1Das schweizerische Asylgesetz, in Kraft seit 1981, erfuhr 1990 bereits die dritte Gesetzesrevision in Form eines dringlichen Bundesbeschlusses. Ziel der Gesetzesrevisionen war es, der in den achtziger Jahren stark anwachsenden Zahl von neuen Asylgesuchen und unerledigten Fällen durch die Beschleunigung des Asylverfahrens entgegenzuwirken. Doch der Flüchtlingsstrom aus den Entwicklungsländern hielt an und die Vollzugsprobleme des Asylrechts wurden immer grösser. In der Sommersession 1990 verabschiedete das Parlament die dritte Gesetzesrevision in Form eines dringlichen Bundesbeschlusses, der am 1. Juli 1990 in Kraft trat. Das neue Asylverfahren trennt frühzeitig zwischen klar negativ und klar positiv zu entscheidenden Gesuchen. Im Parlament stiess die Gesetzesrevision auf breite Zustimmung. Das Referendum gegen die dritte Asylgesetzesrevision wurde zwar ergriffen mit der Begründung, die erneute Verschärfung der Asylpraxis sei unverantwortbar. Es scheiterte jedoch an der ungenügenden Zahl Unterschriften.
2Auch bei der dritten Gesetzesrevision soll eine weitere Verschärfung und Beschleunigung des Asylverfahrens zur Lösung der vielfältigen Vollzugsproblem in der Asylpraxis beitragen. Die beabsichtigten Gesetzesänderungen wurden in einer vom EJPD ausgearbeiteten Botschaft dem Parlament beantragt. Die wichtigsten Neuerungen sind die sog. Abhaltemassnahmen, mit denen die Anziehungskraft der Schweiz als Asylland gemindert werden soll – insbesondere durch ein dreimonatiges Arbeitsverbot – und die Errichtung einer unabhängigen Beschwerdeinstanz sowie die Einteilung der Asylsuchenden in vier Kategorien. Das Asylverfahren bleibt zweistufig, d.h. die Erstbefragung und Entscheidungsvorbereitung erfolgt in der Regel durch kantonale Beamte, und zwar innert 20 Tagen nach Einreise des Asylsuchenden. Eine Befragung direkt durch die Bundesbehörden ist möglich. Bundesbeamte des Amtes des Delegierten für das Flüchtlingswesen entscheiden aufgrund der kantonalen Akten über das Asylgesuch. Neu wurden gesetzliche Verfahrensfristen festgelegt.
3Die Einteilung in eine von vier Kategorien erfolgt nach der Erstbefragung innerhalb 20 Tagen nach Grenzübertritt, und zwar in folgende Gruppen :
4Erstens in Asylsuchende, auf deren Gesuch gar nicht eingetreten wird. Dies ist der Fall, wenn der Asylbewerber seine Identität verheimlicht, in einem anderen Land ein Asylverfahren zu seiner Person hängig ist oder der Asylbewerber in der Schweiz bereits ein Asylverfahren hinter sich hat. In diese Gruppe wurden im weiteren alle Asylsuchenden aus den sog. „sicheren” Herkunftsländern fallen ; in diesen Ländern nämlich sei – nach Ermessen des Bundesrates, der die Kompetenz zur Erstellung einer Liste sog. „sicherer” Herkunftsländer erhalten soll – die Sicherheit vor Verfolgung gegeben. In diesen Fällen wird von der ersten Instanz – dem Amt des Delegierten für das Flüchtlingswesen – innert sechs Wochen entschieden. Einer allfälligen Beschwerde gegen diesen Nicht-Eintreten-Entscheid wird keine aufschiebende Wirkung zuerkannt, so dass ein sofortiger Vollzug der Wegweisung (durch die Kantone) möglich ist.
5Zweitens in die Gruppe, deren Gesuch mit grosser Wahrscheinlichkeit abgelehnt wird. In der Botschaft wird angenommen, dass dies in rund 45 Prozent aller Gesuche der Fall ist. Ist ein Gesuch „offensichtlich unbegründet”, wird in der Regel innerhalb von zehn Tagen ein summarisch begründeter Entscheid gefällt.
6Drittens in Flüchtlinge, deren Gesuche einer eingehenden Prüfung bedürfen und für die ein normales Verfahren eingeleitet wird. Viertens in Asylbewerber, denen mit grosser Sicherheit Asyl gewährt wird. Dies ist der Fall bei rund 10 bis 15 Prozent der Gesuche, welche aufgrund der klaren Vorgaben ebenfalls beschleunigt behandelt wurden.
7In der parlamentarischen Debatte gaben vor allem das dreimonatige Arbeitsverbot sowie die Ausrichtung von Zulagen für die in der Heimat der Asylsuchenden lebenden Kinder zu Diskussionen Anlass. Grundsätzlich kann sich ein Asylbewerber auch künftig während der Dauer seines Asylverfahrens in der Schweiz aufhalten. Detaillierter geregelt wurde jedoch das Arbeitsverbot. Verabschiedet wurde ein generelles Arbeitsverbot während der ersten drei Monate des Aufenthaltes in der Schweiz. Wird während dieser Zeit erstinstanzlich negativ über das Asylgesuch entschieden, können die kantonalen Behörden das Arbeitsverbot au weitere drei Monate ausdehnen. Eine Ausnahme wird für diejenigen Asylsuchenden gemacht, die gemeinnützige Arbeit leisten wollen. Im Falle einer Erwerbstätigkeit müssen die Asylbewerber für anfallende Fürsorge- und Vollzugskosten finanzielle Sicherheit leisten, welche ihnen vom Lohn abgezogen wird. Nach einem rechtskräftigen negativen Asylentscheid erlischt die Arbeitsbewilligung.
8Die Sozialleistungen, insbesondere das Recht auf Zulagen für die Kinder der Asylgesuchstellenden in den Herkunftsländern, wurden vom Nationalrat, welcher die Vorlage als Erstkammer verabschiedete, knapp beibehalten – mit Stichentscheid des Präsidenten –, und zwar dem Gebot der gleichen Behandlung aller Erwerbstätigen, der inländischen wie der ausländischen, gehorchend. Der Ständerat strich die Ausrichtung von Kinderzulagen. Im Differenzbereinigungsverfahren wurde folgendem Kompromiss zugestimmt : Die Kinderzulagen werden während des Asylverfahrens zurückbehalten und in der Folge dann ausbezahlt, wenn die Anerkennung als Flüchtling oder die vorläufige Aufnahme in der Schweiz erfolgt. Damit könnte die von CVP und SP gebildete Mehrheit des Nationalrates sicherstellen, dass wenigstens die kleine Minderheit der nicht abgewiesenen Gesuchsteller in den Genuss von Kinderzulagen kommt. Obwohl die Ausrichtung von Kinderzulagen keine zentrale Frage der Asylvorlage bildete, widerspiegelt die breite parlamentarische Diskussion über diesen Punkt die Stimmung in der Oeffentlichkeit, in der die finanziellen Auslagen für die Asylbewerber häufig zu umstrittenen Stellungnahmen führen.
9Das Beschwerdeverfahren wird durch die Einführung von Behandlungsfristen ebenfalls beschleunigt. In „offensichtlich unbegründeten” Fällen und bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide muss das Beschwerdeverfahren innert 6 Wochen abgeschlossen werden.
10Eine weitere Neuerung brachte der verbindlich im Gesetz festgeschriebene Auftrag an den Bundesrat, eine verwaltungsunabhängige Beschwerdeinstanz zu schaffen. Diese wirkt in Form einer „Rekurskommission für Flüchtlingsfragen”, welche künftig anstelle des EJPD bzw. des Bundesgerichts endgültig über Beschwerden gegen erstinstanzliche Asyl- und Wegweisungsentscheide befindet. Der Nationalrat entschied, dass die Kompetenz, wie er diese Instanz organisiert und wann er sie einsetzt, dem Bundesrat überlassen sei. Der Ständerat forderte, dass die Aufgaben und Kompetenzen der Rekurskommission ebenfalls im Gesetz festgeschrieben werden. In der Differenzbereinigung schloss sich der Nationalrat dem Ständerat an.
11Die Uebertragung der letztinstanzlichen asylpolitischen Entscheide auf eine unabhängige rechtliche Instanz hatte bereits in der Vernehmlassung grosse Zustimmung erfahren. Politisch verantwortliche Behörde des neu geschaffenen Rekursorgans, welches sich an die Richtlinien und Weisungen des Bundesrates halten muss, bleibt somit der Bundesrat. Dieser hätte sich die Einrichtung einer solchen Instanz allerdings lediglich als Möglichkeit in seinem Kompetenzbereich, nicht als Pflicht gewünscht.
12Im Durchschnitt der letzten Jahre gab es jährlich etwa 20 000 Beschwerden im Asylbereich. Der Beschwerdedienst war bis anhin im EJPD angesiedelt und beschäftigte rund 150 Leute. Dieser Dienst muss nun neu organisiert werden.
13Der Bundesrat wurde beauftragt, zur langfristigen Entlastung der nationalen Asylpolitik ein Konzept und einen Massnahmenkatalog für die Entwicklungszusammenarbeit mit den wichtigsten Herkunftsländern von Asylbewerbern vorzulegen. Ziel dieser Massnahmen soll es sein, die Lage in wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten zu verbessern, praktisches Berufswissen zu vermitteln, beim Aufbau einer besseren medizinischen Infrastruktur zu helfen, Projekte des sozialen Wohnungsbaus zu unterstützen und zur Verbesserung der demokratischen Strukturen im Rahmen der persönlichen und politischen Freiheitsrechte beizutragen (Postulat der Kommission).
- 1 Ausführlich berichtet über die erste und zweite Asylgesetzrevision von 1983 bzw. 1987 wurde in de (...)
14Der Bundesrat hatte mit dem 1989 veröffentlichten „Strategiebericht für eine Flüchtlings- und Asylpolitik der 90er Jahre” eine Lageanalyse in der Asylpolitik und -praxis unterbreitet und mögliche Wege für die kommenden Jahre aufgezeigt1. Insbesondere wird eine europäische Zusammenarbeit und Koordination in der Asylpolitik angestrebt. Die dritte Gesetzesrevision ist lediglich eine Massnahme zum unmittelbaren Abbau der unerledigten Fälle. Die Parlamentsdebatte und die Stellungnahmen zur dritten Asylgesetzesrevision brachten allgemein eine gewisse Ratlosigkeit angesichts der Dimension der Probleme in der Asylpolitik zum Ausdruck. Von rechtskonservativer Seite wurde sogar die Einführung von Notrecht verlangt. Hilfswerke und Flüchtlingsorganisationen banden ihre Zustimmung zur Gesetzesrevision an die Einrichtung der unabhängigen Rekursinstanz.
15In der Asylfrage stark engagierte Leute ergriffen gegen die erneute Verschärfung des Asylgesetzes das Referendum. Die Kürzestverfahrensfristen tragen ihrer Meinung nach der traumatischen Situation von Folteropfern zuwenig Rechnung und fördern die bereits heute feststellbare Ungeduldshaltung der Befrager von Bund und Kantonen. Die angestrebte Effizienzsteigerung für die 95 Prozent Negativentscheide führe zu einer unverantwortbaren Pauschalisierung der Asylprobleme. Das Referendum scheiterte jedoch an der ungenügenden Zahl Unterschriften ; nur rund 30 000 Leute hatten das Referendum unterzeichnet.
16Im Jahre 1989 haben 24 425 Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz um Asyl nachgesucht, 46 Prozent mehr als im Vorjahr. Ende Jahr waren bei den Kantonen, beim Delegierten für das Flüchtlingswesen und beim Beschwerdedienst des EJPD insgesamt 40 106 Asylgesuche hängig, 33,5 Prozent mehr als 1988. Am meisten Gesuche – 38,5 Prozent – wurden von türkischen Staatsangehörigen gestellt, 19,7 Prozent von Tamilen, 10,1 Prozent von Libanesen und 5,6 Prozent von Jugoslawen. Tabelle Nr. 9 bietet einen Überblick über die Asylgesuche von 1979 bis 1989.
Tabelle Nr. 9. Asylgesuche 1979-1989
Quelle : EJPD/DFW
17Mit Ausnahme von rund 1000 Asylbewerbern reisten alle Gesuchsteller über die grüne Grenze – d.h. illegal – in die Schweiz ein. Das Konzept der sog. Grenztore hat sich somit als unbrauchbar erwiesen.
18Die Anerkennungsquote in erster Instanz betrug 4,9 Prozent und liege nach Auskunft des Delegierten für das Flüchtlingswesen „im europäischen Durch schnitt”. 1989 erhielten 821 Personen Asyl. Insgesamt wurde jedoch der Aufenthalt von 4102 Personen bewilligt oder geduldet. Die Anerkennungsquote für türkische Staatsangehörige – der grössten Gruppe – betrug 3,4 Prozent, diejenige für Tamilen lag bei 4,5 Prozent. Die schweizerische Anerkennungsquote liege nach Erfahrungen der Schweizer Sektion von amnesty international weit unter dem Anteil, den die effektiv Verfolgten und Bedrohten unter den Asylsuchenden ausmachen. Sie schlägt deshalb eine grosszügigere Auslegung des Flüchtlingsbegriffs vor.
19Gleichzeitig mit der Asylgesetzrevision wurde die Rechtsgrundlage für die Schaffung eines Bundesamtes für Flüchtlinge vorbereitet. Die Umwandlung des Dienstes des Delegierten für das Flüchtlingswesen in ein eigentliches Bundesamt ist von keiner Seite umstritten.
20Die wichtigsten im Parlament behandelten entwicklungspolitischen Vorlagen der Berichtsperiode waren die beiden neuen Rahmenkredite für die Weiterführung der technischen Zusammenarbeit und Finanzhilfe sowie über die wirtschafts- und handelspolitischen Massnahmen. Die parlamentarische Debatte zu diesen Rahmenkrediten wird im Kapitel Entwicklungszusammenarbeit erläutert. Ebenfalls die Vorstösse zu den schweizerischen Waffenexporten sowie zur Revision der ERG und der Verlängerung der Kompetenz zum Abschluss von Schuldenkonsolidierungsabkommen werden in den entsprechenden Kapiteln behandelt. Nachfolgend beschränken wir uns auf die restlichen parlamentarischen Vorstösse sowie auf die Arbeit in der Kommission für Internationale Entwicklungszusammenarbeit.
21Nach der Besetzung Kuwaits durch irakische Truppen verhängt der Bundesrat am 7. August 1990 Wirtschaftssanktionen gegen den Irak und das besetzte Kuwait. Die „Verordnung über Wirtschaftsmassnahmen gegenüber Irak und Kuwait” verbietet generell den Handel mit den beiden Staaten. Verboten sind namentlich Ankauf, Verkauf, Vermittlung, Beförderung sowie Ein- und Ausfuhr von Waren aus und nach den beiden Ländern. Blockiert wurden auch die öffentlichen Finanztransaktionen ; die öffentlichen Guthaben wurden eingefroren, nicht aber die privaten Geldströme. Laut Angaben in der Presse (SHZ, 27.9.1990) wird der Fluchtgeldstrom aus der Golfregion in die Schweiz auf 5 bis 10 Milliarden Dollar geschätzt. Mit diesen Wirtschaftssanktionen schlägt der Bundesrat einen Richtungswechsel in seiner Aussenwirtschaftspolitik ein (NZZ, 8.8.1990). Im Parlament fand der Bundesrat für diese erstmalige Beteiligung der Schweiz an Wirtschaftssanktionen breite Unterstützung. Anlässlich der Debatte in der Septembersession 1990 wurde von den Rednern aller politischen Fraktionen festgehalten, dass der Bundesrat gar nicht anders habe handeln können angesichts des ebenfalls als Novum Geschichte machenden einstimmigen Beschlusses des UNO-Sicherheitsrates, welcher zum ersten Mal in einem zwischenstaatlichen Konflikt Wirtschaftssanktionen verhängte. Zu reden gab der Entscheid des Bundesrates vom 24. September 1990, wonach vorderhand kein Schweizer Waffenembargo für die Golfregion in Kraft treten solle (Vgl. „Waffenausfuhr”).
22Ebenfalls in der Septembersession 1990 behandelte der Nationalrat eine parlamentarische Initiative (Rechsteiner, SP/SG), welche Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika verlangt. Der Initiant betonte, dass trotz gewisser Fortschritte – die Freilassung Nelson Mandelas beispielsweise – das Regime der Apartheid weiter bestehe. Die Konzessionen der weissen Regierungen seien zudem wesentlich auf die Widerstandsbewegung sowie auf die internationalen Wirtschaftssanktionen zurückzuführen und die Zeit sei gekommen, dass die Schweiz auch bei diesem Wirtschaftsboykott nicht mehr – als letztes europäisches Land – die Ausnahme mache und nicht mehr als Umgehungsland dienen könne. Die Initiative wurde mehrheitlich (68 zu 34 Stimmen) abgelehnt. Süd-afrika sei nicht mit Irak zu vergleichen und ein Votant tadelte den erneuten parlamentarischen Vorstoss zu Südafrika als Zwängerei, seien doch seit 1983 24 entsprechende Interventionen im Nationalrat vorgebracht worden. Tatsächlich widmete das Parlament diesen Vorstössen nie eine lange Diskussion und lehnte sie allesamt ab. (Tages-Anzeiger und NZZ, 21.9.1990).
23Im Juni 1990 reichten die Hilfswerke Brot für Brüder, Caritas, Fastenopfer, Heks, Helvetas und Swissaid eine gemeinsame Petition mit rund 250 000 Unterschriften ein, in welcher sie den Bundesrat und das Parlament aufforderten, zum 700-Jahr-Jubiläum der Schweiz einen Fonds von mindestens 700 Millionen Franken zur Entschuldung der ärmeren Entwicklungsländer zu errichten. Die vorberatenden Wirtschafts-Kommissionen beider Rate hatten die Petition einstimmig angenommen und brachten sie in Form eines Postulats in die parlamentarische Debatte ein. In der Septembersession 1990 wehrte sich im Nationalrat nur eine kleine bürgerliche Minderheit gegen die Vorlage, welche in der Schlussabstimmung mit 105 zu 11 Stimmen in Form eines konkreten Auftrages an den Bundesrat überwiesen wurde. Dieser ist aufgefordert, dem Parlament für die Julbiläumssession im Mai 1991 eine Vorlage zu unterbreiten. Der Ständerat hiess die Petition ebenfalls gut, allerdings ohne eine konkrete Summe festzuhalten. Mit dem Geld sollen Guthaben von schweizerischen Banken gegenüber ärmeren Entwicklungsländern zu Marktpreisen gekauft werden. Die Regierungen der betroffenen Länder müssen sich verpflichten, für einen Teil der erlassenen Forderungen einen Gegenwertsfonds in einheimischer Währung zu errichten, aus dem entwicklungspolitisch sinnvolle und umweltschonende Projekte zu finanzieren sind. Die Annahme der Petition bedeutet für die Hilfswerke einen Erfolg und eine Ermunterung, die Informationsarbeit über entwicklungspolitische Zusammenhänge in der Schweiz weiterzuführen. Die Annahme bedeutet auch eine Anerkennung ihrer alten Förderung, Entwicklungszusammenarbeit müsse eingebettet sein in eine Verbesserung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklungsländer (Tages-Anzeiger und NZZ, 21.9.1990).
24Mit Fragen der Entwicklungszusammenarbeit befassen sich insbesondere die „Beratende Kommission für Internationale Entwicklungszusammenarbeit”, die Aussenpolitische Kommission sowie das reaktivierte „Interdepartementale Komitee für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe”.
25Diese Kommission ist ein beratendes Organ des Bundesrates in Fragen der Entwicklungszusammenarbeit. Es behandelt in jeweils vier Sitzungen jährlich entwicklungspolitisch prioritäre Themen. Die Kommission ist zusammengesetzt aus verwaltungsinternen und externen Fachleuten ; Präsident ist Nationalrat Nebiker. In den Sitzungen erfolgt in der Regel nach Hearings von Fachleuten zu den traktandierten Themen die Diskussion unter den Kommissionsmitgliedern.
26In der Berichtsperiode befasste sich die Kommission mit folgenden Themen :
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Analyse des Weltbankberichts über Afrika
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Entwicklungszusammenarbeit mit den Schwerpunktländern Tansania und Niger
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Biotechnologie und ihre Auswirkungen auf die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit
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Entschuldungspetition und Beitritt der Schweiz zu den Bretton-Woods-Institutionen.
27Seit Beginn der achtziger Jahre wurden mehrere Affären der Kapitalflucht in die Schweiz aufgedeckt. Verschiedene frühere Staatsoberhäupter oder Regierungschefs der Entwicklungsländer (darunter Ferdinand Marcos und Jean-Claude Duvalier) wurden beschuldigt, dem Staatshaushalt ihrer Länder entwendete Gelder in der Schweiz hinterlegt zu haben. Die in diesen Fällen eingeleiteten Rechtshilfeverfahren sind langwierig und kompliziert, weil das Geld unter Decknamen, durch Strohmänner oder durch Tamfirmen deponiert werden kann. Ausserdem können in jeder Phase des Verfahrens (Aufhebung des Bankgeheimnisses, Übergabe von Bankunterlagen an die Justizbehörden des Drittlandes, Rückgabe der Guthaben) in den betreffenden Kantonen und anschliessend beim Bundesgericht Rekurse eingelegt werden.
28Auch in zwei weiteren Fällen wurden an die Schweiz Rechtshilfeanträge gerichtet. Es handelt sich dabei um Finanzgeschäfte im Zusammenhang mit dem Waffenschmuggel zwischen den USA und dem Iran vom Jahre 1986 und um Bestechungsgelder, die anlässlich schwedischer Waffenverkäufe an Indien in der Schweiz gezahlt wurden (Bofors-Affaire 1990). Gemäss einem von den Vereinigten Staaten im Januar 1990 unterbreiteten Rechtshilfegesuch soll der frühere Staatschef Panamas, General Manuel Antonio Noriega, in der Schweiz Gelder aus dem Drogenhandel hinterlegt haben. Eine der betroffenen Banken (Schweizerischer Bankverein, Genf) hatte die Beziehungen zu General Noriega bereits 1988 abgebrochen. Somit bezieht sich das Rechtshilfegesuch auf Unterlagen betreffend die Bankgeschäfte und nicht auf die Rückgabe von Guthaben.
29Das Verfahren zum verschärften Kampf gegen die Hinterlegung von Drogengeldern in der Schweiz wurde nach der Affäre der „Lebanon Connection” beschleunigt, die in der Schweiz einen beispiellosen politischen Skandal hervorgerufen hatte.
30Hingegen weigert sich die Schweiz mit einigen Ausnahmen weiterhin, in Fällen von Steuerflucht mit den ausländischen Behörden zusammenzuarbeiten, da Steuerflucht in der Schweiz nicht als strafbare Handlung angesehen wird. Nun wird aber die Steuerflucht als die Hauptursache der internationalen Kapitalflucht betrachtet (siehe hierzu die Artikelreihe im Jahrbuch 1990 mit Beiträgen von Hans J. Mast und Tobias Bauer über die Schätzung des Umfangs der Kapitalflucht in die Schweiz und mit dem Beitrag von Paolo Bernasconi über die internationalen Kapitalbewegungen illegalen Ursprungs).
31Im Herbst 1990 hat Nationalrat René Longet eine Motion eingereicht, die eine Gesetzesrevision beantragt, um die passive Annahme von Geldern im Rahmen der Steuerflucht zu einer Straftat zu machen.
32Infolge der Kopp-Affäre wurde am 31. Januar 1989 eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) eingesetzt, um die Geschäftsführung der Bundesanwaltschaft und des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements zu überprüfen. Die Kommission hatte die Aufgabe, das Vorgehen der Bundesbehörden und Bundesämter im Bereich der Geldwäscherei und des internationalen Drogenhandels zu untersuchen. Der Bericht der Kommission wurde am 22. November 1989 veröffentlicht.
33Betreffend den Kampf gegen die Geldwäscherei und den Drogenhandel führt der Bericht folgende Punkte an :
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Die zuständigen Behörden des Bundes und der Kantone haben sich lange Zeit auf die strafrechtliche Verfolgung der Drogenhändler, Drogentransporteure und Drogenkonsumenten beschränkt und dabei den Verbindungen zwischen internationalen Verbrechergruppen und Schweizer Finanzinstitutionen zu wenig Beachtung geschenkt. In Anbetracht des bestehenden Verdachts hätte gegen verschiedene Finanzinstitute eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet werden müssen (S. 95 und 98 des PUK-Berichts). Unter den Firmen, die der Geldwäscherei von Geldern aus dem Drogenhandel verdächtigt wurden, wurden (bereits im September 1988) die Mirelis SA (Genf), die Mettacaf und die Shakarchi Trading AG genannt (S. 96 des Berichts).
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Es hat einige Fälle von Eindringungsversuchen des organisierten Verbrechens bei den Bundes- und Kantonsbehörden gegeben (der Bericht untersucht die Fälle betreffend Cemal Cemaligil und Adrian Bien, S. 111). Der Verdacht, dass die Schweizer Behörden vom organisierten Verbrechen unterwandert worden seien, bleibe jedoch unbegründet.
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Schliesslich stellt der Bericht Mängel bei den Rechtshilfeverfahren fest (S. 206-217). Die Verfahren seien langwierig, kompliziert und „zu umständlich”. Insbesondere wird der Fall des Waffen- und Drogenhändlers Musullulu im einzelnen untersucht. Musullulu könnte bis August 1984 (Zeitpunkt seiner Flucht) in der Schweiz bleiben, während die Türkei bereits im Juni 1983 einen internationalen Haftbefehl gegen ihn hatte ergehen lassen. Der Haftbefehl in der Schweiz wurde erst im Mai 1985 ausgestellt.
34Die am 1. August 1990 in Kraft getretene Änderung des Schweizer Strafgesetzbuches ermöglicht die strafrechtliche Verfolgung der Geldwäscherei. Vor diesem Zeitpunkt waren lediglich der Rauschgifthandel und die Finanzierung des Rauschgifthandels strafbar.
35Der neue Artikel 305bis des Strafgesetzbuches besagt, dass derjenige, der eine Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln, die, wie erweiss oder annehmen muss, aus einem Verbrechen herrühren, mit einer Gefängnisstrafe (von maximal 5 Jahren) oder einer Geldstrafe (von maximal 1 Million Franken) bestraft wird. Gemäss Artikel 305ter kann derjenige, der Vermögenswerte eines Dritten in Ausübung seines Berufes annimmt, ohne die Identität des wirtschaftlichen Anspruchsberechtigten zu prüfen, zu einer Gefängnisstrafe (von maximal einem Jahr) verurteilt werden (Botschaft Bbl. 1989 II).
36Die schwedische Waffenfirma Bofors war beschuldigt worden, im Jahre 1986 Angehörigen der indischen Regierung Bestechungsgelder gezahlt zu haben, um von der indischen Armee einen Waffenauftrag (in Höhe von 1,3 Milliarden US-Dollar) zu erhalten. 80 Millionen Schweizer Franken an Bestechungsgeldern sollen auf mindestens fünf Konten in Genf und ein Konto in Zürich überwiesen worden sein.
37Diese Affäre wurde aufgrund einer langen Untersuchung einer Korrespondentin der Zeitung „The Hindu” in der Schweiz enthüllt. Die Enthüllungen haben zu einem bedeutenden politischen Skandal in Indien geführt, der eine der Ursachen für die Nichtwiederwahl Rajiv Gandhis am 25. November 1989 war, da dem früheren Premierminister nahestehende Personen in die Affäre verwickelt gewesen sein sollen.
38Am 23. Februar 1989 wurde das von der Regierung unter Premierminister Gandhi eingereichte Rechtshilfegesuch vom Bundesamt für Polizeiwesen abgewiesen, da das Gesuch sich auf eine Steuerhinterziehung seitens des indischen Vermittlers bezog und Steuerbetrug auf schweizerischem Staatsgebiet nicht strafbar ist.
39Am 9. Februar 1990 wurde von der Regierung unter Premierminister Singh ein neues Rechtshilfegesuch unterbreitet. Das Eidg. Polizeidepartement hatte Ende Januar 1990 vier Konten bei Schweizer Banken sperren lassen. Das neue Gesuch ist zulässig, da in Indien ein strafrechtliches Untersuchungsverfahren eingeleitet wurde und die angeführten Vergehen auch in der Schweiz strafbar sind.
40Im März 1990 haben die Untersuchungsrichter die betroffenen Banken aufgefordert, ihnen die Unterlagen bezüglich der gesperrten Konten herauszugeben. Die Inhaber der Konten haben gegen dieses Begehren bei der Anklagekammer in Genf, bei der Zürcher Staatsanwaltschaft und anschliessend beim Bundesgericht Einspruch erhoben. Das Bundesgericht hat den Rekurs gegen den Zürcher Entscheid abgewiesen.
411986 wurde der Schweiz ein Rechtshilfegesuch unterbreitet, das vom früheren Staatspräsidenten Jean-Claude Duvalier, seiner Frau und Familienangehörigen unterschlagene Gelder betrifft. Die Genannten sollen unter dem Vorwand der Unterstützung sozialer Einrichtungen über 100 Millionen Dollar unterschlagen haben, die für staatliche Betriebe bestimmt waren. Ein Teil dieser Gelder wurde in der Schweiz deponiert.
42Im November 1989 hat das Bundesgericht den Rekurs der Duvalier-Familie gegen die Übergabe von Bankunterlagen an die Justizbehörden in Haiti abgewiesen. Die Anklagekammer des Kantons Genf hatte zuvor bereits einen solchen Einspruch abgelehnt, jedoch von Haiti gleichzeitig Garantien über ein den Menschenrechten entsprechendes Gerichtsverfahren gefordert. Auch darf Duvalier nicht durch Ausnahmegerichte verurteilt werden.
43Im November 1989 hatte das Bundesgericht einen Rekurs der Angehörigen des 1989 verstorbenen philippinischen Präsidenten Marcos teilweise angenommen und den USA einen Teil der beantragten Rechtshilfe im Rahmen eines in den Vereinigten Staaten laufenden Strafverfahrens gewährt. Der Prozess gegen die Witwe Imelda Marcos und Adnan Kashoggi (der in der Schweiz verhaftet und an die USA ausgeliefert wurde) ging Anfang Juli 1990 mit einem Freispruch zu Ende. Das schweizerische Bundesgericht hatte die Rechtshilfe betreffend den Erwerb von Grundstücken in New York abgelehnt.
44Im von den Philippinen 1986 beantragten Rechtshilfeverfahren hat die Schweiz der philippinischen Regierung 16 Millionen Dollar ausgezahlt, die auf Konten von zwei Schweizer Banken in Zürich und Genf blockiert waren. Insgesamt sind 450 Millionen Dollar in der Schweiz gesperrt worden. Nach Angaben der Philippinen sollen über hundert Konten in der Schweiz betroffen sein, wovon sich die meisten bei den vier Schweizer Grossbanken befinden. Die Behörden in Zürich und Freiburg haben im ganzen die Übergabe von 400 Millionen Dollar an die Philippinen genehmigt. Das Bundesgericht musste noch eine Entscheidung bezüglich der letzten Rekurse treffen. Es ging um die Frage, ob die Gelder ohne den Abschluss des Verfahrens gegen den Marcos-Klan überwiesen werden können. Am 27. Dezember 1990 hat das Bundesgericht elf von den Anwälten von Ferdinand Marcos eingereichte Rekurse abgewiesen. Das Gericht hat die Überweisung der Gelder somit akzeptiert, jedoch unter der Bedingung, dass bis zum 21. Dezember 1991 ein philippinisches Gericht die Rückerstattung der Gelder an die Berechtigten oder deren Einziehung anordnet. Das Verfahren muss gewisse Regeln, insbesondere die Rechte der Verteidigung, einhalten.