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Lectures croisées de l’actualité (recensions françaises et allemandes)

Priska Morrisey et Éric Thouvenel (Hg.), Les Arts et la Télévision: Discours et Pratiques

Sjoukje van der Meulen
p. 221-224
Référence(s) :

Priska Morrisey, Éric Thouvenel, Les Arts et la Télévision: Discours et Pratiques, Rennes: Presses Universitaires de Rennes, 2019, 390 Seiten

Texte intégral

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Crédits : Presses universitaires de Rennes

1Der Sammelband Les Arts et la Télévision behandelt auf den ersten Blick eine etwas veraltete Diskussion. Ein Buch über die Beziehung zwischen Kunst und Fernsehen im digitalen Zeitalter? Wäre nicht eine Untersuchung über den Wandel des Fernsehens durch die digitalen Entwicklungen und die neuen Formen der Kunst oder Programme über Kunst in diesem Kontext relevanter? Die Beiträge dieser Sammlung beweisen das Gegenteil. Alle Klischees, die wir seit dem Zweiten Weltkrieg über die Beziehung zwischen Fernsehen und Kunst entwickelt haben, werden sowohl untergraben als auch differenziert beleuchtet: zum Beispiel die gängige Vorstellung, dass Kunstgeschichte im Fernsehen oberflächlich ist, weil sie für ein großes Publikum bestimmt ist; dass Videokunst eine Art Anti-Fernsehen ist, oder dass Fernsehen und Kunst einfach nicht gut zusammenpassen und es deshalb so wenige Sendungen gibt, weil sie schlechte Einschaltquoten zu erzielen scheinen.

  • 1 Priska Morrissey und Éric Thouvenel, Les Arts et la télévision: discours et pratiques, Rennes: Pres (...)
  • 2 Der Band ist die Fortsetzung eines früheren Projekts an der Universität Rennes, das den Zeitraum vo (...)
  • 3 Das Inhaltsverzeichnis befindet sich am Ende des Buches (ohne Seitenangabe).

2Bei einer thematischen Sammlung wie dieser muss man zunächst einmal feststellen, um welche Art von Kunst es sich handelt. Genau damit beginnt die Einleitung der Herausgeber Priska Morrissey und Éric Thouvenel. Der Band ziele »darauf ab, die vom französischen Fernsehen produzierten Kunstdiskurse zu analysieren, aber auch die Idee, dass das Fernsehen selbst eine Kunst sein kann«.1 Neben der überzeugenden Auswahl von Kunst im Fernsehen und Fernsehen als Kunst sowie von Diskurs und Praxis ist auch das Forschungsmaterial klar umrissen: das umfangreiche Archiv des französischen INA, des Nationalen Audiovisuellen Instituts.2 Der Band verdankt sich einer kollektiven Arbeit des Labors für Filmstudien der Universität Rennes. Dadurch erklärt sich auch die prominente Rolle, die den Beziehungen zwischen Kino und Fernsehen mit einem eigenen Abschnitt zukommt. Das Thema Kunst und Fernsehen wird aus drei Blickwinkeln betrachtet, nämlich aus ästhetischer, historischer und technischer Sicht, wobei die Ästhetik sowohl die experimentelle Kunst als auch das Verhältnis zwischen Film und Fernsehen umfasst. Der Band ist in vier Abschnitte unterteilt, die sich teilweise überschneiden: »Geschichte und Gegengeschichte der Kunst«, »Über das Kino«, »Forschung und Experimente« und »Durch das Prisma der technischen Fragen«.3

3Der erste Teil stellt die Einschätzung infrage, dass ernsthafte Kunstgeschichte im Fernsehen nicht möglich sei. Diese Prämisse ist bereits in der Fragestellung enthalten, die dem Abschnitt zugrunde liegt: Welche Geschichten und Gegengeschichten der Künste hat das Fernsehen hervorgebracht? Mit anderen Worten: Das Fernsehen betreibt Kunstgeschichte, aber möglicherweise auf eine andere Weise als die übliche akademische Version. Der erste Aufsatz handelt von Max-Pol Fouchet, einem klassischen Kunsthistoriker, der aber seinen Weg ins Fernsehen fand, wo er in den 1950er bis 1970er Jahren in verschiedenen Fernsehsendungen über Kunst sehr erfolgreich war. Fouchet erweist sich als eine Fernsehpersönlichkeit, die auf der Grundlage humanistischer und pädagogischer Prinzipien jedes Thema der Weltkunstgeschichte für ein breites Publikum greifbar gemacht hat: von den großen Meistern wie Rembrandt, Picasso oder Dubuffet bis hin zu thematischen Sendungen über die Kunst Mexikos, Irans oder Ägyptens. Der erste Abschnitt endet mit einem Text über den Nouveau Réalisme; in ihm wird aufgezeigt, wie es dieser Künstlergruppe am Beginn der 1960er Jahre gelang, ihre Kunst durch Fernsehsendungen der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen und so diese Avantgarde in die Kunstgeschichte zu integrieren. Dazwischen liegen Texte zu sehr spezifischen Fernsehsendungen wie Peintres de notre temps (1959–1974), Secrets des chefs-d'oeuvre (1959–1974), Tous pour l'art (Arte, 2012) und Des Mots de Minuit. Damit werden Beispiele aus der Fernsehpraxis behandelt, denen es nicht nur gelingt, die Qualitäten des Fernsehens als Informations- und Bildungsinstrument, also etwa Unmittelbarkeit oder Interaktivität, zu mobilisieren und in kreativen Programmen zu präsentieren, sondern auch in kunsthistorische Diskurse einzugreifen und konträre Positionen einzunehmen. Peintres de notre temps zeigt den Prozess der Malerei anhand von Interviews mit Künstlern bei der Arbeit in ihren Ateliers und wird als ein Plädoyer für die Malerei »trotz Duchamp« verstanden (gegen Geschichte). Die Sendung Des Mots de Minuit stellt die Kunst in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext, indem sie die Kunst mit anderen Ausdrucksformen ins Gespräch bringt. Eigentlich wird nur das Format Tous pour l’art im Sammelband dafür kritisiert, dass es die Möglichkeiten des Fernsehens in Form eines Malwettbewerbs ausnutzt, aber wenig für die Kunst oder den Kunstdiskurs tut.

4Die nächsten beiden Teile des Buches entfernen sich vom kunsthistorischen Diskurs, untergraben aber auch einige hartnäckige Vorstellungen, indem sie sich dem Fernsehen als Kunst, als neues künstlerisches Medium, als »Ort des Experimentierens« zuwenden. Im zweiten Teil geht es um die Beziehung zwischen Fernsehen und Film in der Nachkriegszeit. Der gesamte avantgardistische Filmstil der Nouvelle Vague ist beispielsweise untrennbar mit dem Aufkommen des Fernsehens verbunden. Dies wird in dem Artikel von Damien Keller erläutert, aus dem hervorgeht, wie etwa die Darstellung des Unmittelbaren in den Filmen von Regisseuren wie Jean Renoir und Jacques Rozier in eine kinematografische Ästhetik verwandelt wird. Marie-France Chambat-Houillon behandelt das Verhältnis zwischen Fernsehen und Film auf eine andere Art und Weise. Anhand einer Analyse von journalistischen Artikeln, die zwischen 1947 und 1949 in der einflussreichen Wochenzeitschrift Radio erschienen sind, zeigt sie, welche Rolle der Film in den Debatten über das Fernsehen in der Anfangsphase seiner Entwicklung spielte, als sich das Fernsehen als Medium noch nicht klar herauskristallisiert hatte. Eine ähnliche Nuance des Verhältnisses zwischen Fernsehen und Video wird im dritten Teil des Bandes über »Forschung und Experimente« erörtert. In Beiträgen zu Programmen über Video im Fernsehen, wie Vidéo USA und Vidéographie, wird die alte Idee, dass Video sowohl das kritische und experimentelle Labor als auch das Gewissen des sonst zu kommerziell gesinnten Fernsehens ist, differenziert diskutiert. Außerdem enthält der Abschnitt Essays über künstlerische Formen und Formate, die ohne das Fernsehen nicht zustande gekommen wären, wie z. B. kreative Fenster innerhalb der Werbung (»die Fernsehpause«) oder experimentelle Programme wie La Nuit / Die Nacht beim Sender Arte. Die wichtige und strukturelle Rolle der Forschung und des Experiments tritt jedoch vor allem im einleitenden Essay des Abschnitts hervor, der anhand von Archivrecherchen die Programme und künstlerischen Experimente in den Bereichen Kunst, Kultur, (Medien-)Wissenschaft, Bildung und audiovisuelle Archivierung des Service de la Recherche des RTF|ORTF aufzeigt.

5Der vierte und letzte Abschnitt befasst sich noch einmal stärker mit der Technologie. Im Zentrum stehen hier technologische Innovationen oder die technischen Herausforderungen von Live-Fernsehübertragungen (Kameraführung, Szenografie, Formen der Kommunikation und Vermittlung). Als originell erweist sich auch der Blick auf die Einführung des Farbfernsehens, die nicht zuletzt die Erscheinungsweise der im Fernsehen gezeigten und für das Fernsehen produzierten Kunst veränderte.

  • 4 McLuhan bringt dieses Argument in mehreren Publikationen vor, besonders deutlich wird es jedoch in (...)

6Erst am Ende des Sammelbandes kommt das Fernsehen im digitalen Zeitalter in den Blick. Die Schlussfolgerung der beiden Herausgeber mit dem Titel »Kunst und Fernsehen … im Zeitalter von Internet und Digitalisierung« beschreibt kurz diese Veränderungen und spekuliert über die aktuellen technologischen Bedingungen und Herausforderungen für die Kunst im Fernsehen und für das Fernsehen überhaupt. Der Band zeigt damit, dass eine rückblickende Bewertung dabei helfen kann, die Potenziale von Kunst im heutigen internetgestützten Fernsehen besser zu verstehen. Schon Marshall McLuhan hat festgestellt, dass der Inhalt eines technologischen Mediums erst mit dem Auftauchen eines neuen Mediums vollständig verstanden werden kann, mit dem es konkurrieren muss, weil seine eigene Existenz überflüssig zu werden droht.4 In diesem Band geht es aber auch um künstlerische Medien: Wie hat das Fernsehen die Künste repräsentiert, und welche neuen kunsthistorischen und theoretischen Diskurse hat es hervorgebracht? Die Ergebnisse des Bandes, die auf gründlichen Archivrecherchen beruhen, lassen hervortreten, dass die (historische) Beziehung zwischen Fernsehen und Kunst nicht nur komplexer und nuancierter ist, als bisher vermutet wurde, sondern auch einen Blick in die Gegenwart und sogar in die Zukunft der visuellen Medien erlaubt.

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Note de fin

1 Priska Morrissey und Éric Thouvenel, Les Arts et la télévision: discours et pratiques, Rennes: Presses Universitaires de Rennes, 2019, S. 15. Übersetzung Sjoukje van der Meulen.

2 Der Band ist die Fortsetzung eines früheren Projekts an der Universität Rennes, das den Zeitraum von 1950 bis 2010 zum gleichen Thema untersucht hat: Hamery Roxane (Hg.), La Télévision et les arts: soixante années de production, Rennes: Presses Universitaires de Rennes, 2014.

3 Das Inhaltsverzeichnis befindet sich am Ende des Buches (ohne Seitenangabe).

4 McLuhan bringt dieses Argument in mehreren Publikationen vor, besonders deutlich wird es jedoch in einem posthum von seinem Sohn Eric McLuhan veröffentlichten Buch. Vgl. Marshall McLuhan und Eric McLuhan (Hg.), Laws of Media: The New Science, Toronto: University of Toronto Press, 1988.

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Pour citer cet article

Référence papier

Sjoukje van der Meulen, « Priska Morrisey et Éric Thouvenel (Hg.), Les Arts et la Télévision: Discours et Pratiques »Regards croisés, 11 | 2021, 221-224.

Référence électronique

Sjoukje van der Meulen, « Priska Morrisey et Éric Thouvenel (Hg.), Les Arts et la Télévision: Discours et Pratiques »Regards croisés [En ligne], 11 | 2021, mis en ligne le 01 juillet 2023, consulté le 18 mai 2025. URL : http://0-journals-openedition-org.catalogue.libraries.london.ac.uk/regardscroises/486

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