IWF-Beitritt: Zementierung einer falschen Politik
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1Aus der Sicht einer venezolanischen Familie, die sich noch im Februar 1989 an den Hungerrevolten gegen den IWF beteiligte, mag die hierzulande in entwicklungspolitischen Organisationen diskutierte Frage eines IWF/Weltbank-Beitritts der Schweiz recht absurd erscheinen. IWF verbindet sich für diese Leute meist mit Hunger, Krankheit und vielerlei anderen existenz- und lebensbedrohenden Entwicklungen. Vielleicht fragen sie sich erstaunt, weshalb die Schweiz als Teil des westlichen Gläubigenkartells noch nicht dazugehört. Auch wissen sie, dass die Reichen ihres Landes ihr Fluchtgeld mit Vorliebe in die Schweiz bringen. Weshalb sollte eine solche Familie Positives von einem Schweizer IWF-Beitritt erwarten ?
Was hat der IWF mit Entwicklungspolitik zu tun ?
2Der IWF geniesst den zweifelhaften Ruf, internationales Betreibungsamt zugunsten der internationalen Gläubiger des Nordens zu sein. Seit dem Ausbruch der Schuldenkrise im Jahre 1982 haben mit ganz wenigen Ausnahmen praktisch alle Drittwelt-Schuldnerländer Strukturanpassungsprogramme mit dem IWF abschliessen müssen. Deren verheerende Folgen für die Bevölkerung der betroffenen Länder sind bekannt. Auch haben diese Programme, das gilt auch für die Strukturanpassungsprogramme der Weltbank, ihre selbst gesteckten wirtschaftspolitischen, länderbezogenen Sanierungsziele verfehlt. Die Lage der meisten Schuldnerländer hat sich seit 1982 drastisch verschärft, sie sind in ihrer Entwicklung zum Teil um Jahrzehnte zurückgeworfen, der Nettokapitaltransfer in den Norden hat 1989 60 Mrd. $ erreicht. Immerhin ist damit das zentrale Ziel des IWF erreicht : Die Schuldnerländer haben weiterhin massiv Schuldendienst geleistet, Gewinner sind vor allem die Gläubigerbanken, Verliererin die darbende Bevölkerung der zahlenden Länder. Der Währungspolizist IWF, der – ganz im Sinne seines Zweckartikels – einzig die möglichst kurzfristige Verbesserung der Zahlungsbilanzen der Drittwelt-Länder zwecks Wachstum und Schuldendienst im Auge hat, eignet sich deshalb schwerlich als Adressat für eine sozialverträgliche – und auch umweltverträgliche – Entwicklungspolitik im Interesse der Dritten Welt. Seinen faktischen Monopolanspruch auf ökonomische Entwicklungsstrategien, weil vom Rest der westlichen Gläubiger akzeptiert, hat IWF-Chef M. Camdessus an seinem Treffen mit entwicklungspolitischen Organisationen in Bern im Frühjahr 1990 auf den Punkt gebracht : Er bezeichnete seine Institution als „corps de sagesse de l’économie mondiale”. Mit dem Erosionsprozess in den osteuropäischen Ländern hat diese arrogante Haltung zusätzlich Nahrung erhalten.
3Diese „sagesse”, Inkorporation des westlichen, das heisst des imperialistischen Entwicklungsmodells ist im IWF auch strukturell hinreichend abgesichert. Die 152 Mitglieder des IWF besitzen zwar alle ein Basisstimmrecht von 250 Stimmen, doch ist dieses nach und nach durch den anderen Stimmenanteil, der sich nach der einbezahlten Quote berechnet (1 Stimme je 100’000 SZR), entwertet worden. Nach dem Motto, wer zahlt befiehlt, besitzen allein die 5 Grossen (USA, BRD, Japan, F, GB) im IWF heute 41,8 % der Stimmen ; der Rest verteilt sich wie folgt : 123 Entwicklungsländer (35,2 %), 18 Industrieländer (21 %) und 3 osteuropäische Länder (2 %) (epd 7/90, S.1). Alle Beschlüsse von einiger Tragweite erfordern ein qualifiziertes Mehr von 85 % der Stimmen, was auf ein faktisches Vetorecht alleine der USA oder der EG-Länder hinausläuft. Wichtige Entscheide werden zudem ausserhalb des IWF in der G7 oder im Zehnerklub vorgespurt. Die Vetomacht der Dritten Welt bleibt demgegenüber in dreierlei Hinsicht theoretisch : 1. definiert sich der IWF nach westlichem Entwicklungsmodell und für Veränderungen braucht es neue Mehrheiten, die alleine die USA (19,1 % der Stimmen) verhindern kann. 2. hat der IWF mit seiner case to case Politik bisher erfolgreich so etwas wie ein Schuldnerkartell zu verhindern gewusst. 3. zeigt Letzteres auch die zunehmende finanzielle Abhängigkeit der Schuldnerländer vom Norden mit allen damit verbundenen Einschränkungen von beispielsweise wie selbstbestimmter oder gar demokratisch legitimierter Politik.
Selbstkritik in altem Rahmen
4Heute ist die Politik von IWF und Weltbank angesichts der von ihnen mitverschuldeten Krisensituation in der Dritten Welt unter Legitimationsdruck geraten. Die beiden Institutionen sprechen in diesem Zusammenhang von Fehlern, aus denen sie gelernt hätten. So konzipiert der IWF zum Teil seine Sanierungsprogramme etwas längerfristiger und fordert auch zum Abbau beispielsweise der Rüstungsausgaben auf. Die Weltbank setzt vermehrt – wenn insgesamt auch nur in bescheidenem Mass – Mittel zu flankierenden Sozial- und Umweltprogrammen ein, wobei auf deren widersprüchliche Qualität an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann.
5Die Selbstkritik bringt jedoch keineswegs eine prinzipielle Infragestellung der bisherigen Strukturanpassungsprogramme mit ihrem grösstenteils makroökonomischen und technokratischen Zuschnitt. Vielmehr sollen gewisse soziale Härten abgefedert werden. Nach wie vor bleibt als Hauptziel jedoch die forcierte Integration der Drittwelt-Oekonomien in den vom Norden hegemonialisierten Weltmarkt mit allen damit verbundenen Liberalisierungspostulaten, wie sie auch die offizielle Schweiz vertritt. Unter dem Druck der USA ist zudem an der Frühjahrstagung 1990 eine härtere Behandlung säumiger Zahler beschlossen worden – im Zehnerklub unter Zustimmung der Schweiz. Der seit dem Brady –Plan geltende Grundsatz der Schuldenerleichterung ist bisher nur ein paar wenigen Ländern zugute gekommen, Ländern, an denen vorwiegend die USA ein geopolitisches Interesse besitzen. Auch bei ihnen ist allerdings das Schuldenproblem nicht gelöst und insgesamt sind die Aussichten der Dritten Welt z.B. für eine binnenmarktorientierte, die interne Kaufkraft stärkende Wirtschaftspolitik im letzten Jahr eher noch düsterer geworden. Solche dringend notwendigen – das bleibt unbestritten – Strukturanpassungen werden von der exportorienterten IWF-Programmatik aber eher erstickt als gefördert.
Was soll die Schweiz im IWF ?
6Bundesrat Stich will den Beitritt mit einem Exekutivsitz im IWF verbinden. Er wird darin beispielsweise auch von der Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke unterstützt. Diese erhofft sich damit offenbar eine Art Winkelried-Rolle der Schweiz zugunsten der Dritten Welt. Aus entwicklungspolitischer Sicht ist allerdings nicht in dieser paternalistischen Manier ein Industrieland mehr im IWF-Exekutivrat gefragt, sondern die Demokratisierung z.B. der Stimmenverhältnisse (Prinzip „one vote-one country”). Allerdings hat sich Camdessus am erwähnten Treffen dagegen gewehrt, dass die Schuldner quasi über ihre eigenen Schulden beschliessen könnten. Der Konflikt ist offensichtlich : Die Gläubiger geben ihre Macht nicht ab, wogegen eine menschengerechte Entwicklung der Dritten Welt längerfristig nur über eine radikale Umverteilung von Mitteln und den Umbau der Weltwirtschaftsordnung (z.B. gerechter Handel) möglich ist. Für eine solche Aenderung sind IWF und Weltbank strukturell grundsätzlich ungeeignet. Solche Prozesse müssten ausserhalb der Bretton-Woods-Institutionen, z.B. über eine internationale Schuldnerkonferenz im Rahmen der UNO, an der die Beteiligten gleichberechtigt vertreten wären, eingeleitet werden.
7Nun mögen solche Forderungen nach bald einem Jahrzehnt erfolglosem Schuldenmanagement und angesichts der realen Machtverhältnisse auf den ersten Blick reichlich abgehoben und abstrakt erscheinen. Angesichts der Unbeweglichkeit der internationalen Verhältnisse ist in der Schweiz offenbar auch auf entwicklungspolitischer Seite ein verstärkter Trend in Richtung einer Politik der kleinsten Schritte bemerkbar. Insbesondere Vertreter, die in engerem Kontakt mit der Verwaltung stehen, rechnen mehr mit kurzfristig vorhandenen kleinen Spielräumen. Damit verlagert sich die Auseinandersetzung aber eher auf eine taktische Ebene. Dem Bundesrat werden mit einer Referendumsdrohung Forderungen abverlangt, gegen die entwicklungspolitisch nichts einzuwenden ist, im Gegenteil. Aber es werden m.E. so vor allem Illusionen geweckt. Es wird nämlich unterstellt, die Schweiz wolle und könne (vgl. Vetomächte) tatsächlich eine fortschrittliche Rolle spielen, falls der Bundesrat eine entwicklungspolitische Absichtserklärung mit einem Beitritt verbindet. Aber selbst die Erfüllung der harten entwicklungspolitischen Forderungen vonseiten der Sozialdemokratischen Partei sowie der Erklärung von Bern – auf deren Eingehen niemand ernsthaft rechnen kann – würde nichts daran ändern, dass IWF und Weltbank zu keiner demokratisch verfassten und solidarischen Politik mit der Dritten Welt fähig sind.
8Warum also soll die Schweiz den Weg aus der vielbeschworenen politischen Isolation heraus ausgerechnet mit dem Beitritt zu einer der undemokratischsten Institutionen überhaupt in Angriff nehmen und nicht mit einem neuen Anlauf beispielsweise zugunsten einer UNO-Mitgliedschaft ? Natürlich würden sich mit einer IWF-Mitgliedschaft auch mehr Angriffsflächen für entwicklungspolitische Oeffentlichkertsarbeit bieten. Allerdings wäre eine Referendumsdrohung und entsprechender politischer Druck wie bei der ERG-Vorlage (Herbst 1990) nicht möglich. Es würde also allenfalls die innenpolitische Position der Hilfswerke gegenüber den politischen Behörden im Sinne einer verbreiterten Lobby-Arbeit etwas gestärkt. Das ist aber nun doch reichlich wenig, um von einem entwicklungspolitischen Veto gegen einen IWF-Beitritt abzusehen. Von den Kosten eines Beitritts ganz zu schweigen. Entwicklungspolitische Solidaritätsarbeit müsste vielmehr die schwierige Aufgabe anpacken, IWF und Weltbank ihren Monopolanspruch streitig zu machen und diesen nicht mit einem Beitritt zu stärken.
Zitierempfehlung
Papierversionen:
Urs Hänsenberger, „IWF-Beitritt: Zementierung einer falschen Politik“, Schweizerisches Jahrbuch für Entwicklungspolitik, 10 | 1991, 219-222.
Online-Version
Urs Hänsenberger, „IWF-Beitritt: Zementierung einer falschen Politik“, Schweizerisches Jahrbuch für Entwicklungspolitik [Online], 10 | 1991, Online erschienen am: 13 April 2013, abgerufen am 18 Februar 2025. URL: http://0-journals-openedition-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/sjep/1216; DOI: https://0-doi-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/10.4000/sjep.1216
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