängerte das Parlament diese Kompetenz in Form eines Bundesbeschlusses um weitere zehn Jahre. Der erste Bundesbeschluss datiert aus dem Jahre 1966 und wurde 1970 und 1980 jeweils für zehn Jahre verlängert.
303
Tabelle Nr. 7. Bilaterale Umschuldungsabkommen

1) 2,75 für Bundeskredite.
Quelle : BAWI
304In seiner Botschaft über den Abschluss von Schuldenkonsolidierungsabkommen legt der Bundesrat nochmals die Gründe für Umschuldungen dar. Die Konsolidierung von Schulden bezwecke einerseits, private und staatliche Gläubiger vor Verlusten zu schützen, und anderseits sollen Umschuldungen dem Schuldnerland helfen, notwendige wirtschaftliche Anpassungen vorzunehmen. Ursprünglich waren Schuldenkonsolidierungen ein klassisches Mittel zur Überbrückung von Liquiditätskrisen aufgrund von Zahlungsbilanzproblemen. Heute sind sie auch eine Massnahme im Schuldenmanagement.
305Wie Tabelle Nr. 8 zeigt, schloss die Schweiz in den Jahren 1980 bis erstes Halbjahr 1989 insgesamt 74 Umschuldungsabkommen über einen Betrag von 3’183,3 Millionen Franken. Rund ein Viertel davon machen die Kredite der Exporteure aus. Die Konsolidierungsguthaben der ERG beliefen sich Ende 1988 auf 1’891 Millionen Franken ; rund 14 Prozent betrafen die Gruppe der ärmsten Länder Afrikas.
306
Tabelle Nr. 8. Bilaterale Umschuldungsabkommen 1980-1989

Quelle : Bbl 90.014, Botschaft über den Abschluss von Schuldenkonsolidierungsabkommen, 21.2.1990.
307Die aus den Umschuldungen resultierenden Kapital- und Zinsfälligkeiten sind nicht vollumfänglich eingehalten worden, rund 9 Prozent der gesamten Fälligkeiten mussten erneut konsolidiert werden. Was die konzessionellen Bedingungen anbelangt, wählte die Schweiz die Variante der Zinsreduktion. Es beteiligen sich sowohl Bund wie Exporteure – im jeweiligen Ausmass ihres Forderungsanteils – am Zinsnachlass. Die bisher von der Schweiz zu konzessionellen Bedingungen umgeschuldeten Fälligkeiten betragen 25,7 Millionen Franken.
308Im Zusammenhang mit internationalen Entschuldungsinitiativen wie dem Brady-Plan zeichnen sich vermehrte Umschuldungsaktionen ab. Aufgrund verschiedener Entschuldungsinitiativen wird sich der Länderkreis in Zukunft noch erweitern, da private Gläubiger Entschuldungsaktionen vom vorherigen Abschluss von Umschuldungsprotokollen mit den öffentlichen Gläubigem abhängig machen werden. Die Schweiz wolle auch in Zukunft ihren Anteil an diesen Aktionen wahrnehmen. Der Bundesbeschluss ermächtigt den Bundesrat, Abkommen über Forderungen abzuschliessen, die dem Bund zustehen oder die der ERG unterstellt sind. Der Bundesbeschluss erwähnt ausdrücklich die Möglichkeit einer teilweisen Minderung der Forderung, was auch weiterhin die bisher angewandte Zinssatzreduktion für die ärmeren Entwicklungsländer ermöglicht.