1Die Frauenfrage bringt eine neue zusätzliche Dimension in Bezug auf Analyse und Vorgehensweise in der Entwicklungszusammenarbeit ; sie erfordert ein Überdenken der bisherigen Strategien. Die besondere Berücksichtigung der Anliegen und Bedürfnisse der Frauen in den Entwicklungsländern in der konkreten Projekttätigkeit setzt bei den Projektverantwortlichen das Bewusstsein um die Notwendigkeit der Integration der spezifischen Frauenrealität in die Projektarbeit voraus. Die Frauen sind für eine ganzheitliche Entwicklung unumgängliche und wichtige Ansprech- und Projektpartnerinnen. An einer Tagung zum Thema „Frauen und Entwicklung” im August 1987, an der zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter von privaten Hilfswerken und der DEH teilnahmen, widerspiegelte die Diskussion um die Formulierung einer frauengerechten Entwicklungszusammenarbeit die Tatsache, dass ein Konsens darüber besteht, dass vermehrt besondere Anstrengungen für die Frauen unternommen werden müssen. Dafür notwendige Strategien und Massnahmen wurden in einer Resolution vorgeschlagen. Die Diskussion zeigte aber auch, dass die Formulierung einer Politik der Frauenförderung in der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit erst in den Anfängen steckt, dass sie notwendig ist, dass mittelfristig eine Strategie ausgearbeitet werden muss, dass das Bewusstsein allein nicht genügt.
2Der vorliegende Beitrag ist lediglich eine skizzenhafte Bestandesaufnahme der Diskussion zur Frauenförderung in der privaten schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit. Wir werden auf das Thema zurückkommen, wenn sich klare Ansätze erkennen lassen.
3In den Hilfswerken sind insgesamt mehr als die Hälfte des beschäftigten Personals Frauen, auf der Ebene der Projektverantwortlichen sind es noch ein Drittel Frauen, auf der Direktionsebene und in den Verwaltungsorganen schwindet der Frauenanteil zusehends. Aufgrund der Auseinandersetzung mit der Frauenfrage in der Entwicklungszusammenarbeit wurden bei einzelnen Organisationen Frauenstellen geschaffen :
4Im Vorfeld der Nairobi-Frauenkonferenz, welche 1985 die UNO-Frauendekade abschloss, entstand die Idee, eine Koordinationsstelle „Frau und Entwicklung” zu schaffen. In einem ersten Ansatz finanzierten zehn private Organisationen eine von Februar 1986 bis September 1987 befristete 70 %-Stelle bei Intercooperation in Bern. Aufgabe der Stelle war es, konkrete Massnahmen zur Verbesserung der Situation der Frauen in den Entwicklungsländern vorzuschlagen. Die Stelleninhaberin Elisabeth Meyerführte u.a. eine Umfrage bei den privaten Hilfswerken durch ; die DEH hatte eine Teilnahme an der Erhebung abgelehnt. Die Umfrage ergab, dass auf der Ebene der Politik der Entwicklungszusammenarbeit lediglich 3 Organisationen spezielle Richtlinien für die Berücksichtigung der Frauen in der Projektarbeit kennen. 5 Organisationen erwähnen die Frauen in ihren allgemeinen operationellen Kriterien zur Projektarbeit. Allgemeines Ergebnis der Umfrage ist, dass sich die Frauenförderung noch nicht zu einem eigentlichen Thema mit entsprechender Umsetzung in die Praxis entwickelt hat. Die Integration von Massnahmen der Frauenförderung in die Projektarbeit hängt in erster Linie von den einzelnen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern ab. In 2 Hilfswerken (Basler Mission, Christlicher Friedensdienst) bestehen besondere Frauenstellen (50 %-Stellen). (Angeschrieben wurden 32 Organisationen und 90 Sachbearbeiterinnen).
5Aufgabe der Koordinationsstelle war auch die Vorbereitung der Tagung im August 1987, an der sich die Hilfswerke zum weiteren Vorgehen äussern sollten, konkret, ob die Stelle weiter finanziert wird oder nicht, oder ob eine neue Form gefunden werden sollte. Es wurde eine Institutionalisierung der Frauenförderung in der Entwicklungszusammenarbeit auf nationaler Ebene gefordert. Eine Konzeptgruppe soll bis Ende 1987 ein Modell ausarbeiten, zu welchem die Hilfswerke sich äussern sollen. Die Tagung fordert aufgrund der im Rahmen der Koordinationsstelle ausgewerteten Erfahrungen „und der gegenwärtigen Situation eines mangelnden Einbezugs der Frauenförderung in der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit die Hilfswerke und die DEH auf, ihre Anstrengungen innerhalb der Organisation in folgenden Bereichen zu verstärken :
1. Formulierung einer Politik, welche ausdrücklich die Verbesserung der Lebensbedingungen der Frauen und das Wahrnehmen der Bedürfnisse der Frauen in den Entwicklungsprogrammen festhält.
2. Gezielte Bereitstellung der organisatorischen, finanziellen und personellen Mittel für Massnahmen der Frauenförderung innerhalb der Hilfswerke und der DEH.
3. Informationsbeschaffung über Lebenszusammenhänge der Frauen und über besondere Initiativen der Frauen (organisationen) in den Drittweltländern, sowie Programmevaluationen hinsichtlich der Auswirkungen auf Frauen.
4. Verstärkung einer direkten Zusammenarbeit mit Frauengruppen und -organisationen in den 3. Welt-Ländern”. (Resolution der Tagung)
6Swissaid hat Ende 1986 nach 5-jähriger Tätigkeit eine 50 %-Frauenstelle aufgehoben. Die Stelle war als Stabsstelle, die ins Leitungsteam integriert war, konzipiert. Die Stelle hatte die Funktion der Sensibilisierungsarbeit : einerseits Informationstätigkeit in der Schweiz, anderseits auf allen Ebenen der Swissaidtätigkeiten immer wieder die Frauenanliegen im Rahmen der Projektarbeit zur Diskussion zu stellen. Die Erfahrungen der Swissaid-Stelle haben nach Ansicht der Stelleninhaberin Annette Kaiser eine positive und eine negative Seite von Frauenstellen aufgezeigt. Die positive Seite : die Frauenfrage wird kontinuierlich und systematisch bei jeder Gelegenheit gestellt. Die negative Folge ist, dass die Frauenfrage teilweise bewusst oder unbewusst an die Stelle delegiert wird. Um dem vorzubeugen, schlägt Kaiser vor, die Frauenfrage stärker in die Institution zu integrieren, sie soll direkt in alle Arbeitsbereiche einfliessen, bei allen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern integriert sein. Es sollen zudem zusätzliche lokale Projektberaterinnen zur speziellen Bearbeitung der Frauenfragen angestellt werden, welche den betreffenden Koordinationsstellen angeschlossen werden. Die Frauenfrage soll auch hier nicht losgelöst von der gesamten Projektarbeit bearbeitet werden, sondern integrierter Bestandteil der Projekttätigkeit sein.
7Die Inhaberinnen der beschriebenen Stellen kommen zum Schluss, dass durch Frauenstellen Einfluss auf die Organisationen ausgeübt werden kann. Sie entbinden aber nicht von der Notwendigkeit des vermehrten Einbezugs der Frauen im operationellen und im Entscheidungsbereich der Hilfswerke. Dies aus folgenden Gründen :
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Offensichtlich ist allgemein bei Frauen das Interesse an der Frauenfrage grösser als bei Männern.
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Für Frauen ist es trotz kultureller Unterschiede einfacher, die notwendigen Kontakte zu Frauen in den Entwicklungsländern zu knüpfen.
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In der Dritten Welt entstehen neue Frauenorganisationen und von Frauen getragene Selbsthilfeprojekte nach dem basisorientierten Ansatz, wie ihn sich die Hilfswerke zum Ziel setzen. Es ist wichtig, dass Frauen Projektverantwortung und Entscheidungskompetenz übernehmen, um diese Initiativen zu unterstützen.
8Die bis heute einzigen systematischen Untersuchungen über die frauenpolitische Praxis der schweizerischen Hilfswerke wurde von diesen beiden Frauenstellen gemacht. Dies wiederum ist der Beweis dafür, dass es besondere Stellen braucht, welche Untersuchungen durchfuhren, Debatten über Frauen und Entwicklung organisieren, den Erfahrungsaustausch und das Frauenlobbying koordinieren. Der Entscheid über das weitere, in einem gewissen Sinn gemeinsame Vorgehen (gemeinsame Finanzierung einer Frauen-Koordinationsstelle) ist zur Zeit noch offen.
91. Generell lässt sich feststellen, dass auch in der Schweiz eine erfreuliche Sensibilisierung in Bezug auf die Thematik Frau und Entwicklung, vor allem seit Beginn der achtziger Jahre, stattgefunden hat. Allerdings verliert das Thema bereits an Interesse, dies noch bevor eine Politik der Frauenförderung formuliert ist. Im Zusammenhang mit Spendenrückgängen in Hilfswerken besteht die Gefahr, dass zuallererst dort gespart wird, wo es am leichtesten durchzusetzen ist: bei den Frauen. Da mit wenigen Ausnahmen der gute Wille und das Bewusstsein um die Notwendigkeit des vermehrten Einbezugs der Frauen in die Entwicklungsuzammenarbeit in entsprechenden institutionellen und finanziellen Massnahmen (z.B. teste Stellen, Quotenregelung, besonderes Budget) keinen Niederschlag fanden, besteht die Gefahr, dass die erreichte Sensibilisierung für die Frauenförderung leicht durch die herkömmlichen institutionellen und finanziellen Sachzwänge verdrängt wird. Von der Sensibilisierung bis zu deren Durchsetzung in die praktische Arbeit bleibt noch viel zu tun. Die chronische Überlastung der Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter angesichts der Vielfältigkeit ihrer Aufgaben ist ein wichtiger Grund dafür, dass man zwar gerne mehr für die Frauen tun möchte, dass aber dazu die Zeit fehlt. Die Frauenförderung ist nicht erstrangig im Pflichtenheft und kommt unter diesen Umständen oft zu kurz.
102. Eine eigentliche Frauenforschung innerhalb der Entwicklungsuzammenarbeit würde die wissenschaftliche Grundlage schaffen für die Formulierung einer frauengerechten Entwicklungspolitik und -praxis. Spezielle Frauen-Forschungsstellen mit entsprechenden Budgets für frauenorientierte entwicklungspolitische Forschung scheinen uns unerlässlich.
113. Es gibt bis heute sehr wenig Evaluationen, welche speziell die Auswirkungen der Projekte auf die Frauen zum Gegenstand ihrer Untersuchung haben. In Zukunft soll das bei Frauen vorhandene Wissen vermehrt genutzt werden; es sollen mehr Aufträge für Projektevaluationen an Frauen vergeben werden.
124. Es ist das Verdienst engagierter Frauen, dass die Frauenförderung in der Entwicklungszusammenarbeit in der Schweiz eine gewisse Beachtung erlangt hat. Es braucht weiterhin ein hartnäckiges Lobbying von Frauen; es braucht aber auch ein systematisches Erfassen der Frauenanliegen in den Botschaften, den Jahresberichten, den Unterlagen für die Sammlung von Spendengeldern und in Informationsbroschüren.
13Frauen und Mädchen machen die Hälfte der Weltbevölkerung und weit mehr als die Hälfte der am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen aus. Das Gesetz über die Entwicklungszusammenarbeit schreibt vor, dass die schweizerische Entwicklungshilfe prioritär dieser Bevölkerungsgruppe zugute kommen soll !